Das Derwischtor (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020
512 Seiten
btb Verlag
978-3-641-23030-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Derwischtor - Ahmet Ümit
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Der meistgelesene Krimiautor der Türkei!
»Blut war auf dem Stein, der Vollmond am Himmel, der Geruch von Erde im Garten...«. Die Recherche zu einem mysteriösen Hotelbrand führt die junge Versicherungsinspektorin Karen Kimya Greenwood geradewegs in die Heimatstadt ihres Vaters, die zentralanatolische Stadt Konya, Zentrum des berühmten Sufi-Ordens. Vom ersten Moment an gerät sie in einen Strudel aus Geheimnissen, Mystik und Intrigen, die sich über mehr als sieben Jahrhunderte erstrecken, bis zu dem über sieben Jahrhunderte zurückliegenden Mord an Shams-e Tabrizi, dem Lehrmeister des berühmten Sufi-Meisters und Poeten Rumi. Ein Meilenstein der türkischen Krimiliteratur.

Ahmet Ümit, geboren 1960 in Gaziantep, ist einer der meistgelesenen Autoren in der Türkei. Er war von 1974 bis 1989 aktives Mitglied der Türkischen Kommunistischen Partei und schrieb in den Achtzigerjahren nicht nur seine ersten literarischen Texte, sondern studierte auch an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften in Moskau, was zu jener Zeit nach türkischem Recht illegal war. Während der Militärdiktatur von 1980-1990 war er im Untergrund aktiv und musste zeitweise auch selbst untertauchen. Er zog sich schließlich aus der aktiven Politik zurück und konzentrierte sich aufs Schreiben. Einige seiner zahlreichen Bücher wurden erfolgreich verfilmt. Für seine Nachforschungen zu »Das Land der verlorenen Götter« wurde er 2023 zum Korrespondierenden Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts Istanbul ernannt.

3

»… GRABSTEINE MIT TURBANEN«


Auf dem Flugplatz musterte ich die Abholer. Ich hielt Ausschau nach einem Pappschild mit meinem Namen, einem lächelnden Gesicht, einem Augenpaar, das nach mir suchte. Vergebens. Niemand war mich abholen gekommen. Meine neugierige Sitznachbarin nahm ihre beiden Töchter in den Arm, die Sehnsucht war offensichtlich groß, das junge Pärchen, das vor uns gesessen hatte, umarmte einen alten Mann, und ich stand mit dem Koffer in der Hand und dem Notebookcase über der Schulter verloren mittendrin. Was jetzt? Sich hilflos umzuschauen war sinnlos. Den Koffer hinter mir herziehend strebte ich zum Ausgang. Kaum verließ ich die im Wiedersehensglück taumelnde Menge, hörte ich leise eine Männerstimme: »Miss Karen … Miss Karen …« Ich drehte mich um, da stand ein korpulenter, nicht allzu großer Mann im grauen Anzug. Er war außer Atem, seine Stirn triefte vor Schweiß, offenbar war er gelaufen, um rechtzeitig zu kommen. In schlechtem Englisch fragte er zerknirscht:

»Pardon, sind Sie Miss Karen?«

Wie er sich schämte, seine Hast, sein fürchterlicher Akzent brachten mich auf die Palme.

»Ja«, entgegnete ich schroff. »Ja, ich bin Karen Greenwood.«

Statt erleichtert aufzuatmen, lief sein Gesicht hochrot an.

»Bitte entschuldigen Sie, ich bin zu spät«, sein Englisch wurde immer schlimmer. »Eigentlich sollte ein Kollege Sie abholen, der Ihre Sprache spricht, aber …«

Ich wollte das nicht wissen, wollte auch nicht, dass der Mann vor mir buckelte. Ich wollte nur ins Hotel, duschen und mich aufs Bett werfen. Ich seufzte gequält und switchte auf Türkisch um.

»Mühen Sie sich nicht weiter mit Englisch ab, ich beherrsche Ihre Sprache. Sie können Türkisch mit mir reden.«

Die Augen des Mannes strahlten auf. Als hätte er einen Verwandten getroffen, legte sich ein breites Lächeln auf seine schmalen Lippen.

»Sie können also Türkisch«, sagte er dankbar. »Wunderbar … Ich bin Mennan … Mennan Fidan. Ich leite die Agentur in Konya.«

Er merkte, dass mich nicht interessierte, was er sagte, und dachte, ich wäre ihm böse.

»Bitte vielmals um Entschuldigung, dass ich zu spät gekommen bin«, fing er an, doch ich fiel ihm ins Wort: »Ist schon gut, Mennan Bey, ist nicht weiter wichtig. Wo gehen wir raus?«

Gehetzt schaute er sich um und wies dann links auf eine Tür.

»Dort …«

Ich zog den Rollkoffer in die gewiesene Richtung. Mennan beeilte sich, nach dem Koffer zu greifen.

»Bitte, überlassen Sie mir das Gepäck.« Er schaute dermaßen jämmerlich flehend drein, dass ich nicht anders konnte, als ihm den Koffer zu geben. Er deutete auf das Notebookcase über meine Schulter.

»Bitte auch die Tasche.«

»Vielen Dank, es reicht, wenn Sie den Koffer nehmen.«

Als wir aus dem Flughafengebäude traten, verschwand plötzlich die Sonne, die unseren Flug begleitet hatte, als hätte sie ihren Job erledigt. Es war aber nicht dunkel, ringsum herrschte sonderbares Licht. Ein silbriger Schein, der sich wie melancholisch über die Steppe senkte.

Als ich vor Jahren zum ersten Mal in diese Stadt gekommen war, herrschte ein freundliches Licht. Es musste nachmittags gewesen sein, vielleicht früher Abend. Die Sonne war noch nicht untergegangen. Ringsum war alles in Honigfarben getaucht, die Straßen, die Mauern, die Fensterscheiben, die Blätter an den Bäumen, die Gesichter der Menschen. Das leicht ins Rötliche gehende goldgelbe Licht beleuchtete die Stadt nicht, vielmehr malte es mit seinem glänzenden Staub alles an, verpasste jedem Wesen, jedem Gegenstand seine Farbe. Ein unvergesslicher Moment für ein fremdes Mädchen wie mich, das, seit es sprechen konnte, mit Geschichten, Legenden, Märchen über diese geschichtsträchtige Stadt aufgewachsen war. Mir war damals, als schaute ich mit eigenen Augen ein Wunder. Wir stiegen in einem großen Haus aus Lehmziegeln ab. Es hatte keinerlei Ähnlichkeit mit den Wohnhäusern in London, auch nicht mit den zweigeschossigen Häusern in den Arbeitervierteln bei uns. Es gab unzählige Räume, Holztüren mit zwei Flügeln und reicher Schnitzarbeit, Fenster mit hölzerner Vergitterung, einen großen Garten mit Bäumen, darin von Turbanen bekrönte Grabsteine mit arabischen Schriftzeichen. Zuerst hielt ich sie für Denkmäler. Doch Papa klärte mich auf. Ich verbarg mein Erschrecken. Gräber im Garten fand ich schaurig. Waren wir in einer Art Kirche? Papa lachte. »Könnte man so sagen, es ist eine Art Kloster …«

Seltsamerweise sah ich keine Nonnen. Es gab nur Männer dort. Irgendwann tauchte aber doch eine Frau auf, stämmig und mit Dauerlächeln. Sie sagte auch ihren Namen, aber ich vergaß ihn. Ungeniert umarmte und küsste mich die Frau auf beide Wangen. Sie roch leicht nach Vanille. Das mochte ich. Vielleicht weil ich Hunger hatte. Dass sie mich aber so mir nichts, dir nichts in den Arm nahm, befremdete mich. Sie war doch keine Verwandte oder Bekannte. Doch ich sah Papas ruhige Miene, den zufriedenen Ausdruck in seinen Augen, und schwieg. Offenbar lag nichts Ungewöhnliches im Verhalten der Frau.

»Dort steht unser Auto …«

Mennan deutete auf einen schwarzen Mercedes. Hatte ich das falsche Fahrzeug im Visier? Nein, er stand schon fast davor. Ein nagelneuer Wagen der E-Klasse. Ich kam nicht umhin, mich zu fragen, wo der Mann das Geld dafür verdiente. Meines Wissens hatten wir kein sonderlich ausgedehntes Klientenportfolio in Konya. Unser bester Kunde war Ikonion Tourism. Die Firma, deren Hotel abgebrannt war. Die Beträge ihrer Police waren beträchtlich, und sie hatten stets pünktlich gezahlt, dennoch war es unmöglich, damit einer kleinen Versicherungsagentur, wie Mennan sie betrieb, genug Geld für eine Luxuslimousine wie diesen Mercedes einzubringen. War der Argwohn unseres ambitionierten Direktors Simon doch berechtigt? Hatte Ikonion Tourism unseren Versicherungsagenten Mennan Fidan gekauft und versuchte, uns einen Drei-Millionen-Betrug unterzuschieben? Sei vorsichtig in seiner Gegenwart, nahm ich mir vor. Mennan, nichts von meinen Gedanken ahnend, wartete mit meinem Koffer hinten rechts am Wagen. Als ich bei ihm war, stellte er den Koffer ab und hielt mir höflich die Tür auf.

»Bitte schön, Miss Karen.«

Ich dankte ihm und stieg ein, traute seiner Höflichkeit aber nicht über den Weg. Wie oft hatte ich falsche Höflichkeit erlebt! Vor allem Klienten mit betrügerischen Absichten verhielten sich überaus aufmerksam und respektvoll. Sie wollten die Versicherungssachverständige beeindrucken, damit wir gewisse Details übersahen. Mich hätte nicht gewundert, wenn es sich hier um einen solchen Fall handelte. Auch Mum war dagegen gewesen, dass ich nach Konya reiste, obwohl sie die Menschen dieses Landes liebte. Vermutlich sorgte sie sich arg um mich. Wer weiß, wie oft sie schon versucht hatte, mich zu erreichen. Um sie nicht länger in Sorge zu lassen, schaltete ich das Handy ein. Ich wartete darauf, dass die eingehenden Nachrichten luden, Mennan verstaute unterdessen meinen Koffer im Gepäckfach und knallte die Klappe zu. Statt in den Wagen zu steigen, telefonierte er, dabei warf er mir hin und wieder argwöhnische Blicke zu. Informierte er jemanden über meine Ankunft? Ach was, hör auf, dich in Paranoia hineinzusteigern! Vielleicht rief er einfach nur seine Frau an. Ich sollte mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern. Ich schaute erneut aufs Handy, doch da waren keine neuen Nachrichten. Niemand hatte angerufen, während ich im Flugzeug saß. Weder Mum noch Nigel. Ich hatte mich getäuscht, Mum sorgte sich nicht um mich. Sie glaubte also, ich würde mit den Schwierigkeiten fertigwerden. Und Nigel? Seit drei Jahren waren wir zusammen, er war meine große Liebe, der Vater des Kindes in meinem Bauch. Ich war noch immer verliebt in ihn und er in mich. Aber er war so unendlich relaxed. Seine Gelassenheit machte mich rasend. Wie süß er war mit den funkelnden schwarzen Augen, den beiden Reihen weißer Zähne, die wie Perlen glänzten, wenn er die vollen Lippen zum Lächeln verzog, mit seiner stets warmen Haut. Schon bei dem Gedanken an Nigel wurde mir warm ums Herz. Er aber dachte offenbar gar nicht an mich. Sorgte man sich nicht um seine Liebste, wenn sie in ein fremdes Land reiste? Obendrein wusste er, wie nervös ich war. Ich hatte ihm erzählt, wie ungern ich nach Konya reiste, dazu kam die völlig ungeplante Schwangerschaft. Mein Blick fiel auf die Uhr. Kurz vor sechs. In London war es jetzt vier Uhr. Da fiel es mir ein, ich war erleichtert, na klar, er hatte gestern Abend gesagt, heute um diese Zeit hätte er eine Herz-OP. Deshalb hatte er nicht angerufen. Und Mum? Ach ja, auch sie hatte einen guten Grund: die Sitzung beim Aids-Hilfe-Verein. Jeden Montag ging sie dorthin.

Mennan stieg ein und riss mich aus den Gedanken.

»Verzeihen Sie, ich habe Sie warten lassen.« Er klang verlegen. »Ein Anruf aus dem Büro, es war dringend.«

Ich zeigte kein Interesse.

»Kein Problem.«

Mennan schloss die Tür und quetschte seinen Bauch mit Ächzen und Stöhnen hinter das Steuer, wieder stand ihm der Schweiß auf der Stirn. Er zog ein Papiertaschentuch aus dem Kästchen neben der Gangschaltung und tupfte sich die Stirn ab. »So, wir können fahren.«

Bevor er den Zündschlüssel drehte, warf er mir im Rückspiegel einen besorgten Blick zu, als hätte er etwas Wichtiges vergessen. »Sie sitzen doch bequem?«

Zum ersten Mal nahm ich seine grünen Augen wahr, sie blickten herzlich aus dem fülligen Gesicht.

»Alles gut, ich sitze gut, danke, wir können losfahren.«

Mennan holte tief Luft, murmelte »Bismillahirrahmanirrahim« und ließ den Wagen...

Erscheint lt. Verlag 13.1.2020
Übersetzer Sabine Adatepe
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Bab-i Esrar
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Bruderschaft • Derwisch • eBooks • Ermittlerin • Familiengeheimnis • Familiensaga • Islamische Mystik • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Mystik • Rumi • Spannung • Türkei • Versicherungsbetrug
ISBN-10 3-641-23030-6 / 3641230306
ISBN-13 978-3-641-23030-2 / 9783641230302
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