In deinem Licht und meinem Leben (eBook)
212 Seiten
Alea Libris Verlag
978-3-945814-18-5 (ISBN)
Kapitel 1
Das Summen ihres Smartphones weckte sie, kaum dass
ihr Kissen vibrierte. Für ihren Wecker war es noch zu früh,
fand Lena, also war es ein Anruf, vermutlich von ihrer Mutter.
Verschlafen fuhr sie mit der Hand über das Laken, tastete nach
dem Handy und blinzelte gegen das helle Licht des Displays.
Nur mühsam konnte sie durch den Schleier, der noch auf ihren
Augen lag, den Namen erkennen, der in einem hellen Grün auf
dem Bildschirm blinkte.
»Mama, echt jetzt?«, murmelte sie müde, ihre Laune sank.
Es war noch nicht einmal neun Uhr, sie hatte gerade mal
vier Stunden geschlafen. Lena setzte sich auf, strich sich eine
Strähne aus dem Gesicht und gähnte, während sie den Anruf
entgegennahm. »Mama, was ist denn? Ist jemand gestorben
oder warum rufst du mich um die Uhrzeit an?« Als sie die Ant-
wort ihrer Mutter hörte, war sie mit einem Mal hellwach. »Jetzt
mach hier keine dummen Scherze! Das ist doch wohl nicht
dein Ernst, oder? Oder?« Lena sprang aus dem Bett. Ihr Herz
raste. Angst stieg in ihr hoch, eine Gewissheit breitete sich in
ihr aus. Doch sie wollte sie nicht wahrhaben. Wollte nicht, dass
sie wahr sein könnte. Sie ging durch den Flur, ein Rauschen in
ihren Ohren. Im Wohnzimmer ließ sie sich auf das Sofa fallen,
während ihre Mutter die Nachricht wiederholte. Mehrfach.
»Mama, das … wie? Wann? Warum?« Lena schluckte. Sie
hatte das Gefühl, den Boden unter ihren Füßen zu verlieren,
und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Das geht nicht! Das
darf nicht ... Mama, was ... soll ich vorbeikommen? Soll ich -«
Weiter kam sie nicht. Ihr Schluchzen machte es ihr unmöglich,
weiterzusprechen. Der Stimme nach zu urteilen, ging es ihrer
Mutter ähnlich. Auch sie weinte und war kaum zu verstehen.
»Mama, soll ich wirklich nicht ...« Lena schloss ihren Mund.
Das Weinen ihrer Mutter zerriss ihr das Herz. Mit einem Mal
glaubte sie, in einen dunklen Strudel aus Trauer, Schmerz und
Verzweiflung zu versinken. Fuzzy war tot, und ihre Mutter so
leiden zu wissen, war zu viel für Lena. Sie schloss ihre Augen
und konzentrierte sich, unterdrückte mühsam all ihre Gefühle,
während sie mit ihrer Mutter sprach. Sie musste stark bleiben.
Für sie beide. Wie damals, bei Stefan, ihrem guten Freund
und Kollegen, als es darum gegangen war, seine Freundin und
besten Freund von Dummheiten abzuhalten und sie durch
die Trauer zu führen. Sie konnte das. Sie schaffte das. War ja
immerhin nicht das erste Mal. Lena schluckte, als ein neuer
Schluchzer in ihr hochstieg. »Mama, warte. Leg jetzt nicht
auf -« Doch zu spät. Ihre Mutter hatte das Gespräch bereits
beendet. Lena legte das Handy neben sich, winkelte die Beine
an und schlang die Arme um ihre Knie. Langsam atmete sie
tief durch und schloss ihre Augen. Die Mauer, die sie um ihr
Innerstes errichtet hatte und die sie normalerweise vor emotio-
nalen Ausbrüchen bewahrte, brach mit einem Mal zusammen.
Sie biss sich auf die Lippe. Ein Schrei wollte aus ihr hervor-
brechen. Der Schmerz, der die Nachricht über den Tod ihres
Stiefvaters hervorgerufen hatte, schüttelte sie. Brach ihr das
Herz. Lena krallte ihre Nägel in ihre Arme, fest, so fest, dass
es blutete. Doch sie merkte es nicht, spürte den Schmerz nicht.
Sie hielt die Augen fest geschlossen, hoffte, die Tränenflut wie-
der in den Griff zu bekommen. Mit aller Macht versuchte sie
sich zu konzentrieren und alles auszublenden und auszusper-
ren. Sie musste jetzt einfach stark bleiben.
»Ey, Schatz, was’n los?« Erst als sich zwei Arme um sie
legten, schien sie aus ihrer Starre zu erwachen. »Was ist los?
Was ist passiert?«
Lena schluckte, räusperte sich. Sie schien ihre Stimme verlo-
ren zu haben.
»Du hast geschrien! Warum? Hast du dir wehgetan? Was ist
los? Sag doch was! Ich mach mir verdammt noch mal Sorgen!«
»Ich ... ich hab geschrien?«, stammelte Lena. Ihre Stimme
klang sogar in ihren Ohren fremd, rau, verzerrt. Sie räusperte
sich erneut. Wieder kamen ihr die Tränen. »Ich dachte, ich
hätte -« Ein raues Schluchzen brach aus ihr hervor, schmerzte
in ihrer Kehle, ihrem Herzen. »Fuzzy ist tot.«
»Das ist kein guter Witz. Du warst schon mal lustiger. Hast
du denn schon einen Kaffee getrunken?«
»Dom, das ist kein Scherz!«, fuhr Lena ihn an, froh, sich auf
ein neues Gefühl konzentrieren zu können. »Fuzzy ist tot. Heu-
te Morgen. Gestürzt, haben sie Mama erzählt. Aus acht Metern
Höhe gefallen und hat noch gelebt, doch die Reanimierungs-
versuche haben nichts gebracht, also er kam halt nicht mehr zu
Bewusstsein.« Sie war über sich selbst überrascht, wie ruhig sie
ihrem Freund die Situation schilderte. »Sein Bruder faselt die
ganze Zeit was von Selbstmord, seine Mutter irgendwas von
Depressionen, die Polizei von Mord, und meine Mutter - die
weiß nicht, wo ihr der Kopf steht.« Sie bemerkte den verunsi-
cherten Ausdruck in Dominiks Augen. Sie waren jetzt schon
seit zwei Jahren zusammen, es konnte ihn unmöglich noch im-
mer verunsichern, dass sie ihre Gefühle unter Verschluss hielt
und von sich schob. Denn genau das tat sie gerade. Sie musste
einfach alles ausblenden, ihre Gefühle ausschalten. Sonst würde
sie wahnsinnig werden. Ansonsten würde sie in diesen dunklen
Abgrund aus Trauer, Schmerz und Verzweiflung fallen, aus
dem es kein Entkommen gab. Die Leere in ihrem Herzen fraß
sie auf, doch Lena schob sie zur Seite. Weigerte sich, weiter da-
rüber nachzudenken. Stark bleiben, einen kühlen Kopf bewah-
ren, befahl sie sich stumm. Dominik streichelte mit einer Hand
ihren Rücken, mit der anderen hielt er ihre Hand.
»Und, was glaubst du?« Er sprach sanft und ruhig mit ihr.
Hatte er Angst, sie würde die Kontrolle verlieren und hyste-
risch werden? Lena biss sich auf die Lippe. Soweit würde sie es
nicht kommen lassen.
»Ich weiß es nicht. Ja, er hatte schon den einen oder anderen
Selbstmordversuch hinter sich, aber ich kann es mir nicht vor-
stellen. Er wollte heute doch noch wandern, wäre ja heute auch
aus der Reha entlassen worden. Ich kann’s mir einfach nicht
vorstellen. Zumal ich ja gestern noch mit ihm telefoniert habe
und wir über diese Schrottkarre, die meine Mutter Auto nennt
und mit der ich mich durch Tübingen quäle, gelästert haben.
Wie gesagt, ich glaub nicht an einen Selbstmord.« Lena schüt-
telte ihren Kopf, klammerte sich an die Wut auf ihre Stief-
familie. Wut war schon immer ein gutes Mittel gegen Trauer
gewesen. Nachdem ihr erster Stiefvater gestorben war, hatten
die Wut und der Hass auf ihn und alles, was er ihr angetan
hatte, ihr dabei geholfen, die Beerdigung und die Begegnungen
mit ihrer damaligen Stieffamilie zu überstehen. Und auch dieses
Mal würde sie sich an ihrer Wut festhalten, um ihrer Mutter
aufrecht und stark durch die schwierige Zeit zu helfen, auch
wenn sie sich am liebsten ins Bett legen und dort zusammen-
rollen würde, um weinend über den Verlust des einzigen Men-
schen zu trauern, der immer an sie geglaubt und sie so akzep-
tiert hatte, wie sie war, ohne sie verbiegen oder versucht hatte,
über ihr Leben zu bestimmen, damit sie den Vorstellungen und
Wünschen anderer entsprach. Auch wenn Fuzzy nur acht Jahre
Teil ihres Lebens gewesen war, so hatte er ihre Mutter glücklich
gemacht und wieder die Hoffnung auf eine glückliche Familie
in ihr geweckt. Lena lächelte traurig, als sie daran dachte. Sie
war ihm gegenüber anfangs zwar skeptisch gewesen, aber es
hatte nicht lange gedauert, da hatte sie ihn als Vater akzeptiert.
Als den Vater, den sie nie gehabt, sich aber immer gewünscht
hatte. Nun fand sie sich wieder am Anfang: ohne Vater, ihre
Mutter am Ende und allein. Lena schüttelte ihren Kopf. Das
war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um sich in Selbstmitleid
zu suhlen und sich darin gehen zu lassen. Jetzt galt es, sich um
ihre Mutter zu kümmern. Lena war nicht bereit, ihre Mutter zu
verlieren. Weder an den Wahnsinn noch an den Tod, und wenn
sie selbst schon von Fuzzys Tod aus der Bahn geworfen wurde,
wollte sie sich nicht ausmalen, wie es ihrer Mutter erging.
»Was mach ich jetzt? Was mach ich denn jetzt nur?«,
murmelte sie und fuhr sich durch die Haare. Als ihre Fin-
ger auf Widerstand trafen und sie die verfilzten Knoten mit
Gewalt löste, entwich ihr ein Wimmern. Unschlüssig, wie es
weitergehen sollte, was sie machen sollte, setzte sie sich an
ihren PC und starrte den schwarzen Bildschirm an. »Ich kann
heut Abend nicht arbeiten. Wie soll ich das schaffen?« Sie barg
ihr Gesicht in den Händen, rang um Fassung. Etwas ruckelte
über den Schreibtisch. Ihr Handy robbte leuchtend über die
Tischplatte. Lena verfluchte die Schutzhülle mit den Konturen,
die jede Nachricht bei Vibrationsalarm zu einem Spektakel
machte. Neugierig, aber auch genervt und wenig begeistert las
sie die Nachricht und seufzte., Natürlich konnte keiner ihrer...
Erscheint lt. Verlag | 24.9.2017 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Partnerschaft / Sexualität | |
Kinder- / Jugendbuch | |
ISBN-10 | 3-945814-18-9 / 3945814189 |
ISBN-13 | 978-3-945814-18-5 / 9783945814185 |
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