Professor Zamorra 1173 (eBook)
Bastei Entertainment (Verlag)
978-3-7325-8065-1 (ISBN)
Diese verwirrten Seelen. Sie riefen erneut die falschen.
Er strich durch seine wieder braun gewordenen Locken und lächelte nachsichtig.
Aber war es denn ein Wunder? Manchmal benahmen sich Kinder nun einmal so. Vor allem nach ihrer Bestrafung. Und der Verbannung der Schuldigen.
Aus seinen Fingerkuppen schoss das weiße Gespinst, umhüllte die Rebellierenden immer und immer wieder.
Er würde Milde walten lassen. Immerhin war er ihr Vater. Ihm gehörte ihre Kraft, mit der er der Erde und ihren Bewohnern schon bald den ewigen Frieden bringen würde.
Denn er war der Hüter des Grals.
Und niemand sonst!
Südtirol, Dolomiten
Land der Seelenlosen, Laurins Reich
Zärtlich berührten seine Finger die Rosenblüte. Sie leuchtete in einem hellen Rot und an den Blatträndern golden. Am Grund der Blühte flammten Gelb und Orange.
»Wir zwei sind uns ähnlich«, sagte er milde. »Du verblühst und ich mit dir.«
Er beugte sich leicht zu ihr hinab und sog den Duft in sich hinein.
Laurin lächelte. Die Blüte verströmte einen Rest von Süße, von samtiger Glätte. Es kitzelte in seiner Nase. Er rieb und drückte sie mit den Fingern.
Nein, ein König durfte nicht niesen. Das wäre gegen die Würde.
Doch die Blüte verströmte ebenfalls einen Hauch von Melancholie, von Verwelken und …
Laurin schloss die Augen. Ja, und auch von Tod.
Dann ließ er seinen Blick über die Wiese schweifen. Der Albe kniff dabei die Augenlider leicht zusammen. Jetzt sah er etwas deutlicher.
In das Gras, obwohl es, flüchtig betrachtet, sattgrün erstrahlte, hatten sich mehr gelbe Fäden gemischt, als er sich eingestehen wollte. Einzig der Bach, der sich durch die Wiese schlängelte, plätscherte lustig vor sich hin. Es war warm und doch überzog den Albenkönig eine leichte Gänsehaut.
Ja, so vergilbt wie das Land der Seelenlosen, so fühlte sich auch Laurin, der Herrscher des Rosengartens.
Er widerstand dem Versuch, sich hinzuknien und in das klare Wasser zu blicken. Abgesehen von den schmerzenden Knien, würde er doch nur ein verblassendes Engelgesicht sehen.
Über Jahrhunderte hinweg schien ihn die Zeit vergessen oder besser gemieden zu haben. Sein immerjunges Gesicht wollte einfach nicht altern. Doch jetzt, wo er sein Ende fühlte, da konnte es mit dem Verfall nicht schnell genug gehen.
Der Albe streckte sich so gut es eben ging. Seine Knochen knackten fast schon rhythmisch.
Die rechte Hand umschloss den silbernen Knauf seines Stockes fester, dann setzte er sich in Bewegung.
Schmetterlinge umflatterten ihn träge. Nicht viel, und die leicht ausgeblichenen Falter würden wie Herbstlaub zu Boden segeln.
Es raschelte zu seinen Füßen. Der Albe stutzte. Wo kamen denn hier Blätter her? Auf dieser Wiese standen keine Bäume. Es gab nur an ihren Rändern die Dornenhecken. Oder waren es doch Insekten? Laurin kniff nochmals die Augenlider zusammen. Zwecklos. Der Boden blieb seltsam unscharf.
Wie auch immer. Es waren sicher nur Blätter.
Laurin seufzte unmerklich. Die Wiese schien einmal mehr eine Oase der Ruhe. Nichts und niemand würde ihn hier stören. Weder Götter noch Menschen, weder ERHABENE noch Dämonen.
Mochte diese sich immer schneller drehende Welt in Kürze ohne ihn zurechtkommen. Er, der König, war müde, hatte sich genug um seine Berge gekümmert. Jetzt waren andere dran.
Noch einmal blieb er stehen, lauschte. Tatsächlich. Die Geräusche fehlten, einzig der Bach schien noch jugendlich zu perlen.
Wo waren die Tiere?
Die Tiere, einst junge Menschenfrauen, von Sintram benutzt und der Seele beraubt und dann in vielerlei Getier verwandelt. Sintram, der Verräter, der sich durch eine magische Intrige lange Zeit auf Laurins Thron behaupten konnte und dem die Gier nach Macht schlussendlich doch zum Verhängnis geworden war.
Der Albe gestattete sich ein in königlicher Würde geseufztes »Ach«. Was war nur aus all den Gefährten geworden? Die meisten von ihnen waren schon lange vor ihrem Herrscher in den Dom der Unsterblichkeit eingekehrt. In die Höhle der bestatteten Helden. Die letzte von ihnen war seine mehr als treue Schildmaid gewesen, die vor ein paar Monaten ihr Leben für das Seinige gegeben hatte. Also: Wieso klammerte er sich noch an das Leben? Es war keiner mehr da, mit dem er über das Goldene Zeitalter reden konnte. Nithart, sein ehemaliger Kanzler, oh ja, der lebte noch. Doch konnte man es wirklich Leben nennen?
Plötzlich fühlte Laurin Wärme in sich aufsteigen. Aldebaran … in seinen Armen lag die Zukunft des Rosengartens. Der junge Albe war mittlerweile weit mehr für Laurin geworden als nur ein getreuer Untertan. Schon fast konnte er Aldebaran einen Sohn nennen. Seinen Sohn.
Vielleicht sollte er Dietrich von Bern einen letzten Besuch abstatten? Sein einstiger Gegner und späterer Kampf- und Weggefährte, ja, er weilte noch unter den Lebenden. Aber nein, mit Dietrich wollte er nicht tauschen. Nein, so viel Kraft besaß er nicht mehr, um dem Freund beizustehen, geschweige denn zu ersetzen.
Und außerdem, der Albe gestattete sich erst ein flüchtiges Lächeln, dann schüttelte er den Kopf, war ihm das Reisen zur Last geworden. Er wollte nicht mehr reisen. Er wollte seine letzten Tage ohne Aufregung verbringen.
Jetzt, wo endlich alles gut war.
Fast wäre er gestolpert. In letzten Moment konnte sich Laurin mit dem silbernen Gehstock abfangen. Aldebaran hätte jetzt sicher vorwurfsvoll den Kopf geschüttelt. Doch Laurin war in letzter Zeit am liebsten allein unterwegs.
Es musste viel nachgedacht und vor allem bedacht werden.
Sein Blick fiel nach unten. Ein schwarzes Etwas lag vor seinen Füßen. Laurin bückte sich ächzend und strich mit der Hand darüber. Es war ein Panther! Ja, diese Tiere besaßen solch ein herrliches Fell. Noch einmal strich Laurin über den Körper. Der Panther fühlte sich seltsam kalt an. Und wenn es der Albe recht bedachte, war der geschmeidige Körper leicht strohig und hart.
Der Albe richtete sich auf. »Es ist alles gut!«, zischte er wütend. Er war der König. Ihm stand es zu, Dinge ignorieren zu können!
Er umklammerte den Stockknauf fester und stieß damit immer wieder in den Boden.
Dann schloss er die Augen. »Das ist mittlerweile der vierte Panther«, presste er hervor.
Ignoriere das Problem, machte sich eine innere Stimme bemerkbar. Bald schon sind alle Tiere im Land der Seelenlosen tot. Und du bist es auch. Sollen sich andere darum kümmern.
»Nein!« Laurin öffnete die Augen. »Ich bin der König der Dolomiten! Es ist eben nicht alles gut! Und ich werde ein geordnetes Reich hinterlassen.«
Er ignorierte den stechenden Schmerz in den Knien, als er den toten Panther untersuchte. Immer und immer wieder strich er ihm durch das Fell. Seine leicht zitternden Finger prüften gewissenhaft den Kopf, den Hals, den Bauch und die Lenden, die Beine und Pfoten.
Wie immer nichts. Keine Wunde, kein Knochenbruch, keine Gewaltanwendung.
Wurden die Tiere etwa vergiftet?
Vielleicht ist es ein natürlicher Prozess, gab die innere Stimme zu bedenken.
»Und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Ich werde die Wahrheit herausfinden!«
Laurin spürte, wie ihn neuer Lebenswille durchströmte. Jetzt musste er Aldebaran finden. Gemeinsam mit seinem Zögling würde er schon hinter das Geheimnis kommen.
☆
Deutschland, Harz
Aussichtspunkt Böser Kleef, unweit von Todtenrode
»Glaubst du, dass hier heute noch etwas Unschönes passiert?«
André verschluckte sich fast an der Flasche Harzer Grubenlicht. »Wie kommst du denn jetzt da drauf?«
Sven sah ihn kurz an. »Ich mein ja nur. Immerhin befinden wir uns am Bösen Kleef bei Todtenrode.«
»Und?« Der kräftige Mittvierziger schaute den Kumpel noch immer verständnislos an.
Sven lächelte entschuldigend. »Da stecken die Wörter böse und Tote drin.«
André drückte den Rücken gegen die Lehne der Holzbank, sodass es kurz knarzte, und streckte die Füße ganz weit von sich. Dann ließ er sie wieder sinken und reichte seinem fast schon ausgezehrt wirkenden Gegenüber die Flasche. »Manchmal verstehe ich dich echt nicht. Du stehst voll auf Gruselfilme, und du nimmst ein Kissen mit ins Kino, nur, um es dir bei allen Horrorszenen vors Gesicht zu halten. Du ziehst dir The Walking Dead zu Hause rein und lässt dann die Festbeleuchtung die ganze Nacht brennen. Du liest Mysteryromane und guckst dann unters Bett.«
»Und in den Schrank.« Sven grinste schief.
»Und in den Schrank.« André rollte mit den Augen. »Und dann willst du gerade hier in der freien Natur übernachten, wo die Wörter böse und Tote drin stecken. Du bist echt unglaublich.«
»Na ja«, Sven zuckte mit der Schulter, »nur so kann ich authentisch schreiben.«
»Und das kommt noch dazu«, pflichtete ihm André bei und strich durch seine stoppeligen roten Haare. »Selbst vor deiner eigenen Schreibe hast du Schiss.«
»Deswegen habe ich mir ja die wärmere Jahreszeit ausgesucht. Da bleibt es an diesem Ort sehr lange hell. Und außerdem …«
»Und außerdem?«
»Außerdem bist du ja da.«
André machte große Augen. »Was soll das denn heißen?«
Sven grinste kurz und kratzte sich am blonden Stoppelbart. »Du bist der Kraftprotz, ich nur der Hänfling. Du wirst mich ja wohl beschützen, wenn mir jemand an die Wäsche will.«
»Ich dachte, wir sind hier, damit du deine Angst ein für alle Mal besiegst? Wie komme ich denn dann schon wieder dazu, dich zu beschützen?«
»Na, ich dachte, weil du mein bester Freund bist.«
André nahm Sven die Flasche weg. »Das ist echt kein Wunder, dass es keine Frau auf Dauer mit dir aushält. Du bist ja sowas von kompliziert. Prost.«
»Beschützt du mich nun?«
Der Rothaarige grinste. »Muss ich ja wohl. Sonst passt ja keiner auf dich auf.«
Sven grinste triumphierend. »Deswegen bist du auch mein bester...
Erscheint lt. Verlag | 14.5.2019 |
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Reihe/Serie | Professor Zamorra |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • Deutsch • eBook • eBooks • Extrem • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • Lovecraft • Männer • Neuerscheinung • Neuerscheinungen • Paranomal • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony Ballard • Top • Walking Dead |
ISBN-10 | 3-7325-8065-2 / 3732580652 |
ISBN-13 | 978-3-7325-8065-1 / 9783732580651 |
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