Dorian Hunter 25 - Horror-Serie (eBook)
Bastei Entertainment (Verlag)
978-3-7325-8399-7 (ISBN)
Die Rattenkönigin
von Ernst Vlcek
Du hörst die Frau deiner Träume rufen: 'Carl, Carl, Carl - mein Körper sehnt sich so nach dir!'
Du richtest dich im Bett auf und folgst dem Ruf - 'Carl, Carl, Carl!' - in den Garten und weiter, obwohl eine Stimme in dir flüstert: Tu es nicht. Geh nicht in den Tod!
Doch da umringen sie dich bereits: graue, glitschige und struppige Körper. Es quiekt, raschelt, faucht und quirlt um dich herum. Du rutschst auf etwas Nassem, Glitschigem aus, verlierst fast den Halt.
Ich lasse meine Jenny nicht warten, denkst du trotzdem.
Und die Rattenkönigin Jenny lacht - und stachelt die Horden mit ihren Pfiffen zu mörderischer Wildheit an!
1. Kapitel
Und zum ersten Mal hörst du ihre lautlose Stimme, ihren drängenden Lockruf. Du kannst nicht anders, du musst ihr folgen.
Nun stehst du im Zimmer. Das Fenster ist offen. Das fahle Mondlicht der Novembernacht fällt herein, webt ein Muster auf den Boden und das Bett. Schatten bewegen sich, als hätten sie ein eigenes Leben. Dich fröstelt unter dem dünnen Nachtgewand.
Ich werde dich wärmen, Geliebter, verspricht die verführerische Stimme in deinem Geist.
Du ziehst einen Morgenrock über, ohne die Fremde aus den Augen zu lassen, die jetzt durch das Fenster schwebt. Du willst nach ihr greifen, doch deine Hand gleitet durch sie hindurch. Du eilst ihr nach, doch mit jedem Schritt, den du auf sie zumachst, weicht sie vor dir zurück. Nein, sie darf nicht entschwinden! Du möchtest sie umarmen, fest an dich drücken, ihr Herz an deinem schlagen spüren, ihren warmen, festen Körper mit der Pfirsichblütenhaut kosen.
Du bist am Fenster, kletterst hinaus und springst die zwei Meter in den Garten hinunter. Irgendwo schlägt eine Turmuhr zwölf. Der Klang der Glocken schreckt dich aus deinem Wachtraum. Kälte! Du zitterst, aber gleich ist dir wieder warm. Die Bäume und Sträucher des Gartens erscheinen dir wie mahnende Finger des Schicksals. Carl, geh nicht in den Tod!
Zu deinen Füßen wimmeln schemenhafte Körper, grau, glitschig und struppig. Es quiekt, raschelt, faucht und quirlt um dich herum. Ein kalter Nachtwind fährt dir in die Glieder, rüttelt dich auf. Verweht ist das Bildnis des überirdisch schönen Mädchens.
Du willst umdrehen, möchtest zurückkehren in die Geborgenheit deines Zimmers. Doch kaum machst du einen Schritt zurück, tritt dein Fuß auf weiche, pelzige Körper. Scharfe Zähne traktieren deinen Rist, die Zehen und Fußballen. Du rutschst auf etwas Nassem, Glitschigem aus, verlierst fast den Halt.
Carl, komm! Lass deine Jenny nicht warten!
Ihre Lockrufe schlagen dich wieder in ihren Bann. Du siehst sie wieder – die Frau deiner Träume. Sie erwartet dich hinter dem Gartenzaun. Und sie strahlt Wärme aus. Sie hat die Arme wie zur Umarmung ausgebreitet, den Kopf tief in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen, der Mund ist wie in Erwartung eines Kusses halb geöffnet. Durch die herabfallenden Haare schimmern die rosa Warzen ihrer Brüste.
Carl, Carl, Carl!, fleht sie.
Ihre Lockrufe berauschen deinen Geist. In dir hat sich eine Spannung aufgestaut, die du nur durch körperliche Vereinigung mit diesem betörenden Wesen abschütteln kannst. Du meinst, vergehen zu müssen vor Sehnsucht nach ihr.
Die kleinen, huschenden sehenden Schatten zu deinen Füßen schrecken dich nicht mehr, denn auf einmal weißt du, dass sie die Boten deiner Traumfrau sind. Sie führen dich zu ihr. Folge ihnen durch Nacht, Nebel und Novemberkälte, und du wirst in ihren Armen die Erfüllung all deiner Wünsche finden.
Das nächtliche Borvedam versinkt um dich. Vereinzelte Lichter zeigen dir Momentaufnahmen von verlassenen Straßen. Du setzt schnell einen Fuß vor den anderen, durcheilst die Straßen in wilder Hast – aber du kommst der Frau deiner Träume nicht näher. Und trotzdem weißt du nun ganz bestimmt, dass sie nicht unerreichbar für dich ist. Du musst nur zum Horizont gelangen; dort ist ein Regenbogen, und in diesem Regenbogen wartet sie auf dich – die Frau deiner Träume. Deine Jenny.
Und wenngleich dir irgendwie bewusst wird, dass der Weg in die Tiefe führt, du durch einen Kanal und dann einen Schacht hinunterkletterst, so weißt du doch ganz bestimmt, dass dieser Weg auch geradewegs in den siebten Himmel führt. Die kleinen, quiekenden Schemen zu deinen Füßen huschen vor dir her, halten ein, putzen sich, hasten weiter. Kleine, tanzende Irrlichter spenden ein angenehmes Licht. Sie spiegeln sich in knöcheltiefem Wasser. Und dann ist der Boden des Stollens so mit den kleinen, pelzigen Tieren übersät, dass du Angst hast, auf eines von ihnen zu treten, aber wie durch ein Wunder wird immer wieder genügend Platz frei, wo du deinen nackten Fuß hinsetzen kannst.
Carl, Carl, Carl!
Das Rufen wird eindringlicher, drängender, ist voll unterschwelliger Leidenschaft. Und plötzlich weicht sie nicht mehr vor dir zurück. Du kommst ihr näher. Und dann bist du bei ihr. Bei der Frau deiner Träume.
Wie benommen fällst du ihr in die Arme. Ihr heißer, keuchender Atem umfächelt dein Gesicht. Dein Morgenrock fällt von dir ab. Dein Nachtgewand wird zerfetzt und entblößt deinen bebenden Körper. Es kommt zur ersten scheuen Berührung. Zart und ängstlich tanzen deine Fingerspitzen über ihren Körper. Ein wohliger Schauer durchrieselt dich, dann durchrast dich siedend heiß die Leidenschaft. Es ist eine Explosion deiner aufgestauten Begierden.
»Carl, Carl – nicht so stürmisch! Du musst zärtlich zu deiner Jenny sein. Ganz, ganz zärtlich. Ja, so.«
Zum ersten Mal hörst du ihre wirkliche Stimme. Sie klingt irgendwie fremd, so ganz anders als die lautlosen Lockrufe; aber das dringt nicht bis in dein Bewusstsein. Du bist wie berauscht. Du willst ganz und gar diesem überirdisch schönen Wesen gehören, das dir ganz gehören will.
»Wie lange habe ich auf diesen Augenblick gewartet, Carl! Nun habe ich endlich den Mut gefunden, dich zu mir zu rufen. Ich will deine Geliebte für diese eine Nacht sein. Deine letzte Nacht.«
Was sind das für Worte? Egal, sie sind Schall und Rauch. Die Wirklichkeit ist der junge, bebende Körper deiner Jenny. Und selbst wenn es deine letzte Nacht wäre, du würdest nicht tauschen wollen. Dafür, dass du diese köstlichen Augenblicke erleben darfst, willst du jeden Preis bezahlen. Gern willst du dein Leben für dieses kurze Glück hergeben.
Wirklich? Hast du wirklich eben so gefühlt, so verblendet gedacht, Carl? Deine eigenen Gedanken sind dir plötzlich fremd. Der Leidenschaft, dem blinden Wahn folgt die Ernüchterung auf den Fuß. Du siehst auf einmal alles mit ganz anderen Augen. Auch die Frau deiner Träume. Der Traum ist verflogen. Die Wirklichkeit stürzt über dich herein – mit all ihren Schrecken.
Du bist in einer Höhle. Giftspritzende Irrlichter umschwärmen dich, traktieren dich mit ihren Stichen. Zu deinen Füßen quirlen Unmengen von Ratten. Der Boden scheint zu leben. Sie gebärden sich wie in Ekstase. Du weichst vor etwas Abscheulichem, unsagbar Schrecklichem zurück, für das du keine Worte finden kannst. Jenny entschwindet endgültig, taucht im dunklen Winkel der Höhle unter. Und im Schutz der Dunkelheit beginnt sie zu lachen. Was für ein ordinäres, animalisches Lachen das ist!
»Du bist ein Versager, Carl!«, schleudert sie dir entgegen. Und dazwischen gibt sie Pfeiflaute von sich, und die Ratten bewegen sich im Rhythmus dieser Töne. »Du bist nicht der rechte Liebhaber, Carl. Wie ich dich verachte! Du bist meiner Liebe nicht wert. Gerade gut genug als Rattenfutter.«
Und sie lacht kreischend, schrill und in höchsten Tönen. Und dazwischen stößt sie immer wieder diese merkwürdigen Pfeiflaute aus. Das bringt die Ratten zur Raserei. Sie stürzen sich auf dich. Reißen mit ihren scharfen Zähnen Fleischfetzen aus deinem Körper. Sie kratzen dir die Augen aus. Du taumelst blind davon. Stolperst über Hindernisse, rutschst auf den glitschigen Körpern aus. Fällst der Länge nach hin – und dann sind sie über dir – die Ratten von Borvedam.
Und Jenny lacht – und stachelt die Rattenhorden mit ihren Pfiffen zu mörderischer Wildheit an. Und du hast noch einen letzten Gedanken, bevor der Tod dich von den furchtbaren Qualen erlöst. Du denkst: Es hat sich nicht gelohnt, Jennys Geliebter gewesen zu sein.
»Hier sind wir richtig«, erklärte Dorian und stellte den Motor des Leihwagens ab.
Am Ufer der Amstel drängte sich eine dichte Menschenmenge. Einsatzfahrzeuge der Polizei standen herum, blockierten den Verkehr. Polizisten scheuchten die Autofahrer weiter, die sich hinter den Lenkrädern die Hälse verrenkten, um einen Blick auf das Geschehen werfen zu können; aber die Menschenmenge verstellte ihnen den Blick.
»Du kannst doch den Wagen nicht einfach hier abstellen«, sagte Coco, aber Dorian hörte sie nicht mehr; er war bereits aus dem Wagen gestiegen. Sie hob die Schultern und folgte ihm.
Ein uniformierter Polizist eilte herbei und versuchte, ihnen wild gestikulierend klarzumachen, dass es hier nichts zu sehen gäbe und sie weiterfahren müssten.
»Ich muss zu Kommissar Rejnbrink«, unterbrach ihn Dorian in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Es ist dringend. Im Polizeipräsidium hat man mir gesagt, dass ich ihn hier finden würde.« Er hatte englisch gesprochen. Das verunsicherte den Polizisten noch mehr.
»Haben Sie eine Aussage zu machen?«, wollte er ebenfalls auf Englisch wissen. Er sprach es recht flüssig, wenn auch mit zu vielen Kehllauten. »Haben Sie etwas beobachtet, das uns …«
Dorian überreichte ihm wortlos das Schreiben, das man ihm im Polizeipräsidium gegeben hatte.
»Ah, Secret Service!«, sagte der Polizist, obwohl er sich wohl kaum denken konnte, was ein Beamter vom britischen Geheimdienst hier zu suchen hatte. »Ich verstehe.«
»So?«, meinte Dorian spöttisch. »Dann seien Sie bitte so freundlich und bringen Sie mich zu Kommissar Rejnbrink.«
»Ich kann meinen Posten leider nicht verlassen, aber gehen Sie nur zum Ufer hinunter. Die Beamten dort werden Sie zu ihm bringen.«
Dorian nahm den Passierschein an sich und bahnte sich, Hand in Hand mit Coco, einen Weg durch die gaffende Menschenmenge. Schließlich nahm sich ihrer ein Polizist in Zivil an. Er brachte sie zum Ufer hinunter...
Erscheint lt. Verlag | 13.8.2019 |
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Reihe/Serie | Dorian Hunter - Horror-Serie |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7325-8399-6 / 3732583996 |
ISBN-13 | 978-3-7325-8399-7 / 9783732583997 |
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