Schicksalhafte Zeiten (eBook)

Roman
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2020 | 2. Auflage
400 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1880-3 (ISBN)

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Schicksalhafte Zeiten - Linda Winterberg
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Drei junge Frauen kämpfen für die Freiheit.

Berlin, 1942: Der Krieg hinterlässt Spuren in der Stadt. Während Edith ihr Glück fernab der Heimat sucht, arbeitet Luise als Hebamme in der Frauenklinik Neukölln. Als sie erfährt, was mit den Neugeborenen der Zwangsarbeiterinnen geschieht, nimmt sie all ihren Mut zusammen und versucht, sie zu retten. Margot hat eine Stelle im Frauengefängnis angenommen. Als eine junge Schwangere vor ihr steht, die im Widerstand kämpfte und zum Tode verurteilt wurde, weiß Margot, dass sie alles versuchen muss, um sie zu retten. Auch wenn sie sich dabei in Lebensgefahr begibt.

Die große Hebammen-Saga: historisch fundiert, atmosphärisch und voller liebenswerter Figuren.



Hinter Linda Winterberg verbirgt sich Nicole Steyer, eine erfolgreiche Autorin historischer Romane. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern im Taunus. Im Aufbau Taschenbuch und bei Rütten & Loening liegen von ihr die Romane »Das Haus der verlorenen Kinder«, »Solange die Hoffnung uns gehört«, »Unsere Tage am Ende des Sees«, »Die verlorene Schwester«, »Für immer Weihnachten«, »Die Kinder des Nordlichts« sowie die ersten beiden Teile der großen Hebammen-Saga »Aufbruch in ein neues Leben« und »Jahre der Veränderung« vor.

— 1 —


BERLIN, JULI 1942

Luise legte das Baby auf die Waage und schob die Gewichte von links nach rechts. Ihr Blick fiel auf die Wiegekarte, und ihre Miene wurde ernst.

»Ihre Tochter hat abgenommen, Frau Walbach«, sagte sie zu der neben ihr stehenden Mutter, einer blonden Frau Mitte zwanzig. »Das ist gar nicht gut.«

»Sie will eben nicht anständig trinken«, rechtfertigte sich Frau Walbach. »Immer wenn ich sie anlege, nuckelt sie nur ein wenig und hört dann auf. In meinem Erziehungsratgeber steht, dass das Stillen nicht länger als zwanzig Minuten dauern darf. Ich lass sie ja auch schreien, bis sie wohl richtig Hunger hat. Aber immer ist es dasselbe.«

Luise schmerzten die Ausführungen der Frau. Sie schreien zu lassen, war in ihren Augen kein Weg, mit Säuglingen umzugehen. Die kleine Margarete auf der Waage war zwei Monate alt. Margot hatte sie bei einer Hausgeburt auf die Welt geholt. Immerhin etwas. Margot verabscheute die neuerdings häufig angewandte Praxis, die Kinder nach der Geburt aus dem Raum zu bringen und sie erst am nächsten Tag ihren Müttern zum Stillen zu reichen, ebenso wie Luise. Bei Hausgeburten war es möglich, sie zu umgehen, in der Klinik wurde diese Regelung inzwischen von vielen Hebammen eingehalten. Deshalb war es Luise zur Gewohnheit geworden, öfter in das Säuglingszimmer zu gehen, um nach den Kleinen zu sehen, das eine oder andere Baby im Arm zu halten, mit ihm zu reden und es zu streicheln. Ein Neugeborenes brauchte in ihren Augen Zuwendung, Hautkontakt, keine Regeln oder festen Zeitpläne. Luise wusste, dass Ermahnungen ihrerseits gegenüber Frau Walbach nichts bringen würden. Trotzdem wagte sie einen Versuch.

»Manche Babys haben es gern, wenn sie etwas auf dem Arm gehalten werden«, sagte sie. »Das Stillen ist ein recht vertraulicher Vorgang zwischen Mutter und Kind. Vielleicht hilft es, sie dabei zu streicheln, ihr in die Augen zu sehen und sie mit liebevollen Worten zu ermuntern.«

»Aber dann verzärtle ich sie ja«, sagte die Frau. Entrüstung lag in ihrer Stimme. »Am Ende tanzt mir das Balg dann auf der Nase herum. Sie sind ja eine feine Hebamme, wenn Sie einen solchen Unsinn empfehlen.«

Luise schluckt ihre aufsteigende Wut und die bissige Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag, hinunter. Wieder einmal verfluchte sie die Ärztin Johanna Haarer, die den abscheulichen Erziehungsratgeber geschrieben hatte, an den sich Hedwig Walbach und so viele andere Frauen in Erziehungsdingen seit einigen Jahren hielten. Margot hatte es auf den Punkt gebracht, indem sie neulich dieses Werk als »die Pest« bezeichnet hatte.

»Also diesen Angriff auf Fräulein Mertens verbitte ich mir«, mischte sich plötzlich eine andere Frau in das Gespräch ein. Es war Bärbel Grabewitz, jedes einzelne ihrer Kinder hatte Luise auf die Welt geholt.

»Sie ist eine hervorragende und erfahrene Hebamme, die jedes meiner acht Kinder auf diese Welt geholt und mir stets mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat. Ohne sie hätte ich oftmals nicht gewusst, wie es weitergehen soll.«

»Ach wirklich«, sagte Frau Walbach. »Acht Kinder. Respekt. Dann tragen Sie ja bereits das goldene Mutterkreuz.«

»Sehr wohl trage ich das«, erwiderte Frau Grabewitz. »Bei meinen letzten beiden Kindern ist der Führer sogar Pate.« Stolz schwang in ihrer Stimme mit. »Hören Sie mal lieber auf das Fräulein Mertens. Und glauben Sie nicht alles, was in diesen Ratgebern steht. Mein Peterchen, mein Erstgeborener, hat auch länger gebraucht, um sich an die Brust zu gewöhnen. Manchmal hab ich mit ihm zwei Stunden auf dem Sofa gesessen. Und dann plötzlich trank er ganz flott. Und heute ist er schon vierzehn Jahre alt und Mitglied der Hitlerjugend. Seine Uniform ist immer fein gebügelt. Wir wollen dem Führer schließlich Ehre machen.«

»Oh, das wollen wir auch«, sagte Frau Walbach. »Ich arbeite in einer der Rüstungsfabriken als Sekretärin, die Kleine kann ich währenddessen in einer Heimstätte unterbringen. Ganz recht ist mir das nicht, denn dort sind in der Küche neuerdings auch Ostarbeiterinnen tätig. Ich möchte ungern, dass meine Margarete Kontakt zu einer Polin oder Russin hat. Man weiß ja nie, was in den Lagern grassiert, in denen sie untergebracht sind. Ich hätte ja gern weitere Kinder, aber mein Erwin ist im Osten an der Front.«

»Ich unterbreche die Damen nur ungern«, mischte sich Luise in das Gespräch ein. »Aber es warten noch weitere Mütter mit ihren Kindern, und die heutige Sprechstunde neigt sich bereits dem Ende zu. Vielleicht kann Ihnen Frau Grabewitz als erfahrene Mutter noch einige hilfreiche Ratschläge mit auf den Weg geben.« Luise schenkte Bärbel Grabewitz ein Lächeln und reichte Hedwig Walbach die kleine Margarete mit den Worten: »Es wäre gut, wenn Sie in ein paar Tagen zu einer erneuten Gewichtskontrolle kommen würden. Sollte die Kleine dann erneut abgenommen haben, müsste mit dem Fläschchen zugefüttert werden.«

»Um Himmels willen, alles nur das nicht«, antwortete Hedwig Walbach entsetzt. »Jede deutsche Mutter hat zu stillen. Damit erfüllen wir unsere rassische Pflicht. Und Flaschenkinder sterben leichter.«

»Unterernährte Kinder sterben jedoch noch leichter«, antwortete Luise, bemüht darum, das Gerede von der rassischen Pflicht zu überhören. Sie sah auf ihre Armbanduhr. Wo ist nur die Zeit geblieben, dachte sie. In zwanzig Minuten musste sie einen Vortrag für die Hebammenschülerinnen in der Frauenklinik halten. Sie verabschiedete sich von den Damen.

Als sie wenig später im hellen Sonnenlicht auf der Weichselstraße stand, atmete sie tief durch. Der Kommentar mit den Ostarbeiterinnen hatte ihr zugesetzt. In der Klinik waren inzwischen einige von ihnen beschäftigt, und die Frauen waren stets höflich und zuvorkommend. Auch hatte Luise bereits die junge und äußerst liebenswerte Polin Irina von einem gesunden Jungen entbunden. Sie war verheiratet und lebte mit ihrem Mann in einem Zwangsarbeiterlager in der Berliner Straße. Er arbeitete in der Metallwarenfabrik Golliasch, die, wie die meisten Fabriken Berlins, zu einem Rüstungsbetrieb geworden war. Die Zahl der Ostarbeiterinnen in der Klinik könnte durch das Inkrafttreten des neuen Mutterschutzgesetztes noch zunehmen, das besagte, dass Frauen acht Wochen vor und nach der Geburt nicht beschäftigt werden durften. Es stand zu befürchten, dass die Hausschwangeren, die bisher aufgrund ihrer sozialen Not einige Wochen vor der Entbindung in der Klinik gearbeitet hatten, nun keinen Finger mehr krumm machen würden. Benno Ottow arbeitete bereits daran, das Gesetz zu umgehen. Jede Hausschwangere sollte bereits bei der Aufnahme schriftlich bestätigen, dass sie über die Nichtanwendbarkeit des Mutterschutzgesetztes informiert worden war.

Luises Blick wanderte auf die andere Straßenseite. Dort saß eine ältere Frau auf einem Balkon im ersten Stock und beäugte sie neugierig. Zwischen den in Balkonkästen blühenden Blumen waren Hakenkreuzfähnchen gesteckt. Luise kannte die linientreue Dame, die die Rolle des Blockwarts innehatte, nur vom Sehen. Ihr Name war Waltraud Schön. Sie und ihr Mann hatten lange ein Gemüsegeschäft in der Berliner Straße geleitet. Nach seinem Tod hatte sie den Laden noch eine Weile allein weitergeführt, dann jedoch aufgegeben. Kinder gab es keine, Personal fand sich keines. Bei dem alten Drachen, wie es Margot einmal ausgedrückt hatte, würde sie auch nicht arbeiten wollen. In den Laden der Schöns hätten sie sich schon als Kinder nicht hineingetraut. Luise lächelte Frau Schön zu und ging zu ihrem Fahrrad. Es stand vor einem Ladengeschäft, das früher einmal einer jüdischen Familie gehört hatte. Die Rosenbaums hatten Deutschland bereits kurz nach Hitlers Machtergreifung verlassen. Es war eine gute Entscheidung gewesen, wenn man sah, wie erbärmlich die Juden im Land inzwischen behandelt wurden. Mit dem Judenstern gekennzeichnet, wurden sie beschimpft, ausgegrenzt, enteignet, zur Zwangsarbeit genötigt, interniert und verschleppt. Wohin, das wusste niemand so genau. Luise betrachtete den Laden traurig. Heute war die Änderungsschneiderei von Heidrun Braubach darin untergebracht. Ihr Mann war im Krieg gefallen, sie musste ihre fünf Kinder allein großziehen. Das letzte war gerade mal acht Monate alt. Viel war von ihrem Mutterstolz nicht mehr übrig. Sie hatte mindestens das silberne Mutterkreuz erreichen wollen. Dazu würde es nun nicht mehr kommen. Immerhin war durch die Geburt ihres vierten Kindes, der kleinen Lotte, das vom Amt gegebene Ehestandsdarlehen zurückbezahlt, und sie stand nicht auch noch vor einem Berg von Schulden.

Luise schwang sich auf ihr Fahrrad, fuhr die Weichselstraße hinunter und bog in die Braunauer Straße ab. Wieder eine Veränderung, dachte sie, als sie an einem der Straßenschilder vorüberfuhr. Die Umbenennung der Straße nach dem Geburtsort des Führers. Bisher hatte sie sich noch nicht daran gewöhnt. Die letzten Jahre lasteten schwer auf ihr. Am meisten jedoch schmerzte noch immer, dass Edith weggegangen war. Sie hatten so sehr darauf gehofft, dass der Spuk mit Hitler nur vorübergehend sein würde und sie und Jonas bald wieder nach Berlin zurückkehren könnten. Immerhin wusste Luise die beiden in der Schweiz in Sicherheit, wo sie in Zürich an einer Frauenklinik arbeiteten. Es bestand regelmäßiger Briefkontakt, doch sie mussten aufgrund der Zensur stets darauf bedacht sein, gesinnungskonform zu bleiben. Auch über den neuen Leiter der Klinik, Benno Ottow, durfte kein schlechtes Wort fallen, was besonders Margot schwerfiel. Sie arbeitete schon seit einigen Jahren nicht mehr in der Klinik, da ihr Ottows Überzeugungen widerstrebten. Inzwischen...

Erscheint lt. Verlag 18.8.2020
Reihe/Serie Die große Hebammen-Saga
Die große Hebammen-Saga
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Babylon Berlin • Berlin Neukölln • Emanzipation • Frauenfiguren • Geburt • Hebammen • Hebammenschule
ISBN-10 3-8412-1880-6 / 3841218806
ISBN-13 978-3-8412-1880-3 / 9783841218803
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