Die Stadt der träumenden Bücher (eBook)
480 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-26001-9 (ISBN)
Das geniale Manuskript eines unbekannten Autors treibt den jungen Dichter Hildegunst von Mythenmetz nach Buchhaim. Wenn er dem Geheimnis des Verfassers irgendwo auf die Spur kommen kann, dann in den labyrinthischen Katakomben dieser buchverrückten Stadt. Der Geruch von Druckerschwärze durchzieht die Straßen, Bibliothek reiht sich an Bibliothek. Und in den Katakomben stürzen sich belesene Buchlinge und Bücherjäger auf alles, was Buchstaben hat. Als Mythenmetz nach unzähligen Abenteuern den Schattenkönig von Buchhain trifft, scheint er am Ziel ... Mit fantastischem Ideenreichtum und grandiosen Illustrationen gelingt Walter Moers die »schönste und größte Liebeserklärung an das Lesen und die Literatur« (Die Welt).
Als der Pate des jungen Dichters Hildegunst von Mythenmetz stirbt, hinterlässt er seinem Schützling nur wenig mehr als ein Manuskript. Dieses aber ist so makellos, dass Mythenmetz sich gezwungen sieht, dem Geheimnis seiner Herkunft nachzugehen. Die Spur führt nach Buchhaim, der Stadt der Träumenden Bücher. Als der Held sie betritt, ist es, als würde er die Tür zu einer gigantischen Buchhandlung aufreißen. Er riecht den Anflug von Säure, der an den Duft von Zitronenbäumen erinnert, das anregende Aroma von altem Leder und das scharfe, intelligente Parfüm von Druckerschwärze. Einmal in den Klauen dieser buchverrückten Stadt, wird Mythenmetz immer tiefer hineingesogen in ihre labyrinthische Welt, in der Lesen noch eine wirkliche Gefahr ist, in der rücksichtslose Bücherjäger nach bibliophilen Schätzen gieren, Buchlinge ihren Schabernack treiben und der mysteriöse Schattenkönig herrscht.
Dies ist ein Roman, der im legendären Bücherreich Zamonien spielt. Folgende weitere Zamonienromane sind bislang erschienen:
Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär
Ensel und Krete
Rumo & Die Wunder im Dunkeln
Der Schrecksenmeister
Das Labyrinth der Träumenden Bücher
Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr
Weihnachten auf der Lindwurmfeste
Der Bücherdrache
Walter Moers ist der Schöpfer des fantastischen Kontinents Zamonien und des dort lebenden Erfolgsschriftstellers Hildegunst von Mythenmetz, dessen Werke er vorgibt seit 1999 ins Deutsche zu übersetzen. Dazu gehören u.a. »Die 13 ½ Leben des Käpt´n Blaubär«, »Die Stadt der Träumenden Bücher« und »Die Insel der Tausend Leuchttürme«. Er ist darüber hinaus der geistige Vater von Käpt´n Blaubär, dem Kleinen Arschloch, dem Alten Sack, von Adolf, der Nazisau, dem Fönig und vieler anderer populärer Charaktere. Moers ist eines der großen Multitalente sowohl als Zeichner als auch als Schriftsteller als auch als Drehbuchautor. Seine Auflagen gehen in die Millionen, die Filme nach seinen Büchern waren Blockbuster. Er hat den Grimme- und den Fantastik-Preis gewonnen und wird - weit über den deutschen Sprachraum hinaus - vom breiten Publikum ebenso geschätzt wie von den Feuilletonisten: für seine überbordende Fantasie, seine Fabulierkunst und seinen mal feinen, mal anarchischen Humor.
Der Brief
Ich war in den nächsten Tagen viel zu sehr mit den Ereignissen beschäftigt, die durch Danzelots Tod verursacht wurden, um seinen letzten Worten nachzuforschen: die Beerdigung, die Ordnung seines Nachlasses, die Trauer. Als sein Dichtpatenkind hatte ich die Todes-Ode zu verfassen, ein mindestens hundertzeiliges hymnisches Gedicht, in Alexandrinern, das während der Leichenverbrennung vor allen Bewohnern der Lindwurmfeste verlesen wurde. Anschließend durfte ich seine Asche von der Spitze der Feste in alle Winde verstreuen. Danzelots Überreste wehten einen Augenblick in der Luft wie ein dünner grauer Schleier, dann lösten sie sich in feinen Nebel auf, der langsam hinabsank und sich schließlich völlig verflüchtigte.
Ich hatte sein kleines Haus mit der Bibliothek und dem Garten geerbt, daher beschloß ich, endlich das Heim meiner Eltern zu verlassen und dort einzuziehen. Der Umzug nahm ein paar Tage in Anspruch, und schließlich fing ich an, meine eigenen Bücher in die Bibliothek meines Onkels einzuordnen. Hin und wieder purzelten mir Manuskripte entgegen, die Danzelot zwischen die Bücher gesteckt hatte, vielleicht, um sie vor neugierigen Blicken zu verbergen. Es waren Notizen, rasch skizzierte Ideen, manchmal ganze Gedichte. Eins davon lautete:
Bin schwarz, aus Holz und stets verschlossen
Seitdem mit Stein sie mich beschossen
In mir ruh’n tausend trübe Linsen
Seitdem mein Haupt ging in die Binsen
Dagegen helfen keine Pillen:
Ich bin ein Schrank voll ungeputzter Brillen
O je, ich hatte keine Ahnung gehabt, daß Danzelot in seiner umnachteten Phase gedichtet hatte. Ich erwog kurz, das Manuskript zu vernichten, um diesen Makel in Knittelversen aus seinem Nachlaß zu entfernen. Aber dann besann ich mich eines Besseren – als Dichter ist man der Wahrheit verpflichtet, Gutes wie Schlechtes – es gehört der lesenden Allgemeinheit. Ächzend räumte ich weiter Bücher ein, bis ich zum Buchstaben O kam – Danzelot hatte seine Bibliothek alphabetisch nach den Nachnamen der Autoren geordnet. Dort fiel mir Odenhoblers Ritter Hempel in die Hände – und Danzelots mysteriöse Andeutung auf dem Sterbebett wieder ein. Im Hempel sollte sich ein sensationelles Manuskript verbergen. Neugierig schlug ich das Buch auf.
Zwischen dem Buchdeckel und der ersten Seite lag tatsächlich ein gefalteter Brief, zehn Blätter, leicht vergilbt, stockfleckig – war es der, von dem er so geschwärmt hatte? Ich nahm ihn heraus und wog ihn einen Augenblick in der Hand. Danzelot hatte mich auf ihn neugierig gemacht und gleichzeitig davor gewarnt. Die Lektüre könne mein Leben verändern, hatte er orakelt, so wie sie seines verändert hatte. Nun – warum eigentlich nicht? Ich dürstete nach Veränderung! Ich war schließlich noch jung, gerade mal siebenundsiebzig Jahre alt.
Draußen schien die Sonne, drinnen im Haus bedrückte mich immer noch die Restpräsenz meines toten Dichtpaten. Der Tabakgeruch seiner zahllosen Pfeifen, zerknülltes Papier auf dem Schreibtisch, eine angefangene Tischrede, eine halbleere Teetasse, und von der Wand glotzte mich sein uraltes Jugendportrait an.
Er war immer noch allgegenwärtig, und schon der Gedanke, die Nacht allein in diesem Haus zu verbringen, beunruhigte mich. Also beschloß ich, hinauszugehen, mich auf eine der Mauern der Lindwurmfeste zu setzen und das Manuskript unter freiem Himmel zu lesen. Ich schmierte mir seufzend ein Brot mit Danzelots selbstgemachter Erdbeermarmelade und machte mich auf den Weg.
Ich bin sicher, daß ich diesen Tag in meinem ganzen Leben niemals vergessen werde. Die Sonne hatte ihren Zenit längst überschritten, aber es war immer noch warm, und die meisten Lindwurmfestebewohner hielten sich im Freien auf. Tische und Stühle waren auf die Straßen gestellt worden, auf den Mauern lümmelten sich sonnenhungrige Saurier, spielten Karten, lasen Bücher und trugen sich gegenseitig ihre neuesten Ergüsse vor. Lachen und Gesang überall – ein typischer Spätsommertag auf der Feste.
Es war gar nicht so einfach, eine ruhige Stelle zu finden, also streifte ich immer weiter durch die Gassen und fing schließlich schon im Gehen an, das Manuskript zu studieren.
Mein erster Gedanke dabei war, daß sich jedes Wort an der richtigen Stelle befand. Nun ist das nichts Besonderes, diesen Eindruck vermittelt eigentlich jede geschriebene Seite. Erst beim genauen Lesen bemerkt man, daß hier und da etwas nicht stimmt, Satzzeichen falsch gesetzt sind, Schreibfehler sich eingeschlichen haben, schiefe Metaphern benutzt wurden, Wörter sich inflationär häufen, und was man sonst noch beim Schreiben alles falsch machen kann. Aber diese Seite war anders – sie machte auf mich den Eindruck eines makellosen Kunstwerkes, ohne daß ich ihren Inhalt kannte. Es war wie bei einem Gemälde oder einer Skulptur, wo man ja auch auf den ersten Blick beurteilen kann, ob man es mit Kitsch oder mit einem Meisterwerk zu tun hat. Solch eine Wirkung hatte eine geschriebene Seite bei mir noch nie erzielt – ohne daß ich sie überhaupt gelesen hatte. Diese hier sah aus wie von Zeichnerhand kalligraphiert. Jeder Buchstabe behauptete sich als souveränes Kunstwerk, es war ein Ballett von Zeichen, die zu einem betörenden Reigen über die ganze Seite choreographiert waren. Es verstrich eine geraume Weile, bis ich mich von diesem einnehmenden Gesamteindruck losreißen konnte und endlich zu lesen begann.
»Hier sitzt wirklich jedes Wort an der richtigen Stelle«, dachte ich, nachdem ich die erste Seite gelesen hatte. Nein, nicht nur jedes einzelne Wort, jedes Satzzeichen, jedes Komma – selbst die Leerstellen zwischen den Worten schienen von unabänderlicher Wichtigkeit zu sein. Und der Inhalt? Der Text, soviel kann ich verraten, handelte von den Gedanken eines Schriftstellers, der sich im Zustand des horror vacui, der Angst vor dem leeren Blatt befand. Den die absolute Schreibhemmung gelähmt hatte, und der verzweifelt darüber grübelte, mit welchem Satz er seine Geschichte beginnen sollte.
Keine besonders originelle Idee, zugegeben! Wie viele Texte sind nicht schon über diese klassische, fast klischeehafte Situation des Dichterberufes verfaßt worden! Ich kenne sicher Dutzende, und ein paar davon sind von mir selbst. Meist zeugen sie nicht von der Größe des Schriftstellers, sondern von seinem Unvermögen: Ihm fällt nichts ein, also schreibt er darüber, daß ihm nichts einfällt – so als würde ein Flötist, der seine Noten vergessen hat, sinnlos auf seiner Tute herumblasen, nur weil es sein Beruf ist.
Aber dieser Text ging mit der verbrauchten Idee so brillant, so geistreich, so tiefschürfend und gleichzeitig derart erheiternd um, daß er mich binnen weniger Absätze in einen Zustand fiebriger Ausgelassenheit versetzte. Es war, als tanzte ich mit einem schönen Dinosauriermädchen, leicht berauscht von ein paar Gläsern Wein, zu himmlischer Musik. Mein Hirn schien um seine eigene Achse zu rotieren. Gedanken, funkensprühend wie Sternschnuppen, hagelten auf mich herab und verglühten zischend auf meiner Hirnrinde. Von dort aus verbreiteten sie sich kichernd in meinem Kopf, brachten mich zum Lachen, provozierten mich zu lauthalser Bestätigung oder Gegenrede – noch nie hatte mich eine Lektüre zu so lebhafter Reaktion veranlaßt.
Ich muß einen hochgradig verwirrten Eindruck gemacht haben, wie ich da so in der Gasse auf und ab stolzierte, laut deklamierend, den Brief umherschwenkend, ab und zu hysterisch auflachend oder mit den Füßen trampelnd vor Begeisterung. Aber in der Lindwurmfeste gehört schrulliges Verhalten in der Öffentlichkeit zum guten Ton, daher rief mich niemand zur Ordnung. Vielleicht probte ich ja ein Theaterstück, dessen Hauptfigur dem Wahnsinn verfallen war.
Ich las weiter. An dieser Art zu schreiben war alles richtig, derart vollkommen, daß mir die Tränen kamen – was mir ansonsten nur bei ergreifender Musik widerfährt. Das war – gigantisch, so überirdisch, so endgültig! Ich schluchzte hemmungslos und setzte meine Lektüre durch den Tränenfilm hindurch fort, bis mich plötzlich ein neuer Gedanke solchermaßen erheiterte, daß meine Tränen abrupt versiegten und ich einen Lachkrampf erlitt. Ich grölte wie ein besoffener Idiot, während ich mir mit der Faust auf den Oberschenkel hämmerte – beim Orm, war das komisch! Ich japste nach Luft, beruhigte mich kurz, biß mir auf die Lippen, preßte mir die Pranke auf den Mund – und konnte doch nicht anders, als gleich wieder loszukreischen. Wie unter Zwang mußte ich die Formulierung mehrmals laut wiederholen, immer wieder unterbrochen von hysterischen Lachanfällen. Uaaah! Das war der komischste Satz, den ich je gelesen hatte! Ein Brüller der Sonderklasse, ein Superscherz! Nun füllten sich meine Augen mit Lachtränen. Das waren keine routinierten Pointen – etwas so in gleichem Maße Geistreiches wie Witziges wäre mir im Traum nicht eingefallen. Bei allen zamonischen Musen: das war bestürzend gut.
Es dauerte eine Weile, bis die letzte große Lachwelle verebbt war und ich japsend und fiepsend meine Lektüre fortsetzen konnte, immer noch von gelegentlichem Kichern geschüttelt. Ich hatte Rotz und Wasser geheult, die Tränen liefen mir immer noch übers Gesicht. Zwei entfernte Verwandte kamen mir entgegen und lüfteten mit bitteren Mienen ihre Kopfbedeckungen, weil sie glaubten, ich sei noch in Trauer aufgelöst über den Verlust meines verblichenen Dichtpaten. In dem Moment mußte ich wieder loskreischen, und sie...
Erscheint lt. Verlag | 5.8.2019 |
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Zusatzinfo | über 100 Illustrationen |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Abenteuerroman • Bestseller • Buchlinge • Das Labyrinth der träumenden Bücher • der bücherdrache • Der Schrecksenmeister • eBooks • Ensel und Krete • Fantasy • High Fantasy • Hildegunst von Mythenmetz • Käpt'n Blaubär • Literaturreich • Prinzessin Insomnia • Rumo • Sammlerausgabe • Zamonien • Zamonien 4 |
ISBN-10 | 3-641-26001-9 / 3641260019 |
ISBN-13 | 978-3-641-26001-9 / 9783641260019 |
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