Neptunation (eBook)

Oder Naturgesetze, Alter! Roman

(Autor)

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2019 | 1. Auflage
688 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490674-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Neptunation -  Dietmar Dath
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Dietmar Dath, mehrfach preisgekrönter Autor von »Die Abschaffung der Arten« und »Venus siegt«, erzählt eine gewaltige intellektuelle Space Opera auf der Erde und in den Weiten des Alls und enthüllt den Schlüssel zum letzten Weltgeheimnis! Kurz vor dem Ende des Kalten Kriegs entsenden die Sowjetunion und die untergehende DDR ein Himmelfahrtskommando ins All. Die Mission scheitert, schickt aber ein Signal zurück, angeblich vom Neptun: Hilferuf, Warnung, etwas anderes? Mehr als dreißig Jahre später bricht ein deutsch-chinesisches Rettungsunternehmen auf, um herauszufinden, ob es in unserer kosmischen Nachbarschaft wirklich nur menschliche Technik gibt, ob Menschen die Wahrheit überhaupt aushalten ... und was Politik mit Schwerkraft zu tun hat. »Der einzige relevante SF-Schriftsteller der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.« Lars Weisbrod, DIE ZEIT

Dietmar Dath, geboren 1970, ist Schriftsteller, Übersetzer, Musiker und Publizist. Sein Roman »Die Abschaffung der Arten« stand 2008 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis und wurde 2009 mit dem Kurd Laßwitz Preis ausgezeichnet, desgleichen 2013 sein Roman »Pulsarnacht«. 2015 erschien bei FISCHER Tor eine erweiterte Neuausgabe des Romans »Venus siegt«.

Dietmar Dath, geboren 1970, ist Schriftsteller, Übersetzer, Musiker und Publizist. Sein Roman »Die Abschaffung der Arten« stand 2008 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis und wurde 2009 mit dem Kurd Laßwitz Preis ausgezeichnet, desgleichen 2013 sein Roman »Pulsarnacht«. 2015 erschien bei FISCHER Tor eine erweiterte Neuausgabe des Romans »Venus siegt«.

großartig und spannend in Szene gesetzte[...] fantastische[...] Kulisse

Dietmar Dath setzt den Kalten Krieg mit einer genialen Idee im Weltraum fort.

[...] eine unglaublich kluge, spannende, manchmal auch schockierende Erzählung von einer Reise ins Unbekannte - der Roman ist selbst diese Expedition.

Literarisch anspruchsvoll und durchaus keine Lektüre für zwischendurch.

so abgefahren, detailliert und kenntnisreich diese Wissenschaftsfiktion ist, Dath schreibt explizit politische Literatur

Pflichtlektüre für diejenigen, die Hard-Science-Fiction begeistert, aber auch für all jene, die mit Interesse die deutsche Gegenwartsliteratur verfolgen.

Das fordert, aber belohnt auch. Ein Dath eben.

Daths spekulative Prosa ist einzigartig, im besten Sinn augenöffnend

Die intelligenteste und die einsichtsträchtigste Science Fiction in deutscher Sprache schreibt meiner Überzeugung nach Dietmar Dath. So auch in seinem aktuellen Roman ›Neptunation‹.

Man wird das, was Dath in seinem Roman ersinnt, errechnet und entwirft, sonst nirgendwo in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur lesen können.

3 | Messermonster (2015)


Meinhard Budde regt sich auf, er schimpft ins kleine Knopfmikrophon vor seinem Helmkinnband: »Wo seid ihr denn, ihr Arschlöcher? Ich hör nur noch den Hund.« Knistern, dann Lachen im Ohrempfänger: »Es heißt Anschleichen, nicht Antrampeln. Wenn dir das zu nervig ist, wärste vielleicht besser in Deutschland geblieben.«

Budde ächzt, dann erwidert er im Weiterstapfen, während der Hund vor ihm an der Leine zerrt: »Wennste mich fragst, die ganze Bundeswehr hätte daheimbleiben sollen. Ich weiß, wir sind nicht die Bundeswehr. Aber wir sind auch nicht genau was anderes. Wir sind ein Teil der Bundeswehr, den es nicht gibt. Was wollen wir in diesem Scheißland? Das Grundgesetz verteidigen? Die ham doch gar keine Vorstellung, da in Berlin, wie’s hier zugeht. Schicken uns diese Tussi, und die sagt, hoppla, da ist was vom Himmel runtergefallen, geht das mal suchen, hinter den feindlichen Linien natürlich, im ähm … Gebiet der Aufständischen. Nö, ich sag euch nicht, wie ich heiße, geht euch auch nichts an, für wen ihr im finsteren Wald mitten in der Nacht das Stöckchen holen geht. Die in Berlin wissen wahrscheinlich nicht mal, dass es hier überhaupt Wälder gibt. Die denken, das ist alles Wüste hier oder Steppe, wie beim Karl May …«

»Du hörst dich auch gern quatschen, Budde, was?«, schaltet sich ungehalten der Leutnant vom Spähsitz ins Gespräch ein.

»Entschuldigung, ne …«, murmelt der Hundeführer, dessen schönes Tier, ein kräftiger Schäferhund namens Ronny, der Einzige aus dem ganzen Diensthundezug ist, den man dem Bataillon für diesen Einsatz zugestanden hat.

Kosnitz lässt die Entschuldigung nicht gelten: »Dein Geplapper wird protokolliert. Was glaubst du, was die Einsatzleitung mir erzählt, wenn ich jeden Arsch von ›Aufständischen‹ quasseln lasse?«

Buddes Lippen ziehen sich zum Strich zusammen, während er denkt: Das isses also, was diese Hampelmänner interessiert, politisch korrekte Sprachregelungen. Wenn ich, wie vorgeschrieben, »irreguläre Kräfte« gesagt hätte statt »Aufständische«, gäb’s kein Problem.

Budde nickt dem Kameraden Storz stumm zu, der mit vorgehaltenem Gewehr auf die kleine Lichtung tritt, dicht gefolgt von Lepsch und Wilke.

Ursprünglich war die Einheit als Ergänzung technischer Aufklärung aus der Luft gedacht. Sobald die Dislozierung großer Truppenkörper beobachtet wurde, sollten die »Schleicher« und »Schlangen« am Boden die Logistik des Feindes auskundschaften, inklusive Klärung und Ortung von Fernmeldeanlagen, Depots, Hauptquartieren, Funkstellungen und Nachschubwegen. Aber die Irregulären sind hier so irregulär, dass man die Aufgaben keiner Einheit am Lehrbuch entlang durchplanen kann.

Budde vermutet, dass eine weitere, ebenfalls irreguläre Partei sich in dieses von Stammesfehden, Drogenbandenkrieg und politischem Widerstand gegen die Regierung verwüstete Gebiet drängen will und dass das »Päckchen« (Kosnitz), das hier runtergefallen ist, etwas damit zu tun hat.

Den Regierungstruppen, mit denen wir verbündet sind, denkt Budde, kann man den Job nicht überlassen, das Päckchen zu finden. Sie werden noch in zwanzig Jahren nicht in der Lage sein, ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln, wenn die Erfahrungen, die Budde im Feld und bei der Ausbildung im Hinterland mit ihnen gemacht hat, einigermaßen verlässliche Indikatoren sind. Den Leuten fehlt Motivation (na ja, überlegt Budde, motiviert wäre ich an ihrer Stelle wohl auch nicht), sie sind physisch alles andere als fit und besitzen keinerlei Vorkenntnisse in irgendwas. Budde selbst hat erlebt, dass einige sogar die Batterien aus ihren Nachtsichtgeräten rausgenommen haben, um daran zu lutschen, weil sie denken, dass ihnen das Kraft und Ausdauer verleiht.

Was macht man mit solchen Leuten? Sie sind nicht böse, sie sind nicht dumm, aber woher sollen sie wissen, wie die Gegenwart funktioniert, die ihnen immer nur Bomben und Besatzer geschickt hat? Wenn man denen das Batterielutschen verbietet, ohne Erklärung, denn für Physikunterricht ist keine Zeit, dann machen sie’s halt heimlich.

Befehl und Gehorsam: Diese bescheuerte Mission hier, Ostereier aus dem All suchen, wird von einer unbegreiflichen Frau aus Berlin befehligt, geheime Scheiße, und das Härteste ist, wir machen für diese Bürokratin, die letzte Woche via Indien hier eingeflogen wurde, die Laufburschen, ohne dass wir irgendwas über sie wüssten.

Budde hat sie bislang nicht mal gesehen.

Storz, der mit Kosnitz bei der Lagebesprechung und Befehlszuteilung war, hat erzählt, er habe noch nie eine so arrogante Zivilistin derart nah am Feld erlebt. Kosnitz soll nachgefragt haben, wie er sie eigentlich anreden solle. Auf diese Nachfrage – das ist so schlimm wie lustig, Storz hat sehr gelacht beim Erzählen – soll sie gesagt haben: »Nennen Sie mich Miss Berlin, Ella Guru oder Debra Kadabra. Hauptsache, Sie hören mir zu, wenn ich Ihnen sage, was Ihre Leute zu tun haben.«

Budde schmunzelt, als er sich daran erinnert. Da schlägt der Hund an.

Buddes Hand legt sich aufs Holster an der rechten Hüfte, weil etwas in der Art, wie das Tier die Ohren aufstellt, die Schultern senkt und die Beine durchdrückt, anders ist als sonst.

Mündungsfeuer flammt aus Wilkes Gewehr. Storz schreit.

Wilke hebt die Waffe auf Schulterhöhe. Budde hat nichts kommen sehen, nichts gehört. Als vor ihm etwas Großes, Kantiges und Tiefschwarzes in die Höhe schießt wie ein Grabstein mit Armen, hat er die Waffe freigefummelt und schießt.

Zu spät, zu ungenau: Ein weiches Geschoss, größer und langsamer als eine Kugel, trifft ihn am Kopf, halb frontal, halb seitlich. Er erkennt gerade noch, dass sein Nachtsichtgerät an der rechten oberen Gesichtsfeldseite einen Sprung bekommen hat; schon trifft ihn ein dumpfer, ungeheuer kraftvoller Schlag auf der Brust. Der Stoß wirft ihn rücklings zu Boden. Budde rollt ab. Über ihm klirrt es, dann knattert etwas wie Segeltuch, nah am Ohr, so dass Budde instinktiv den Kopf senkt und die Wange in den Dreck drückt. Mehr Schüsse, laut und schnell. Der Sprechbügel ist zerbrochen. Budde kann nicht um Hilfe rufen.

Jetzt lärmen die Schüsse so, dass er auch nicht mehr hört, was Kosnitz kreischt.

Budde schließt die Augen. Er weiß, dass das idiotisch ist. Er versucht, sich zu konzentrieren und herauszufinden, was er tun soll.

Die Waffe.

Er öffnet die Augen wieder und will sich gerade auf den Rücken drehen, um sich wie ein Klappmesser aufzurichten und den Kameraden beizustehen, da bohrt sich von hinten etwas in seine Schulter und spießt ihn am Boden auf. Er schreit vor Schmerz. Der Spieß ist stahlhart und eiskalt. Buddes Finger öffnen sich, er lässt die Waffe los. Entsetzt spürt er, wie etwas sich seinen Helm greift, eine Klaue, Klammer, daran zerrt, zieht, ruckt, so dass sein Kopf malmend hin und her geschoben wird. Er schmeckt heiße Tränen. Dann macht es »zssp«, weil ein scharfes Instrument seinen Kinngurt durchtrennt. Der Helm wird ihm vom Kopf gerissen. Ein Tritt. Die Waffe fliegt ins Unterholz. Budde rechnet damit, dass er jetzt erschossen oder mit einer Klinge in den Kopf erstochen wird. Stattdessen wird das Metall, das ihn am Boden fixiert, so schnell und brutal aus seinem Leib gezogen, wie es hineingestoßen wurde. Das Schwere, das Kantige mit den vielen Armen entfernt sich. Es stapft, es stampft.

Das muss ein gigantisches Gewicht haben, ist aber offenbar sehr beweglich: Fünf Sekunden später hört Budde das Ritsch-Ratsch-Ritsch-Ratsch, mit dem es sich regt, und das klingt wie ein Auf- und Zuklappen riesiger Scheren, gar nicht mehr.

Schüsse und Schreie sind verstummt. Ächzend dreht sich der Soldat auf die Seite mit der intakten Schulter und versucht, sich aufzurichten. Dabei blickt er nach rechts und sieht Fleisch. Ist das der Hund? Ist das ein Kadaver? Nein, nur ein Stück davon, erkennt er blinzelnd im schwachen Sternenlicht. Was da liegt, glänzt wie eine mit dem Messer sauber aufgeschnittene Blutorange. Es ist der hintere Teil des Hundes.

Budde steht auf, seltsam ruhig, als sei er gar nicht mehr in Gefahr, sondern eben gestorben, und müsse nur noch den Ausgang ins Jenseits suchen. Er geht auf der kleinen Lichtung herum und schaut sich an, was das Scherending zurückgelassen hat. Storz liegt da, die Arme sind weg, links und rechts vom Rumpf schimmern große schwarze Lachen. Das Gewehr liegt daneben. Von Lepsch findet Budde nur Teile, die er nicht genauer betrachten will. Wo ist Wilke? Er entdeckt ihn an einem abgebrochenen Baum, der Stamm ist nur noch so hoch wie ein Mann, und der Mann hängt daran, festgenagelt mit langen, schwarzen Bolzen.

Budde geht näher ran und wundert sich dabei, dass er das alles so gut sieht. Der Soldat inspiziert die Bolzen – wenn die Spitzen, die wohl aus Wilkes Brust und Bauch ausgetreten sind und sich dann in den Baum gebohrt haben, nicht sehr viel länger sind als nötig, um die Fixierung so stabil zu halten, wie sie aussieht, dann sind diese Bolzen etwa drei Handbreit lang, denkt Budde und will gerade Wilkes Helm untersuchen, ob die Funkvorrichtung noch intakt ist, mit der er vielleicht Hilfe anfordern kann, da hört er das Geräusch von vorhin wieder, leise noch, aber rasch lauter werdend, im Näherkommen: Ritsch-Ratsch-Ritsch-Ratsch, Scheren, auf denen ein Ding geht, das seine drei Kameraden und seinen Hund in wenigen Sekunden niedergemacht hat.

Die Schulterverletzung schmerzt ihn und brennt. Er könnte davonlaufen.

Aber die Geschwindigkeit, mit der die andern und das Tier gestorben sind, legt nahe, dass das sinnlos wäre. Anstatt nachzudenken, was er tun soll, geht Budde in die Knie und lässt sich...

Erscheint lt. Verlag 25.9.2019
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Cordula Späth • Cyborgs • Der Schnitt durch die Sonne • deutsche SF • ernsthafte Science Fiction • Experiment • Günther-Anders-Preis • Harte SF • Kurd-Laßwitz-Preis • Lessing-Preis • politische SF • Raumflug • Science Fiction • Sonnensystem • Sozialismus • Sozialkritische SF • Space Opera • Technik • Venus siegt • Weltall • Weltraum • Zukunftsroman
ISBN-10 3-10-490674-2 / 3104906742
ISBN-13 978-3-10-490674-4 / 9783104906744
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