Der Heilige Gral (eBook)
128 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-73973-6 (ISBN)
Matthias Egeler ist Privatdozent an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er am Institut für Nordische Philologie und im Interfakultären Studiengang Religionswissenschaft lehrt.
Cover 1
Titel 3
Zum Buch 2
Über den Autor 2
Impressum 4
Inhalt 5
Vorwort 7
1. Vom Mythos zum Mysterium: die frühe Artusliteratur, Chrétien de Troyes und die Frage keltischer mythologischer Wurzeln des Grals 11
2. Der Gral als christliches Symbol und als Ziel ritterlicher Suche: von Robert de Boron bis zu den großen Gralszyklen 43
3. Mittelalterbegeisterung und Gralsschwärmerei: der Gral von seiner Wiederentdeckung bis zum Ersten Weltkrieg 66
4. Zwischen Wiederkehr des Mythos und Trivialisierung: der Gral vom 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart 89
5. Ausblick: Versatilität und Gegenkultur 121
Leseempfehlungen 125
Abbildungsnachweis 127
Register 127
2. Der Gral als christliches Symbol und als Ziel ritterlicher Suche:
von Robert de Boron bis zu den großen Gralszyklen
Von der Welt des Mythos ins christliche Glastonbury:
Robert de Boron
Der Ursprung des Grals mag im Nebel der vorchristlichen Mythologie der Britischen Inseln verschwinden, und wie genau Chrétien den Gral auffasste, bleibt unklar, da er seinen Perceval nie vollendete. Spätestens in den 1190er Jahren jedoch machte der Dichter Robert de Boron den Gral zu einem durch und durch christlichen Symbol. Dies tat er vor allem durch seinen Joseph d’Arimathie oder Joseph von Arimathäa, einen altfranzösischen Versroman, der seine Wirkung jedoch vor allem durch eine etwas spätere Umarbeitung in Prosa entfaltete. Mit diesem Roman verfasste Robert de Boron geradezu ein neues apokryphes Evangelium; dabei verarbeitete er vor allem Material aus der Bibel und dem apokryphen Nikodemusevangelium.
Roberts grundlegende Neuerung, mit der er fast die gesamte weitere Geschichte des Gralsstoffs prägte, war die Verknüpfung der Gralslegende mit der Passionsgeschichte. Diese Verbindung stellt der Joseph d’Arimathie her, indem er eine Handlung entwirft, die sich vor allem in Palästina im Umfeld der Kreuzigung entfaltet, es dann aber schafft, einen Bogen auf die Britischen Inseln zu schlagen:
Joseph von Arimathäa, der Held von Roberts Roman, ist ein Soldat im Dienste des Pontius Pilatus; in seinem Herzen ist er ein Anhänger Christi, aber er hat nicht den Mut, seinen Glauben offen zu zeigen. Nach der Kreuzigung wendet er sich jedoch an seinen Herrn Pontius Pilatus und bittet ihn, als Lohn für seine langjährigen treuen Dienste, um den Leichnam des Gekreuzigten. Pilatus gewährt ihm diesen Wunsch, und darüber hinaus gibt er ihm das Gefäß, das Jesus während des letzten Abendmahls verwendet hatte: Ein Jude hatte diesen Kelch nach der Gefangennahme Jesu an sich genommen und Pilatus überbracht, der ihn aber nicht behalten will, weil er die Tötung Christi als Unrecht betrachtet. Joseph nimmt den Leichnam Christi mit der Hilfe des Nikodemus vom Kreuz ab, wäscht ihn und benutzt das Abendmahlsgefäß, um das Blut aufzufangen, das noch aus seinen Wunden tropft. Darauf folgen Jesu Begräbnis und Auferstehung. Als nach der Auferstehung der Leichnam Jesu verschwunden ist, beschuldigen die Juden Joseph von Arimathäa, ihn gestohlen zu haben; in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nehmen sie Joseph gefangen und werfen ihn in ein Verlies, das sie mit einem großen Stein verschließen. Dort erscheint ihm jedoch Jesus und bringt ihm das Abendmahlsgefäß. Er macht Joseph zum Hüter des Gefäßes und weist ihn an, dass nur er selbst und diejenigen, die Joseph zu diesem Amt berufen wird, Hüter des Abendmahlsgefäßes sein werden; dies dürfen jedoch nie mehr als drei Männer gleichzeitig sein, die das Gefäß im Namen der Heiligen Dreifaltigkeit bewachen sollen. (Ein geradezu exzessiv wiederholtes Bekenntnis zum Glauben an die Dreifaltigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist ist ein Leitmotiv von Roberts Text; ebenso betont er immer wieder die Autorität der Kirche und die Bedeutung der Taufe mit Wasser. Damit dürfte Robert sich implizit gegen die Bewegung der Katharer aussprechen, die all diese Elemente herkömmlichen katholischen Christentums ablehnte und die zur Abfassungszeit des Joseph d’Arimathie in Südfrankreich so sehr an Zulauf gewann, dass Papst Innozenz III. wenig später, im Jahr 1209, zum Albigenserkreuzzug aufrief.) Ferner erläutert Jesus den Symbolismus des Abendmahlssakraments, das fortan stets an den Dienst erinnern werde, den Joseph ihm erwiesen hat. Hier wird nun explizit verdeutlicht, dass das Abendmahlsgefäß in Josephs Händen symbolisch dem Messkelch entspricht, und Robert de Boron verwendet zum ersten Mal ausdrücklich die Bezeichnung «Gral» für den Kelch, den Jesus beim Letzten Abendmahl benutzte und in dem Joseph von Arimathäa sein Blut auffing.
Joseph bleibt nun lange in seinem Verlies eingemauert, wird jedoch durch den Gral am Leben erhalten. In der Zwischenzeit hört man in Rom von den Wunderheilungen, die Jesus vollbracht hatte. Da Vespasian, der Sohn des römischen Kaisers, an Lepra erkrankt ist, schickt der Kaiser Gesandte nach Judäa, um eine Reliquie zu holen, die Vespasian heilen könnte. Dies gelingt: Vespasian wird durch das Schweißtuch der Veronika von seiner Krankheit befreit. Der dankbare Vespasian will nun diejenigen bestrafen, die die Schuld an der Kreuzigung Christi tragen, und reist dazu selbst nach Judäa. Dort straft er die schuldigen Juden und befreit Joseph von Arimathäa aus dem Kerker. Dass dieser trotz seiner langen Einmauerung noch am Leben und wohlauf ist, wird von allen als ein großes Wunder erkannt; Vespasian wird von Joseph in der christlichen Lehre unterwiesen und bekehrt sich zum Christentum.
Nach seiner Befreiung geht Joseph mit seinem Schwager Bron und einer Gruppe bekehrter Juden fort, um in der Fremde eine religiöse Gemeinschaft zu gründen. Ein Teil seiner Begleiter fällt im Lauf der Zeit jedoch wieder in ein sündhaftes Leben zurück; dies führt dazu, dass die Ernten ausfallen und die Gemeinschaft kurz vor dem Hungertod steht. Nun wendet Joseph sich an den Gral, und die Stimme des Heiligen Geistes offenbart ihm, wie er die Sünder in seiner Gemeinschaft entdecken kann: Diese können an einem Tisch, der mit dem Gral gedeckt ist, nicht Platz nehmen, während die Reinen, die an der Gralstafel sitzen können, von einem tiefen Gefühl von Freude und Gnade durchdrungen werden. So kann Joseph die Sünder identifizieren und sie verstoßen. Der Gral erscheint auf diese Weise gleichermaßen mit Nahrung und Wahrheitsfindung assoziiert. Zugleich wird Josephs Gralstisch zu einer Kopie des Abendmahlstischs Jesu: An Josephs Gralstafel bleibt ein Sitz stets leer, der dem Platz entspricht, den Judas an der Tafel des Letzten Abendmahls eingenommen hatte. Ein sündhafter Gefährte Josephs, der sich zu Unrecht einen Platz an der Gralstafel anmaßt und Josephs Warnung zum Trotz auf dem leeren Judas-Sitz Platz nimmt, wird sofort von einem unermesslichen Abgrund verschlungen.
Bis hierhin hat der Gral sich durchgehend in Judäa befunden; doch Chrétiens Perceval lokalisiert die Gralssage in Wales. Im Joseph d’Arimathie schafft Robert de Boron auch hierfür einen Rahmen, indem er erklärt, wie der Gral schließlich von Judäa nach Großbritannien gelangt. Denn als Joseph den Gral fragt, wie die Zukunft der Söhne seines Schwagers Bron aussehen soll, offenbart ihm ein Engel, welcher dieser jungen Männer – Alain li Gros – der Führer seiner Familie sein wird; diesen nimmt Joseph an Sohnes statt an, weiht ihn in die Geschichte des Grals und die Geheimnisse des Glaubens ein und schickt ihn auf Geheiß des Engels zusammen mit seinen Geschwistern und ihren Familien in den fernsten Westen, wo er die christliche Lehre verkündet. Ferner weist eine himmlische Stimme Joseph an, einen weiteren seiner Gefährten, einen gewissen Petrus, mit einem Brief, der in einem himmlischen Licht plötzlich erscheint, dorthin gehen zu lassen, wohin er will – und das werden «die Täler von Avalon» im Westen sein. Dort soll er auf Alains Sohn warten, der den Brief für ihn lesen und ihm die Macht des Grals erläutern wird. Bis dahin wird Petrus nicht sterben können, danach wird er dahinscheiden und in den Himmel kommen. Den Gral aber gibt Joseph auf Weisung eines Boten Gottes an Bron weiter, der für Joseph Fisch gefangen hatte und daher der «Fischerkönig» genannt werden wird; und auch Bron wird seinem Herzen nach Westen folgen. Damit wandern drei Angehörige der Gralsfamilie, die in ihrer Dreiteilung zu einem Symbol der Dreifaltigkeit wird, nach Westen, d.h. nach Großbritannien. Joseph selbst hingegen verbringt seine letzten Tage in Judäa. (Erst eine spätere Form der Legende wird, wie man das im heutigen Glastonbury erzählt, Joseph von Arimathäa selbst nach Großbritannien reisen lassen.)
Roberts Joseph d’Arimathie schreibt eine Vorgeschichte des Grals, die den Gral zum ersten Mal als Passionsreliquie in die christliche Heilsgeschichte einordnet; damit schafft er das Rahmenwerk für diejenige Auffassung des Grals, die die Behandlung des Stoffs in den folgenden Jahrhunderten dominieren wird. Zugleich gibt er eine Erklärung dafür, wie diese Reliquie aus Palästina nach Großbritannien gelangt ist: Josephs Familie wurde durch göttlichen Willen zu Hütern des Grals bestellt und...
Erscheint lt. Verlag | 28.8.2019 |
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Reihe/Serie | Beck'sche Reihe | Beck'sche Reihe |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Mittelalter | |
Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Esoterik / Spiritualität | |
Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Mittelalter | |
Schlagworte | Abendland • Abendmahl • Artus-Sage • Gefäß • Geschichte • Heilige Land • Jerusalem • Jesu Blut • Kelch • Lanze • Mythen • Ritter der Tafelrunde |
ISBN-10 | 3-406-73973-3 / 3406739733 |
ISBN-13 | 978-3-406-73973-6 / 9783406739736 |
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