Kunst sehen (eBook)

Erweiterte Neuausgabe mit 7 neuen Essays
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
352 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-32008-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kunst sehen -  Julian Barnes
Systemvoraussetzungen
14,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Grandios erzählte Kunstgeschichten von Julian Barnes - in einer um sieben Essays erweiterten E-Book-Ausgabe. Ein Buch voller Kunstgeschichten: über Maler und ihre Exzentrik, über ihre Modelle, Musen, Bilder und Eskapaden. Ein Buch für Kenner und Laien gleichermaßen mit Texten über Delacroix, Courbet, Manet, Cézanne, Degas bis zu Lucian Freud. Mit der Malerei befasste sich Julian Barnes bereits in seinem berühmten Buch »Eine Geschichte der Welt in 10 ½ Kapiteln«, in dem er zum Beispiel Géricaults Bild »Das Floß der Medusa« und die grausame Geschichte des Schiffsbruchs beschrieb. Auch dieses Buch ist voller Geschichten. Über die Künstler und ihre Exzentrik, über die Modelle und deren oftmals kompliziertes Verhältnis zu ihren Malern, über Autoren, die sich mit den Malern beschäftigen. Durch Julian Barnes' Kenntnisreichtum und durch sein Wissen um menschliche Schwächen und Laster entsteht eine Art erzählende Kunstgeschichte - lehrreich, unterhaltsam und überaus erhellend, und das nicht nur für Kunstkenner, sondern auch für Menschen, die nicht viel über Kunst wissen. 

Julian Barnes, 1946 in Leicester geboren, arbeitete nach dem Studium moderner Sprachen als Lexikograph, dann als Journalist. Von Barnes, der zahlreiche internationale Literaturpreise erhielt, liegt ein umfangreiches erzählerisches und essayistisches Werk vor, darunter »Flauberts Papagei«, »Eine Geschichte der Welt in 10 1/2 Kapiteln« und »Lebensstufen«. Für seinen Roman »Vom Ende einer Geschichte« wurde er mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet. Julian Barnes lebt in London.

Julian Barnes, 1946 in Leicester geboren, arbeitete nach dem Studium moderner Sprachen als Lexikograph, dann als Journalist. Von Barnes, der zahlreiche internationale Literaturpreise erhielt, liegt ein umfangreiches erzählerisches und essayistisches Werk vor, darunter »Flauberts Papagei«, »Eine Geschichte der Welt in 10 1/2 Kapiteln« und »Lebensstufen«. Für seinen Roman »Vom Ende einer Geschichte« wurde er mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet. Julian Barnes lebt in London. Gertraude Krueger, geboren 1949, lebt als freie Übersetzerin in Berlin. Zu ihren Übersetzungen gehören u.a. Sketche der Monty-Python-Truppe und Werke von Julian Barnes, Alice Walker, Valerie Wilson Wesley, Jhumpa Lahiri und E.L. Doctorow. Thomas Bodmer, 1951 geboren, lebt als Journalist und Übersetzer in Zürich. Er betreute als Lektor bis 1992 die ersten deutschen Übersetzungen der Werke von Julian Barnes.

Inhaltsverzeichnis

Géricault: Aus Katastrophen Kunst machen


I


Es fing mit einem bösen Vorzeichen an.

Sie hatten Kap Finisterre umrundet und segelten vor einem frischen Wind südwärts, da umkreiste ein Schwarm Tümmler die Fregatte. Die Menschen an Bord drängten sich an Heck und Brustwehr und staunten über die Fähigkeit dieser Tiere, um ein Schiff herumzuschwimmen, das mit neun oder zehn Knoten bereits gute Fahrt machte. Doch während sie dem munteren Treiben der Tümmler zusahen, erhob sich ein Schrei. Ein Kabinenjunge war backbord aus einer der vorderen Luken gefallen. Ein Signalschuss wurde abgegeben, ein Rettungsfloß ausgeworfen, und das Schiff drehte bei. Aber diese Manöver wurden ungeschickt ausgeführt, und als man endlich die sechsrudrige Barkasse herunterließ, geschah dies vergebens. Sie konnten das Floß nicht finden, geschweige denn den Jungen. Er war erst fünfzehn Jahre alt, und die ihn kannten, waren der Meinung, er sei ein guter Schwimmer; sie vermuteten, aller Wahrscheinlichkeit nach habe er das Floß erreicht. In dem Fall ist er zweifellos darauf zugrunde gegangen, nachdem er die grausamsten Leiden durchgemacht hatte.

Die Expedition nach Senegal bestand aus vier Schiffen: einer Fregatte, einer Korvette, einer Flüte und einer Brigg. Sie waren am 17. Juni 1816 mit 365 Menschen an Bord von der Insel Aix in See gestochen. Jetzt fuhren sie mit ihrer um eine Person reduzierten Besatzung weiter nach Süden. Auf Teneriffa nahmen sie Proviant auf – edle Weine, Orangen, Zitronen, Banyanfeigen und Gemüse aller Art. Hier fiel ihnen die Verderbtheit der einheimischen Bevölkerung auf: Die Frauen von Saint Croix standen in ihren Türen und drängten die Franzosen hereinzukommen, in der Gewissheit, dass Eifersuchtsanfälle ihrer Ehemänner durch die Mönche der Inquisition kuriert würden, die den Ehewahn stets missbilligend als Blendwerk des Satans bezeichneten. Nachdenkliche Passagiere führten solches Verhalten auf die südliche Sonne zurück, deren Kraft, wie man weiß, die Bande der Natur wie auch der Moral lockert.

Von Teneriffa aus segelten sie Richtung Süd-Südwest. Frische Winde und navigatorisches Ungeschick zerstreuten die Flottille. Allein passierte die Fregatte den Wendekreis und umrundete Kap Barbas. Sie fuhr dicht an der Küste entlang, bisweilen nur einen halben Kanonenschuss entfernt. Die See war mit Felsen durchsetzt, eine Brigantine konnte diese Gewässer bei Niedrigwasser nicht aufsuchen. Sie hatten Kap Blanco umrundet, oder meinten es jedenfalls, als sie in eine Untiefe gerieten; jede halbe Stunde wurde das Lot geworfen. Bei Tagesanbruch nahm M. Maudet, der wachhabende Leutnant, auf einem Hühnerkäfig die Gissung vor und befand, sie seien am Rande des Arguinriffs. Sein Rat blieb unberücksichtigt. Doch auch wer in Meeresdingen nicht bewandert war, konnte beobachten, dass das Wasser eine andere Färbung angenommen hatte; an der Schiffswand war Tang zu erkennen, und Fische wurden in Mengen gefangen. Bei ruhiger See und klarem Wetter liefen sie auf Grund. Das Lot zeigte achtzehn Faden an, kurz darauf dann sechs Faden. Die Fregatte luvte an und krängte beinahe augenblicklich; ein zweites und drittes Mal, dann stand sie still. Die Lotleine zeigte eine Tiefe von fünf Metern und sechzig Zentimetern.

Das Unglück wollte es, dass sie bei Hochwasser auf das Riff aufgelaufen waren, und bei der heftig werdenden See schlugen alle Versuche, das Schiff freizubekommen, fehl. Die Fregatte war mit Sicherheit verloren. Da die Boote, die sie mit sich führte, nicht Raum genug hatten, die gesamte Besatzung aufzunehmen, wurde beschlossen, ein Floß zu bauen und darauf jene einzuschiffen, die nicht auf den Booten untergebracht werden konnten. Das Floß sollte dann an Land geschleppt werden und alle wären gerettet. Dieser Plan war durchaus wohlersonnen, doch wie zwei der Beteiligten später erklären sollten, stand er in losem Sand geschrieben, der vom Hauch der Selbstsucht verweht wurde.

Das Floß wurde gebaut, und gut gebaut dazu, es wurden Plätze in den Booten zugeteilt, Proviant wurde bereitgestellt. Bei Tagesanbruch, als das Wasser zwei Meter und siebzig Zentimeter hoch im Laderaum stand und die Pumpen versagten, wurde der Befehl gegeben, das Schiff zu verlassen. Doch rasch durchdrang Unordnung den wohlersonnenen Plan. Die Platzverteilung wurde missachtet und der Proviant wurde unachtsam gehandhabt, vergessen oder in den Fluten verloren. 150 Personen waren für das Floß vorgesehen, 120 Soldaten einschließlich Offizieren, 29 Matrosen und männliche Passagiere, eine Frau. Doch kaum waren fünfzig Mann an Bord dieses Gefährts – das eine Länge von zwanzig Metern und eine Breite von sieben Metern hatte –, als es mindestens siebzig Zentimeter tief unter Wasser sank. Sie warfen die Fässer mit Mehl ab, die sie geladen hatten, worauf sich das Niveau des Floßes hob; die übrigen Menschen stiegen auf, und es sank erneut. Als das Gefährt voll beladen war, schwamm es einen Meter unter dem Wasserspiegel und die Menschen an Bord waren so zusammengedrängt, dass sie nicht einen Schritt tun konnten; vorne wie hinten standen sie bis zum Gürtel im Wasser. Lose Mehlfässer wurden von den Wellen gegen sie geschleudert; man warf einen Fünfundzwanzigpfundsack mit Schiffszwieback zu ihnen hinunter, den das Wasser sofort in Brei verwandelte.

Es war vorgesehen gewesen, dass einer der Marineoffiziere das Kommando über das Floß übernehmen sollte, doch lehnte dieser Offizier es ab, an Bord zu gehen. Um sieben Uhr früh wurde das Signal zur Abfahrt gegeben und die kleine Flottille entfernte sich von der aufgegebenen Fregatte. Siebzehn Personen hatten sich geweigert, das Schiff zu verlassen, oder hielten sich versteckt und blieben so an Bord, ihr Schicksal zu erfahren.

Das Floß wurde von vier Booten achtern ins Schlepp genommen, denen eine Pinasse vorausfuhr und die Wassertiefe auslotete. Als die Boote in Position gingen, erhoben sich Vive-le-roi!-Rufe bei den Männern auf dem Floß, und an der Spitze einer Muskete wurde eine kleine weiße Flagge aufgezogen. Doch gerade in diesem Augenblick höchster Hoffnung und Erwartung für die Menschen auf dem Floß gesellte sich der Pesthauch der Selbstsucht zu den üblichen Winden des Meers. Eine Leine nach der anderen wurde losgeworfen, sei es aus Eigennutz, Inkompetenz, infolge eines Unglücks oder aus scheinbarer Notwendigkeit.

Das Floß war kaum zwei Meilen von der Fregatte entfernt, als es abgehängt wurde. Die Menschen an Bord hatten Wein, etwas Brandy, ein wenig Wasser und eine kleine Ration aufgeweichten Schiffszwiebacks. Man hatte ihnen weder Kompass noch Seekarte gegeben. Ohne Ruder und Steuer war es unmöglich, das Floß unter Kontrolle zu halten, und so gut wie unmöglich, die Menschen darauf unter Kontrolle zu halten, die beständig gegeneinandergeworfen wurden, während die Fluten über sie hinwegrollten. In der ersten Nacht kam ein Sturm auf und warf das Gefährt mit großer Heftigkeit herum; die Schreie der Menschen an Bord mischten sich mit dem Tosen der Wellen. Manche banden Seile an die Planken des Floßes und hielten sich daran fest; alle wurden gnadenlos hin und her geworfen. Im Morgengrauen war die Luft von kläglichen Schreien erfüllt, Gelübde, die nie würden erfüllt werden können, wurden gen Himmel getan, und alle bereiteten sich auf ihren nahen Tod vor. Jede Vorstellung, die man sich von dieser ersten Nacht gemacht hätte, wäre hinter der Wahrheit zurückgeblieben.

Am nächsten Tag war die See ruhig, und bei vielen flackerte wieder Hoffnung auf. Dessen ungeachtet nahmen zwei junge Burschen und ein Bäcker, überzeugt, dass es vor dem Tod kein Entrinnen gebe, Abschied von ihren Kameraden und gaben sich willig dem Meer hin. Im Laufe dieses Tages begannen die Menschen auf dem Floß die ersten Trugbilder zu sehen. Einige wähnten, sie sähen Land, andere erspähten Schiffe, die zu ihrer Rettung gekommen schienen, und als diese trügerischen Hoffnungen an den Felsen zerschellten, wurde die Mutlosigkeit dadurch umso größer.

Die zweite Nacht war schrecklicher noch als die erste. Die Fluten türmten sich berghoch und das Floß war fortwährend dem Umschlagen nahe; die Offiziere, die sich um den kurzen Mast drängten, beorderten die Soldaten von einer Seite des Gefährts zur anderen als Gegengewicht zu der Kraft der Wogen. In der Gewissheit, sie seien verloren, brach eine Gruppe von Männern ein Weinfass auf und beschloss, sich die letzten Augenblicke zu versüßen, indem sie die Kraft der Vernunft fahren ließen; das gelang ihnen auch, bis durch das von ihnen gemachte Loch Meerwasser in das Fass drang und den Wein verdarb. Solcherart doppelt rasend gemacht, entschieden diese umnachteten Männer, alle dem gemeinsamen Verderben entgegenzuführen, und fielen zu diesem Zweck über die Taue her, die das Floß zusammenhielten. Da die Meuterer auf Widerstand trafen, kam es inmitten der Wogen und der Finsternis der Nacht zur offenen Schlacht. Die Ordnung wurde wiederhergestellt, und eine Stunde herrschten Ruhe und Frieden auf jenem unheilvollen Gefährt. Doch um Mitternacht erhob sich die Soldateska erneut und griff ihre Oberen mit Messern und Säbeln an; die keine Waffen hatten, waren geistig so zerrüttet, dass sie versuchten, die Offiziere mit den Zähnen zu attackieren, und es wurden viele Bisse erlitten. Männer wurden in die See geworfen, niedergeknüppelt, erstochen; zwei Fässer Wein wurden über Bord geworfen und das letzte Wasser auch. Als man die Schurken endlich gebändigt hatte, war das Floß mit Leichen übersät.

Während des ersten Aufstandes wurde ein Arbeiter namens Dominique, der sich den...

Erscheint lt. Verlag 7.11.2019
Übersetzer Gertraude Krueger, Thomas Bodmer
Zusatzinfo zahlreiche farbige Abbildungen
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Schlagworte Bilder • Die einzige Geschichte • Gemälde • Keeping an Eye Open • Kunst-Einführung • Kunstgeschichte • Kunstliebhaber • Malerei • Museum • Vom Ende einer Geschichte
ISBN-10 3-462-32008-4 / 3462320084
ISBN-13 978-3-462-32008-4 / 9783462320084
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 43,5 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich

von Elke Heidenreich

eBook Download (2024)
Hanser Berlin (Verlag)
15,99
Nr. 898, Heft 03, März 2024

von Christian Demand; Ekkehard Knörer

eBook Download (2024)
Klett-Cotta (Verlag)
9,99