Michael Gaismair (eBook)
200 Seiten
Haymon (Verlag)
978-3-7099-3903-1 (ISBN)
MICHAEL FORCHER ist promovierter Historiker, Journalist sowie Gründer und langjähriger Verleger des Haymon Verlags. Der 1941 in Lienz/Osttirol geborene Autor ist bekannt für seine mitreißend erzählten Bücher zur Geschichte und Kulturgeschichte Tirols. Bei Haymon erschienen zuletzt u.?a. 'Kaiser Maximilian I. Tirol. Österreich. Europa. 1459-1519' (gemeinsam mit Christoph Haidacher, 2018) und 'Kaiser Max und sein Tirol. Geschichten von Menschen und Orten' (HAYMONtb 2019).
MICHAEL FORCHER ist promovierter Historiker, Journalist sowie Gründer und langjähriger Verleger des Haymon Verlags. Der 1941 in Lienz/Osttirol geborene Autor ist bekannt für seine mitreißend erzählten Bücher zur Geschichte und Kulturgeschichte Tirols. Bei Haymon erschienen zuletzt u. a. "Kaiser Maximilian I. Tirol. Österreich. Europa. 1459-1519" (gemeinsam mit Christoph Haidacher, 2018) und "Kaiser Max und sein Tirol. Geschichten von Menschen und Orten" (HAYMONtb 2019).
Wer war Michael Gaismair?
Statt eines Vorwortes
Die Tiroler sind stolz auf ihre uralte demokratische Tradition, auf den unbeugsamen Freiheitssinn ihrer Vorfahren. Doch mit dem Namen Michael Gaismair wissen die meisten nicht viel anzufangen, obwohl der Bauernführer von 1525/26 einer der radikalsten Verfechter von Freiheit und sozialer Gerechtigkeit in Tirol war. Von den aufständischen Bauern in Brixen zum Anführer gewählt, wollte er zunächst in Verhandlungen mit Regierung und Landesfürst Reformen zur Beseitigung der vielen Missstände in Staat und Gesellschaft erreichen, wurde jedoch eingesperrt, konnte fliehen und entwarf im Exil eine neue »Landesordnung« für Tirol, deren Ziel die Errichtung einer sozialen Bauernrepublik war. Dass er scheiterte, scheitern musste, ändert nichts daran: Gaismair gehört zu den faszinierendsten Gestalten, zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der Tiroler Geschichte.
Gaismairs Gedanken eilten seiner Zeit weit voraus. Viele seiner Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit wurden erst Jahrhunderte später verwirklicht. In kaum einem politischen Programm der Vergangenheit findet man so viele Bezüge zur Gegenwart wie in Gaismairs »Landesordnung«. Privilegienabbau, Wirtschaftslenkung, Inflationsbekämpfung, Verbraucherschutz, Verstaatlichung, Gesundheitsdienst, Altenpflege, volksnahe und unbürokratische Rechtsprechung, Stärkung der Gemeindeautonomie, ein gerechter Lastenausgleich, Friedenspolitik bei gleichzeitiger Verteidigungsbereitschaft und andere Probleme, die Gaismair aufgriff (wenn auch nicht mit dieser Terminologie benannt), sind auch in unserer Zeit höchst aktuell. Wie er die Staats- und Gesellschaftsordnung von Grund auf erneuern wollte, muss selbst heute noch Staunen und Bewunderung erregen.
Obwohl von revolutionären Tendenzen aus Deutschland und der Schweiz beeinflusst und von einem Einzelgänger verfasst, ist Gaismairs »Landesordnung« tief im Rechtsbewusstsein und Freiheitssinn des Tiroler Volkes verwurzelt und von dem in der Landesverfassung festgelegten Mitspracherecht von Vertretern der Bevölkerung geprägt. Zum Revolutionär, der die bestehende Ordnung nicht verbessern, sondern stürzen wollte, wurde er erst, als der Landesfürst für notwendige und ehrliche Reformen nicht zu gewinnen war.
Gaismair besaß nicht die Machtmittel, seine Ideen zu verwirklichen. Im venezianischen Exil, wo er sich um die Unterstützung der damaligen Großmächte gegen die habsburgischen Beherrscher seiner Heimat bemühte, wurde er am 15. April 1532 von Kopfgeldjägern ermordet. Da die Geschichte bekanntlich von den Siegern geschrieben wird, wurde Gaismair jahrhundertelang als Räuber, Ketzer und Vaterlandsverräter verleumdet oder totgeschwiegen. Schließlich waren es Gaismairs angebliche Jünger des 20. Jahrhunderts, die ihn am ärgsten in Misskredit brachten: Indem sie sich willkürlich einzelne Aspekte und Punkte aus seinem umfassenden und vielseitig interpretierbaren Programm herausholten, beanspruchten Nationalsozialisten und Kommunisten den Rebellen aus dem 16. Jahrhundert als ihren geistigen Urgroßvater. Wer wollte in ihrer Gesellschaft Gaismair würdigen?
Umschlagbild und rechts: Der Südtiroler Künstler Karl Plattner hat sich öfter mit Michael Gaismair befasst. Wie er ausgesehen hat, ist uns durch kein zeitgenössisches Bildnis überliefert. Der Künstler stellt ihn als überzeitliche Symbolgestalt dar: auf den Fresken der Kapelle an der Europabrücke bei Innsbruck (Ausschnitt am Umschlag) als Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit, auf einer Lithografie (rechts) als Schöpfer eines zukunftsweisenden Gesellschaftsmodells.
So blieben Gaismair und der Tiroler Bauernkrieg von 1525, der im Übrigen nicht so recht ins liebgewordene Bild vom sozialen Frieden in Tirol und von der »ältesten Festlanddemokratie« passen wollte, bis in die 1970er Jahre aus dem Bewusstsein der Tiroler verdrängt. Und obwohl sich seit damals viel geändert hat, obwohl 1976 im Volksbildungsheim Grillhof ein großes wissenschaftliches Symposion zum Thema Gaismair veranstaltet wurde und zahlreiche Publikationen erschienen, obwohl Politiker aller Richtungen die Bedeutung der Persönlichkeit und der Ideen des Bauernführers inzwischen gewürdigt haben, blieb allzuviel Unwissenheit, blieb viel Skepsis.
Sollte sich die bedauerliche Lücke im Tiroler Geschichtsbewusstsein schließen, so musste zunächst der Mangel an Information über Michael Gaismair behoben werden. Dazu einen kleinen Beitrag zu leisten, war die Absicht dieses dünnen Buches, als es 1982 zum ersten Mal erschien. Denn es gab zwar eine Reihe größerer Werke über den Tiroler Bauernkrieg und Michael Gaismair, doch waren sie entweder vergriffen, nicht auf dem neuesten Stand der Forschung, zu wissenschaftlich für breite Leserschichten oder zu umfangreich für den, der möglichst rasch das Wichtigste erfahren möchte. Daran hat sich bis heute wenig geändert, obwohl ihm seit damals in jedem ernstzunehmenden Buch über die Geschichte Tirols der gebührende Platz eingeräumt wird.
Also war es höchste Zeit, eine neue Auflage in moderner Gestaltung herauszubringen, zumal das alte Buch längst vergriffen war und neue Erkenntnisse der Forschung eine Ergänzung und manche Neuformulierung wünschenswert erscheinen ließen. Die Überarbeitung erfolgte nach denselben Gesichtspunkten wie die erste Fassung meiner Gaismair-Biografie: Sie soll knapp und anschaulich, durch dokumentarisches Bildmaterial aufgelockert, den heutigen Wissensstand über Michael Gaismair und sein Programm zusammenfassen, dabei aber auch Unklarheiten und verschiedene Ansichten der Forscher nicht verschweigen. Um jedermann die Möglichkeit zu bieten, selbst nachlesen zu können, was Michael Gaismair wollte, hat Dr. Werner Köfler (†) für mein Buch den Text der Gaismairschen Landesordnung erstmals vollständig und wissenschaftlich exakt in unser heutiges Deutsch übertragen.
Ich war um eine möglichst objektive und sachliche Darstellungsweise bemüht. Da und dort schien mir jedoch eine Kommentierung historischer Sachverhalte und häufig dazu geäußerter Ansichten im Interesse des mit der Materie weniger vertrauten Lesers notwendig. Wenn man an solchen Stellen die Sympathie des Verfassers für den Querkopf und gescheiterten Idealisten herauslesen kann, so möge dies verziehen werden.
Gaismair hatte gewiss auch Schwächen und Fehler, seine Motive sind nicht immer klar, manche Handlung ist schwer zu verstehen und einige Details seiner Biografie entziehen sich mangels eindeutiger Quellen einer seriösen Beurteilung. Wer ihn als »schillernde Persönlichkeit« bezeichnet, liegt sicher nicht falsch. Aber gerade das macht ihn zusätzlich interessant. Ein Mensch aus Fleisch und Blut vermag allemal mehr zu fesseln als eine unnatürliche Heldengestalt ohne Fehl und Tadel. Das Schicksal, zu einem Mythos umfunktioniert zu werden, bleibe Gaismair erspart. Er braucht heute genausowenig eine Verherrlichung, wie er je eine Verteufelung verdient hat.
Angelika Bischoff-Urack hat es in den 1980er Jahren unternommen, durch eine neue Interpretation der Quellen ein eher negatives Bild des Tiroler Rebellen zu zeichnen. Es scheint ihr vordringliches Anliegen gewesen zu sein, dem tschechischen Historiker Josef Macek, seinem ersten Biografen, zu widersprechen und seine Darstellung Gaismairs als selbstloser Kämpfer für die Unterdrückten zu widerlegen. Darin sieht sie, obwohl Macek umfangreiches Quellenmaterial herangezogen hat, Geschichtsinterpretation im marxistischen Sinn und stellt ihrerseits Gaismair als einen von Ehrgeiz und Geltungssucht getriebenen, nach Reichtum strebenden Emporkömmling dar, der nach dem Knick der begonnenen Karriere auf Rache sann und die revolutionären Ereignisse zur persönlichen Bereicherung nützte.
Dieses negative Urteil wird von keinem der seitdem über Gaismair schreibenden Historiker übernommen. Rudolf Palme (siehe Literaturverzeichnis im Anhang) bezeichnet Bischoff-Uracks Interpretation der Fakten als »nicht stichhaltig«; Aldo Stella, der bedeutendste italienische Gaismair-Forscher, erwähnt ihre Arbeit zwar in seinem letzten Buch zum Thema, lässt aber keines ihrer Argumente gelten. Am ausführlichsten widerlegt Giorgio Politi die Quelleninterpretation seiner deutschen Kollegin. Dennoch scheinen mir manche ihrer Schlaglichter auf Leben und Streben des Bauernführers interessant. Berücksichtigt man, dass die daraus abgeleitete negative Beurteilung von Michael Gaismairs Charakter und der Beweggründe seines Handelns offensichtlich einer vorgefassten Meinung entsprangen, ist ihre Forschungsarbeit in einer Biografie Gaismairs durchaus zu berücksichtigen.
Gaismairs Handschrift mit eigenhändiger Unterschrift
Ich werde die divergierende Interpretation der Quellen durch Bischoff-Urack, Stella, Politi, Macek (eine kürzere, stark überarbeitete Ausgabe ohne wissenschaftlichen Apparat erschien 1988 auf Anregung der Innsbrucker Michael-Gaismair-Gesellschaft im Österreichischen Bundesverlag) und andere Historiker in Einzelfällen zwar erwähnen, mich damit aber nicht auseinandersetzen, zumal ihr Studium die Erkenntnis verfestigt, dass man viele Fakten eben nicht kennt, die Zusammenhänge und Hintergründe deshalb oft genug undurchsichtig...
Erscheint lt. Verlag | 24.6.2020 |
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Verlagsort | Innsbruck |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | Aufstand • Bauernaufstand • Bauernführer • Bauernkrieg • Geschichte • Gesellschaftsmodell • Gleichstellung • Habsburg • Österreich • Politik • Politisches Programm • Rebellion • Reformation • Reformer • Revolution • Revolutionär • Sozialrevolutionär • staatsutopie • Südtirol • Tirol • Tiroler Bauernkrieg • Tiroler Landesordnung |
ISBN-10 | 3-7099-3903-8 / 3709939038 |
ISBN-13 | 978-3-7099-3903-1 / 9783709939031 |
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Größe: 54,4 MB
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