Merkels Tochter (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2020
320 Seiten
Diana Verlag
978-3-641-25313-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Merkels Tochter - Petra Hammesfahr
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Merkel war Kriminalbeamter, als er den Liebhaber seiner Frau erschoss. Nach fünfzehn Jahren Haft wird er entlassen in eine Welt, auf die er nicht vorbereitet ist. Seiner Tochter Irene, die all die Jahre voller Liebe auf ihn gewartet hat, kann er nicht zeigen, was er für sie empfindet. Doch dann wird Irene ermordet, und Merkel hat seine eigenen Vorstellungen von Gerechtigkeit ...

Petra Hammesfahr wurde mit ihrem Longseller »Der stille Herr Genardy« einem großen Lesepublikum bekannt. Seitdem erobern ihre Spannungsromane die Bestsellerlisten, sie wurden mit Preisen ausgezeichnet und verfilmt. So ist die erfolgreiche Netflix-Serie »The Sinner« mit Bill Pullman in der Hauptrolle auf der Grundlage von »Die Sünderin« entstanden.

1

Auch nach achtzehn Jahren hatte Irene noch nicht eine Minute des Tages vergessen, an dem sie alles verlor, was damals ihr Leben ausmachte. Das Zuhause mit den netten Nachbarn, die Schule mit der geduldigen Lehrerin und den ersten Freundinnen, Onkel Kurt und Agnes, mit der sie fast mehr Zeit verbrachte als mit ihrer Mutter. Und den Mann, den sie nicht nur liebte, sie betete ihn an, ihren Papa.

Sie war acht Jahre alt, kam aus der Schule an dem Tag, und vor dem Haus standen Papas Kollegen. Einer hielt sie auf und sagte, sie könne jetzt nicht hinauf in die Wohnung, dann brüllte er nach Seifert. Kurt Seifert, der viel mehr war als Papas Kollege, er war sein bester Freund, eine Art Bruder, deshalb war er für Irene Onkel Kurt.

Kurt Seifert kam aus dem Haus, er war blass, sah sehr traurig aus und sorgte dafür, dass sich einer von Papas Kollegen mit Irene in einen Streifenwagen setzte und sie beschäftigte, bis seine Frau kam, um sie abzuholen. Und mit jeder Minute, die mit Warten auf Agnes Seifert verging, wuchs das Begreifen, dass etwas ganz Furchtbares geschehen sein musste.

Während Papas Kollege ihr zeigte, wo man das Blaulicht einschaltete, wo das Martinshorn und wie das Funkgerät bedient wurde, kamen Männer mit einer großen Kiste aus dem Haus und luden die Kiste in ein schwarzes Auto, dessen hintere Scheibe mit Zweigen bemalt war. Und in so einem Auto, das wusste Irene, weil ein paar Monate zuvor eine alte Frau aus der Nachbarschaft gestorben war, wurden Tote zum Friedhof gefahren.

Dann kam ihre Mutter ins Freie, zusammen mit zwei Männern, auch Kollegen von Papa. Irene kannte einen, weil er Papa schon einmal zu Hause abgeholt hatte, an einem Abend, an dem irgendwo anders etwas Furchtbares geschehen war. Ihre Mutter weinte und hatte Blut im Gesicht, sie wollte zu dem Auto mit den Zweigen auf der hinteren Scheibe. Die Männer hielten sie zurück und führten sie zu einem anderen Streifenwagen, der sofort abfuhr. Auch das schwarze Auto fuhr ab.

Und endlich fragte Irene: »Wo ist mein Papa?«

Und sein Kollege sagte: »In seinem Büro, glaube ich.«

Irene glaubte das nicht. Agnes Seifert kam und nahm sie mit. Und Agnes erklärte, was Irene längst wusste, dass etwas ganz Schreckliches passiert sei und Papa vielleicht nie wieder heimkäme. Vielleicht nie wieder, das klang, als gäbe es noch Hoffnung, dass er doch eines Tages wieder da sein könnte. Aber wer tot war, kam nicht wieder, das hatte Irene schließlich in der Nachbarschaft erlebt. Wer tot war, wurde auf den Friedhof gebracht, in ein Grab gelegt, und dann durfte man ihm nur noch Blumen und ein bisschen Erde hinterherwerfen.

Bei der alten Nachbarin hatten sie das so gemacht. Und ihre Mutter hatte gesagt, es werde nur der Körper begraben. Die Seele, eigentlich der Mensch selbst, weil ohne Seele sei niemand ein Mensch, lebe im Himmel weiter und habe es dort sehr schön. Es würde nie regnen im Himmel, weil er über den Wolken läge. Es gäbe jeden Tag Sonnenschein da oben, Musik und feines Essen.

Agnes machte ihr etwas Feines zu essen, Hackbällchen mit Champignons, die mochte Irene am liebsten, das war auch Papas Leibgericht. Aber an dem Tag hatte sie gar keinen Hunger. Sie saß noch vor ihrem Teller, als ihre Mutter kam, schob die Hackbällchen von einer Seite zur anderen, drapierte alle Champignons rundherum und fragte sich, ob Papa schon im Himmel gewesen war, als die Lehrerin sie für die richtigen Rechenaufgaben gelobt hatte, und ob er das durch die Wolken gesehen, ob er das Lob trotz der Musik gehört hatte.

Ihre Mutter nahm ihr den Teller weg. Sie weinte nicht mehr, hatte ihr Gesicht gewaschen und Lippenstift aufgetragen, setzte sich mit Agnes ins Wohnzimmer und befahl Irene, in der Küche zu bleiben und ihre Schularbeiten zu machen. Das tat sie auch, aber sie machte viele Fehler an dem Nachmittag. Wie hätte sie noch dreizehn mal acht ausrechnen können, während ihre Mutter im Wohnzimmer sagte: »Er hat einfach geschossen, kein Wort gesagt, nur abgedrückt, bis das Magazin leer war.«

Papa war tot. Niemand sprach es aus, aber Irene wusste es ganz genau und grübelte wochenlang, wer ihm bei seiner Beerdigung Blumen und ein bisschen Erde ins Grab geworfen hatte. Ihre Mutter, vermutete sie, Oma und Opa Seifert, Onkel Kurt und Agnes und alle seine Kollegen, nur sie nicht. Und oft fragte sie sich, ob er deshalb traurig war da oben im Himmel. Und ob er abends, wenn die Sonne unterging, fror. Er fror oft, eigentlich war ihm immer kalt gewesen. Ob er sich danach sehnte, dass Irene ihn wärmte und ihm einen Gutenachtkuss gab, weil er sonst nicht einschlafen konnte.

Sie konnte nur einschlafen, wenn sie ganz fest den Teddy in den Arm nahm, den Papa bei einer Tombola für sie gewonnen hatte. Es war ein großer Teddy mit hellblauem Fell und klugen Augen. Bis dahin hatte er keinen Namen gehabt, war nur Teddy gewesen. Nun nannte Irene ihn Heinrich, so hieß Papa, obwohl ihn alle immer nur Hein genannt hatten.

Abends im Bett erzählte sie Heinrich von den Merkwürdigkeiten, die sie nicht verstand. Dass sie nie auf den Friedhof gingen, nie Blumen auf Papas Grab legten. Heinrich konnte das genauso gut erklären, wie Papa es gekonnt hätte. »Das ist ja viel zu weit«, sagte er. »Wir sind doch umgezogen. Aber Onkel Kurt und Agnes bringen ihm sicher jeden Tag Blumen. Und Oma Seifert betet jeden Tag für ihn.« Irene konnte nämlich nicht selbst für ihn beten, das hatte ihr noch niemand beigebracht.

Heinrich wusste auch, warum Irene tagsüber nicht mehr von Papa sprechen durfte, ihre Mutter wollte kein Wort mehr über ihn hören. »Sie ist böse mit ihm«, sagte Heinrich. »Weil er sich hat totschießen lassen. Er hätte eben viel besser aufpassen müssen.«

Als sie die Wohnung ausräumten, stopfte ihre Mutter alle Fotos von Papa in einen Mülleimer. Zum Glück zerriss sie die Fotos vorher nicht. Irene, die nur mitdurfte, um ihre Spielsachen in einen Karton zu packen, fischte sie alle wieder aus dem Eimer, säuberte sie sorgfältig von verschimmelten Speiseresten und Zigarettenasche und versteckte sie gut. Es war sogar eins dabei, auf dem Papa noch ein kleiner Junge gewesen war. Hinten stand sein Name drauf und sein Geburtstag, das hatte seine Mutter geschrieben, ehe sie gestorben war. Damit alle Leute wussten, wer Papa war und wann man ihm etwas zum Geburtstag schenken musste. Agnes Seifert hatte ihr das einmal erzählt.

Und Irene besaß noch mehr Erinnerungen. Einen Nachmittag auf einem Volksfest, eine Fahrt auf dem Autoskooter. Papa neben ihr, so groß und stark, das kleine Fahrzeug lässig mit einer Hand durch das dichteste Gewühl steuernd, den freien Arm um ihre Schultern. Damit hielt er sie fest, damit sie bei den Rempeleien und den Stößen nicht nach vorne geschleudert wurde und sich am Ende die Lippen auf- oder die Zähne ausschlug.

Sechs Jahre alt war sie gewesen. Sie waren allein auf den Festplatz gegangen. Ihre Mutter hatte keine Lust zu einen Bummel zwischen Karussell und Buden mit Süßigkeiten gehabt, blieb lieber mit ihrer Schwester am Kaffeetisch sitzen und bat: »Geh du doch mal mit ihr, Hein.«

Er fuhr auch mit ihr auf der Geisterbahn, wo Irene überhaupt keine Angst hatte, weil er doch neben ihr saß. Und bevor sie zurückkehrten in die gemütliche Kaffeerunde, kaufte er ihr noch ein Stück Kokosnuss. Das war die intensivste Erinnerung, in der er nicht nur groß und stark war, sondern magische Kräfte besaß. Sie biss sich an der Nuss einen Zahn aus. Der Zahn war zwar vorher schon locker gewesen, es tat trotzdem sehr weh, blutete auch ein bisschen. Und dann saß sie neben ihm auf der Couch im Wohnzimmer von Tante Karola, presste ihr Gesicht ganz fest gegen sein Hemd, und allein von seiner Wärme ging der Schmerz weg, und es hörte auf zu bluten.

Daran dachte Irene oft, während der Zeit, in der sie bei Tante Karola wohnten. Ihre Mutter wollte um keinen Preis der Welt weiter in einer Wohnung leben, in der ein Mensch kaltblütig ermordet worden war. Das sagte sie einmal, ein Mensch. Sie sagte nicht: mein Mann oder Hein. Aber von ihm durfte ja gar nicht mehr gesprochen werden.

Ihre Mutter fand damals rasch einen neuen Mann. Schon nach wenigen Monaten bei Tante Karola zogen sie in das riesige Haus zu Friedel. Friedel war Anwalt, ein lieber Kerl, gutmütig und geduldig. Er hatte viele Bücher und viel Geld, und geizig war er überhaupt nicht. Ihrer Mutter kaufte er sofort ein Auto und schöne Kleider. Auch Irene gab er etwas ab.

Im ersten Jahr bekam sie jeden Sonntag einen Fünfer. Dafür hätte sie fünfzig Salino-Lakritze kaufen können, die mochte sie sehr gerne. Aber sie sparte all die Fünfer, wollte ihrem Papa dafür eines Tages eine Pyramide bauen lassen. In einem von Friedels Büchern war eine abgebildet. Und Friedel erklärte, in Pyramiden hätten die alten Ägypter ihre Pharaonen beerdigt, das seien Könige gewesen. Für Irene war Papa noch viel mehr gewesen als ein König. Ihn konnte niemand ersetzen.

Friedel war ein Kumpel, ein Vater wurde er für Irene nie. Sie bekam seinen Namen, als er ihre Mutter heiratete. Und er hätte es wohl gerne gehört, wenn sie ihn Papa genannt hätte. Aber das ging doch nicht. Da mochte Friedel noch so viele schwierige Mathematikaufgaben erklären, die allerbesten Formulierungen für einen Aufsatz finden – später interpretierte er sogar Kafka, mit dem Irene sich sehr schwertat. Er mochte noch so viele Partien Monopoly mit ihr spielen, wenn sie alleine waren, für Irene änderte das nichts.

Es ging ihr sehr gut bei Friedel, ihr Zimmer war um einiges größer, die Garderobe um einiges teurer, als sie es gebraucht hätte. Auch das Taschengeld wurde mit der Zeit immer höher. Kaum ein Wunsch blieb lange unerfüllt. Bis auf den...

Erscheint lt. Verlag 10.2.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte eBooks • Mord aus Eifersucht • Psychothriller • Thriller • Vater-Tochter-Beziehung • Vergeltung / Rache • Versöhnung
ISBN-10 3-641-25313-6 / 3641253136
ISBN-13 978-3-641-25313-4 / 9783641253134
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