Die Hafenschwester (1) (eBook)

Als wir zu träumen wagten - Roman
eBook Download: EPUB
2019
464 Seiten
Diana Verlag
978-3-641-24389-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Hafenschwester (1) - Melanie Metzenthin
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Hamburg, 1892: Die Cholera erschüttert die Stadt an der Elbe und fordert tausende Opfer. Als Marthas Mutter stirbt, muss sie das Überleben ihrer Familie sichern. Die junge Frau aus dem armen Gängeviertel ergattert eine Lehrstelle am Eppendorfer Krankenhaus und arbeitet sich bis zur OP-Schwester hoch. Während die Ärzte sich im Wettlauf gegen die Zeit befinden, ist Hamburg auch im politischen Umbruch: Die Hafenarbeiter streiken, die Frauen kämpfen ums Wahlrecht und für die Rechte von Prostituierten. Martha schließt sich der Frauenbewegung an und führt gleichzeitig ihren ganz persönlichen Kampf. Denn sie hat nicht nur die Liebe zur Medizin entdeckt, sondern - gegen die strengen Regeln am Krankenhaus - auch zu einem jungen Mann ...

Melanie Metzenthin wurde 1969 in Hamburg geboren, wo sie auch heute noch lebt und als Fachärztin für Psychiatrie arbeitet. Mit der Vergangenheit ihrer Heimatstadt fühlt sie sich ebenso verbunden wie mit der Geschichte der Medizin, was in vielen ihrer Romane zum Ausdruck kommt. »Die Hafenschwester. Als wir zu träumen wagten« ist ihr erster Roman im Diana Verlag und der Auftakt zu einer Serie.

3

Anna wurde am Dienstag, dem 23. August 1892, auf dem Friedhof Ohlsdorf beigesetzt. Die Bestattungskosten rissen ein großes Loch in die Familienkasse, aber Anna sollte ein anständiges Grab bekommen. Offiziell war Marthas Schwester an der schweren Verlaufsform eines Eingeweidekatarrhs verschieden, und noch am Montagmorgen war im Altonaer Generalanzeiger vermeldet worden, dass es keinerlei Hinweis auf einen Ausbruch der Cholera in Hamburg gebe.

Im Bleichergang waren am Wochenende hingegen zahlreiche weitere Menschen erkrankt, darunter auch die vorwitzige Frau Sperling, die das Abkochen des Wassers für einen überflüssigen Luxus gehalten hatte. War Anna noch von einem Krankenwagen abgeholt worden, so wurde Frau Sperling bereits zusammen mit drei anderen Erkrankten auf einem einfachen Leiterwagen ins Krankenhaus transportiert. Mit Grausen erinnerte sich Martha daran, wie die Nachbarin kaum noch ansprechbar und, von ihrem eigenen Kot beschmutzt, aus der Wohnung getragen und mit gleichgültiger Grobheit auf den Wagen zwischen die anderen Kranken gelegt worden war. Fast so, als wäre der Leiterwagen kein Krankentransport, sondern ein Leichenkarren, der die sterblichen Überreste einsammelte. Dieser Anblick hatte sich fest in Marthas Gedächtnis eingebrannt und ließ sie nicht mehr los. Er war noch schlimmer als das letzte Bild von Anna, als deren Kopf schlaff zur Seite fiel. Aber Anna hatte trotz allem noch ein Mensch bleiben dürfen, selbst im Tod. Frau Sperling hatte diese Würde bereits zu Lebzeiten eingebüßt …

Die Stimme von Pastor Gebhard holte Martha in die Gegenwart zurück. Er sprach von dem schrecklichen, viel zu frühen Verlust eines so jungen Lebens. Ihre Mutter schluchzte herzzerreißend, und Martha musste selbst gegen die aufsteigenden Tränen ankämpfen. Seit Annas Tod war ihre Mutter eine gebrochene Frau. Sie sah blass und kränklich aus, und ihre Hände zitterten ständig, sodass sie kaum noch die Nähnadel führen konnten. Sie war mit der Arbeit für Frau Lembckes Weißwarengeschäft in Verzug, aber Frau Lembcke war verständnisvoll gewesen und hatte ihr Beileid zu Annas Tod bekundet.

Während der Pastor weitersprach, fiel Marthas Blick auf eine junge Frau, die etwas abseits bei den Büschen stand, ganz so, als traute sie sich nicht näher an die Gruppe der Trauernden. Sie trug einen dunklen Hut mit feinem Gesichtsschleier, ein dunkles Kleid und elegante schwarze Knopfstiefel, wie Martha sie sich immer gewünscht hatte. Erst auf den zweiten Blick erkannte sie ihre Freundin Milli. Wie anders sie aussah in diesen feinen Kleidern. Fast wie eine Dame, auch wenn sie in den Augen der Leute das Gegenteil einer Dame war. Niemand hätte Milli in dieser Aufmachung angesehen, dass sie noch keine sechzehn war.

Milli hatte Marthas Blick aufgefangen und kam langsam näher.

»Mein herzliches Beileid«, flüsterte sie der Freundin zu. »Es ist schrecklich, dass es gerade Anna treffen musste. Da hätte es genügend andere gegeben, die den Tod statt ihrer verdient hätten.«

Martha nickte. Sie wusste, dass Milli ihren Stiefvater meinte.

»Und wie geht es dir, Milli?«

»Ganz gut. Wie du siehst, konnte ich mir die Stiefel leisten, die wir beide so sehr bewundert haben.«

»Sie sind wunderschön«, sagte Martha. »Aber sind sie es wirklich wert?«

Milli senkte den Blick. »Man gewöhnt sich an alles«, sagte sie schließlich. »Treffen wir uns morgen Mittag an der Kaffeeklappe? Da können wir reden.«

Martha nickte. Die Aussicht, dass sie wenigstens ihre Freundschaft zu Milli bewahren konnte, tröstete sie ein bisschen.

»Ich zieh mich jetzt lieber zurück, ehe ich noch Annas Andenken mit meiner Anwesenheit beschmutze«, raunte sie Martha zu. »Wir sehen uns morgen um zwölf.«

Bevor Martha antworten konnte, war Milli schon verschwunden. Der Pastor hatte seine Rede indes beendet, und die Anwesenden begannen damit, jeder eine Schippe Erde auf Annas Sarg zu werfen. Das Geräusch der trockenen Erde, die auf das Holz des Sarges rieselte, war unerträglich. Es würde kein Wunder geben. Es würde kein Arzt einen schrecklichen Irrtum einräumen und hastig den Sarg aufbrechen, um das scheintote Mädchen zu retten. So etwas geschah nur in Schauerromanen. Die Auferstehung von den Toten war nicht von dieser Welt. Anna war fort, für alle Zeiten. Man hatte sie der Erde zum Verrotten übergeben. Die Mutter schien ebenso zu empfinden, denn bei jeder Schippe Erde, die auf den Sarg fiel, schluchzte sie erneut auf. So hört sich die Musik des Todes an, dachte Martha und konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten.

Am folgenden Tag ging sie nach der Schule direkt zur Kaffeeklappe am Hafen, um Milli zu treffen. Milli trug wieder ihre eleganten Knopfstiefel, aber statt des schwarzen Kleides einen braunen Rock und eine weiße Bluse. Niemand, der sie in dieser Kleidung gesehen hätte, hätte sie für ein leichtes Mädchen gehalten.

Milli deutete Marthas Blick richtig und meinte, als sie ihr eine Tasse Kaffee aus der Kaffeeklappe reichte: »Die Frauen im Gewerbe, die etwas auf sich halten, ziehen sich wie anständige Frauen an. Ordinäre Schlampen ziehen ordinäre Freier an, elegante Frauen hingegen die besser gestellten Kunden. Noch ist meine Jugend mein bestes Kapital, und ich kann wählen. Ich habe sogar einen Arzt unter meinen Kunden, der mich immer Fräulein nennt und mir zusätzlich gutes Trinkgeld zahlt.«

Martha senkte den Blick. Auf der einen Seite war es ungehörig, über solche Dinge zu sprechen, andererseits brannte sie vor Neugier. Sie wusste mehr als die meisten anderen Mädchen über diese Dinge, denn Milli hatte nie ein Geheimnis aus dem gemacht, was ihre Mutter trieb, aber vor allem wollte sie wissen, wie ihre Freundin mit diesem Schicksal zurechtkam.

»Schämst du dich nicht zu Tode?«, fragte sie und pustete über den heißen Kaffee, bevor sie einen Schluck trank.

»Nein, ich lebe ja noch.« Milli zwinkerte Martha aufmunternd zu, aber dann wurde sie ernst.

»Ich frage mich vielmehr, warum wir Frauen uns schämen müssen. Warum müssen sich nicht die Männer schämen, die zu uns kommen und uns bezahlen? Wir treiben Unzucht, aber zur Unzucht gehören zwei. Und wer verführt hier wen? Die Frau, die keine andere Möglichkeit hat, Geld zu verdienen, weil sie als gefallen gilt, oder der Mann, der seine Brieftasche öffnet?«

»Es heißt doch, eine anständige Frau lässt sich nicht bezahlen, sondern spart sich für ihren Ehemann auf.«

»Und warum spart sich der Ehemann dann nicht für seine Frau auf?«, gab Milli zurück.

Martha wusste darauf nichts zu sagen, aber Milli hatte auch gar keine Antwort erwartet. »Ich bin noch nicht lange dabei, Martha, aber ich habe schon einiges über die Männer gelernt. Da gibt es die, die unverheiratet sind und keine Möglichkeit haben, ihre Bedürfnisse anderweitig zu stillen. Aber es gibt auch die, die nach außen hin scheinheilig und moralisch sind, die alles verteufeln, aber im Freudenhaus, da leben sie ihre schmutzigen Fantasien aus. Gelüste, die sie ihrer eigenen Ehefrau nicht zumuten wollen, weil sie Angst haben, ihre Frau könnte sich angewidert von ihnen abwenden.«

Martha sah Milli mit großen Augen an. »Ist es so schlimm?«

Milli seufzte. »Manchmal. Es ist schlimm, wenn ich mich vor dem Geruch eines Mannes ekle und trotzdem verführerisch und liebreizend sein muss, auch wenn er mich grob anpackt. Aber viel schlimmer ist die Verlogenheit. Dieser junge Arzt, der zweimal in der Woche zu mir kommt. Im Rademachergang ist er freundlich, er ist nicht grob, er riecht gut, und er verlangt nichts Perverses. Die anderen Mädchen beneiden mich um ihn und necken mich gern damit, dass ich ihn mir warmhalten solle, dann würde ich vielleicht bald Frau Doktor.« Sie lachte bitter auf. »Aber wenn wir uns auf der Straße begegnen, sieht er an mir vorbei, als würde er mich nicht kennen. Ich bin sein schmutziges kleines Geheimnis, für das er sich schämt.« Milli trank einen Schluck Kaffee. »Nun ja«, sagte sie dann. »Die vornehmen Herren haben ja auch keine Augen für ihre Hausangestellten. Für die schämen sie sich zwar nicht, aber wenn sie die an ihrem freien Tag auf der Straße treffen, ignorieren sie sie ebenfalls geflissentlich. Das weiß ich von der Jolante, die war Dienstmädchen, ehe es sie in den Rademachergang verschlagen hat. Und gelandet ist sie da, weil sie vom Sohn ihrer Herrschaft geschwängert wurde. Da hat man sie dann ratzfatz vor die Tür gesetzt, ehe der dicke Bauch auffällig wurde. Dass das Kind der eigene Enkel war, hat keinen von der vornehmen Bagage geschert, und ein anständiges Zeugnis haben sie ihr wegen unmoralischen Benehmens auch verweigert. Was blieb ihr also übrig? Der Kleine ist jetzt zwei Jahre alt und wird als Hurensohn nie aus der Gosse kommen, obwohl sein Großvater ein einflussreicher Senator ist.«

Milli trank noch einen Schluck Kaffee. »Es ist so leicht, uns die Schuld an aller Unmoral zu geben. Dabei stinkt der Fisch doch vom Kopf, nicht wahr?«

Martha nickte schwach.

»Aber ich werde das nicht mein Lebtag machen«, sagte Milli mit fester Stimme. »Irgendwann lass ich all das hinter mir und fange ganz neu an.«

»Und wie?«

»Ich spare die Trinkgelder. Von denen weiß mein Stiefvater nichts, die kann ich verstecken. Und in ein paar Jahren habe ich dann genug Geld zusammen, um nach Amerika auszuwandern. Da kennt mich keiner, und da kann ich mir eine anständige Arbeit suchen, ganz neu anfangen. Außerdem sind Frauen im Westen Mangelware, da kann ich unter den anständigen Männern wählen.«

»Du willst nach Amerika?«

»Vielleicht auch nach...

Erscheint lt. Verlag 9.9.2019
Reihe/Serie Die Hafenschwester-Serie
Die Hafenschwester-Serie
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Ärztin • Cholera • Die Stimmlosen • eBooks • Elbe • Große Gefühle • Hafen • Hamburg • Historische Romane • Krankenhaus • Krankenschwester • Liebe
ISBN-10 3-641-24389-0 / 3641243890
ISBN-13 978-3-641-24389-0 / 9783641243890
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