Das Mädchen mit dem Perlenohrring (eBook)

Roman
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2019 | 1. Auflage
272 Seiten
Atlantik Verlag
978-3-455-00888-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Mädchen mit dem Perlenohrring -  Tracy Chevalier
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Delft, 1664. Die junge Magd Griet wird in den Haushalt des holländischen Malers Johannes Vermeer gegeben und avanciert schnell zur Schülerin und Muse des Malers. Sie zeigt eine scheue, in Andeutungen belassene Zuneigung zu dem Künstler, dem sie schließlich Modell sitzt, was für Schikanen seitens Vermeers eifersüchtiger Gattin sorgt. Als der Maler das junge Mädchen bittet, den Perlenohrring seiner Frau für ein Porträt anzulegen, löst er eine Katastrophe aus, die Griets Zukunft bedroht.  Dieser moderne Klassiker und internationale Erfolg mit über 5 Millionen erkauften Exemplaren weltweit bleibt auch zwanzig Jahre nach Erscheinen mit seinen eindrücklichen und zugleich schlichten Beschreibungen ein zeitloses Meisterwerk, ganz nach dem Vorbild Vermeers.  Grundlage der gleichnamigen und für den Oscar nominierten Verfilmung mit Scarlett Johanson und Colin Firth aus dem Jahr 2003.

Tracy Chevalier, geboren 1962, ist Autorin von elf Romanen. Ihr internationaler Bestseller Das Mädchen mit dem Perlenohrring wurde über fünf Millionen mal verkauft, in fünfundvierzig Sprachen übersetzt und als Film, Theaterstück und Oper adaptiert. Aufgewachsen in Washington DC, zog sie 1986 ins Vereinigte Königreich und lebt dort heute mit ihrem Ehemann in London.

Tracy Chevalier, 1962 geboren, wuchs in Washington D.C. auf. Sie studierte Englische Literatur und arbeitete als Lektorin. Mit ihrem Roman Das Mädchen mit dem Perlenohrring wurde sie 1999 international bekannt. Heute lebt die Autorin mit ihrer Familie in London.

Cover
Titelseite
Widmung
Vorwort
1664
1665
1666
1676
Danksagung
Über Tracy Chevalier
Impressum

1665


Mein Vater wollte, dass ich ihm das Gemälde noch einmal beschrieb.

»Aber seit dem letzten Mal hat sich nichts verändert«, sagte ich.

»Ich will es noch mal hören«, beharrte er und beugte sich im Stuhl vor, um näher an den Flammen zu sitzen. Er klang wie Frans, wenn ihm als Kind gesagt wurde, dass der Hotspot aufgegessen war. Im März war mein Vater häufig ungeduldig, wartete auf das Ende des Winters, dass die Kälte nachließ und die Sonne wieder schien. März war ein unbeständiger Monat, in dem man nie wusste, was kommen würde. Warme Tage ließen einen Hoffnung schöpfen, bis sich wieder Eis und grauer Himmel über die Stadt legten.

März war der Monat, in dem ich geboren bin.

Seit er blind war, schien mein Vater den Winter noch mehr zu hassen. Seine anderen Sinne wurden schärfer. Er spürte die Kälte bis in die Knochen, roch die abgestandene Luft im Haus, schmeckte die Fadheit des Gemüseeintopfs mehr als meine Mutter. Er litt sehr unter dem langen Winter.

Er tat mir leid. Wann immer ich konnte, steckte ich ihm Leckerbissen aus Tannekes Küche zu – gedünstete Kirschen, getrocknete Aprikosen, eine kalte Wurst, einmal eine Handvoll getrockneter Rosenblütenblätter, die ich in Catharinas Schrank gefunden hatte.

»Die Tochter des Bäckers steht im hellen Licht in der Ecke neben dem Fenster«, erklärte ich geduldig. »Ihr Gesicht ist uns zugewandt, aber sie sieht zum Fenster hinaus, nach unten, nach rechts. Sie trägt ein gelb-schwarzes Mieder aus Seide und Samt, einen dunkelblauen Rock und eine weiße Haube, deren Zipfel ihr unters Kinn hängen.«

»So wie deine?«, fragte mein Vater. Diese Frage hatte er mir noch nie gestellt, obwohl ich ihm die Haube jedes Mal auf dieselbe Art beschrieb.

»Ja, so wie meine. Wenn man die Haube lang genug ansieht«, fuhr ich rasch fort, »merkt man, dass er sie nicht wirklich weiß gemalt hat, sondern blau und lila und gelb.«

»Aber die Haube ist weiß, hast du gesagt.«

»Das ist ja das Seltsame daran. Sie ist in vielen Farben gemalt, aber wenn man sie ansieht, denkt man, sie ist weiß.«

»Fliesenmalerei ist viel einfacher«, murrte mein Vater. »Man verwendet Blau, und damit hat es sich. Ein dunkles Blau für die Konturen, ein helles Blau für die Schatten. Blau ist Blau.«

Und eine Fliese ist eine Fliese, dachte ich, und etwas völlig anderes als seine Gemälde. Ich wollte meinen Vater verstehen machen, dass Weiß nicht einfach nur Weiß ist. Das hatte mein Herr mir erklärt.

»Was tut sie?«, fragte er einen Moment später.

»Sie hat eine Hand auf einen Zinnkrug gelegt, der auf dem Tisch steht, und die andere liegt auf dem Fenster, das sie einen Spalt geöffnet hat. Sie will wohl gerade den Krug aufheben und das Wasser zum Fenster hinausschütten, aber sie hat mittendrin aufgehört und träumt, oder sie sieht etwas unten auf der Straße.«

»Ja was denn nun?«

»Ich weiß es nicht. Manchmal kommt es mir wie das eine vor, dann wieder das andere.«

Mit gerunzelter Stirn lehnte mein Vater sich zurück. »Zuerst sagst du, die Haube ist weiß, aber nicht mit Weiß gemalt. Dann sagst du, das Mädchen tut eine Sache, aber vielleicht doch eine andere. Du verwirrst mich.« Er fuhr sich über die Stirn, als hätte er Kopfschmerzen.

»Es tut mir leid, Vater. Ich versuche, das Bild so genau wie möglich zu beschreiben.«

»Aber welche Geschichte erzählt es denn?«

»Seine Bilder erzählen keine Geschichten.«

Darauf erwiderte er nichts. Er war den ganzen Winter über schwierig gewesen. Wenn Agnes da gewesen wäre, hätte sie ihn aufheitern können. Sie hatte immer verstanden, ihn zum Lachen zu bringen.

»Mutter, soll ich die Fußwärmer anzünden?«, fragte ich und wandte mich von meinem Vater ab, um meine Gereiztheit zu verbergen. Wenn er sich Mühe gab, konnte er jetzt, wo er blind war, die Stimmung anderer spüren. Ich mochte es nicht, dass er das Gemälde kritisierte, ohne es gesehen zu haben, oder dass er es mit den Fliesen verglich, die er früher gemalt hatte. Ich hätte ihm gerne gesagt, wenn er das Gemälde nur sehen könnte, würde er es überhaupt nicht verwirrend finden. Vielleicht erzählte es keine Geschichte, aber es war trotzdem ein Gemälde, das man einfach immer wieder ansehen wollte.

Während mein Vater und ich geredet hatten, war meine Mutter emsig gewesen, hatte den Eintopf umgerührt, Holz nachgelegt, Teller und Humpen aufgedeckt, ein Messer gewetzt, um das Brot zu schneiden. Ohne ihre Antwort abzuwarten, ging ich mit den Fußwärmern ins Hinterzimmer, wo der Torf lagerte. Als ich sie füllte, schalt ich mich selbst, dass ich mich über meinen Vater ärgerte.

Ich ging mit den Fußwärmern wieder in die Küche und entzündete sie am Feuer, das dort brannte. Nachdem ich sie unter unsere Stühle am Tisch gestellt hatte, führte ich meinen Vater zu seinem Platz; währenddessen tat meine Mutter den Eintopf auf und schenkte Bier ein. Mein Vater aß einen Bissen und verzog das Gesicht. »Hast du vom Papistenviertel nichts mitgebracht, damit der Brei schmackhafter wird?«, murrte er.

»Das ging nicht. Tanneke ist nicht besonders freundlich zu mir, und ich bin kaum in ihrer Küche gewesen.« Sobald ich die Worte ausgesprochen hatte, bedauerte ich es.

»Warum? Was hast du getan?« Mein Vater versuchte immer öfter, mich ins Unrecht zu setzen, und stellte sich manchmal sogar auf Tannekes Seite.

Ich überlegte rasch. »Ich habe Bier verschüttet, ihr bestes. Einen ganzen Krug voll.«

Meine Mutter warf mir einen tadelnden Blick zu. Sie wusste, wann ich log. Wenn mein Vater nicht so unzufrieden gewesen wäre, hätte er es vielleicht an meiner Stimme gemerkt.

Aber langsam fiel es mir immer leichter.

Als ich mich verabschiedete, bestand meine Mutter darauf, mich ein Stück zu begleiten, obwohl es regnete, ein kalter, harter Regen. Beim Rietveld-Kanal, wo wir nach rechts zum Marktplatz abbogen, sagte sie: »Du wirst bald siebzehn.«

»Nächste Woche«, antwortete ich.

»Bald bist du eine Frau.«

»Bald.« Ich schaute unverwandt auf die Regentropfen, die auf die Gracht prasselten. Ich wollte nicht an die Zukunft denken.

»Ich habe gehört, dass der Sohn des Fleischers sehr aufmerksam zu dir ist.«

»Wer hat dir das gesagt?«

Zur Antwort strich sie sich nur Regentropfen von der Haube und schüttelte ihren Schal aus.

Ich zuckte mit den Schultern. »Bestimmt nicht mehr als zu anderen Mädchen.«

Ich erwartete, dass sie mich warnen und mir sagen würde, ich solle achtgeben und an den Namen unserer Familie denken. Stattdessen sagte sie: »Sei nicht unhöflich zu ihm. Lächle und sei freundlich.«

Ihre Worte überraschten mich, aber als ich ihr in die Augen schaute und den Hunger nach Fleisch sah, der darin lag und den der Sohn eines Fleischers stillen konnte, verstand ich, warum sie ihren Stolz ablegte.

Zumindest fragte sie mich nicht wegen der Lüge, die ich beim Essen erzählt hatte. Ich konnte ihnen nicht sagen, warum Tanneke unfreundlich zu mir war. Hinter dieser Lüge lag eine noch viel größere Lüge. Ich hätte zu viel erklären müssen.

Tanneke hatte herausgefunden, was ich an den Nachmittagen tat, an denen alle dachten, ich würde nähen.

Ich war sein Gehilfe geworden.

 

Begonnen hatte es vor zwei Monaten, eines Nachmittags im Januar bald nach Franciscus’ Geburt. Es war sehr kalt. Franciscus und Johannes kränkelten beide, sie hatten einen schlimmen Husten und atmeten schwer. Catharina und die Amme pflegten sie am Feuer in der Waschküche, während wir anderen rund um das Feuer in der Kochküche saßen.

Nur er war nicht da. Er war oben. Offenbar störte ihn die Kälte nicht.

Catharina erschien in der Tür, die die beiden Küchen verband. »Jemand muss zum Apotheker gehen«, sagte sie. Ihr Gesicht war gerötet. »Ich brauche ein paar Arzneien für die Jungen.« Sie schaute vielsagend zu mir.

Normalerweise wäre ich die Letzte, der eine solche Aufgabe übertragen wurde. Ein Besuch beim Apotheker war etwas ganz anderes, als zum Fleischer oder zum Fischhändler zu gehen – Aufgaben, die Catharina mir auch weiterhin überließ, selbst nach der Geburt von Franciscus. Der Apotheker war ein angesehener Arzt, den Catharina und Maria Thins gerne aufsuchten. So schöne Aufgaben durfte ich nicht übernehmen. Aber wenn es so kalt war wie jetzt, wurde jede Besorgung dem unwichtigsten Mitglied des Haushalts übertragen.

Nicht einmal Maertge und Lisbeth baten, mich begleiten zu dürfen. Ich wickelte mich in einen wollenen Umhang und mehrere Schals, während Catharina mir erklärte, was ich besorgen sollte – getrocknete Holunderblüten und ein Huflattichelixier. Cornelia trieb sich in der Nähe herum und schaute mir zu, wie ich die Enden der Schals wegsteckte.

»Darf ich mitkommen?«, fragte sie und lächelte mich mit unschuldigen Augen an. Manchmal fragte ich mich, ob ich nicht zu streng mit ihr ins Gericht ging.

»Nein«, antwortete Catharina an meiner statt. »Es ist viel zu kalt draußen. Es kommt nicht infrage, dass noch eins meiner Kinder krank wird. Und jetzt geh«, sagte sie zu mir. »Beeil dich.«

Ich zog die Haustür ins Schloss und trat auf die Straße. Dort war es sehr still – die Leute saßen zu Hause am Feuer, was nur vernünftig war. Die Gracht war zugefroren, der Himmel war ein drohendes Grau. Als ich die Nase vor dem schneidenden Wind tiefer in die Falten des Schals um mein Gesicht steckte, hörte ich jemanden meinen Namen rufen. Ich sah mich um; ich dachte, Cornelia sei mir gefolgt. Aber die Haustür war geschlossen.

Ich schaute nach oben. Er hatte ein Fenster geöffnet und streckte...

Erscheint lt. Verlag 5.8.2019
Übersetzer Ursula Wulfekamp
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bildende Kunst • Liebesgeschichte • Malerei • Niederlande • Vermeer
ISBN-10 3-455-00888-7 / 3455008887
ISBN-13 978-3-455-00888-3 / 9783455008883
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