Kalter Hummer (Leblanc 5) (eBook)

Kriminalroman
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2020 | 1. Auflage
256 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-23611-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kalter Hummer (Leblanc 5) -  Catherine Simon
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Kommissar Leblanc, mittlerweile zum Sonderermittler ernannt, wird vom Pariser Polizeipräfekten in geheimer Mission auf die Kanalinsel Guernsey geschickt. Henri Chabot, ein französischer Reeder mit Wohnsitz in der Steueroase, erhält anonyme Drohbriefe, und Leblanc soll diskret ermitteln. Chabot nimmt die Drohungen nicht ernst, seine Frau Lucile dagegen ist beunruhigt. Leblancs Ermittlungen geraten ins Stocken, dann aber überschlagen sich die Ereignisse. Leblanc verschwindet spurlos, und am Abend steht die Polizei vor Luciles Tür und teilt ihr mit, dass die Leiche ihres Mannes gefunden wurde ...

Catherine Simon ist das Pseudonym für Sabine Grimkowski. Bis Ende 2017 arbeitete sie als Redakteurin beim Südwestrundfunk. Regelmäßig fährt sie in die Normandie und wohnt in Trouville im legendären Hôtel des Roches Noires, wo schon Marcel Proust logierte und Marguerite Duras eine Wohnung besaß. Seit Anfang 2018 lebt Sabine Grimkowski als freie Autorin in Hamburg.

DREI

Monsieur Leblanc, bitte!«

Er hörte seinen Namen, jetzt war er dran. Er dachte an Flucht, er könnte einen dringenden Termin vortäuschen, den er vergessen hatte, oder ohne Erklärung einfach verschwinden. Wie viele Schritte waren es bis zur Tür? Nein, das konnte er nicht machen, er musste der Vernunft gehorchen, sich erheben und der Assistentin folgen zu diesem Stuhl, der harmlos wie ein Massagesessel aussah. Wenn er an die letzte Behandlung vor wenigen Wochen dachte, verwandelte sich das Dentalmöbel schlagartig in ein Folterinstrument. Er überließ seinen Körper ungern ärztlichen Händen, auch wenn es sich, wie in diesem Fall, nur um einen kleinen Teil seines Körpers handelte, um einen Zahn, genauer gesagt, um die Reste eines Zahns. Lange Zeit hatte er das Pochen in seinem linken oberen Eckzahn mit immer stärkeren Schmerzmitteln bekämpft. Aber der Schmerz ließ sich nicht eindämmen, er wütete, drangsalierte ihn. Eine Gesichtshälfte schwoll an, bis Marie ihn schließlich zu diesem Docteur Puget schickte, von dem sie nur Gutes gehört hatte. Maries Zähne gaben sich mit einer jährlichen Routinekontrolle zufrieden, sie konnte kaum ermessen, welche Qualen er litt. Ja, er hatte diese Kontrolluntersuchungen in den letzten Jahren ein wenig vernachlässigt. Aber dass dann gleich so etwas entstehen musste. Das Schlimmste war die Spritze gewesen, obwohl er zugeben musste, dass die Schmerzen danach verschwunden waren. Der Zahn ist bis in die Tiefe entzündet, hatte der Arzt gesagt, da müssen wir mit schwererem Geschütz ran.

»Monsieur Leblanc, kommen Sie?« Die Stimme der Assistentin, nun schon etwas energischer, riss ihn aus seinen schmerzvollen Erinnerungen.

Docteur Puget begrüßte ihn mit Handschlag, weiße Hose, weißes T-Shirt, gebräunte Haut, ein breites Lächeln und ein makelloses Gebiss. Er strahlte eine Leidenschaft für Zähne aus.

»Haben Sie noch irgendetwas gespürt?«

»Nein, eigentlich nicht.«

»Nun, das sollten Sie nach einer Wurzelbehandlung auch nicht« – der Doktor lachte – , »sonst hätte ich schlecht gearbeitet. Die Wurzel ist tot, da regt sich nichts mehr. Dann wollen wir uns heute mal um die Krone kümmern, nicht wahr, Monsieur le Commissaire. Sie sind doch Kommissar?«

»Wenn man so will.«

»Und wie will man?«

»Sonderkommission.«

»Klingt interessant. Gut, ich schleife jetzt den Zahn ab, dann bekommen Sie ein Provisorium, und in etwa zwei Wochen können wir Ihnen eine hübsche Krone aufsetzen.«

»Abschleifen? Kann man ihn nicht so lassen?«

»Sie wollen doch nicht mit einem abgebröckelten Dens caninus herumlaufen, oder?«

»Aber wenn der Zahn sowieso tot ist, brauche ich dann noch eine Spritze?«

»Das würde ich Ihnen schon sehr empfehlen. Sehen Sie, das Zahnfleisch ist durchzogen von vielen kleinen Nervensträngen …«

»Gut«, sagte Leblanc matt und fügte sich in sein Schicksal, »dann mit Spritze.«

»Nur ein kleiner Piks«, sagte der Doktor und fuchtelte mit der Nadel in der Luft herum.

Leblanc spürte den Einstich und das Einsickern der Flüssigkeit in sein Zahnfleisch. Dann spürte er nichts mehr. Mit einer Art Bohrer näherte sich der Zahnarzt dem toten Zahn, um ihn zu einem Stumpf zu schleifen. Der hohe sirrende Ton drang bis in Leblancs Hirn. Zwischendurch saugte die Assistentin Flüssigkeit aus seinem Mund. Selten zuvor war sich der Kommissar so hilflos vorgekommen, ausgeliefert den Händen anderer.

Schließlich war es vorbei.

»Ein schöner Stumpf«, sagte Docteur Puget, »den können wir so lassen. Ich mache jetzt einen Abdruck, und dann setze ich Ihnen die provisorische Krone auf.«

Sein Einverständnis konnte der Patient nur in einem gurgelnden Laut ausdrücken.

Mit wackligen Beinen und einem flauen Gefühl im Magen stand Leblanc vor dem Haus der Zahnarztpraxis in der Avenue de Wagram. Den vergissmeinnichtblauen Pariser Junihimmel würdigte er nicht eines Blickes. Lippe und Zahnfleisch fühlten sich an wie eine angeschwollene Blase. Sein Handy, das er vergessen hatte auszustellen und das sich glücklicherweise während der Behandlung still verhalten hatte, klingelte. Wenn der Anrufer jemand anderes als Monsieur Gautier, der Pariser Polizeipräfekt, gewesen wäre, hätte er vermutlich nicht geantwortet. Als Sonderermittler war er Monsieur Gautier direkt unterstellt, also bemühte er sich, ein »Oui, allô« hervorzubringen, das, wie er sofort merkte, von seinem üblichen Ton erheblich abwich. Die Reaktion des Polizeipräfekten bestätigte seine Wahrnehmung.

»Sind Sie das, Leblanc?«

Leblancs »Ja« wurde mit einer misstrauischen Frage quittiert.

»Sind Sie betrunken?«

»Nein, Zahnarzt, Spritze«, brachte der zu Unrecht der Trunkenheit Bezichtigte hervor.

»Oh, Sie haben mein volles Mitgefühl. Zahnarztbesuche gehören zu den Schrecken des Lebens. Trotzdem muss ich Sie dringend sprechen. Kommen Sie bitte umgehend in mein Büro, ich habe da eine Sache, die keinen Aufschub duldet.«

»Bin gleich da.« Leblanc bemühte sich um eine deutliche Aussprache.

Monsieur Gautier schien ihn verstanden zu haben, denn er legte wortlos auf.

Als Leblanc sein Spiegelbild in einer Schaufensterscheibe betrachtete, war er erstaunt, dass an seinem Gesicht nichts Auffälliges zu entdecken war. Die Lippenschwellung bestand nur in seinem Gefühl, der betäubte Nerv verhinderte den ordnungsgemäßen Gebrauch der Mundwerkzeuge, daher das Lallen. Diese Entdeckung erleichterte ihn, und beinahe froh gestimmt, weil er die Behandlung hinter sich hatte, trat er den Weg zur Métro-Station Charles de Gaulle – Étoile an. Er nahm die Linie 1 bis Châtelet, überquerte die Seine am Pont Notre-Dame und lenkte seine Schritte zur Polizeipräfektur auf der Île de la Cité.

Nachdem im Zuge von Sparmaßnahmen und Zusammenlegungen von Polizeipräsidien seine Arbeitsstelle in Deauville vor über zwei Jahren in einen einfachen Polizeiposten umgewandelt worden war, hatte man ihn zunächst beurlaubt. Zumal er sich bei seinen letzten Ermittlungen nicht ganz an die Vorgaben seiner Vorgesetzten gehalten, sogar gegen sie gehandelt hatte. Aber da der Fall noch einmal aufgerollt werden musste und nie zu einem eindeutigen Ergebnis führte, hob man die Beurlaubung wieder auf. Mit seinen fünfundfünfzig Jahren wäre er, weil er zur Gruppe von Beamten mit erhöhtem Risiko bei der Berufsausübung gehörte, durchaus schon pensionsberechtigt, ein Zustand, den er nicht anstrebte. Im Zuge der geplanten Reform der Arbeitszeitgesetze würde diese Möglichkeit wahrscheinlich sowieso bald verschwinden. Der Polizeipräfekt, den Leblanc aus der Zeit kannte, als er noch nicht Präfekt war, hatte eigene Pläne mit dem Kommissar, dessen detektivische Fähigkeiten er schätzte, den er allerdings für eigenwillig und nicht besonders teamfähig hielt. Er beorderte Leblanc nach Paris und schlug ihm vor, Aufgaben als Sonderermittler zu übernehmen. Man würde ihn zur Aufklärung diffiziler Mordfälle einsetzen, wenn die Kriminalisten vor Ort mit ihren Methoden nicht weiterkamen.

»Eine Premiere, Leblanc«, hatte der Präfekt gesagt, »so etwas hat es in der Geschichte der französischen Kriminalpolizei noch nie gegeben. Die Aufgaben werden Ihnen direkt von mir zugeteilt, ich informiere die jeweiligen Präsidien über Ihre Mitarbeit. Sie müssen nur bereit sein, die Einsatzorte zu wechseln.«

Leblanc hatte seine Begeisterung kaum zügeln können. Nicht der gefürchtete Ruhestand, sondern eine attraktive Aufgabe als Sonderermittler wurde ihm angeboten. Seine Zusage lag ihm schon auf der Zunge, als ihm einfiel, dass er nicht mehr allein war. Dieses Mal wollte er nichts falsch machen, nichts über Maries Kopf hinweg entscheiden, sondern sie von Anfang an in die Planung einbeziehen. Deshalb erbat er sich zwei Tage Bedenkzeit. Das musste reichen, um Marie auf die neue Situation einzustimmen.

Nachdem sie beide von einem zweimonatigen Aufenthalt in Kamerun bei seiner Mutter und ihrer neuen Großfamilie nach Trouville zurückgekehrt waren, hatte Leblanc seine Wohnung aufgegeben und war zu Marie gezogen. Für jemanden wie ihn, der sich in Gefühlsdingen nicht gern festlegte, ein großer Schritt. Marie kannte ihn so gut, dass sie ermessen konnte, was das Entgegenkommen für ihn bedeutete. Entspannung trat ein. Sie pochte nicht ständig auf mehr Verbindlichkeit, und ein paar Monate lang, als Leblanc noch beurlaubt war, hatte keine Unstimmigkeit ihr Zusammenleben getrübt.

Aber Marie war nicht entgangen, dass die verordnete Untätigkeit nach einiger Zeit bei ihm zu Unzufriedenheit und Nervosität führte. Lange Spaziergänge mit dem Hund reichten nicht mehr aus, um seinen Tatendrang zu besänftigen. Aus Paris zurückgekehrt, berichtete Leblanc von der neuen Aufgabe, die ihm der Präfekt vorgeschlagen hatte, und Marie war klar, dass sie, wenn sie ihr weiteres Leben mit ihm verbringen wollte, nicht Nein sagen durfte. Seine Zufriedenheit gegen ihre Angst, dass ihm etwas passieren könnte, und ihr Alleinsein, wenn er in einer Ermittlung steckte. Und sie sagte Ja. Ja, er solle wieder arbeiten, sie würden gemeinsam eine Lösung finden. Ganz aufgeben wollte Marie das Haus in Trouville nicht, aber dazu eine Wohnung in Paris für sie beide, das könnte sie sich vorstellen.

Mit Sinn fürs Praktische hatte sie sich gleich an die Planung gemacht. Sie besaß in Paris ein kleines Einzimmerappartement, das sie vermieten würde. Leblanc, erleichtert, dass die Entscheidung schnell und einfach getroffen wurde, hatte Marie, die mehr Verhandlungsgeschick zeigte als er, die Wohnungssuche überlassen. Bald hatte sie in der Rue de...

Erscheint lt. Verlag 16.3.2020
Reihe/Serie Kommissar Leblanc ermittelt
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte britische Krimis • Cosy Crime • Cosy Krimi • Delikatesse • eBooks • Gourmet • Guernsey • Hummeressen • Kanalinsel • Kommissar Leblanc • Krimi • Krimi deutsch • Kriminalroman • Kriminalromane • Krimi Neuerscheinungen 2019 • Krimis • Krimis und Thriller • Neuerscheinungen Bücher 2020 • Sommer • Sommerlektüre • Steuerparadies • Taschenbuch
ISBN-10 3-641-23611-8 / 3641236118
ISBN-13 978-3-641-23611-3 / 9783641236113
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