Escape to Life (eBook)

Deutsche Kultur im Exil

, (Autoren)

Heribert Hoven (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
420 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00260-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Escape to Life -  Erika Mann,  Klaus Mann
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'Escape to Life' ist ein Who´s Who der deutschen Kultur im Exil. Erika und Klaus Mann porträtieren die wichtigsten Persönlichkeiten der von Hitler in die Emigration getriebenen geistigen Elite Deutschlands. Kaum ein bedeutender Name fehlt in der hier aufgeführten Allianz gegen den Faschismus. Von Albert Einstein bis Bertolt Brecht, von Carl Zuckmayer bis George Grosz reicht die Liste der Künstler und Wissenschaftler, die in sehr persönlich gehaltenen Essays vorgestellt werden. Als das Buch 1939 erstmals erschien, sollte es den amerikanischen Lesern ein Bild geben von Vielfalt und Reichtum der deutschen Kultur im Exil. Heute ist es ein einzigartiges Dokument: die umfassendste, farbigste Darstellung des 'Anderen Deutschland', die während der Zeit des Dritten Reiches geschrieben wurde.

wurde am 9. November 1905 in München geboren. Sie arbeitete zunächst als Schauspielerin und Journalistin. Anfang 1933 gründete sie in München das Kabarett 'Die Pfeffermühle'; wenige Wochen später ging sie mit der gesamten Truppe ins Exil. Ab 1936 lebte sie überwiegend in den USA, als Vortragsrednerin und Publizistin. Während des Zweiten Weltkriegs wirkte sie unter anderem an den Deutschland-Programmen der BBC mit und war Kriegsberichtserstatterin für die Alliierten. 1952 kehrte sie mit den Eltern zurück nach Europa. Am 27. August 1969 starb sie in Zürich.

wurde am 9. November 1905 in München geboren. Sie arbeitete zunächst als Schauspielerin und Journalistin. Anfang 1933 gründete sie in München das Kabarett "Die Pfeffermühle"; wenige Wochen später ging sie mit der gesamten Truppe ins Exil. Ab 1936 lebte sie überwiegend in den USA, als Vortragsrednerin und Publizistin. Während des Zweiten Weltkriegs wirkte sie unter anderem an den Deutschland-Programmen der BBC mit und war Kriegsberichtserstatterin für die Alliierten. 1952 kehrte sie mit den Eltern zurück nach Europa. Am 27. August 1969 starb sie in Zürich. Geboren am 18.11.1906 in München als ältester Sohn Thomas und Katja Manns. Klaus Mann schrieb mit 15 Jahren erste Novellen. Es folgten die Gründung eines Theaterensembles mit Schwester Erika, Pamela Wedekind und Gustaf Gründgens, 1929 unternahm er eine Weltreise «rundherum». In der Emigration (mit den Stationen Amsterdam, Zürich, Prag, Paris, ab 1936 USA) wurde er zur zentralen Figur der internationalen antifaschistischen Publizistik. Er gab die Zeitschriften «Die Sammlung» (1933-35) und «Decision» (1941-42) heraus, kehrte als US-Korrespondent nach Deutschland zurück. 1949 beging er aus persönlichen und politischen Motiven Selbstmord, nachdem er in dem von Pessimismus erfüllten Essay Die Heimsuchung des europäischen Geistes noch einmal zur Besinnung aufgerufen hatte. Mann sagte sich früh vom Daseinsgefühl der Eltern-Generation los und stellte die Lebenskrise der «Jungen» in der stilistisch frühreifen Kindernovelle und in der Autobiographie des Sechsundzwanzigjährigen Kind dieser Zeit dar. Seine bedeutendsten Romane schrieb Mann im Exil: Symphonie Pathétique, Mephisto. Roman einer Karriere, und Der Vulkan. In der Autobiographie Der Wendepunkt gelangt Klaus Manns Diktion zu Reife und gelassener Sachlichkeit. Er sprach stellvertretend für eine Generation, die in den 20-er Jahren ihre prägenden Eindrücke empfing, mit einem engagierten Freiheitsbewusstsein zu neuen Ufern aufbrechen wollte und zwischen den Fronten einer zerrissenen Nachkriegswelt an der Machtlosigkeit des Geistes verzweifelte.

Schauplatz Europa


The European Scene

Kapitel I Der Reichstag brennt!


The Reichstag’s on Fire!

Der Februar 1933 war für unsere Stadt München ein merkwürdiger, ja ein guter Monat gewesen. Am 30. Januar war Hitler Reichskanzler geworden, er saß in Berlin und regierte. Aber, das wußten wir alle, er »hatte« die Katholiken »nicht«. Das katholische Bayern, das einer in Preußen zentralisierten Regierung in jedem Fall abgeneigt gewesen wäre, – das Regime Adolf Hitlers lehnte es mit besonderer Heftigkeit ab. Nicht nur, daß dies Regime antichristlich war, – es war zu wohl bekannt in Bayern. Sein »Führer« hatte in München seine politische Tätigkeit begonnen, – hier hatte er die Versammlungen und die Putsche seiner politischen Jugend abgehalten, und hier hatte er sein Ehrenwort gebrochen (sich nach der Haftentlassung aus der Festung Landsberg jeder politischen Betätigung zu enthalten). Die Bayern wußten, wer dieser Adolf Hitler war, und sie verachteten ihn. Während also das Schreckensregiment des neuen Kanzlers in Nord- und Mitteldeutschland auf keinen nennenswerten Widerstand stieß (die materielle Situation war schlecht gewesen, vorher, und vielleicht würde sie jetzt besser werden; das deutsche Volk, politisch unerzogen und romantisierend, sehnt sich nach irgendeinem Erlöser), verhielt Bayern sich feindselig. »Wenn Hitler es wagen sollte, uns einen Reichskommissar aus Preußen zu schicken, dann werden wir ihn wegen Landfriedensbruch an der bayrischen Grenze verhaften lassen!« erklärte Ende Februar der bayrische Ministerpräsident Held, während seine Anhänger jubelten.

München war lustig im Februar 1933, es war trotzig und überdies war es einig. Sogar Gruppen, die sich bis dahin feind gewesen waren, schienen zusammenhalten zu wollen, gegen den Nazifeind. Der Lustigkeit, dem Trotz und dem Zusammenhalten kam der Umstand zugute, daß Fasching war, und im Zeichen des Karnevals, der Verkleidung und des Mummenschanz war es leicht, lustig, trotzig und einig zu erscheinen.

Am 1. Januar, neunundzwanzig Tage also vor Hitlers »Machtübernahme«, hatten wir in der ehrwürdigen alten Bonbonnière (Rücken an Rücken mit dem Hofbräuhaus, in dem der »Führer« seine Antrittsrede als Kanzler hielt) ein kleines politisch-satirisches Theater eröffnet, das Die Pfeffermühle hieß und das so großen Erfolg in München hatte, weil es die Stimmung dieser Wochen getreulich widerspiegelte, es war lustig und trotzig, und es forderte zur Einigkeit auf.

Die Vorstellung am Abend des 27. Februar war vorüber, unser kleines Haus war überfüllt gewesen, wir hatten all die Szenchen und Lieder aufgeführt, in denen wir gegen die Nazi-Diktatur zu Felde zogen, unsere Angriffe kamen maskiert daher, wir erzählten Märchen und Fabeln, aber jeder, der sie hörte, wußte, was gemeint war. Auch unsere Zuhörer im Parkett waren maskiert. Als Indianer, Rokokoherren oder Zigeunerinnen verkleidet saß unser Publikum beim Wein; Katholiken, Liberale, Sozialisten fanden sich bei uns zusammen, gemeinsam applaudierten sie uns gegen Hitler. Der Karneval war seinem Höhepunkt nahe und gleichzeitig seinem Ende. Der 27. Februar, das war der Rosenmontag, der Tag der großen Bälle. Vom Rosenmontag über den Faschingsdienstag bis zum Aschermittwoch »machte man durch« in München, an Schlaf war nicht zu denken für alle, die wußten, was Fasching ist. In dieser Nacht traf man sich auf dem großen Fest der »Kammerspiele« im Regina-Palast-Hotel. »Tout-München« war dort, das ganze künstlerisch-geistig-politisch interessierte München, – die Maler aus Schwabing, die Schriftsteller, die Schauspieler, die Universitätsleute. Waren auch Nazis unter denen, die sich im Tanze drehten? Aber sie hielten sich unerkannt, denn sie wußten, daß sie verhaßt und verachtet waren. Vielleicht, daß sie hinter schwarzen Halbmasken Verschwörerblicke tauschten, während man die anmutig verschlungenen Figuren der Française exekutierte. »Brennt es schon?« mag einer dem anderen zugeflüstert haben, und der andere darauf: »Lichterloh«, aber der Tanz ging weiter.

Es war ein ausgelassenes, ein wildes Fest, die Kehrausstimmung des sterbenden Karnevals allein gab keine Erklärung ab für so radikale, so hektische Lustigkeit. Es war nicht der Abschied vom Fasching, den wir so grimmig heiter begingen, es war der Abschied vom Leben in einem freien Deutschland, der Abschied von allem, was uns lieb gewesen war, – der Abschied von »zuhaus«. Wir wußten es nicht, aber geahnt müssen wir es haben.

»Der Reichstag brennt«, sagte der Clown zu Erika, mit dem sie Tango tanzte. »Laß ihn brennen«, sagte sie und klingelte mit den Glöckchen an seiner Kappe, »laß ihn brennen – wieso brennt er denn?« »Der Reichstag brennt … Der Reichstag brennt!« riefen im Rhythmus der Tanzmusik all die Maskierten. Dann sangen sie kleine Loblieder, die der Feuerwehr galten. »Die wird das Kind schon schaukeln!«

Einer kam von draußen mit neuen Nachrichten. »Die Kommunisten haben ihn angezündet«, sagte er, »man hat sie schon gefangen.« Wir kannten den Menschen nicht, der da zu uns trat. Über den korrekten Frack trug er einen sehr roten Domino. »Die Kommunisten?« fragten wir. Die Musik pausierte. Es war plötzlich still im Saal. »Ja«, sagte der Fremde und lachte verächtlich, »natürlich, die Kommunisten. Wer denn wohl sonst?« Dann verschwand er in der bunten Menge. Seinen roten Mantel konnte man hier und dort aufzüngeln sehen, wie ein böses kleines Feuer.

Unsere Gesichter waren fahl am Morgen dieses Faschingsdienstags. Ihre Blässe zeigte das Grauen vor dem Aschermittwoch, der nahe war. Er brach an, und der Geruch von Trümmern, Asche und Blut, den er verbreitete, liegt noch über Deutschland, jetzt, nach sechs Jahren.

Die Haftbefehle gegen jene, die beseitigt werden sollten, lagen in Berlin schon vor, vierundzwanzig Stunden ehe der Reichstag brannte. Man wollte »schlagartig durchgreifen« und keine Zeit verlieren. Da man genau wußte, wann das Feuer ausbrechen würde, das man selber gelegt hatte, war es leicht, den Augenblick zu fixieren, in dem alles eingesperrt werden sollte, was mißliebig war. Die Kommunisten, die Juden, die Sozialisten, die Pazifisten, die Freidenker, die Liberalen, sie alle gemeinsam wurden der Brandstiftung geziehen, und sie alle mußten zur Verantwortung gezogen werden. Die Menschenjagd begann, und am Morgen des 28. Februar holten die Burschen von der SA die Schlafenden zu vielen Hunderten aus ihren Betten. Viele von denen, die damals verhaftet wurden, hätten fliehen können.

Der Schriftsteller Erich Mühsam hätte fliehen können, er war gewarnt worden. Einer aus Nazikreisen hatte geplaudert, etwas Teuflisches werde sich zutragen, die Nachricht war herumgekommen. Mühsam wußte, daß er seiner Freiheit und seines Lebens kaum mehr sicher sein dürfte. Aber der vertrauensvolle, menschenfreundliche und stolze alte Mann zögerte. »Ich habe nichts getan«, erklärte er den Freunden, die dringlich zur Abreise rieten, »was gegen das Gesetz wäre. Jetzt zu fliehen, könnte aussehen wie das Eingeständnis einer Schuld. Ich bin aber unschuldig. Außerdem möchte ich hierbleiben und arbeiten, ich möchte helfen, das deutsche Volk aufzuklären über den fürchterlichen Irrtum, den es begangen hat, indem es sich vorübergehend der Barbarei auslieferte. Ich möchte nicht fort von Deutschland.«

Als die Nachrichten über das »Teuflische«, das bevorstand, sich mehrten, bestanden die Freunde darauf, daß Mühsam sich in Sicherheit brächte. Sie wußten: nicht auf Schuld oder Unschuld würde es ankommen. Mühsam, der Anarchist, der Gesellschaftskritiker und Moralist, dessen warnende Stimme seit mehr als drei Jahrzehnten nicht verstummen wollte, ihn würde die Hitler-Diktatur nicht leben lassen. Er war »unschuldig«, gewiß, unschuldig nicht nur am Nazifeuer im Reichstag, unschuldig auch der politischen Konspiration. Erich Mühsam war kein Politiker. Er hatte seinen Traum von einer freien, glücklichen und gerechten Menschheit, und er lebte ihn mit solcher Innigkeit, – seine Erfüllung forderte er mit solcher Strenge, daß jedes Regime (das kaiserliche erst, das republikanische dann) ihn unbequem finden mußte. Was aber jetzt unbequem war, das mußte sterben, da Hitler und die Seinen an der Macht waren.

Am Nachmittag des 27. Februar war es soweit. Mühsam war überzeugt, daß er gehen müsse. Geld hatte er nicht, aber ein Billett dritter Klasse nach Prag hatten die Freunde ihm besorgt. Er war dabei zu packen. Viel wollte er nicht mitnehmen, ein paar Bücher und Briefe, als ein Bursche bei ihm eintrat, einer seiner Schützlinge, ein Feind des Regimes, und hastig die Tür hinter sich schloß. Mühsam blickte auf und wurde blaß. »Du bist hier?« sagte er und: »Bist Du verrückt? Willst Du Dich umbringen lassen?« Der Bursche schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht verrückt«, sagte er, »und keinesfalls möchte ich mich umbringen lassen, aber ich kann nicht fort, – ich habe kein Geld.«

Der Bursche hat später erzählt, wie Mühsam sich betragen hat an diesem Nachmittag. In seinem bärtigen Christuskopf sprachen die hellen Augen mit großer Dringlichkeit und Wärme. Ein paar Sekunden lang ruhte sein Blick auf dem Gesicht des Jungen. »Du würdest gehn?« fragte er. Und da der Junge nickte, zog er ein Billett aus der Tasche, das Billet dritter Klasse nach Prag, mit dessen Hilfe er sich an diesem Abend hätte retten sollen. Der Bursche fragte nicht viel. Von Mühsams Wohnung aus lief er geradewegs zum...

Erscheint lt. Verlag 21.5.2019
Vorwort Heribert Hoven
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Schlagworte Biografie • Deutsche Kultur • Deutschland • Emigranten • Emigration • Essays • Exilliteratur • Künstler • Nationalsozialismus • Persönlichkeiten • USA • Wissenschaftler
ISBN-10 3-644-00260-6 / 3644002606
ISBN-13 978-3-644-00260-9 / 9783644002609
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