Sühnekreuz (eBook)
384 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-45095-6 (ISBN)
Daniel Holbe, Jahrgang 1976, lebt mit seiner Familie im oberhessischen Vogelsbergkreis. Insbesondere Krimis rund um Frankfurt und Hessen faszinierten den lesebegeisterten Daniel Holbe schon seit geraumer Zeit. So wurde er Andreas-Franz-Fan - und schließlich selbst Autor. Als er einen Krimi bei Droemer-Knaur anbot, war Daniel Holbe überrascht von der Reaktion des Verlags: Ob er sich auch vorstellen könne, ein Projekt von Andreas Franz zu übernehmen? Daraus entstand die Todesmelodie, die zum Bestseller wurde.
Daniel Holbe, Jahrgang 1976, lebt mit seiner Familie im oberhessischen Vogelsbergkreis. Insbesondere Krimis rund um Frankfurt und Hessen faszinierten den lesebegeisterten Daniel Holbe schon seit geraumer Zeit. So wurde er Andreas-Franz-Fan – und schließlich selbst Autor. Als er einen Krimi bei Droemer-Knaur anbot, war Daniel Holbe überrascht von der Reaktion des Verlags: Ob er sich auch vorstellen könne, ein Projekt von Andreas Franz zu übernehmen? Daraus entstand die Todesmelodie, die zum Bestseller wurde.
1
Knock-out.
So musste es sich anfühlen, wenn man k.o. geschlagen wurde. Ein Summen im Kopf, das immer lauter wurde. Der Blick, der so trüb wurde, als zögen direkt vor den Augen undurchdringliche schwarze Wolken auf. Und der Fall, immer schneller, in ein tiefes schwarzes Loch. Bodenlos wie ein Strudel, der ihre Glieder zerfetzte und jedes Quäntchen Energie aus ihrem Körper zog.
Sabine Kaufmann hob den Arm, der sich bleischwer anfühlte, und schob den Schlüssel ins Türschloss der Wohnung, in der sie seit vier Jahren mit ihrer Mutter lebte. Seit Hedis Selbstmordversuch und dem dreiwöchigen Zwangsaufenthalt in der Psychiatrie. Ihre Mutter konnte nicht mehr alleine bleiben, auch wenn es zwischendurch auch lichte Momente gab. Phasen, in denen Hedwig Kaufmann so normal wirkte wie jede andere Frau ihres Alters auch. Der Alltag war geregelt, die Tage in der Tagesklinik, die Abende und Nächte in der gemeinsamen Wohnung. Die Therapiesitzungen und die Pillen. Und zwischendurch immer wieder Aufenthalte in der Psychiatrie. Sabine hatte keine Ahnung, wie sie die letzten Jahre durchgestanden hatte, aufgerieben zwischen der Verantwortung für ihre Mutter und dem Job. Aber sie hatte es geschafft, hatte für Hedwig gesorgt und nebenbei ihre Arbeit als Kriminaloberkommissarin der Mordkommission in Bad Vilbel verrichtet. Und nun …
Sie brauchte drei Versuche, bis der Schlüssel das Schloss traf und sie ihn drehen und die Tür öffnen konnte. Sie trat in den Flur, graues Linoleum und ein muffiger Geruch nach Staub und Schmutzwäsche und den Speckbohnen, die sie am Abend zuvor auf Hedwigs Wunsch hin gekocht hatte. Sie rief nach ihrer Mutter, bekam aber keine Antwort. Unwillkürlich schaute sie auf die Armbanduhr. Sie war zu spät. Normalerweise holte sie ihre Mutter selbst aus der Tagesklinik ab, doch heute hatte sie einen Pfleger gebeten, Hedi nach Hause zu bringen, weil ihr Dienststellenleiter sie am späten Nachmittag zu einem Gespräch erwartet hatte. Dieser verfluchte Konrad Möbs. Fünf Jahre stand sie nun bereits unter seiner Fuchtel, und kaum ein Tag war vergangen, ohne dass er sie spüren ließ, wie wenig er von dem Experiment Mordkommission hielt, das man seiner Polizeistation untergeschoben hatte.
Hatte der Mitarbeiter der Klinik ihre Mutter noch gar nicht gebracht? Hatte er sie wieder mitgenommen, weil Sabine nicht da gewesen war? Oder hatte er sie einfach hier abgesetzt, obwohl er wusste, dass man sie nicht allein lassen durfte?
Sabine Kaufmann öffnete die Tür zum Wohnzimmer und rief erneut: »Mama? Bist du da? Wo steckst du denn?«
Das Wohnzimmer war leer, der Fernseher ausgeschaltet, die Wolldecke ordentlich auf dem Sofa gefaltet. Sabine ging in die Küche. Sie sah sofort, dass ihre Mutter hier gewesen sein musste. Der Wasserkocher stand gefährlich nah am Rand der Spüle. Auf dem Tisch eine halb volle Tasse, aus der ein Faden mit dem Pappschild eines Früchtetees hing. Sabine legte prüfend die Hand an Tasse und Kocher und stellte fest, dass beides kalt war. Sie beschleunigte ihre Schritte. Warf einen Blick ins Schlafzimmer ihrer Mutter, dann in ihr eigenes. Blümchentapete, dunkle Eichenholzmöbel und jede Menge Nippes hier, weiße Wände, Billy Birke und ein zerlesenes Buch auf dem Boden dort, aber keine Hedi. Die Unruhe wuchs und vermischte sich mit dem dumpfen Gefühl zu etwas, das wie ein breiiger Klumpen in Sabines Magen lag.
»Hallo?«
Sie eilte durch den Flur zur Badezimmertür und riss sie auf. Dann ließ sie sich mit dem Rücken gegen den Türrahmen sinken und schloss die Augen. Ihre Mutter war nicht da. Wieder überkam sie bleierne Schwere. Sie fühlte sich unendlich müde.
Sie hatte keine Ahnung, wo sie ihre Mutter suchen sollte. Hedi ging seit Jahren nirgendwo mehr allein hin. Sie machte Ausflüge mit den Betreuern und den anderen Patienten der Tagesklinik, und manchmal ging Sabine mit ihr auf den Wochenmarkt oder in ein Geschäft, um neue Kleidungsstücke zu besorgen, was Hedwig Kaufmann nur widerwillig über sich ergehen ließ. Sie ging nicht gerne vor die Tür, denn sie litt unter unbestimmten Ängsten, eine Folge der Schizophrenie, und seit dem Sommer vor vier Jahren glaubte sie außerdem, dass Sabines Vater, der sie vor mehr als dreißig Jahren im Stich gelassen hatte, um in Spanien oder sonst wo ein neues Leben anzufangen, da draußen auf sie lauerte. Sie hätte niemals das Haus verlassen – es sei denn, sie hatte hier drinnen eine Gefahr vermutet, die ihr noch bedrohlicher erschienen war.
Hatte Sabine die Anzeichen eines schizophrenen Schubs übersehen? Hatte Hedi wieder einmal ihre Tabletten nicht genommen, sondern sie in der Toilette hinuntergespült? Gestern Abend war sie ihr ganz normal erschienen, entspannt und gut gelaunt wie lange nicht mehr. Sie hatten sich gemeinsam eine Musiksendung angesehen, Hits aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren, und Hedi hatte sogar mitgesungen. Hatte sich Sabine fälschlich in Sicherheit wiegen lassen?
Wenn dieser verflixte Konrad Möbs sie doch nur nicht so lange hätte warten lassen. Das Gespräch hätte er außerdem ebenso gut am Vormittag führen können. Schließlich hatte er es längst gewusst. Doch wahrscheinlich hatte er es genossen, sie den ganzen Tag zu beobachten und sich auszumalen, wie sie auf die Nachricht reagieren würde. Vorfreude war bekanntlich die schönste Freude. Seinetwegen war sie jetzt zu spät, und ihre Mutter war weg. Doch selbst das war fast das geringste Problem. In Zukunft würde sie nicht nur unpünktlich sein. Sie würde gar nicht mehr hier sein.
»Die Mordkommission in Bad Vilbel wird aufgelöst«, hatte Möbs ihr verkündet, und sein Lächeln war so strahlend gewesen, dass es keinen Zweifel daran geben konnte, wie er zu ihr stand. Aber die hatte es ohnehin nie gegeben.
»Das Experiment«, Möbs, der mittlerweile zum ungefähr zehnten Mal seinen neunundvierzigsten Geburtstag gefeiert hatte, hatte die immer noch erstaunlich weißen Zähne gebleckt, »ist gescheitert. Zu wenige Morde, selbst für eine einzige Stelle.« Er sah sie bedeutungsvoll an. »Ab dem nächsten Ersten sind Sie freigestellt, bis man über Ihre weitere Verwendung entschieden hat. Das heißt«, sein Blick wanderte zu seinem großen Wandkalender, »Ihnen bleiben hier bei uns noch zehn Arbeitstage. Genießen Sie sie oder nehmen Sie Ihren restlichen Urlaub. Mir ist es gleich.«
Sabine wäre ihm am liebsten ins Gesicht gesprungen. Doch sie hatte nicht einmal den Mund aufbekommen. Es war ein Schlag. Ins Gesicht. Ins Genick. Es hätte sie nicht gewundert, wenn Möbs einen breiten Siegergürtel hervorgeholt und in die Luft gereckt hätte. Er hatte sie schließlich nie haben wollen. Warum, hatte sie bis heute nicht verstanden. Sie nahm ihm doch nichts weg. Außer einem Stück seiner Macht vielleicht. Er war zwar der Dienststellenleiter, doch ihr gegenüber nicht direkt weisungsbefugt. Ihr Chef war und blieb Kriminaloberrat Horst Schulte in Friedberg. Vielleicht hatte der eine Idee, wie es jetzt weitergehen sollte, auch wenn bei ihm derzeit kein anderer Posten frei war. So viel wusste Sabine schon. Schließlich wünschte sich auch Ralph Angersbach, mit dem sie vor vier Jahren gemeinsam das Experiment K10 in Bad Vilbel gestartet hatte, schon lange eine Stelle in Friedberg und bekam sie nicht. Was also dann? Das LKA? Die Kollegen dort hatten im Lauf der Jahre immer wieder einmal angefragt, ob sie nicht Interesse an einem Wechsel hätte. Aber Wiesbaden? Viel zu weit weg von Bad Vilbel. Von ihrer Mutter. Und der letzte Kontakt zum LKA im Zuge einer Ermittlung war auch nicht positiv verlaufen. Man hielt sich dort eben doch für etwas Besseres. Konnte das tatsächlich eine Welt für sie sein?
Sabine Kaufmann stieß sich energisch vom Türrahmen ab. Sie konnte es nicht ändern. Sie musste die Dinge nehmen, wie sie waren. Und jetzt musste sie ihre Mutter finden. Weit konnte sie schließlich nicht sein. Alles andere würde sich zeigen.
Sie zuckte zusammen, als der Gong ertönte, der mit der Türklingel verbunden war. Hedwig hatte darauf bestanden. Kein schlichtes Klingelgeräusch, sondern eine melodische Folge tiefer Töne. Und laut musste der Gong sein, denn Hedwig Kaufmann hörte nicht mehr so gut. Dabei öffnete sie ohnehin nie die Tür, wenn jemand klingelte. Doch mit einer psychisch kranken Frau diskutierte man nicht.
Sabine eilte zur Tür. Vielleicht hatte Hedi nur mit dem Pfleger eine Tasse Tee getrunken und war dann mit ihm noch eine Runde spazieren gegangen, und jetzt lieferte er sie zu Hause ab. Unlogisch, protestierte ihr Polizistinnengehirn. Schließlich stand nur eine Tasse auf dem Tisch. Aber vielleicht hatte der Pfleger keinen Früchtetee gewollt.
Sie quälte ein Lächeln auf ihr Gesicht, drückte die Klinke herunter und riss die Tür auf.
Davor stand nicht ihre Mutter, sondern ihr Bad Vilbeler Kollege Mirco Weitzel, zusammen mit Levin Queckbörner, dem Neuen in der Polizeistation. Weitzel war ein langjähriger Kollege, ein Schönling, wie er im Buche stand, stets geleckt, das Blondhaar akkurat gestylt. Vor vier Jahren hatte sie geglaubt, er wäre an ihr interessiert, doch das hatte sich zum Glück als Irrtum herausgestellt. Queckbörner dagegen sah aus wie ein Schüler, den man in eine Uniform gesteckt hatte. Die schwarzen Haare schauten unordentlich unter der Dienstmütze hervor. Das bartlose Gesicht war rundlich, so wie der ganze Mann schwerfällig und behäbig wirkte. Sabine betrachtete die Kollegen verwundert. Sie hatten sich erst vor einer Stunde verabschiedet, bevor sie zu Möbs gegangen war. Danach hatte sie auf schnellstem Wege die Polizeistation verlassen. Hatte Weitzel bereits erfahren, dass ihre Stelle gestrichen worden war, und war darüber so betrübt, dass er ihr einen persönlichen Besuch abstattete?...
Erscheint lt. Verlag | 26.2.2019 |
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Reihe/Serie | Ein Sabine-Kaufmann-Krimi | Ein Sabine-Kaufmann-Krimi |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Andreas Franz • Bestsellerautor • Bestseller-Autor • Biogas • Daniel Holbe • Daniel Holbe Sabine Kaufmann • dritter Fall • Ermittlerin • Ermittler-Krimi • giftspur • Hedwig Kaufmann • Hessen • Kommissarin • Konzern • Krimi • Krimi deutsche Autoren • Krimi Deutschland • Krimi Kommissarin • Kriminalroman • Kriminalromane Serien • Krimi regional • Krimi-Reihe • krimi reihen • Krimi-Serie • Krimis mit Kommissarin • LKA • Nele Neuhaus • Neuerscheinungen Krimis 2019 • Ökologie • Polizei Krimis/Thriller • Provinz • Ralph Angersbach • Regional-Krimi • Sabine Kaufmann • Sabine Kaufmann Krimi • Schwarzer Mann • Selbstmord • Wetterau |
ISBN-10 | 3-426-45095-X / 342645095X |
ISBN-13 | 978-3-426-45095-6 / 9783426450956 |
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