Puppenheim (eBook)

Thriller

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020
btb Verlag
978-3-641-22952-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Puppenheim - Sarah Hilary
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Ein packender Thriller aus London. Für alle Leser von Nicci French. Erstmals auf Deutsch.
Eine Reihe mysteriöser Vermisstenfälle hält London in Atem. Junge Mädchen, die von zu Hause ausgebrochen sind, verschwinden von einem Tag auf den anderen spurlos. Das Gerücht geht um, ein geheimnisvoller Mann habe seine Finger im Spiel. Schon bald wird die erste Leiche gefunden, hindrapiert wie eine Puppe. Marnie Rome von der Kriminalpolizei London wird zum Tatort gerufen. Marnie, die brillante Ermittlern, die aus eigener Erfahrung weiß, was es heißt, Opfer zu sein. Und die sofort spürt, dass man sich auf die Fürsorge dieses Mannes nicht verlassen kann ...

Sarah Hilary lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Bristol. Sie arbeitet bei einem bekannten Reiseführerverlag, war jedoch auch schon als Buchhändlerin oder bei der Royal Navy tätig. »Herzenskalt«, der erste Teil der Reihe um die unerschrockene Ermittlerin Marnie Rome, wurde in England als bester Krimi des Jahres ausgezeichnet.

5


Aimee


Nägel kratzten an der Tür. »Essen ist fertig. Er will dich bei uns.«

Ich wollte nicht essen, also habe ich keine Antwort gegeben. Ashleigh kam ins Zimmer, mit der Schulter die Tür aufschiebend. Harm hatte einen Türschließer eingebaut; sie knallte zu, wenn man nicht achtgab. »Du kannst mit uns essen, sagt er.«

»Ich bin nicht hungrig.«

»Sei nicht blöd!« Sie blickte sich um. »Und reit mich nicht in die Scheiße. Mal wieder.« Ihre Augen waren gierig, glitten überall hin. Ich hatte zu viel Zeug bekommen.

Harm machte mir ständig Geschenke. Die Haarbürste war meine neueste Errungenschaft, echtes Silber, mit eingraviertem Feingehaltstempel. Ashleigh ging geradewegs auf sie zu, wo sie auf einem Frisiertisch lag, Glühbirnen um den Spiegel, als wäre ich der Star eines Softpornos. »Hübsch.« Ihre Stimme war ausdrucksleer. Sie hasste mich. Sie fasste die Bürste aber nicht an. Das hat sie nicht gewagt. Im Licht der Glühbirnen sah es aus, als hätte sie einen Ausschlag.

»Du musst kommen und mit uns essen.« Sie ging zu Tür. »Steh auf!«

Ich blieb noch ein bisschen auf dem Bett liegen, bevor ich tat, was sie von mir verlangte. Sie hasste mich, aber sie hatte recht. Ich konnte sie nicht schon wieder in die Scheiße reiten, nicht so schnell nach dem letzten Mal.

Die anderen warteten unten um den Tisch. Keine Gracie, was bedeutete, dass sie mal wieder in Schwierigkeiten steckte, weggesperrt in ihr Zimmer. Ashleigh hatte angefangen, sie Disgracie zu nennen. Es war lustig, außer dass es das nicht war. Sie hat mir schrecklich leidgetan. Auch wenn es mir nicht im Geringsten besser erging. Ich war schlimmer dran als alle anderen, kein Berg an silbernen Haarbürsten konnte das ändern.

In der Küche roch es heiß und braun, und bei dem Gedanken, was auch immer auf dem Herd köcheln mochte, hätte ich mich am liebsten übergeben. Dosen, immer aus Dosen. Lieber wäre ich verhungert, nur dass das natürlich Quatsch war. Ich hatte genügend Nächte auf der Straße verbracht, in denen ich fast verhungert wäre. Verhungern ist was für reiche Kids, die nie weiter als eine Armlänge von einem anständigen Essen entfernt sind. Ich würde diesen Fraß essen, was auch immer es war, und dankbar sein.

May lächelte mich an, saß mit durchgedrücktem Rücken auf dem Stuhl, die Haare fein säuberlich gekämmt, alles an ihr von der Schuluniform bedeckt. Die Strumpfhose juckte sie an den Beinen, genau wie mich. Keine von uns wagte es allerdings, sich zu kratzen, zumindest nicht am Tisch. Ashleigh nahm ihren Platz ein, legte eine Serviette auf ihren Schoß, verbarg jede Spur des Miststücks, das sie oben gewesen war.

Am Herd schöpfte Harm braunes Essen auf graue Teller. Er bewegte sich langsamer als üblich, als müsste er uns ins Gedächtnis rufen, wie das hier funktionierte – wer das Sagen hatte. Meine Finger zuckten, bis ich mich zwang, es zu lassen. Alles, was anders war, jede noch so kleine Veränderung, machte mich nervös.

Alles musste immer, immer gleich sein.

Das war, was er uns beigebracht, was er uns eingetrichtert hatte. Ich hasste es, wie bedächtig er sich bewegte. Die Kerzen saugten an seinem Schatten, zerrten ihn bis zum Tisch. Meine Finger krochen außer Reichweite.

Christie half Harm, zwei Teller in jeder Hand wie eine Kellnerin. Sie war groß und kräftig, echter als der Rest von uns. Blonde Haare, die ihr über den Rücken fielen, genau wie er es mochte. Ein Baumwollkleid, das ihr bis zum Knie reichte und stolz ihre Waden zur Schau stellte. Sie hatte prächtige Muskeln. Im Vergleich zu Harm war sie nichts. Sie spähte zu mir, nickte anerkennend. Mir war gestattet worden, nach unten zu kommen, und ich war der Anweisung ohne großes Theater gefolgt. Braves Mädchen. Braver Hund. Ich zog einen Stuhl heraus und setzte mich neben May, deren Hand sich unter dem Tisch verstohlen in meine schob. Ihre Hand war warm oder meine kalt. In meinem Zimmer wurde es nie warm, nicht richtig. Diese Fußbodenheizung war eine große Lüge, genauso wie alles andere.

Ashleigh kratzte mit den Füßen über den Boden, dann hielt sie inne und saß still da.

Wir drei in unseren weißen Blusen, schwarzen Röcken und Strumpfhosen, die Gesichter mit Seife und Wasser geschrubbt, die Haare hübsch säuberlich gekämmt. Wir sahen aus, als könnte uns kein Wässerchen trüben.

Christie brachte die Teller an den Tisch. Harm war ein guter Koch, sagte sie. Als bräuchte man einen Michelin-Stern, um den Dreck zu kochen, von dem wir uns ernährten, Essen, so voll von Konservierungsstoffen, dass es noch in hundert Jahren genießbar wäre. May hatte einmal versucht, Gemüse anzupflanzen, aber er hat es verboten. Alles musste lang haltbar sein. Schleimige Scheiben rekonstituierter Aubergine, als hätte sich die Zunge eines Stiefels an der Seite meines Tellers zersetzt.

Wir aßen schweigend, das einzige Geräusch das Kratzen von Gabeln auf Blechtellern. Wir tranken Wasser aus Blechtassen. Nichts auf unserem Tisch war zerbrechlich, außer es zählte die angespannte Stille von Teenagermädchen, Leibeigene eines gutaussehenden und großzügigen Mannes. Am liebsten hätte ich wirklich gekotzt.

»Wir sind, was wir sind«, sagte Christie immer.

Ich hatte mal einen Horrorfilm von Jim Mickle mit diesem Titel gesehen, aber das behielt ich für mich.

Wir sind, was wir sind.

Hätte man durchs Fenster geschaut, was hätte man dann gesehen? Einen Vater und seine blutjunge Ehefrau, die mit ihrer Familie aus geschniegelten Püppchen beisammensaßen, glatte Haare bis zur Hüfte, erblühende Titten unter sauberen Hemden. Und ich – das Kuckucksei am Tischende, flachbrüstig und mit kurz geschnittenen schwarzen Haaren, an die seine dicke silberne Bürste vergeudet war.

Es war alles eine Lüge. Christie war nicht seine Frau. Wir waren nicht seine Töchter, nicht einmal Schwestern. Natürlich hätte man auch nicht durch das Fenster schauen können. Zum einen gab es da Verdunklungsrollos.

Harm füllte meine Tasse mit Wasser auf, ein Hauch von Besorgnis auf seinem Gesicht. »Nicht dehydrieren!«

Ashleigh riskierte ein Augenrollen, das sie sogleich in ein Blinzeln verwandelte, bevor Harm sie dabei ertappte.

Das Wasser schmeckte nach Münzen, so wie meine Hände am Ende eines guten Tags Betteln auf der Straße gerochen hatten. »Vielen Dank.« Meine Stimme brach beim letzten Wort.

Ashleigh war die Erste, die ihren Teller aufgegessen hatte. »Das war fein.« Sie leckte sich über die Lippen und warf Harm ein weißes Lächeln über den Tisch zu, Augen so hell leuchtend wie ihre Zähne. Sie hatte etwas auf ihre Lider getan.

Fuck …

Sie hatte sich Vaseline auf Lider und Mund geschmiert. Kein Make-up im Haus. Eine der goldenen Regeln. Die Vaseline verlieh ihrem Mund einen feuchten Schimmer. Sie sah nicht wie ein Schulmädchen aus. Sie sah erwachsen aus, nuttig. Du dumme, dumme Kuh …

Harm hasste alles Erwachsene. Und nuttig sogar noch mehr. Wir sollten seine perfekten Puppen sein, geschlechtslos, keusch. Das wusste sie. Ashleigh wusste es. Sie saß zu weit nach vorn gebeugt da, mit den Händen am Saum ihres Hemds ziehend, sodass es vorne hauteng anlag. Er würde es bemerken. Schon seit Wochen versuchte sie, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Fuck. Wie konnte er ihre Titten nicht bemerken, wenn sie so dasaß?

Christie schob ihren Stuhl zurück. »Ashleigh, du bist an der Reihe, den Tisch abzuräumen.«

Ashleigh erhob sich, die Hüften hin und her wiegend wie ein Slinky-Spielzeug, das eine Treppe hinabsteigt. Ich spürte den Schlag in Christies Blick, als hätte sie mir eigenhändig eine Ohrfeige verpasst.

Die Luft wurde stickig, ähnlich wie vor einem Sturm. Ich schmeckte das Aufflackern von statischer Elektrizität auf meiner Zunge. Neben mir war May erstarrt, abwartend, was er tun würde. Wir waren richtig angezogen, saßen dort, wo wir sitzen sollten, aßen sein Scheißessen, aber es war nicht genug. Nichts war jemals genug.

»Ashleigh.« Seine Stimme war sanft, als wäre sie mit Kreide bestäubt, so wie ein Gewichtheber seine Hände mit Kreide einreibt. »Ashleigh.«

Sie drehte sich um, ihr Lächeln verflogen. Sie hatte versucht, sich die Vaseline von den Lippen zu lecken, aber sie war immer noch dort, in ihren Mundwinkeln, und winkte ihm zu.

»Komm her.«

Unter dem Tisch drückte May meine Finger.

Nicht nicht nicht …

»Komm her«, wiederholte Harm.

Ashleigh ging zum Tisch zurück, diesmal ohne das wiegende Hüftgewackel, ruckartig, als wäre sie angeleint. Er starrte ihr ins Gesicht. Er war so nah, sie musste seinen Atem gespürt haben. Er war der Einzige, der atmete, der Rest von uns wagte es nicht. Selbst Christie hielt die Luft an. Die Kerzen brannten schnurgerade zur Decke in der plötzlichen paralysierten Stille.

»Hast du dich am Mund verletzt?« Seine Stimme blieb kreideweich.

Ashleigh riss den Kopf von einer Seite zur anderen.

»Hast du dir die Augen verletzt?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Sind sie trocken? Eingerissen?«

Und wieder.

»Warum hast du dann Vaseline im Gesicht?«

»Ich … nein. Ja. B…Bitte. Tut mir leid.« Sie betonte jedes einzelne Wort, in der Hoffnung, das richtige zu finden.

Harm hörte ihr nicht zu. Er streckte Christie die Hand hin, die ihre Papierserviette nahm und sie ihm über den Tisch hinweg reichte, was die Kerzen zum Züngeln und Flackern brachte.

Er spuckte auf die Serviette. Erhob sich zu...

Erscheint lt. Verlag 9.3.2020
Reihe/Serie Die Marnie-Rome-Reihe
Die Marnie-Rome-Reihe
Übersetzer Beate Brammertz
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Tastes like Fear
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte eBooks • junge Mädchen • Krimi Neuerscheinungen 2020 • London • Marnie Rome • Mord • Psychothriller • Spannung • Thriller • Vermisstenfälle
ISBN-10 3-641-22952-9 / 3641229529
ISBN-13 978-3-641-22952-8 / 9783641229528
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