Sterbetag (eBook)

Psychothriller

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020
Goldmann Verlag
978-3-641-25376-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sterbetag - Shannon Kirk
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Sie wollten ihr Kind, sie töten ihre Mutter. Doch der Tag der Rache ist nah.
Lisa war 16 und hochschwanger, als sie entführt wurde. Doch eines war sie nie: ein Opfer. Eine Fehleinschätzung, die ihre Entführer - brutale Handlanger eines internationalen Verbrecherrings - mit dem Leben bezahlten. 18 Jahre später ist aus dem Mädchen eine Frau geworden, ein eiskalter Racheengel, der nicht ruhen wird, bis diese Organisation vollständig zerschlagen ist. Lisa hat ihre Vergeltung minutiös geplant - und der Tag der Abrechnung naht: alle 20 Jahre unterwirft der Drahtzieher im Hintergrund zwei Frauen einem grausamen Ritual. Hier will Lisa ihn stellen. Doch dieses mörderische Spiel fordert einen hohen Einsatz: ihr Leben.

Shannon Kirk ist Anwältin, sie lebt und arbeitet in Massachusetts. Ihre Freizeit nutzt sie zum Schreiben: die Thriller um Ermittlerin und Racheengel Lisa Yyland, aber auch Gedichte und Romane in unterschiedlichen Genres. Shannon Kirk ist verheiratet und hat einen Sohn.

KAPITEL EINS


Ein neuer Zustand für Lisa Yyland, 34


In diesem Moment stelle ich infrage, wer ich bin, ob ich stehe, ob ich fliege, ob ich zerfalle. Ich überlege, ob ich nichts bin, vielleicht nur Schall oder Licht, abgetrennt von allem, was mich am Boden verankert. Doch das würde nicht erklären, woher ich weiß, dass ich sie im Arm halte. Also versuche ich, mich zu konzentrieren. Versuche, die Gefühle auszuschalten, die mich im Schock überwältigt haben.

Ihr Blut tropft von meinen Händen und bildet Netze in den Zwischenräumen meiner Finger. Ich habe gerade die Lache berührt, die sich unter ihr gebildet hat – das Blut stammt von ihrem Rücken, wo die lautlose Kugel wieder ausgetreten ist.

Herbstblätter bedecken die Erde und formen einen Teppich aus Rot, Orange, Braun und Gelb – denselben Farben, die sich in den noch vollen Baumkronen wiederfinden. Es ist mitten im Herbst, die Jahreszeit der Indian-Summer-Touristen. Die Luft ist spätsommerlich warm, aber vielleicht ist mir auch nur heiß von unserer Joggingrunde, die jäh unterbrochen wurde, als der SUV um die Ecke bog, ein SUV, der aussah wie all die anderen Luxusschlitten in diesem Küstenort in Massachusetts.

Ich gehe die letzte Minute noch einmal in sämtlichen, mikroskopisch kleinen Details durch: Ein schwarzer SUV biegt von der Harbor Lane in die Beach Street ein, die hintere, getönte Scheibe auf der Fahrerseite ist heruntergefahren. Mein Blick wandert zu meiner Begleiterin, der Frau, die jetzt am Boden liegt, vor einer Minute jedoch noch aufrecht neben mir her joggte und dabei durch eine Playlist auf ihrem iPhone scrollte. Während ich kurz den Kopf zu ihr drehte und auf den Bildschirm ihres Handys blickte, entging mir offenbar der Lauf einer auf sie gerichteten Waffe im offenen Fenster des eingebogenen SUV. Dann sackte sie, ohne jedes Geräusch oder eine ersichtliche Ursache, seitlich nach hinten weg wie eine sterbende Giraffe. Während der SUV beschleunigte und stadtauswärts davonrauschte, glitt ihr das iPhone aus der Hand und landete irgendwo unter einem verblühten Hortensienstrauch, der jetzt gerade meine Achillessehne streift. Als ich ihr das iPhone letztes Jahr zu Weihnachten schenkte, stellte ich den Zeitraum, bis es sich von selbst verschlüsselt, auf drei Minuten ein, man kann das Gerät also drei Minuten lang bedienen, bevor man ein Passwort braucht. Wenn mir mein derzeitiger Schockzustand keinen Streich spielt, müsste es jetzt zwei Minuten her sein, dass meine Begleiterin zuletzt aufs Bedienfeld gedrückt hat.

Ich brauche ihr Handy. Darf nicht zulassen, dass es der Polizei oder jemand anderem in die Hände fällt.

Unglücklicherweise habe ich es versäumt, mir das Nummernschild des Tatfahrzeugs einzuprägen. Ein unverzeihlicher Fehler. Wären sie wirklich so dumm, mit Nummernschildern herumzufahren, die sich zurückverfolgen lassen? Vielleicht war mein Versäumnis doch nicht so unverzeihlich.

An der Vorderseite ihres leblosen Körpers sind keine Spuren einer eingedrungenen Kugel zu erkennen. An ihrem Rücken klafft hingegen eine offene Wunde – ihrem Rücken, der jetzt auf dem Schotter des Joggingpfads liegt. Vor knapp zwei Minuten bin ich auf die Knie gesunken, habe sie auf die Seite gerollt, die Kieselsteinchen in ihrer Wunde gesehen, sie in meine Arme gezogen und mich hyperventilierend in einen Zustand versetzt, der mir buchstäblich den Atem raubte und mir völlig den Verstand vernebelte. Fast alle Emotionsschalter in meinem Kopf legten sich von selbst um, ohne meine Erlaubnis. Wer schreit da so? Ich glaube, das bin ich.

Der Hafen liegt hinter mir. Bootshörner tuten, der Schiffsverkehr geht unbeirrt weiter. Im Meeresarm, der kaum Wasser führt, weil gerade Ebbe herrscht, watscheln die Enten so vergnügt zum hohen Gras der Salzmarsch, als hätte die Erde nicht soeben aufgehört, sich zu drehen, als wäre nicht gerade die Hölle über diesen Ort hereingebrochen, als wäre nicht gnadenloses Unheil auf mich niedergegangen, auf Mutter, die sterbend am Boden liegt, während Schotter in ihrem Fleisch steckt und Dreck in ihre geborstene Wirbelsäule eindringt. Ich muss sämtliche Gefühle ausschalten und wieder Herrin über meinen Verstand werden, die Kontrolle über diese Situation zurückgewinnen.

Vielleicht höre ich Sirenen. Vielleicht rennt gerade eine andere Joggerin auf mich zu. Ich glaube, sie trägt einen rosa Tennisrock. Jetzt ist sie näher herangekommen, beugt sich über mein Gesicht. Sie hat weiße Haare, und auf dem Schirm ihrer Schildmütze steht Saleo Country Club. »Gaaanz ruhig!«, schreit sie mir zu, was überhaupt nicht hilft, weil es das Gegenteil bewirkt und mich erst recht aufregt. Wie sehr diese Frau auch brüllt, es macht den leblosen, schlaff in meinen Armen hängenden Körper auch nicht wieder lebendig. »Gaaanz ruhig«, wiederholt die Frau. »Gaaanz ruhig, gaaanz ruhig, gaaanz ruhig.« Die Art, wie sie mit ihrem Bostoner Akzent das »a« in die Länge zieht, bringt mich zur Weißglut, meine Augen verengen sich zu Schlitzen, und meine Nasenlöcher blähen sich. Ihre Saleo-Country-Club-Kappe beschirmt eine schwarze Sonnenbrille.

Im Saleo Country Club ist weiße Sportkleidung vorgeschrieben. Ihr Rock ist rosa.

Der Country Club liegt zehn Minuten die Straße hinunter, hinter Fry Rock Beach, wohin wir gerade joggend unterwegs gewesen waren. »Im Saleo Country Club spielen Firmenbosse, Vorstandsvorsitzende, Richter, Lokalpolitiker und Speichellecker Golf oder Tennis und meinen, sie würden die Welt regieren.« So hat mir Mutter diesen Club einmal beschrieben, mit höhnischen Adjektiven und abfälligem Tonfall, wie es ihre Art ist. War.

Ich muss mich konzentrieren, darf nicht so viel Entsetzen und Wut empfinden. Ich muss meine Gefühle ausschalten, muss den Arm unter Mutter hervorziehen und mir ihr Handy schnappen, ohne dass es jemand sieht.

Zu meiner Linken kommen schlitternd einige Fahrzeuge zum Stehen. Ein Mercedes-Oldtimer. Ein neuer BMW. Mehrere Volvos und SUVs. Ein alter Audi. Ich denke an meinen Sohn Vantaggio, dessen Audi vermutlich auf dem Studentenparkplatz steht. Vanty ist in Sicherheit, er absolviert sein erstes Collegejahr in Princeton. Sarge ist bei ihm, der Mann, den ich bezahle, damit er ihn beschützt.

Ich rufe Vanty an. Nein, ich rufe Lenny an und bitte ihn, sich zu vergewissern, dass es unserem Sohn gut geht, unserem Vanty.

Der Park mit seinem von Bäumen gesäumten Jogging-Pfad, seinem rautenförmigen Baselballfeld, seiner weißen Rotunde und seinem Klettergerüst grenzt zu meiner Rechten an den Hafen. Kindermädchen, die noch Augenblicke zuvor tratschend auf Bänken saßen, während ihre Schützlinge sich auf dem Spielplatz vergnügten, haben sich zusammen mit Horden von Pseudo-Joggern und einem ganzen Yoga-Kurs in meiner Nähe versammelt. Geräusche, Gemurmel, Geschrei vermischt sich mit dem bunten Herbstlaub zu einem wirbelnden Kaleidoskop aus verschwommenen Sinneswahrnehmungen.

Ich fixiere eine Kumuluswolke am Himmel. Es ist nicht das erste Mal, dass ich eine traumatische Erfahrung mache. Ich kann meine Gefühle einfrieren. Einfrieren. Ich zähle die weißen Wölbungen der Wolke, es sind elf. Nicht ein Fleckchen Dunkelheit, keine Gewitterwolke. Ich könnte diese Wolke malen, zuerst eine rosafarbene Unterseite und dann immer mehr Konturen in verschiedenen Weißtönen und einem ganz hellen Grau, vielleicht auch einem winzig kleinen Pinselstrich in Blau. Während ich weiter die hellen Farbpixel am Himmel studiere, kämpfe ich gegen die Schalter an, die sich in meinem Inneren umgelegt haben. Angst schalte ich energisch aus, Wut ebenso. Hass, Trauer, Kummer, Fassungslosigkeit – alles wird deaktiviert. Ich werde völlig gefühllos. Bin innerlich tot. Gefühle kann ich mir derzeit nicht erlauben.

Nichts von alldem hätte passieren dürfen. Nichts von alldem war Teil des Plans. Eine gewaltige Abweichung, mit der ich nun klarkommen muss.

Ein Zupfen am Band meiner Sweatshirt-Kapuze bringt mich dazu, mich tiefer über Mutters Mund zu beugen, in dem das Blut ihre perfekten weißen Zähne rot färbt. Als mein Ohr dicht über ihren Lippen ist, höre ich sie gurgeln und würgen, als hätte sich ihr Inneres verflüssigt und als würde sie daran ersticken.

»Richter Rasper«, stößt sie mühsam hervor.

»Was? Wer?«, frage ich, obwohl ich ihre Worte so klar und deutlich vernommen habe, als hätte ich sie selbst gesagt. Ich brauche Bestätigung und spüre, wie in mir ein neuer Zustand heranreift, wie der Plan angepasst und um eine zusätzliche Ebene erweitert wird. Dieser Plan – mein Plan – existiert seit nunmehr achtzehn Jahren und wird fortlaufend aktualisiert. Er besteht darin, die Strippenzieher zu entlarven, die damals, vor mehr als achtzehn Jahren, für meine Entführung verantwortlich waren und im Zentrum eines bis heute aktiven Verbrecherrings stehen. Offenbar hat Mutter auf eigene Faust herumgeschnüffelt, hat sich in einem verhängnisvollen Netz verfangen und muss nun dafür sterben.

»Richter Rasper«, wiederholt sie. »In deine Entführung verwickelt.« Ihre Augen verdrehen sich, und ihr Kopf fällt nach hinten über meinen Unterarm. Sie ist nicht mehr da. Sie ist tot. Erneut werde ich von einem Ansturm der Gefühle überwältigt. Ich sehe nur noch weiß, meine Kehle und meine Lunge brennen vor Sauerstoffmangel. Ich muss gegen mich selbst ankämpfen, darf nicht in eine Abwärtsspirale geraten. Wieder konzentriere ich mich darauf, die Wolke zu malen. Die Wolke, die Wolke...

Erscheint lt. Verlag 16.3.2020
Übersetzer Verena Kilchling
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Plan 15/33
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Amerikanischer Thriller • eBooks • entführte Mädchen • Krimi Neuerscheinung 2020 • Neuerscheinungen Bücher 2020 • Plan • Psychothriller • Racheengel • Sebastian Fitzek • Stieg Larsson • Thriller • Vergeltung
ISBN-10 3-641-25376-4 / 3641253764
ISBN-13 978-3-641-25376-9 / 9783641253769
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 7,7 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Psychothriller

von Sebastian Fitzek

eBook Download (2022)
Droemer eBook (Verlag)
9,99
Krimi

von Jens Waschke

eBook Download (2023)
Lehmanns Media (Verlag)
9,99
Psychothriller | SPIEGEL Bestseller | Der musikalische Psychothriller …

von Sebastian Fitzek

eBook Download (2021)
Droemer eBook (Verlag)
9,99