Hirschhornharakiri (eBook)

Fellingers dritter Fall - Kriminalroman

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
336 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-24425-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hirschhornharakiri -  Oliver Kern
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Das Fest zum 100jährigen Bestehen der Freiwilligen Feuerwehr nimmt legendäre Ausmaße an - und fatale für den Fellinger. Er hat einen kompletten Filmriss, als ihn der Lechner in seiner Eigenschaft als Ordnungshüter am nächsten Tag aus dem Bett klingelt. Nicht etwa, um Fellinger zum Frühschoppen abzuholen, sondern um ihn in Gewahrsam zu nehmen: Verdacht auf ein Tötungsdelikt. In der Polizeiinspektion konfrontiert Lechner seinen Spezi mit der Anschuldigung, dem Rosenberger Horst, seines Zeichens Jäger, in der vergangenen Nacht in einem Waldstück ein Hirschgeweih in den Ranzen gerammt zu haben. Ergebnis. Die Beweislast ist erdrückend. Fellinger steht vor seinem schwierigsten Fall - denn er selbst scheint der Täter zu sein!

Oliver Kern, 1968 in Esslingen am Neckar geboren, wuchs in der beschaulichen Idylle des Bayerischen Waldes auf. Heute lebt er mit seiner Familie in der Region Stuttgart, ist seiner alten Heimat aber nach wie vor sehr verbunden.

FINGERABDRÜCKE

»Duschen?«

»Zähne putzen, maximal!«, faucht er. »Und zieh dir was an, was nicht stinkt!«

Der Rosenberger Horst?

Das ist einer, den ich kenn, so wie ich die Leute hier halt kenn, aus dem Ort und der Gegend. Mehr auch nicht. Also warum sollte ich …? Ich verbiete mir, mich im Augenblick damit auseinanderzusetzen. Vor allem, weil es sich für mich anfühlt, als hätte es mir der Claus Kleber aus dem Fernseher heraus erzählt, kurz bevor ich auf der Couch einschlafe.

Der Rosenberger?

Das kann nur ein Irrtum sein.

Wie ferngesteuert torkle ich ins Bad und mache, was der Lechner mir aufträgt, weil es mir in meinem Zustand leichter fällt, Anweisungen zu befolgen, als selber zu denken. Der Wachtmeister ist mir hinterhergestiefelt und stellt sich in den Türrahmen, als hätte er Angst, dass ich mich der Festnahme entziehe. Festnahme? Wegen der Bierschwemme im Gehirn verzichte ich vorsichtshalber darauf, den Kopf zu schütteln. Ich mag auch nicht in den Spiegel schauen. So koordiniert wie möglich drehe ich das Wasser auf und beuge ich mich im Zeitlupentempo tief übers Waschbecken. Die Kälte aus dem Hahn verschafft mir eine gewisse Linderung. Stundenlang könnte ich so stehen bleiben; ein wenig hoffe ich sogar darauf, dass sich dieser schlechte Traum einfach fortspülen lässt. Doch dann vernehme ich am Wasserstrahl vorbei ein ungeduldiges Räuspern. Blind greife ich zum Handtuch. Nachdem ich mich für Sekunden dahinter versteckt habe und es schließlich sinken lasse … steht der Lechner immer noch da. Es wäre ja auch zu schön gewesen.

»Willst mir jetzt auch noch beim Biesln zuschauen?«, frage ich und deute auf den Lokus.

Der Oberpolizist runzelt die buschigen Brauen, dann zieht er die Badtür zu. Im letzten Moment schlüpft dabei der Herbert durch die uniformierten Beine und zum Türspalt herein. Er tapst über die grauen Fliesen zu mir her und mustert mich vorwurfsvoll. Ich zucke mit den Schultern.

Den Herbert ist ein grau-schwarz getigertes Ungetüm von Kater mit einem recht eigensinnigen Charakter, wie ihn Katzen ohnehin gerne haben. Ein Mischling, dessen Erbgut väterlicherseits angeblich von einer echten Wildkatze aus den Tiefen des Bayerischen Waldes stammt. Seine Statur ist mächtig, sein Schädel breit, und ich möchte wetten, alle anderen Kater in der Nachbarschaft verfluchen mich schon, weil ich ihn bei mir hab einziehen lassen. Er ist mir im Sommer zugelaufen. Aufgenommen habe ich ihn nicht etwa deshalb, weil ich ausgesprochen tierlieb bin, sondern vielmehr aus Dankbarkeit dafür, dass er mir kurz davor das Leben gerettet hat. Dass Katzen so was überhaupt können – oder besser gesagt: wollen –, war mir bis dahin nicht bekannt. Im Vergleich zum Hund, der ja quasi seit der Steinzeit darauf konditioniert wurde, sich todesmutig für Frauchen oder Herrchen zu opfern, hatte ich Katzen bisher eher so eingeschätzt, dass es ihnen wurscht ist, was mit den Zweibeinern passiert, mit denen sie ihr Habitat teilen. Was vermutlich auch zu hundert Prozent zutrifft; der Herbert wird da keine Ausnahme sein. Dass sein heroischer Einsatz mich vor dem Dahinscheiden bewahrte, war allein dem Zufall geschuldet. So gesehen, war ich ein positiver Kollateralschaden – sofern es so etwas gibt. Der Herbert, und das ist jetzt kein Blödsinn, hat wohl schlicht aus Rache gehandelt, als er dem Sauhund, der mich erschießen wollte, ins Genick gesprungen ist. Derselbe Schurke hat nämlich auch das Frauchen vom Herbert auf dem Gewissen, und nachtragend ist er durchaus, dieser Riesenkater. Aber das war eine andere Geschichte, und mir schwant, dass sie mir trotz aller bedrohlichen Situationen weniger Probleme bereitet hat als das, was mir heute bevorsteht.

Der Herbert schleicht rüber zum Katzenklo und hält seine Nase hinein. Dann späht er hoch zum Dachfenster. Hell leuchtet es da herein. Ich sehe blauen Himmel, nur leider hat das im Moment keinerlei positiven Einfluss auf meinen Zustand.

»Ich lass dich raus, aber ich sag’s dir gleich: Ich weiß nicht, wann ich wieder zurück bin«, verkünde ich, mehr ratlos als pessimistisch. Der Kater macht mir sowieso nicht den Eindruck, als ob ihn mein Zeitplan interessiert. Trotz seiner Übergröße springt er elegant auf die Waschmaschine. Ich nicke anerkennend und öffne ihm das Dachfenster. Beim Herbert gibt es kein Zögern. Schon ist er raus und auf dem Dach. Sehnsüchtig blicke ich ihm hinterher, nicht ohne den Gedanken zu erwägen, denselben Weg zu wählen.

»Wie schaut’s aus?«, ruft der Lechner von draußen durch die Tür, und verschreckt wende ich mich vom Dachfenster ab. Kurz darauf verlasse ich widerwillig mein Badezimmer. Breitbeinig steht er im Flur und mustert mich. »Du hast den Pullover auf links«, sagt er.

»Macht nix, ich bin links«, knurre ich zurück. In der Verfassung, in der ich mich gerade befinde, ist mir die Klamottenlage völlig wurscht. Ärgern tut’s mich trotzdem. Zum einen, weil ich genau weiß, dass ich gar nicht die Kraft aufbringe, das Oberteil jetzt noch mal auszuziehen und zu wenden. Zum andern, weil es mich immer aufregt, dass man das so sagt. Auf links. Eine Formulierung, die ich für völlig unüberlegt halte. Bei uns ist man ja eher konservativ, Tendenz Mitte/rechts, aber das drückt man nicht mit seinem Pullover aus. Also, was soll das? Auf links.

»Und reichlich dünn ist er auch, der Pullover«, stellt der Lechner fest, und das klingt jetzt auf einmal wieder fürsorglich.

»Benimm dich nicht wie meine Mutter!«, fahre ich ihn an. Mit seiner Freundlichkeit kann ich momentan genauso wenig umgehen wie mit seinem Diensteifer. Angepisst will ich nach meiner Jacke greifen, aber die hängt nicht an der Garderobe. Drauf geschissen, draußen scheint eh die Sonne.

Drei Minuten später treten wir aus dem Haus. Das Schuheanziehen hat uns noch etwas aufgehalten. Das ging nämlich nur im Sitzen, und hinterher bin ich nicht mehr alleine hochgekommen. Ich rechne es dem Lechner hoch an, dass er auf Handschellen verzichtet. Was mit Sicherheit gegen die Dienstvorschrift ist, wenn man einen mutmaßlichen Mörder abführt. Dass ich damit gemeint bin, will mir immer noch nicht so recht in den Kopf. Und weil der Lechner schweigt, während er neben mir hergeht, und es ohnehin nur ein paar Meter hinüber ins Revier sind, kann ich mir weiterhin nicht zusammenreimen, was hinter dieser kuriosen Anschuldigung steckt.

Es ist Freitag. Ein Brückentag. Gestern wurde nicht nur die Feuerwehr gefeiert, sondern auch die Einheit. Weshalb auf der mit heimischem Granit gepflasterten Marktstraße mehr los ist als sonst. Viele Leute haben frei. Ich im Übrigen auch. Worüber ich im Moment wirklich froh bin. Wenn ich bedenke, auch noch in der Dienststelle Bescheid sagen zu müssen, dass ich heute keine Aufträge abarbeiten kann, weil ich verhaftet bin … Bluadige Hennakrepf!

Mir reicht’s schon, dass uns die Leute, die uns zwischen den Häuserzeilen aus niederbayerischem Bauernbarock begegnen, misstrauisch hinterherschauen. Obwohl man mich mit dem Lechner ja öfter zusammen sieht. Aber halt nicht so. Er streng uniformiert und todernst. Und ich daneben käsweiß und mit leichten Gleichgewichtsproblemen. Das wirkt verdächtig. Man könnte beinahe auf die Idee kommen, dass die geschätzten Mitbürger unserer Luftkurortgemeinde bereits wissen, was ich verbrochen habe. Angeblich verbrochen, korrigiere ich mich, auch wenn die Blicke der Passanten was anderes zu sagen scheinen. Alle wissen, was passiert ist, nur ich bin ahnungslos.

Beim Betreten der Polizeiinspektion verstummen die Unterhaltungen und das Tastaturgeklapper. Hühnergleich sitzen die Ordnungshüter hinter ihren Schreibtischen und recken die Hälse, als hätte der Gockel den Stall betreten. Wobei der Vergleich hinkt, weil Hühner für gewöhnlich nicht hinter Schreibtischen sitzen. Der Kronawitter, die Silke, der Dichtl, auch bekannt als Radar-Rudi, und der Raik, unser neuer Polizeimeisterimport aus Thüringen, von dem ich den Nachnamen nicht weiß. Wobei man mit seinem Vornamen bei uns gestraft genug ist, da brauchst du gar keinen Nachnamen mehr. Jedenfalls sind sie trotz Brückentag alle schön versammelt – und alle hier im Büro. Es ist also keiner draußen auf Streife. Anscheinend sind alle darüber informiert, dass das große Kino sich heute auf der Dienststelle abspielt. Den Fellinger, diesen Hundling, endlich hat’s ihn erwischt!

Muss eigentlich keiner den Tatort sichern? Kaum ist mir der Gedanke durch den Kopf geschossen, mault der Obergruppenführer auch schon rum. »Habts nix zu tun?!«, fährt er sein Personal an, und die Hühnerhälse zucken erschrocken zurück. Wir gehen nicht ins Büro vom Lechner, wo wir uns sonst austauschen. Er schiebt mich daran vorbei. »Ins Verhörzimmer!«, erklärt er. Ich war noch nie im Verhörzimmer von unserem Revier. Alleine das vermittelt mir, wie prekär meine Lage ist. Doch als der Lechner mir die Tür aufhält, bin ich enttäuscht. Verhörzimmer! Das hier schaut jetzt wirklich nicht aus wie diese kahlen, kalten Räume, die man aus Filmen kennt. Weder hat’s eine Spiegelwand, hinter der die anderen sich ungesehen hinhocken könnten, noch einen Metallring an der Tischplatte, durch den man die Handschellen hätte fädeln können. Es ist eher so eine Mischung aus Ruheraum und Aktenlager. Die Videokamera und das Aufzeichnungsgerät funktionieren noch mit Magnetbandkassetten.

Und dennoch vermittelt mir nichts hier drin Zuversicht, schon gar nicht das Fenster mit dem getrübten Glas und den Gittern davor. Glücklicherweise lässt es Tageslicht herein, nur deshalb schnürt...

Erscheint lt. Verlag 13.1.2020
Reihe/Serie Fellinger-Serie
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Bayerischer Wald • Christian Rach • eBooks • Gastronomie • Heimatkrimi • kleine geschenke für frauen • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Rita Falk
ISBN-10 3-641-24425-0 / 3641244250
ISBN-13 978-3-641-24425-5 / 9783641244255
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