liedvoll, deutschyzno
kook (Verlag)
978-3-948336-01-1 (ISBN)
Der verdeutschte Vokativ des Verlusts hat in seiner vorgezeichneten Überschreibung nichts mehr mit Nostalgie zu tun. Er zielt auf die Sprache und betitelt eine heteroklitische Sammlung von Gedichten, Ikonenklonen und Collagen, deren kleinster gemeinsamer Nenner Verschiebung und Metagramm sind. Einen wesentlichen Teil des Bandes bildet der Zyklus „das pulmal in vatis klematis“, der aus der Beschäftigung mit dem polnisch-jüdischen Pilpul (von „pilpel“, „pfeffern“) hervorging.
Am Anfang stand dabei eine Frage, die Spötter seit Jahrhunderten umtreibt: Warum geht Pontius Pilatus in Johannes 18.33 ins Prätorium, bevor er Jesus draußen richtet? Otfrid von Weissenburg erlaubte sich im 9. Jahrhundert als Erster den Scherz, prätorium in einer Glosse als sprâchhûs zu übersetzen – Synonym von „Abort“.
Dagmara Kraus (*1981 in Wrocław, Polen), studierte Komparatistik, Kunstgeschichte und Literarisches Schreiben in Leipzig, Berlin und Paris und lebt als Lyrikerin und Übersetzerin in Straßburg. Bei kookbooks erschien ihr Debüt kummerang (2012), das vogelmot schlich mit geknickter schnute (2016), ein Bändchen mit pseudo-fatrastischen Lautschrift-Collagen als Risografiedruck von Andreas Töpfer, sowie das Kinderbuch alle nase diederdase (2018) mit Illustrationen von Andreas Töpfer. 2018 veröffentlichte sie zudem Aby Ohrkranf’s HUNCH POEM in Urs Engelers roughbooks-Reihe, 2016 wehbuch und 2013 ebenda kleine grammaturgie, einen Versuch, in Plansprachen zu dichten. Für das Hörstück Entstehung dunkel erhielt sie gemeinsam mit Marc Matter 2015 den Förderpreis zum Karl-Sczuka-Preis für avancierte Radiokunst, ferner 2016 den Heimrad-Bäcker-Förderpreis, 2017 den Erlanger Literaturpreis für Poesie als Übersetzung und 2018 den Basler Lyrikpreis sowie den Förderpreis zum Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor.
Statt Antworten zu geben oder Rätsel zu lösen, führt das Gedicht ins Offene und zerstreut sich sozusagen selbst … Überall bedeutet Migration den Sturz in die Mehrsprachigkeit, sie ist einer der Lebenstexte unseres Jahrhunderts. Auch für die Nachgeborenen wird die Muttersprache der Mutter zum Merkmal einer besonderen Identität. Ratlos und heftig, virtuos und unsentimental wird hier davon gesprochen. Selbst wer die polnischen oder französischen Wörter nicht versteht, spürt den Druck, unter dem „çatodas“ steht, und die Intensität, mit der es seine Zeitzeugenschaft vermittelt.
— Gisela Trahms, FAZ
Dagmara Kraus folgt den „flüchtigen Wörtern“ in die Fremde, die Ent-heimatung vollzieht sich hier als Ausbruchsbewegung in die Mehr- und Vielsprachigkeit – eine polylinguale Poesie entsteht.
— Michael Braun, signaturen-magazin.de
Ihre experimentellen Gedichte, die rätselhafte Wortneuschöpfungen mit poetischer Leichtigkeit vereinen, sind nicht auf Verständlichkeit aus, sagt Dagmara Kraus. Kraus sprach ausschließlich Polnisch, bis sie 1988 mit sieben Jahren nach Deutschland kam. Von einem Tag auf den anderen in eine unverständliche Klangwelt versetzt, durchlief das Kind zum zweiten Mal den Prozess der Sprachaneignung. Diese Erfahrung bestimmt noch heute Kraus’ poetische Arbeit: Als Sammlerin, die Gedichte „baut“, hält sie Ausschau nach Sprachmaterial, das Bedeutungen konzentriert und generiert.
— Hans Thill, Künstlerhaus Edenkoben
Hinreißend
— Tobias Lehmkuhl, Süddeutsche Zeitung
çatodas drei sprachen sind zu groß für deinen mund, mein kind kau dir an der kruste hier muskeln an, nimm an floskeln tuste gut daran, te tłusteste zu meiden ah, das wusstest du schon, na dann drei sprachen sind zu groß für deinen mund, mein kind die eine hockt noch schief im rachen, indes die anderen auf angenähte tanten machen, wie damals die aus liza stara vom saalrand der parade rara drei sprachen sind zu groß für deinen mund, mein kind sagst du bélier, verbrauchst du zu viel spucke meinst du wichurę, zeigst aufs regenzuckeln und rührst dir was aus drei familien, führst krudes durch die fleur-de-lilien und setzt dort wechselbälger aus kuckuckskinder, bülbülschinder, wie du wörtchen aus drei sprachen klaubst, wie du urkreol verschraubst was syntaktisch, synku, sich nie binden ließe pfui, du fiese mutter, biest du, arge hast dein kind betrogen um die eine muttersprache; alles dreimal: 3 x strachy drei ça-to-das, selbdritt fällst durchs fehlerfach deine zunge, kindlein, splisst: père, quoi to ist, äquator liedvoll, deutschyzno moja 1 millionen flüchtige wörter stehen an der grenze zu diesem gedicht die beine in den bauch sich schlange an der grenze dunkle wörter, dunkle fremde suchen nach zuflucht, wollen hier wohnen verjaschmakt, betschadort, da warten mummen von jenseits der pole es sind welche von ungarn gekommen zupełnie niedeutschałe słowa drängen sich hier in die futura re˛ce błagaja˛, bebeten die grenzen deine, deutschyzno moja 3 abgeschoben ausgespuckt da ist etwas kleinstes blaurosa gepuckt, wie ein taubenschluck leise weints mitten im pulk wo sind denn die aus dem morgenland die drei worte mit den gaben nix myrrhe hier her mit dem schwarz-rot-gold wörter aus dem buch der könige hocken im containerdorf: UMFwörter aus saba, noch milchschorf im haar labern babel
Erscheinungsdatum | 01.11.2019 |
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Reihe/Serie | Reihe Lyrik |
Zusatzinfo | mit Collagen der Autorin |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | französisch; deutsch; Polish |
Einbandart | gebunden |
Themenwelt | Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Lyrik / Gedichte |
Schlagworte | Mehrsprachigkeit • Migration • Pontius Pilatus • Überschreibung |
ISBN-10 | 3-948336-01-6 / 3948336016 |
ISBN-13 | 978-3-948336-01-1 / 9783948336011 |
Zustand | Neuware |
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