Berlin Prepper (eBook)

Thriller
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
236 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-76165-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Berlin Prepper -  Johannes Groschupf
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Als Online-Redakteur bei einer großen Tageszeitung muss Walter Noack die Pöbeleien und Hasstiraden in den Kommentaren löschen. Tausende Male am Tag ist er mit den widerwärtigsten Beschimpfungen konfrontiert. Sein Nervenkostüm wird noch dünner, als er und später eine Kollegin von Unbekannten anscheinend grundlos zusammengeschlagen werden und er auch noch einen privaten Verlust erleiden muss. Die Polizei zeigt sich bei all dem machtlos. Das tägliche Gift, der Dauerhass sickert schließlich auch in Noacks Seele. Er schliddert allmählich in die trübe Szene von waffenhortenden Preppers, Reichs-und Wehrbürgern, abgestoßen und fasziniert zugleich. Als es in Berlin während der brutalen Sommerhitze zu Großbränden, Unruhen und offener Anarchie kommt, merkt er, dass er sich mit den falschen Leuten eingelassen hat. Jetzt geht es nur noch um Leben oder Tod.



Johannes Groschupf, 1963 in Braunschweig geboren, wuchs in Lüneburg auf. Studium der Germanistik, Amerikanistik und Publizistik an der Freien Universität in Berlin. Viele Jahre als freier Reisejournalist für <em>Die Zeit</em>, <em>FAZ</em>,<em> FR </em>u. a. unterwegs. 1994 Hubschrauberabsturz in der Sahara. 1998 entstand aus dieser Erfahrung das Radio-Feature <em>Der Absturz</em>, das im Jahr darauf den Robert-Geisendörfer-Preis erhielt. Danach literarische Arbeiten, v. a. im Jugendbuchbereich, und Artikel für <em>Tagesspiegel</em> und <em>Berliner Zeitung</em>. Für seine Thriller wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Deutschen Krimipreis (zweimal Platz 1, einmal Platz 2).


Ein dünner kalter Januarregen fiel über den noch dunklen Vorplatz, als ich zur Arbeit kam. Seit zwei Jahren fuhr ich jeden Morgen zum Verlagshaus, Monat um Monat, Woche für Woche. Die nächtlichen Läufe und das Schwimmtraining hatte ich aufgeben müssen und mich stattdessen an die neue Routine gewöhnt. Lebe in der Lage. Ich grüßte die Männer vom Wachschutz, hielt meinen Hausausweis an den elektronischen Scanner und betrat das wuchtige Gebäude. So früh am Morgen war es noch so gut wie leer. Ich ging an der Büste des Firmengründers vorbei durch den langen Flur und hielt meinen Ausweis an die nächste Kontrollbox. Der Newsroom wareigens gesichert. Nur wer hier arbeitete, hatte Zutritt.

Der Newsroom war die Kathedrale des Konzerns. Die Eingangstüren waren drei Meter hoch und aus schwerem Holz. Sie fielen mit einem satten Knall hinter mir ins Schloss. Dann öffnete sich der hohe Raum, in ein künstliches Halbdunkel getaucht, das sich im Laufe des Tages kaum aufhellte. Über den Arbeitstischen der verschiedenen Ressorts, die wie Sonnenstrahlen vom Mittelpunkt nach außen liefen, hingen Bildschirme, auf denen mehrere Nachrichtensender in raschen Schnittfolgen von Autobahnunfällen, Unwettern, Erdrutschen und Polizeieinsätzen aus aller Welt berichteten. Erdbebenopfer saßen weinend auf den Trümmern ihrer Häuser. Väter trugen ihre leblosen Kinder auf dem Arm. In Australien wüteten Waldbrände, die Leute sahen ihre Häuser in Flammen aufgehen, versuchten viel zu spät zu flüchten, standen dann mit Tausenden anderen Autofahrern im Stau. Die Bilder der Katastrophen glichen sich. Die Supermärkte waren leergekauft oder vernagelt, wenn der Hurrikan kam und die nächste Überschwemmung brachte. Schulbusse standen ausgebrannt am Straßenrand. Ein Erdrutsch riss Häuser in die Tiefe, die Menschen wussten nicht, wie ihnen geschah. Ich sah ihre panischen Gesichter, die ausgestreckten Arme, die um Hilfe bettelten, immer mit einem Kopfschütteln. Sie alle hatten sich viel zu lang in Sicherheit gewiegt. Der Ernstfall konnte ständig eintreten. Ich hatte meine Reserven, ich wusste, was zu tun war, wenn das Wetter umschlug. Das Fernsehen aber konnte von Opferbildern nicht genug bekommen. Bis auf die Katastrophenmeldungen auf den Monitoren war alles noch reglos. Der Newsroom schien mit ruhigen Atemzügen zu schlafen, die Nachrichtenbilder waren seine Albträume.

Auch der Nachtredakteur im Auge, wie wir den Mittelpunkt der Redaktion nannten, bewegte sich kaum. Ich ging die Tische entlang zu meinem Arbeitsbereich, fuhr den Computer hoch, holte meinen Apfel aus dem Rucksack und legte ihn auf den Tisch. Ohne den Apfel konnte ich meinen Dienst nicht anfangen. Aus der Teeküche in einem verdeckten Seitengang holte ich mir ein Obstmesser und ging auf dem Rückweg am Auge vorbei. Der Redakteur war jung, noch nicht lang dabei. Die Nachtdienste waren nicht beliebt.

»Wie sieht’s aus?«, fragte ich.

»Alles ruhig«, sagte er und hielt sich beim Gähnen eine Hand vor den Mund. »Ein mittleres Erdbeben in Japan. Bergrutsch in Italien, keine Toten. Aber es gab zwanzig oder vierzig Tote im Mittelmeer, weiß nicht mehr genau. Flüchtlinge, wie immer.«

»Stimmt«, sagte ich. »Letzte Woche waren es fünfzig Tote. Die Kommentarschreiber haben sich gefreut: fünfzig hungrige Mäuler weniger, die wir stopfen müssen.«

»Um deinen Job beneide ich dich nicht«, sagte er. »Dieser Hass ist doch ekelhaft.«

»Das perlt an einem ab«, sagte ich. »Schönes neues Jahr, übrigens.«

»Auch so.« Sein Lächeln wirkte dünn. Um seinen Job beneidete ich ihn auch nicht. Er hatte die Nacht damit verbracht, vorgefertigte Texte auf die Homepage zu setzen. Dazwischen langweilte er sich und sah auch so aus. Sein Name fiel mir nicht ein. Dabei war er einer der wenigen Redakteure im Newsroom, die mich grüßten und mit mir redeten.

Content Moderatoren galten hier etwa so viel wie die Putzkolonne der pakistanischen Frauen, die manchmal, wenn sie sich verspätet hatten, noch um viertel vor sieben ihren dröhnenden Firmenstaubsauger durch die Gänge schoben. Es waren vier ausgezehrte Frauen, die mich immer mit einem breiten Lächeln begrüßten. Ich mochte sie, auch wenn mir der Lärm des Staubsaugers auf die Nerven ging. Sie hatten einen aufrechten Gang, vermutlich stammten sie aus einer Region des Karakorum-Gebirges und waren an harte Arbeit gewöhnt. Sie waren nicht unterzukriegen, davor hatte ich Respekt.

Zu Beginn der Schicht hatte ich noch meine Ruhe. Ich schälte den Apfel, viertelte ihn, entfernte das Gehäuse, steckte mir einen Schnitz in den Mund und begann, die Kommentare der Leser zu durchforsten. Nacht für Nacht kamen mehrere Tausend Postings zu den Artikeln unserer Homepage. Was auch aktuell vorgefallen war, die Beiträge der Leser dazu hatten stets den gleichen aufgebrachten Tonfall. Es hilft nur noch eins: scharfe Waffe kaufen und diese immer geladen dabeihaben. Im Bedarfsfall rücksichtslos davon Gebrauch machen. – Ich bitte das Militär, doch seinen einzigen funktionierenden Panzer aufzutanken und damit nach Berlin zu fahren, um diesem Chaos ein Ende zu bereiten. Dieser Staat ist handlungsunfähig. – Merkel wird als Untergangskanzlerin Deutschlands in die Geschichte eingehen.

Ich fragte mich oft, wer diese Kommentarschreiber waren, wie sie wohl aussahen, woher sie die Zeit nahmen, täglich stundenlang Beiträge zu schreiben und zu posten. Einer nannte sich »Rambo« und schrieb täglich sechzig, achtzig Postings zu den unterschiedlichsten Themen, die Kommentarforen waren das Unterholz, in dem er seinen langwierigen, unerbittlichen Kampf gegen das verlogene System führte, der Klapprechner seine Waffe. Er feuerte Posting auf Posting in unsere Leserforen. Die Stunde der Abrechnung wird kommen. – Das Gesocks muss krepieren. – Die Volksverräter werden dort enden, wo Volksverräter immer enden. Die meisten seiner Beiträge fing ich ab und verschob sie ins Archiv der gesperrten Kommentare. Kaum einer der User agierte unter seinem Klarnamen, die meisten benutzten Decknamen. »Karl Martell« arbeitete sich am Islam ab, er schrieb sich Nacht für Nacht die Finger wund, um darzulegen, welchen verheerenden Einfluss der Islam in der Menschheitsgeschichte hatte, er häufte Beweis auf Beweis, Textbaustein auf Textbaustein. Hat es jemals einen muslimischen Nobelpreisträger gegeben? – Die Araber haben nicht einmal die Null erfunden! – Der Islam ist keine Religion, sondern Kinderschändung. Weil seine Postings niemals einen Bezug zu den aktuellen Artikeln hatten, löschte ich sie mit einem Achselzucken. Daraufhin schickte er empörte Nachfragen, weshalb seine Kommentare nicht veröffentlicht wurden.

Andere User nannten sich »Besorgter Bürger«, »Volksschullehrer«, »Denkzettel«, »Axel Schweiß«, »Plantagenbimbo«, »Musashi«. Es waren Hunderte. Tausende. Zehntausende. Die Zeitung brauchte Leser, sie brauchte Käufer, Abonnenten. Die Kommentarschreiber lasen die Artikel nur selten, sondern begnügten sich mit den Überschriften, um sich zu empören, viele begaben sich sofort in den Kommentarbereich, wo sie unter sich waren. In diesen Foren, davon waren sie zutiefst überzeugt, wurde die eigentliche Wahrheit verbreitet. Nach zwei Jahren meinte ich sie allmählich zu kennen: übellaunige ältere Männer, weitgehend humorlos und von sich selbst überzeugt, hasserfüllt und wehleidig. Es gab auch Frauen unter ihnen, die sich »Lady Midnight«, »Beate Z.« oder »Racheengel« nannten und sich Sorgen machten um ihre Töchter, die sie nicht mehr vor die Tür lassen konnten, weil dort Horden von muslimischen Männern herumlungerten, um über die Mädchen herzufallen.

»Wüstenfuchs« war einer der vielen pensionierten Soldaten in unseren Foren, die sich mit der, wie sie fanden, teilweise bitteren, aber eigentlich doch ruhmreichen deutschen Geschichte befassten, alle Waffengattungen im Schlaf aufsagen konnten und Irrtümer in den Artikeln des Ressorts Geschichte unerbittlich nachwiesen. Stauffenberg war nur Oberst, nicht General. Lügenpresse! Setzen, sechs! Sie alle beklagten den aktuellen Zustand der Bundeswehr. Für »Udet« war es auch nach Jahren...

Erscheint lt. Verlag 13.5.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte aktuell • Berlin • Berlin-Roman • Berlin-Thriller • Bestseller bücher • buch bestseller • Hatespeech • Internet • Krimi-Bestenliste • Krimi-Bestseller • Near Future Roman • Pageturner • Prepper • Reichsbürger • Spannung • ST 5093 • ST5093 • suhrkamp taschenbuch 5093 • Thriller • Urban Prepper • Verschwörungstheorien
ISBN-10 3-518-76165-X / 351876165X
ISBN-13 978-3-518-76165-6 / 9783518761656
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