Was macht der Mann da unterm Baum? (eBook)

Immer wieder Weihnachten mit der buckligen Verwandtschaft

Dietmar Bittrich (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
288 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00374-3 (ISBN)

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Was macht der Mann da unterm Baum? -
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Neue, lustige Geschichten über Weihnachten mit der buckligen Verwandtschaft: Sie sind wieder da. Und haben ihre Neurosen mitgebracht. Die Schwester ist mit Tinder-Date angereist und knutscht schon nach dem Aperitif. Der studierte Onkel terrorisiert uns mit Weihnachtsklassikern am Klavier. Und mit der CO2-Bilanz der Nordmanntanne haben wir bei der Öko-Tante mit den Dreadlocks sowieso verloren. Da hilft nur noch Kartoffelsalat und viel Punsch. Und schon freuen sich alle über die liebevoll verschenkten eBay-Schnäppchen. Weihnachten - wie immer ein Fest!

Dietmar Bittrich, Jahrgang 1958, lebt in Hamburg. Er gewann den Hamburger Satirerpreis und den Preis des Hamburger Senats. Im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienen von ihm u.a. der Bestseller 'Alle Orte, die man knicken kann'. Seit 2012 gibt er die erfolgreiche Weihnachtsanthologie mit Geschichten rund um die bucklige Verwandtschaft heraus. Mehr erfahren Sie unter: www.dietmar-bittrich.de

Dietmar Bittrich, Jahrgang 1958, lebt in Hamburg. Er gewann den Hamburger Satirerpreis und den Preis des Hamburger Senats. Im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienen von ihm u.a. der Bestseller "Alle Orte, die man knicken kann". Seit 2012 gibt er die erfolgreiche Weihnachtsanthologie mit Geschichten rund um die bucklige Verwandtschaft heraus. Mehr erfahren Sie unter: www.dietmar-bittrich.de

Julia Hackober

Auf dem Weihnachtsmarkt


Mir war kalt, obwohl ich mir bei dm extra noch Wärmeeinlagen für die Winterstiefel gekauft hatte. 6,99 Euro fand ich ganz schön teuer dafür, dass ich trotzdem noch Angst vor einer Blasenentzündung haben musste.

Wir standen im Kreis auf dem Weihnachtsmarkt herum, per Doodle-Umfrage hatten wir uns für den in der Kulturbrauerei entschieden, das war für die meisten von uns am besten zu erreichen, bis auf Elisa, die in Neukölln wohnte und nicht im Prenzlauer Berg, na ja, Pech gehabt in dem Fall. Deshalb war Elisa wohl auch zu spät dran, wir versuchten sie zu erreichen, bei WhatsApp erschien nur ein Haken, kein Empfang auf dem Weihnachtsmarkt. Miriam führte vor, wie gut sie mit ihren neuen Smartphone-Handschuhen tippen konnte. Ich kippelte von einem Fuß auf den anderen, versuchte, die Kälte zu halbieren, und dachte, dass ich langsam zu alt wurde für Unternehmungen mit Leuten, bei denen man sich nicht darauf verlassen konnte, dass sie zur verabredeten Zeit am verabredeten Ort waren. Zu Hause hätte ich Drei Haselnüsse für Aschenbrödel schauen können.

Wir rückten zur ersten Glühweinbude vor, die noch in Sichtweite zum Eingang am Kino war, damit Elisa uns finden konnte. «Sie wollte doch den neuen Typen mitbringen, oder?», fragte Anna, und ich zuckte mit den Schultern und dachte: Hoffentlich nicht, ich war nicht in der Stimmung, neue Menschen kennenzulernen. Hallo, und wer bist du, ach, ich tu mal so, als ob ich noch nicht alles über dich und deinen Penis im Gruppenchat erfahren hätte. Nee, echt keinen Bock.

Ich trank den schwedischen Glühwein schnell, er war sehr süß und stieg mir direkt in den Kopf. Ich spähte in die Becher der anderen, ich wollte nicht schneller trinken als der Rest der Gruppe, wir waren erwachsen und sollten Kontrolle beim Glühweintrinken längst gelernt haben.

Dann wollten sie wissen, wo Johannes sei, und ich sagte, mein Freund sei auf Geschäftsreise. Ich hatte mir die Antwort auf dem Weg zurechtgelegt, denn ein fester Freund durfte nicht unentschuldigt fehlen in dieser Runde. Ein fester Freund hing nach ein paar Jahren fest an einem dran wie diese Kofferkleber vom Flughafen, TXL-FRA, die reisten überall mit hin.

Die Wahrheit war, dass wir uns gestritten hatten. Johannes träumte von einem Smart Home, ich fand Staubsaugerroboter unheimlich. «Ich will keinen Staubsaugerroboter», hatte ich geflüstert, als Johannes mich an diesem vierten Advent gefragt hatte, ob wir im neuen Jahr in eine gemeinsame Wohnung ziehen wollten. «Du bist so kindisch», hatte er geantwortet, «weißt du überhaupt, dass 80 Prozent der Deutschen ihren Staubsaugerrobotern innerhalb von vier Wochen einen Namen geben? Wie einem Haustier!» – «Ich mag auch keine Haustiere, das weißt du genau», hatte ich gesagt, und dass doch alles schön war, so wie es war, ein Umzug hingegen sei teuer und stressig und könnte eine große Belastung für eine Beziehung darstellen, Niklas und Inken zum Beispiel hatten sich kurz nach dem Zusammenziehen getrennt, ob er das nicht mehr wüsste? «Werd mal erwachsen», hatte Johannes gesagt und war nach Hause gefahren, in seine eigene Wohnung. Nein, zum Weihnachtsmarkt komme er nicht mit, er habe keine Lust, meinen Freunden das fröhliche Paar vorzuspielen, ja, das seien meine Freunde, mit jemandem wie Anna könnte er niemals ernsthaft befreundet sein.

Und so war ich allein losgezogen zur Kulturbrauerei. In der Sredzkistraße waren lauter Paare unterwegs, die alle viel verliebter wirkten, als Johannes und ich es jemals gewesen waren, so kam es mir zumindest vor in dem Moment. Zu viel Körperkontakt in der Öffentlichkeit war mir unbehaglich.

Ich hatte wenig Lust, den anderen zu erklären, warum Johannes nicht dabei war, weil ich genau wusste, in welcher Unterhaltung das resultieren würde. «Irgendwann muss man zusammenziehen», würde Anna sagen, «du bist fast dreißig, wie lange willst du noch warten, außerdem finde ich, man kann nicht heiraten, wenn man vorher nicht zusammengewohnt hat, meine Meinung.» Ich würde erklären, dass ich vom Heiraten eh nichts hielt und dass Gwyneth Paltrow und ihr Mann auch nicht zusammenwohnten.

Nein, Johannes war heute Abend auf Geschäftsreise, damit hatte sich die Sache erledigt, und wir konnten uns wieder auf den Glühwein konzentrieren. Elisa war immer noch nicht da.

Wir diskutierten, ob wir lieber Bratwurst oder Langos oder Kartoffelpuffer oder gebrannte Mandeln essen wollten. Miriam wollte gar nichts essen, sie hatte sich am Morgen auf die Waage gestellt. Ich verstand nicht, warum wir uns zwischen herzhaft und salzig entscheiden mussten. Generell verstand ich Menschen nicht, die sich wenn, dann lediglich einen ungesunden Snack erlaubten. Entweder – oder! Wenn ich Johannes fragte, ob er was Süßes zu Hause hatte, holte er Salzstangen aus dem Regal. Auch ein Grund, warum wir nicht zusammenwohnen konnten.

«Trennen wir uns besser», sagte ich, «gleich mit Essen wieder hier?» Wir zogen in verschiedene Richtungen davon. Auf einer kleinen Bühne spielte eine Musikschulabordnung Weihnachtslieder vor, die Eltern standen davor und filmten mit ihren Handys. «Spielt Luca nicht toll Trompete? Ich bin so stolz», sagte eine Mutter, der Mann neben ihr, vermutlich Lucas Vater, zischte nur böse: «Das ist jetzt auf dem Video drauf! Nicht sprechen, wenn ich filme!» Vor allem spielte Luca sehr schlecht Trompete, dachte ich, als Luca aus Versehen in der Pause zwischen den Strophen von «Ihr Kinderlein kommet» loströtete, und ich fragte mich, ob Eltern das Unvermögen des eigenen Kindes automatisch ausblendeten. Es gab ein VHS-Video von 1998, im Krippenspiel hatte ich die Rolle der Maria, an Heiligabend war ich aber erkältet und konnte nur krächzend vom schweren Weg nach Bethlehem singen. Ich hätte gern gewusst, ob meine Eltern damals in der Kirche einander auch zugeflüstert hatten, wie toll sie meine Performance fanden und wie stolz sie auf mich waren, auf dem Video war davon jedenfalls nichts zu hören.

Die Weihnachtsmarktmenge schob mich weiter. Ich umklammerte mit der rechten Hand meine Handtasche, eine großmütterliche Geste der Ängstlichkeit, die ich mir in Berlin angewöhnt hatte. In meinem ersten Jahr in dieser Stadt hatte mich auf der Straße ein Mann angesprochen, wenn ich mit offener Handtasche durch die Gegend liefe, bräuchte ich mich nicht zu wundern, wenn mal was wegkäme. Seither kontrollierte ich unterwegs ständig, ob der Reißverschluss zu war, Magnetverschlüsse und Beuteltaschen, die nur zugezogen wurden, mochte ich gar nicht, und ich war heimlich stolz darauf, dass mir noch nie was geklaut worden war.

Am Bratwurststand drückte ich Ketchup aus einem riesigen Kanister auf meine Wurst, der Bratwurstverkäufer sagte: «Schmeckt eigentlich besser mit Senf», also drückte ich noch einen winzigen Klecks Senf daneben. Er lächelte zufrieden, im Glauben, eine seiner Original Thüringer Bratwurst kulinarisch unwürdige Person belehrt zu haben. Ich verweilte für einen Moment am Bratwurststand, auf Annas angewiderten Blick konnte ich verzichten: «Du isst immer noch Fleisch? Schau dir mal diese Netflix-Doku über Massentierhaltung an, danach kannst auch du kein Fleisch mehr essen. Wusstest du, dass Schweine so intelligent sind wie dreijährige Kinder?» Das mit den Kindern hatte ich immer mal googeln wollen, für den Fall einer weiteren Fleischessdiskussion, aber dann doch vergessen. Ich biss in die Wurst, der rauchige, salzige Geschmack legte sich auf meine Zunge, das Brötchen war weich und krümelte nur ein bisschen, und in dieser Sekunde war es mir egal, wo die Wurst herkam. Ich wusste, dass die Überhöhung des persönlichen Genusses dazu führen würde, dass eines Tages die Welt unterging, aber auch das war mir egal.

Gern hätte ich noch ein wenig länger allein am Wurststand gestanden, allerdings schlenderte ein Arbeitskollege vorbei, natürlich, überproportional viele Mitarbeiter des Unternehmens, in dem ich arbeitete, wohnten im Prenzlauer Berg. Es ging hier zu wie in einer baden-württembergischen Kleinstadt, man konnte nicht mal zu Edeka gehen und schnell eine Tütensuppe kaufen, ohne jemanden zu treffen, haha, wohnst du etwa auch im Kollwitzkiez, was für ein Zufall. Die Tütensuppe legte ich dann immer ganz schnell zurück ins Regal.

Auf dem Weihnachtsmarkt war man natürlich auch nicht sicher. Schon rief Gerald rüber: «Na, wieder gesund?» Ich hatte die vergangenen Tage im Büro gefehlt, obwohl meine Erkältung, zugegeben, nicht so schlimm gewesen war. Ich wollte dem Besinnlichkeitszwang entgehen, der ein paar Tage vor Weihnachten immer eintrat in der Firma, mit Supermarkt-Lebkuchen in jeder Besprechung und krampfigen Gesprächen zu den Feiertagsplänen und gleichzeitiger Geschäftigkeit, schnell noch alles wegschaffen im alten Jahr. Ich hustete ein bisschen. «Geht schon wieder, danke! Viel Spaß euch!» – «Ebenso, ebenso», sagte Gerald und blickte mich prüfend an. Gerald war nicht mein Chef, hielt sich aber dafür, weil er 25 Jahre älter war als ich, und ich war froh, dass jetzt Weihnachtsferien waren, denn sonst hätte Gerald bestimmt dafür gesorgt, dass im Büro alle von meiner Fake-Krankheit erfuhren. «Ich muss mal weiter», sagte ich, «frohe Weihnachten.»

Ich musste mich nun gegen den Strom der Weihnachtsmarktbesucher zurück zu unserem Treffpunkt kämpfen. In ein paar Tagen würde der Prenzlauer Berg leer sein, verlassen von all den längst erwachsenen Menschen, die Weihnachten «zu Hause» feierten. Zu Hause, das war für so viele immer noch der Ort, wo die Eltern lebten, wo sie in ihren viel zu groß gewordenen...

Erscheint lt. Verlag 15.10.2019
Reihe/Serie Weihnachten mit der buckligen Verwandtschaft
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga Humor / Satire
Schlagworte Advent • Adventsgeschichten • Familie • Geschenk • Humor • lustige Weihnachtsgeschichten • Weihnachten • Weihnachten Buch • Weihnachtsgeschichten • Weihnachtsmann • Weihnachtsromane • witzige Weihnachtsbücher
ISBN-10 3-644-00374-2 / 3644003742
ISBN-13 978-3-644-00374-3 / 9783644003743
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