Jahre der Veränderung (eBook)

Die Hebammen-Saga
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2020 | 3. Auflage
400 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1742-4 (ISBN)

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Jahre der Veränderung - Linda Winterberg
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Drei junge Frauen folgen dem Ruf des Lebens.

Berlin 1929: Die drei Freundinnen haben ihren Weg gefunden: Edith arbeitet als Hebamme in der Klinik und in der Beratungsstelle für Frauen. Margots Leben steht Kopf, nachdem sie sich in einen verheirateten Mann verliebt hat, und Luise unterrichtet inzwischen Hebammen-Schülerinnen und stürzt sich ins Nachtleben der schillernden Metropole. Gleichzeitig zeigen sich die Spuren der Weltwirtschaftskrise nur zu deutlich in Berlin. Armut und Leid sind allgegenwärtig. Als Edith ein verlockendes Angebot bekommt, das ihr Leben verändern wird, ist die Freundschaft der drei Frauen auf eine harte Probe gestellt. Die große Hebammen-Saga: historisch fundiert, atmosphärisch und voller liebenswerter Figuren.



Hinter LINDA WINTERBERG verbirgt sich Nicole Steyer, eine erfolgreiche Autorin historischer Romane. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern im Taunus. Im Aufbau Taschenbuch und bei Rütten & Loening liegen von ihr die Romane »Das Haus der verlorenen Kinder«, »Solange die Hoffnung uns gehört«, »Unsere Tage am Ende des Sees«, »Die verlorene Schwester«, »Für immer Weihnachten«, »Die Kinder des Nordlichts« sowie der erste Teil der großen Hebammen-Saga »Aufbruch in ein neues Leben« vor.

— 1 —


BERLIN, 15. JULI 1929

Luise spürte, wie jemand an ihrer Schulter rüttelte, und eine ihr wohlbekannte Stimme drang in ihr Ohr. »Luise, aufwachen. Luise, jetzt mach schon. Du sollst in einer Stunde einen Vortrag im Hörsaal halten. Luise!« Das Rütteln wurde stärker, Edith ließ mal wieder nicht locker. Luise grummelte etwas Unverständliches. Am liebsten würde sie sich die Decke über den Kopf ziehen und weiterschlafen. Aber das ging nicht. Edith hatte recht, sie musste den vermaledeiten Vortrag über den Verlauf von Fehlgeburten halten. »Ich habe dir gleich gesagt, du sollst nicht zu Elfi ins Theater gehen«, sagte Edith und zog ihr die Decke weg. »Aber du wolltest ja nicht auf mich hören.«

»Du immer mit deiner Vernunft.« Luise setzte sich auf und blinzelte gegen das helle Sonnenlicht, das durch das Fenster in ihr Zimmer fiel. Sie trug nur ihre Unterwäsche, ihr kurz geschnittenes, braunes Haar war zerzaust.

»Siehst schlimm aus«, konstatierte Edith. »Da wirst du eine Menge Puder und Rouge brauchen.«

Luise zog eine Grimasse und setzte sich auf die Bettkante. Auf dem Fußboden verteilt lag ihre Kleidung vom gestrigen Abend. Das schmal geschnittene Paillettenkleid, ihre Strümpfe und die Absatzschuhe.

»Hat es sich wenigstens gelohnt?«, fragte Edith.

»Ging so«, antwortete Luise und streckte sich gähnend. »Hab schon bessere Revuen gesehen. Neulich in der Scala …«

»Du kannst Elfis kleines Theater doch nicht mit der Scala vergleichen«, fiel Edith ihr ins Wort.

»Auch wieder wahr.« Luise stand auf und blickte in den Spiegel des kleinen Toilettentischs, der gegenüber des Bettes stand. »Du liebe Güte. Ich sehe wie ein Gespenst aus. Und ehrlich gesagt, fühle ich mich auch wie eines.«

»Ach, das wird schon wieder. Bisschen Wasser ins Gesicht, eine Haarbürste und die übliche Kriegsbemalung, und alles ist schick«, erwiderte Edith grinsend. »Magda hat Kaffee gekocht, und es gibt Schrippen vom Bäcker an der Ecke.«

»Kaffee klingt gut«, erwiderte Luise. »Schrippen weniger.«

»Ich muss dann auch los«, sagte Edith und umarmte Luise kurz. Sie schnupperte ihren sanften Parfümgeruch. »Hab heute die Frühschicht in der Beratungsstelle, danach bin ich wie gewohnt in der Klinik. Wir sehen uns.«

»Bis später«, murmelte Luise und ließ ihren Blick durch den kleinen Raum schweifen. Es herrschte die gewohnte Unordnung. Die oberste Schublade der Kommode stand offen, ein Strumpf hing heraus. Über einem Stuhl hingen Röcke, Blusen und Kleider wild durcheinander, ihre Schwesterntracht lag obenauf. Gut, dass Magda Brückner, ihre Hauswirtin, dieses Durcheinander nicht sah. Sie war eine resolute Person, die Liederlichkeit nicht duldete. Magdas Tochter war vor einigen Jahren Patientin bei ihnen in der Klinik gewesen, und Magda hatte von dem Haus in der Weserstraße erzählt, das sie unverhofft geerbt hatte und in dem sie mehrere Zimmer vermieten wollte. Aber nur an anständige junge Damen. Schauspielerinnen oder andere Theatermädchen kämen ihr nicht ins Haus. So waren Margot, Edith und Luise bei ihr eingezogen. Jede von ihnen bewohnte ein voll möbliertes Zimmer mit hohen Decken und Stuck und kamen in den Genuss der Brückner’schen Fürsorge. Frühstück jeden Morgen ab sieben Uhr, Abendessen um sechs. Es gab ein Gemeinschaftsbad, in dem sogar eine Badewanne vorhanden war, und eine oberste Hausregel: kein Herrenbesuch. Aber daran dachte Luise sowieso nicht. Seit Günters Tod hatte sie keinen Mann mehr an sich rangelassen. Jedenfalls nicht in ihr Herz. Auch wenn sie das schlechte Gewissen plagte, auf körperliche Nähe konnte sie nicht verzichten. Sie musterte sich im Spiegel. Sah man ihr die Sünde an? Ihre Oma hatte mal gesagt, eine Schlampe würde sie auf den ersten Blick erkennen. Doch war man gleich eine Schlampe, nur weil man für wenige Stunden die Nähe eines Mannes suchte?

»Du würdest es hassen«, sagte Luise laut. »Und ich tue es auch. Ich hasse mich selbst dafür. Aber es lässt sich nicht ändern.«

Ihre Zimmertür öffnete sich, ohne dass angeklopft wurde, und Margot trat ein. Sie trug bereits ihre Schwesterntracht. Ihr ebenfalls kurz geschnittenes, braunes Haar war in Wellen gelegt. Ein Hauch ihres blumigen Parfüms stieg Luise in die Nase. »Morgen, Luise. Du bist ja noch gar nicht fertig. Noch zehn Minuten, dann räumt Magda den Frühstückstisch ab. Wenn du noch einen Kaffee bekommen willst, solltest du dich beeilen. Hast du Elfi die Grüße von mir ausgerichtet?«

Luise nickte. »Habe ich«, erwiderte sie. Doch Margot hörte ihre Worte nicht mehr. Sie hatte die Tür bereits wieder geschlossen. Margot hatte glücklich ausgesehen. Luise kannte den Grund dafür. Er war blond, eins achtzig groß, hatte schöne blaue Augen und arbeitete seit einigen Monaten in der septischen Abteilung. Allerdings war Georg verheiratet, was die Angelegenheit kompliziert machte. Margot beteuerte stets, dass er sich bald von seiner Frau scheiden lassen würde. Doch solche Geschichten hatte Luise zur Genüge gehört. Sie war sich sicher: Diese Scheidung würde es niemals geben. Aber ein Gutes hatte die Liebesbeziehung: Margot war sichtlich aufgeblüht. Im Gegensatz zu ihr, schien sie den Verlust von Richard, ihrer Jugendliebe, besser verarbeitet zu haben. Vielleicht lag das daran, dass Margot bereits mehrere Verluste erlitten hatte. Ihr Vater war im Krieg gefallen, ihre Mutter im Frühjahr 1919 an der Spanischen Grippe gestorben. Ihre Schwester Hilde hatte sich mit Syphilis angesteckt und sich vor fünf Jahren vor einen Zug geworfen. Luises Blick wanderte zu dem gerahmten Foto auf ihrer Kommode. Darauf war ihre Großmutter zu sehen, die vor ihrem Haus stand. Ihre Oma, aber auch ihr Zuhause in Ostpreußen fehlten ihr sehr. Besonders die Stille auf dem Land war es, die sie oftmals vermisste. Berlin schlief nie, es war stets trubelig und laut, selbst in den Nächten. Luise seufzte. Der Verlust von geliebten Menschen, von Heimat. Jeder ging anders damit um. »Du hättest jetzt gesagt: ›Hör mit der Grübelei auf. Bringt ja doch nichts‹«, sagte sie zum Foto. »Und du hast ja recht. Es geht immer irgendwie weiter.«

Ein lautes Klopfen an der Tür ließ sie zusammenzucken.

»Luise. Willst du jetzt noch Frühstück?«, rief Magda Brückner.

»Nein, heute nicht«, antwortete Luise.

»Auch recht«, antwortete ihre Hauswirtin. Ihre Schritte entfernten sich.

Nachdem sie sich gewaschen, frisiert und geschminkt hatte, schlüpfte sie rasch in ihre bequemen Schuhe, zog eine Strickjacke über und verließ ihre Kammer. An der geöffneten Küchentür blieb sie stehen. »Ich bin dann mal weg«, rief sie. »Einen schönen Tag wünsche ich.«

»Ebenso«, erwiderte Magda Brückner. »Darauf, dass heute viele gesunde Kinderchen geboren werden.«

Luise brachte der Satz zum Lächeln. Diesen sagte Magda Brückner jedes Mal, wenn sie und ihre Freundinnen das Haus verließen. Sie wusste, wie stolz ihre Hauswirtin darauf war, drei Hebammen bei sich zu beherbergen.

Luise musste sich sputen, sonst käme sie als Dozentin zu dem Vortrag zu spät, und das machte bei den Schülerinnen keinen guten Eindruck. Sie lief rasch in den Hinterhof und holte ihr Fahrrad aus einem Verschlag. Auf der Straße empfing sie der übliche städtische Trubel. In der Cannerstraße musste sie vom Fahrrad absteigen und es ein Stück schieben, denn hier wurde die Straße mit einer der neuartigen Straßenbaumaschinen saniert. Viele Passanten blieben stehen, um die Arbeiten zu beobachten. Ein findiger Verkäufer nutzte die Gunst der Stunde und hatte zwischen den Schaulustigen einen Klapptisch aufgebaut, an dem er Spielzeug zum Verkauf anbot. Am Ende der Baustelle stieg Luise wieder auf ihr Fahrrad und fädelte sich in den dichten Verkehr ein. Besonders als Fahrradfahrer galt es, auf der Hut zu sein. Nur wenige Autofahrer nahmen auf die Zweiräder Rücksicht, geschweige denn die Straßenbahnen. Da konnte man schnell unter die Räder kommen.

Endlich hatte sie das Klinikgelände erreicht. Die Brandenburgische Hebammenlehranstalt und Frauenklinik war eine große Anlage mit mehreren Gebäuden. Es gab das Verwaltungsgebäude, in dem sich die Schlafsäle für die Hebammenschülerinnen und der Speisesaal befanden. Auch eine Poliklinik war hier direkt neben dem Haupteingang untergebracht. Der mittlere und größte Bau der Anlage war das Entbindungshaus mit den Entbindungs- und Operationssälen sowie den Wöchnerinnen- und Säuglingszimmern. Hinzu kam noch das Wäschereigebäude mit dem Kesselhaus und das Direktorenwohnhaus, in dem Professor Hammerschlag mit seiner Familie wohnte. Das Entbindungshaus war in den letzten Jahren um einen Anbau erweitert worden, denn in den Nachkriegsjahren hatten die Fälle von ansteckenden Infektionskrankheiten und Fehlgeburten wegen Geschlechtskrankheiten rapide zugenommen. Es galt, zu verhindern, dass sich diese in den anderen Räumlichkeiten der Klinik ausbreiteten. So wurden infektiöse Patientinnen direkt von der Straße in das hufeisenförmige Gebäude dieser Abteilung gebracht. Der Hörsaal, in dem sie die Vorlesung halten sollte, befand sich im obersten Stockwerk und war in der Form eines Amphitheaters angelegt. Luise konnte sich noch gut daran erinnern, wie beeindruckend sie diesen Raum gefunden hatte, als sie ihn das erste Mal betreten hatte. Ganz Berlin und auch Neukölln waren damals für sie, das Landkind aus Ostpreußen, eine Herausforderung gewesen.

Auguste Marquard, die, obwohl sie bald siebzig Jahre alt war, immer noch als Oberhebamme arbeitete, war schon da. »Luise, meine...

Erscheint lt. Verlag 21.1.2020
Reihe/Serie Die große Hebammen-Saga
Die große Hebammen-Saga
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Baby • Berlin • Berlin Babylon • Call the midwife • Emanzipation • Frauen • Hebamme • Zwanziger Jahre
ISBN-10 3-8412-1742-7 / 3841217427
ISBN-13 978-3-8412-1742-4 / 9783841217424
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