Der Kuss der silbernen Schlange -  Erika Walz

Der Kuss der silbernen Schlange (eBook)

Historischer Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
190 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7460-6355-3 (ISBN)
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Der Kuss der silbernen Schlange, ist ein historischer Roman, der im Nagoldtal angesiedelt ist. Bulach im Jahre 1514 ist der Ort des Geschehens, in dem ein Junge namens Lieni, seine Erinnerung und Herkunft sucht. Während des großen Brandes, den 1505 nur ein einziges Haus überstanden hatte, war Lieni plötzlich aufgetaucht. Ob seine Suche wohl erfolgreich sein wird? Und was haben die Färberin Agneß und der Schuster Mertin mit Lieni zu tun?

Kapitel 1


Krachend schlug die Tür gegen die Wand und Lieni, ein stets verstrubbelter Junge, rannte, so schnell seine Füße ihn trugen, aus dem Haus. Agneß, die gutmütigste Person Bulachs, erwischte nur noch den Latz, den sie dem Knaben umgebunden hatte, als sie versuchte, mit einem heißen Eisen seine unglaublichen, dunklen Locken zu glätten. Mertin, der Schuster von gegenüber, sah den Knaben mit wehendem Hemd davonflitzen und musste grinsen. Er konnte sich ein Schmunzeln einfach nicht verkneifen. Wie meist, trug der Bub keine Pantoffeln, sondern flüchtete barfuss.

Der Schuster kannte Agneß schon sein Leben lang. Noch nie hatte er erlebt, dass diese Frau sich durchsetzen konnte. Bei ihrer Leibesfülle wunderte ihn das – doch das war eben die Agneß. Leicht schnaufend eilte sie hinter Lieni her und versuchte, ihn einzuholen. Ohne Erfolg. Sie hielt aber tapfer durch und blieb erst stehen, als der mit Flicken übersäte Hosenboden des Jungen um die Häuserecke am Ende der Gasse bog. Agneß stand mitten auf dem staubigen Weg und stemmte beide Hände, zu Fäusten geballt, in ihre ausladende Hüfte. Erbost blickte sie eine Weile auf das Hauseck, so, als hätte es Lieni zur Flucht verholfen. Schließlich ging sie langsamen Schrittes zu ihrem kleinen Häuschen zurück, das gerade mal aus zwei Zimmern und einer Küche bestand. Vom Dachboden jetzt einmal ganz abgesehen. Der war Lienis Reich. Die Tür ließ sie dabei sachte ins Schloss gleiten. Mertin, der die ganze Zeit ein Auge auf das Nachbarhaus geworfen hatte, senkte seufzend den Kopf und widmete sich wieder dem Schuhwerk, das er bis zum Ende der Woche für den Bäcker Erhart fertig haben wollte.

„Agneß ist eine gute Frau“ murmelte er leise und versuchte, die Schwärmerei, die er für die lebenslustige Frau hegte, unter dem Leder, das Erharts Schuhsohlen geben sollte, zu vergraben. Beinahe wäre ihm dies auch gelungen, stünde nicht sein Arbeitstisch vor dem Fenster, das ihm die Haustür von Agneß zeigte. Für einen kurzen Moment nur, es war nicht mehr als der Bruchteil einer Sekunde, streiften seine Augen die dunkel gebeizten Balken der Tür, die sich auch ausgerechnet in dem Augenblick öffnete. Schnellen Schrittes lief Agneß hinauf zum Brunnen, so dass Mertin aufstehen und in ein anderes Zimmer gehen musste, um sie weiterhin im Blickfeld zu behalten. Der Schuster sah, wie Agneß energisch am Rad kurbelte, um den Wassereimer aus dem Schacht zu ziehen. Beinahe wäre sie mit ihrem Hintern auf dem Boden gelandet, als ein junges Ferkel gegen ihre Beine rannte und sie aus dem Takt brachte. Schon wieder musste Mertin über diese Frau lachen. Er sah ihr immer gerne zu und ließ dafür sogar seine Arbeit liegen.

„Sie wäre die Richtige“, sagte er oft zu sich selbst und verfluchte sich dafür, dass er sie nie darauf ansprach. Er traute sich einfach nicht zu fragen, ob sie etwas mit ihm unternehmen wollte. So sah er ihr bei jeder sich bietenden Gelegenheit einfach zu. Jetzt zum Beispiel, hätte er ihr helfen können, das Wasser aus dem Brunnen zu holen, doch genau dafür, war es wieder einmal zu spät. Der Bottich, an dem ein lederner Schultergurt hing, war bis zum Rand gefüllt und Agneß schleppte ihn ins Haus. Dem Schuster blieb nur einmal mehr ein leiser Seufzer, der sich sehnsüchtig aus seinem Hals stahl. Wieder ärgerte er sich darüber, dass er ihr nicht sagen konnte, was er für sie empfand. Er brachte einfach sein Maul nicht auf, wie seine Mutter schon immer zu ihm gesagt hatte. Mertin ließ wirklich jede Gelegenheit zum Glücklichwerden verstreichen. Oft schon hatte Agneß auf der Straße belanglose Dinge zu ihm gesagt, einfach so, um ein Gespräch zu beginnen. Der Schuster raufte sich die Haare, aus Wut auf sich selbst, als er an all diese verpassten Gelegenheiten dachte und stampfte mit dem Fuß auf. Warum nur, fragte er sich, hatte er immer so getan, als würde ihn ihr Geschwätz nicht interessieren. Jeden warmen Blick, den sie ihm gelegentlich noch zuwarf, vermied er zu erwidern. Jedesmal gab er vor, ihre Sehnsucht nicht zu bemerken.

„Ich bin so ein Idiot“, murrte er und setzte sich wieder an seinen Tisch, um das Leder für die Sohlen endlich auszuschneiden. Er rief sich ins Gedächtnis, dass die Schuhe spätestens in drei Tagen fertig sein mussten. Er hatte also gar keine Zeit, um sich mit Agneß abzugeben. Der Erhart zahlte schließlich immer vorbildlich – gleich bei Abholung. Wie immer verrauchte auch an jenem Tag der Ärger über seine Unentschlossenheit und Mertin pfiff schon wieder fröhlich vor sich hin.

 

Nachdem Lieni, eigentlich hieß er ja Lienhart, um die Ecke verschwunden war, rannte er zum Haus der Besenmacherin außerhalb der Stadt. Ihr Sohn Frix war sein bester Freund und wenn Lieni ehrlich war, musste er sich eingestehen, dass Frix sein einziger Freund war. Mit ihm zusammen fühlte er sich immer sicher. Es gab schon ein paar komische Leute in der Stadt. Zum Beispiel solche, die hinter Lienis Rücken über ihn tuschelten. Manchmal hatte der Junge sogar den Eindruck, sie würden sich vor ihm fürchten, zumindest dann, wenn die Frauen auf der Gasse sich lange Blicke zuwarfen und mit dem Kopf nickten. Sie stellten immer sofort ihr Getratsche ein, sobald Lieni in Hörweite kam. Als würde er dies nicht bemerken. Das Stechen der zahlreichen Augen fühlte er zudem immer sehr lange auf seinem Rücken. Zum Glück hatte Lieni den Frix gefunden. So machte ihm das alles nichts aus und bei Agneß fühlte er sich auch geborgen. Ansonsten hätte er Bulach garantiert schon lange wieder verlassen. Lieni wusste selbst, dass er anders war. Anders, als die meisten Menschen in der Stadt.

Schon gleich nach dem Brand, der die erste Erinnerung an diesen Ort für Lieni darstellte, bemerkte er, dass nur wenige Leute in Bulach lesen und schreiben konnten. Auch Frix konnte nichts mit Buchstaben anfangen. Da der Sohn der Besenmacherin aber sein Freund war, sprach Lieni dieses Thema nie an und hielt einfach den Mund. Niemand sollte je erfahren, dass er es konnte – das Lesen und Schreiben war für ihn so selbstverständlich, wie das Atmen. Leider hatte Lieni schon schmerzlich gelernt, dass zu viel Wissen nicht gut für die Menschheit war. Wer das einmal zu ihm gesagt hatte, wusste er nicht mehr. Er erinnerte sicht noch nicht einmal daran, weshalb er in Bulach war, als der große Brand ausgebrochen war. Das Feuer tobte in der ganzen Stadt. In einem Haus, das die Flammen einigermaßen verschont hatten, wurde Lieni vor neun Jahren gefunden. Anfangs dachten die Bulacher, der Junge sei dumm oder zurückgeblieben, da Lieni kein Bedürfnis hatte zu sprechen. Weshalb auch. Alle redeten ständig nur auf ihn ein, stellten ihm komische Fragen und behaupteten, dass er mit seinen schwarzen Augen und dem dunklen Haar Unheil über den Ort gebracht habe. Ihre Stimmen klangen damals unmenschlich und narrten seine Sinne. Die Leute, so meinte er in jener Zeit, schienen seinen Namen zu rufen und aus jedem Schatten starrten ihn Augen an. Lieni schüttelte sich, bei diesen düsteren Gedanken, die schon so lange zurücklagen und ihn manchmal noch immer beschäftigten. Er war erst etwa sechs Jahre alt gewesen, als er über die Flammen hinweg den panischen Blick des Mannes gesehen hatte, mit dem er wohl unterwegs gewesen war. An den Namen seines Begleiters und über dessen Verbleib, konnte Lieni sich nicht mehr erinnern. Nicht einmal seinen eigenen Namen wusste er oder den Namen der Stadt, aus der er gekommen war. Er konnte es einfach nicht sagen und wusste nichts mehr aus seiner Vergangenheit. Seine Erinnerung war in jenem Flammenmeer versunken, das auch lange Zeit seine Sprache verbrannt hatte. Jedes Mal, wenn die Leute ihm Fragen gestellt hatten, begann sein Kopf zu schmerzen, als hätte man ihn mit Knüppeln geschlagen. Eines Tages verloren die Menschen ihr Interesse an ihm. Alles ging seinen gewohnten Gang und keiner fragte ihn mehr irgendetwas. Nur Agneß nahm sich seiner an und gab ihm ein Zuhause. Die alleinstehende Frau um die Dreißig tat Lieni gut. Er fühlte sich wohl bei ihr. Sie schenkte ihm nicht nur ein Heim, sondern gab ihm auch die Wärme, die er brauchte und vor allem eines gab sie ihm: einen Namen. Sie nannte ihn Lienhart, nach ihrem Vater, der beim Stadtbrand den Tod gefunden hatte. Lienhart liebte das Lachen der jungen Frau, ihre roten Bäckchen und die braune Haarsträhne, die ihr immer wieder ins Gesicht fiel. Eines Tages nahm er einfach all seinen Mut zusammen und sagte:

„Du bist schön, Agneß“, woraufhin ihr ein lauter Schrei entwich. Erschrocken starrte Lieni sie an und der Schuster von gegenüber stürmte kopflos auf ihn zu und erstarrte. Mertins Miene verriet keinen einzigen Gedanken, doch die Haut seines Gesichtes brannte feuerrot. Fast hätte Lieni sich gewünscht, einfach den Mund gehalten zu haben, als Agneß auch noch anfing zu weinen. Anfangs wusste er ja nicht, dass es Tränen der Freude waren, die sie nicht mehr zurückhalten hatte können. Auch in den Augen Mertins sah er etwas flackern, das den Schuster glücklich wirken ließ und so begann Lieni, jeden Tag ein paar Worte zu sagen. Er verbot sich allerdings, Worte aufzuschreiben. Lieni spürte, dass dies besser für ihn war.

 

Nachdem Lieni bei Frix niemanden Zuhause angetroffen hatte, machte er sich auf den Weg zum Wasser. Bestimmt saß sein Freund wieder am Ziegelbach beim Angeln. Frix liebte es, am Bach zu sitzen und seinen Gedanken nachzuhängen. Dabei hätte seine Mutter es lieber gesehen, wenn er zum Bäcker Erhart in die Lehre gegangen wäre. Daran hatte Frix aber nie gedacht. Er wollte schon immer frei sein. Wenigstens er, wenn sein Vater schon seit Jahren im Diebsturm eingesperrt saß. Weshalb man den Vater von Frix gefangen hatte, wusste Lieni nicht. Er wollte es auch gar nicht wissen, denn es war nicht wichtig für ihn. Es war ihm einfach egal, so lange Frix...

Erscheint lt. Verlag 7.8.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7460-6355-8 / 3746063558
ISBN-13 978-3-7460-6355-3 / 9783746063553
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