Thees Uhlmann über Die Toten Hosen (eBook)

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2019 | 1. Auflage
192 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-32055-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Thees Uhlmann über Die Toten Hosen -  Thees Uhlmann
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Thees Uhlmann über Die Toten Hosen. Ein handgeschriebener Zettel am Schwarzen Brett seiner Schule - »Wer will mit zum Toten-Hosen-Konzert nach Hamburg? Bus wird organisiert. Eintragen!« - markiert den Beginn eines Orkans, der Thees Uhlmann aus der Ödnis ins Paradies wirbelt. Es ist 1988, und wer wie Thees Uhlmann zwischen Helmut Schmidt und Angela Merkel als Punk in Deutschland aufwächst, der liebt die Toten Hosen für immer. Und lernt fürs Leben: »Befehl an alle! Bleibt besser klug.« Thees Uhlmann erzählt von einer Liebe, die seit 30 Jahren währt, von einer Freundschaft, die entstanden ist, von gemeinsamen Konzerten und Fußballausfl ügen und dem Blitz der Erkenntnis in den bizarrsten Situationen.

Thees Uhlmann, geboren 1974 in Hemmoor, ist Musiker und Autor. Mit seiner Band Tomte und seit 2011 als Solokünstler feiert er große Erfolge, zuletzt mit seinem Album »Junkies und Scientologen«. Sein Romandebüt »Sophia, der Tod und ich« begeisterte Kritik und Publikum und war ein Spiegel-Bestseller. Er wurde fürs Theater adaptiert, in mehrere Sprachen übersetzt und wird demnächst fürs Kino verfilmt. Thees Uhlmann arbeitet an seinem zweiten Roman.

Thees Uhlmann, geboren 1974 in Hemmoor, ist Musiker und Autor. Mit seiner Band Tomte und seit 2011 als Solokünstler feiert er große Erfolge, zuletzt mit seinem Album »Junkies und Scientologen«. Sein Romandebüt »Sophia, der Tod und ich« begeisterte Kritik und Publikum und war ein Spiegel-Bestseller. Er wurde fürs Theater adaptiert, in mehrere Sprachen übersetzt und wird demnächst fürs Kino verfilmt. Thees Uhlmann arbeitet an seinem zweiten Roman.

Inhaltsverzeichnis

Symphonie


Damit Sie nicht später sagen können, Sie hätten durch die Lektüre dieses Buches nichts gelernt, nichts über sich und erst recht nichts über Die Toten Hosen, kommt hier jetzt absolutes Fachwissen, das wirklich nur der innerste Zirkel kennt. Nur die Spezialisten, nur die harten Hunde und weichen Katzen, nur die Expertinnen und Nerds. Ehrlich gesagt, ich glaube, ich bin der Einzige, dem das je aufgefallen ist. Ich habe beim Komponisten nachgefragt, ob ich richtig gehört habe, und warte bis heute auf eine Antwort. Ich finde das gut, dass er mich schmoren lässt, ist eh meine favorisierte Methode, um Fleisch zu garen.

Allerdings bin ich am Arsch, sollte Kuddel behaupten, dass das gar nicht stimmt, was ich gehört habe. Dann, sorry, dann lernt man überhaupt nichts in diesem Buch.

Hier kommt das absolute Spezialwissen. Doktor Duden, halt die Druckpresse an. Ab jetzt wird die Geschichte von Rock ’n’ Roll in Deutschland neu geschrieben. Halten Sie sich fest am Geländer Ihrer geistigen Gesundheit.

Achtung:

Bei dem Song Musterbeispiel von der Platte Ein kleines bisschen Horrorschau ist bei Minute 3 und 24 Sekunden ein Bläsersatz zu hören. Er taucht nur ein einziges Mal auf, obwohl es danach auch noch reichlich Gelegenheit dazu gegeben hätte. Das war es auch schon mit meinem Fachwissen. Ich weiß, ich kann Ihren Applaus des gigantischen Erkenntnisgewinns bis hierher hören. »Da nich für!«, möchte ich ausrufen. Es ist eine Ehre, für Sie zu schreiben.

 

Mit der Platte Ein kleines bisschen Horrorschau verbindet mich eine ganz besondere Geschichte. Ich erinnere mich, dass ich Musik so doll liebte, dass ich sogar beim Rasenmähen mit einem alten Benzinrasenmäher Metallica durch einen alten Sony Walkman hörte. Besonders stolz war ich auf meine Kopfhörer. Das war nämlich ein um den Kopf gebogener Metallstreifen mit im 90-Grad-Winkel abstehenden Kopfhörerlautsprecherkapseln, die direkt in den Ohrkanal drängten. 130 Dezibel Rasenmäher versus 132 Dezibel Damage Inc. von Metallica. Mein Vater wurde dadurch in seiner Meinung bestärkt, dass Heavy Metal der größte Schwachsinn ist. Mir war das natürlich egal. Einige meiner Freunde trugen ihre Diagnose Hörsturz (hier ein liebender Gruß an die Madsen-Vorgänger-Band Hoerstuatz) wie Orden des Rocks mit sich herum.

In dieser Zeit des Rasenmähens veröffentlichten Die Toten Hosen ihre Platte Ein kleines bisschen Horrorschau. Ich lieh sie mir von einem Freund aus, der sie monatelang jeden Tag auf dem Schulhof zurückforderte. Ich ignorierte seinen Wunsch erfolgreich.

 

Musik hören bedeutete damals, sein Konfirmationsgeld zu nehmen, zum örtlichen Hi-fi-Dealer zu gehen und sich zu entscheiden, ob man »auf CD umsteigt« oder »doch beim Plattenspieler bleibt. CD setzt sich eh nicht durch!«. Ich entschied mich für Schallplatten. Heute wirke ich dadurch wie ein Gewinner, aber damals war ich einfach nur zu blöd, um mir den Erfolg der CD vorzustellen. Außerdem kosteten Platten 20 Mark und CDs 30 Mark. Und »billiger« ist eine starke Religion in meiner Familie. Vor zehn Jahren fragte mich eine Freundin, ob es eine gute Idee sei, den Job zu kündigen, um in einer App-Firma anzufangen. »App? Das setzt sich eh nicht durch!«, war meine Antwort. Sie sehen, wenn es um die großen Lebensfragen geht, bin ich ein guter Ratgeber. Was technische Neuerungen angeht, fragen Sie lieber einen Stein.

Man kaufte sich also vom Konfirmationsgeld einen Plattenspieler, einen Receiver, das ist ein Verstärker mit einem eingebauten Radio, und ein Tapedeck mit Dolby-C-Knopf und Loudness-Taste, dann baute man den ganzen Kram in seinem Jugendzimmer auf, was sich von einem Kinderzimmer nur darin unterschied, dass die Tierposter aus der Medizini durch Iron-Maiden-Poster ersetzt wurden und es unangenehmer roch. Dann suchte man einen Schlüssel, um das Jugendzimmer abzuschließen, drehte die Musik auf, tauchte ab in ein Meer aus Krach und wartete darauf, dass die Eltern an die Tür trommelten, um zu verdeutlichen, dass man die Musik leiser stellen sollte. Wunderbare Kriege waren das.

Ich hatte mir also die Platte Ein kleines bisschen Horrorschau ausgeliehen und hörte sie über Monate. Meiner Geilheit auf das Album vorausgegangen war ein Bericht über das Theaterstück »A Clockwork Orange«, das am Theater in Bad Godesberg aufgeführt wurde, in dem Die Toten Hosen musizierten und auftraten. Punks im Theater. Das fand ich gut und den Film »A Clockwork Orange« von Stanley Kubrick hatte ich schon längst und viel zu früh gesehen und war begeistert.

Jan, Michael und ich hatten, nachdem wir den Film gesehen hatten, sofort eine Jugendgang gegründet. Wir nannten uns »Kings of Violence« und unsere Hauptaufgabe war es, marodierend nachts durch die Dörfer Lamstedt und Hechthausen zu ziehen und Horrorfilme zu schauen, von denen wir damals schon ahnten, wie schlecht sie waren.

 

Die Kings of Violence lösten sich unausgesprochen auf, als der Erste eine Freundin hatte. Und das war nicht ich. Aber immer weiter lief in meinem Jugendzimmer Ein kleines bisschen Horroschau. Meine Eltern waren genervt wegen mir, ich war genervt wegen allem und es ging auf Weihnachten zu.

Man muss dazu wissen, dass ich eine relativ diffizile Beziehung zu Geschenken habe. Ich mag Geschenke eigentlich nicht so gerne. Ich schenke gerne. En masse. Übertrieben. Und ich kann gut verpacken. Ich kann mit Nagelscheren so kleine Löckchen in farbiges Geschenkband machen, als würden Engel eine Disco auf meinen Geschenken feiern. Das hat mir meine Tante Karin beigebracht. Sie wollen das vielleicht nicht wissen, aber ich will das erzählen. So ist das bei der Kunst.

Ich kann, wie gesagt, jetzt schon wahnsinnig gut Geschenke verpacken, aber mein Traum ist es, vor Weihnachten ein Praktikum in einer Douglas-Parfümerie zu machen, um zu lernen, wie man es richtig hinkriegt. Außerdem sehen die Verkäufer da so elegant aus und riechen so gut. Aber Geschenke bekommen, das ist nicht so meins. Es ist mir unangenehm, dass Menschen sich Gedanken machen, was mir gefallen könnte. Vor allen Dingen, weil sie meistens richtigliegen. Denn ich habe fantastische Freunde, die mir fantastische Geschenke machen. Und dann schäme ich mich und finde das unevangelisch, dass sich Menschen über mich so viele Gedanken machen.

 

Und dann war Weihnachten. Wie immer schenkte ich meinem Bruder ein Doppelpack der Kassetten der Marke Chrome Maxima II von BASF, und er schenkte mir das Gleiche zurück. Meine Mutter bekam selbst gemachten Schrott, den sie bei ihren Freundinnen mit »Er hat es aber versucht!« beschrieb. Mein Vater bekam ein Buch. Wir Uhlmanns wickeln zu Weihnachten übrigens gerne aus ökologischen Gründen Geschenke in Zeitungspapier ein.

Da ich damals in der Pubertät und verwirrt und anpolitisiert war, wickelte ich meine Geschenke gerne in die Seiten der Zeitung ein, auf denen Bilder von Kriegen, verhungernden Kindern oder Umweltkatastrophen zu sehen waren. Das hob nicht gerade die weihnachtliche Stimmung, und genau so war es ja auch geplant, und ich kann mich noch erinnern, dass meine Mutter einmal sagte: »Kann es nicht einfach mal schön sein bei uns?« Und ich weiß noch, dass ich schnallte, dass sie das ernst meinte, und dass sie recht hatte, und dass es mir dann schrecklich peinlich war für immer. Seitdem glaube ich, dass man Nazis eher mit einem wundervollen Gedicht aufhält und nicht mit einem politischen Lied.

 

An diesem Weihnachten nach dem Sommer des Rasenmähens und der Ein kleines bisschen Horrorschau-Platte schenkte meine Mutter uns allen ein Ticket für das Neujahrskonzert in Hamburg in der Laeizhalle. Ich rieb mir verwundert die Ohren. Meine Eltern waren sehr wohl Anhänger der Subkultur Bildungsbürgertum, aber ihren Kindern Karten für ein klassisches Konzert zu schenken, das führte doch ein wenig weit.

»Wieso?«, fragten wir sie. Und sie sagte: »Die spielen da immer die 9. Symphonie von Beethoven!« »Ja und?« »Das kommt doch die ganze Zeit aus Thees’ Zimmer, und da dachte ich, das hören wir uns mal gemeinsam im Original an.«

Vielen Dank, Tote Hosen. Echt, vielen Dank!

Um Himmels willen. Die kleinen Versatzstücke der 9. Symphonie auf der Ein kleines bisschen Horrorschau waren also genug, um uns einen quälenden Familientag in Hamburg zu schenken, mit dem krönenden Abschluss: das klassische Konzert. Vielleicht hatte meine Mutter aber auch einfach damals schon Humor und hat ihren Freundinnen nach Weihnachten erzählt: »Denen hab ich gut gegeben.«

Aus dem Besuch des Neujahrskonzerts in der Laeizhalle sollte eine jahrelange Tradition werden.

In den ersten Jahren trank ich noch nicht so viel, da waren die Konzerte einfach nur verstörend und langweilig. Voraus gingen tagelange Schlachten – und wir reden hier von richtigen, zähen, wütenden Schlachten über Tage – um die Frage »Was zieht man an?«. Ich war der Überzeugung, dass eine total zerfetzte Jeans, ein Kapuzenpullover und rosa Chucks, die aussahen, als ob die vierte russische Panzerdivision darübergefahren sei, genau das richtige Outfit waren, um in der großen Stadt ein klassisches Konzert zu besuchen. »So was wollen die da sehen«, dachte ich. »Und wenn nicht, dann weiß man wenigstens, dass ICH recht hab und DIE Spießer sind!« Mein Gott, was man früher die ganze Zeit für einen prätentiösen Mist gemacht...

Erscheint lt. Verlag 10.10.2019
Reihe/Serie KiWi Musikbibliothek
KiWi Musikbibliothek
KiWi Musikbibliothek
Zusatzinfo 2-farbig
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Schlagworte Autobiografisch • Bis zum bitteren Ende • Campino • der Tod und ich • Lieblingsband • Musik • Musikbibliothek • Musikreihe • Punk • Sophia • Sophia, der Tod und ich • Weil du nur einmal lebst
ISBN-10 3-462-32055-6 / 3462320556
ISBN-13 978-3-462-32055-8 / 9783462320558
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