Spanischer Totentanz (eBook)
320 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-45208-0 (ISBN)
Catalina Ferrera ist das Pseudonym von Eva Siegmund, 1983 in Bad Soden geboren. Sie arbeitete als Kirchenmalerin, Juristin und Verlagsmitarbeiterin, bevor sie sich voll und ganz dem Schreiben widmete. Für ihre Kurzgeschichten hat sie bereits zahlreiche Preise gewonnen. Ferrera lebt in Barcelona und Berlin.
Catalina Ferrera ist das Pseudonym von Eva Siegmund, 1983 in Bad Soden geboren. Sie arbeitete als Kirchenmalerin, Juristin und Verlagsmitarbeiterin, bevor sie sich voll und ganz dem Schreiben widmete. Für ihre Kurzgeschichten hat sie bereits zahlreiche Preise gewonnen. Ferrera lebt in Barcelona und Berlin.
1
Karl war sicher, dass dieser Tag niemals enden würde. Die Zeit dehnte sich wie Kaugummi und verklebte in der Hitze des Spätsommers jede Zelle seines Daseins. Als hätte sich ein fettes kleines Männlein auf die Zeiger seiner Armbanduhr gesetzt. Für den Kommissar fühlte es sich an, als wären Jahre vergangen, seit er heute Morgen das Haus verlassen hatte.
Dabei war es eigentlich ein Freudentag – nach drei Monaten Fortbildung und einem scheinbar endlosen Papierkrieg mit seiner alten Dienststelle in Berlin-Pankow war er heute Morgen offiziell als Mitglied der Mossos d’Esquadra, der katalanischen Polizei, vereidigt worden. Karl Lindberg war der erste Nichtkatalane, der in den Dienst der Mossos aufgenommen wurde, und er würde wohl auch der Letzte bleiben. Das jedenfalls hatte Maria Arbol, die Polizeichefin der Ciutat Vella, mehr als einmal betont. Und Karl zweifelte nicht daran, dass sie damit ausnahmsweise einmal recht hatte.
Es waren ja auch besondere Umstände gewesen, die Karl an diesen Punkt seines Lebens geführt hatten. Er hatte seinem Schwager Alex bei der Aufklärung eines delikaten Falles geholfen und diesen Einsatz beinahe mit dem Leben bezahlt. Vor rund vier Monaten war in einem Delikatessengeschäft in El Born ein Schinken gefunden worden, der sich als Teil eines Toten entpuppt hatte. Der Fall hatte unter dem Namen »Schinkenmord« schnell für Furore gesorgt und sowohl Karl als auch seinem Schwager zu zweifelhafter Berühmtheit verholfen. Nach der Klärung des Falles hatte sich Alex in den Kopf gesetzt, weiterhin mit Karl zusammenzuarbeiten, und er hatte schließlich auch bekommen, was er wollte.
Alex hatte einen besonders guten Stand beim Polizeipräsidenten Garcia de Torres, weil er über dessen homosexuelle Neigungen Stillschweigen bewahrte. Nur deshalb hatte de Torres Karl angeboten, Mitglied der Mossos zu werden. Eine absolute Ausnahmesituation, die sich so wohl nicht noch einmal wiederholen würde.
Grundsätzlich war Karl sehr glücklich über diese Entwicklung, da er seinen Beruf schmerzlich vermisst hatte, seit er vor nunmehr knapp einem Jahr mit seiner Familie nach Barcelona gekommen war. Seiner Frau zuliebe hatte er die Stelle bei der Mordkommission Berlin aufgegeben, damit Alba die gut laufende Familienapotheke auf den Ramblas übernehmen und sich besser um ihre Eltern kümmern konnte. Unterm Strich war also alles wunderbar.
Was Karl weniger glücklich machte, war jedoch die Beachtung, die ihm am heutigen Tag zuteilwurde. Er hasste es, im Mittelpunkt zu stehen, doch als erster Ausländer bei der katalanischen Polizei kam er um die ungeteilte Aufmerksamkeit sämtlicher Kollegen nicht herum. Schon seit Anfang der Woche war er Gesprächsthema Nummer eins in der Comisaría, und Karl wusste genau, dass einige Mossos mit seiner Vereidigung ganz und gar nicht einverstanden waren. Was allerdings auch am katastrophalen Ruf seines Schwagers liegen könnte. So oder so konnte Karl es den Kollegen nicht verdenken; schließlich hatten sie die gesamte Ausbildung ordnungsgemäß absolviert. Er selbst wäre sicher ebenfalls misstrauisch gewesen. Die Ablehnung seitens einiger Mossos bereitete ihm schon seit Wochen Bauchschmerzen. Er konnte nur hoffen, dass sie ihn mit der Zeit akzeptieren würden. Zwischendurch hatte Karl sogar daran gedacht, das großzügige Angebot des Polizeipräsidenten auszuschlagen. Doch das hatte er nicht übers Herz gebracht, schließlich wollte er verhindern, dass auf seinem Grabstein stand: »Er hat sich zu Tode gelangweilt.«
Immerhin: Die sechs Personen, die gerade mit ihm am Tisch saßen, freuten sich aufrichtig über seine Vereidigung. Er selbst hatte ja gehofft, hinterher einfach nach Hause gehen, die unbequeme Uniform ablegen und mit seiner Familie essen zu können, doch da hatte er die Rechnung ohne Marla, die Assistentin der Mordkommission, gemacht. Die hatte nämlich einen Tisch im Flax and Kale reserviert, einem der angesagtesten Restaurants von Raval – jenem Teil der Altstadt, in dem sich die Comisaría befand und der zu großen Teilen alles andere als schick war. Eigentlich haftete dem Multikulti-Stadtteil, der von Handy- und Dönerläden dominiert wurde, noch immer der Ruf des Problemviertels an. Doch die moderne Einrichtung, die Loungemusik und die teuer aussehenden Massivholztische rund um ihn herum sprachen eine ganz andere Sprache. Alles hier drin erinnerte Karl eher an Berlin-Mitte, um den Alexanderplatz und die Alte Schönhauser Straße herum, als beispielsweise an Kreuzberg oder Neukölln, jene Berliner Stadtteile, mit denen der Raval von anderen gern verglichen wurde.
Karl konnte dem Laden jedenfalls nichts abgewinnen. Es gab nur Gemüse- und Fischgerichte sowie sündhaft teure Säfte, die wirkten, als kämen sie direkt aus einem Ernährungslabor der Zukunft. Außerdem Kellner mit Headsets, und wenn man zur Toilette wollte, musste man erst einen gläsernen Aufzug benutzen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sie – wenn es denn schon ein gemeinsames »Essen zur Feier des Tages« sein musste – einfach ein paar Tapas im Rincón del Artista bestellt, dem unscheinbaren Restaurant unweit der Comisaría, wo sie auch sonst zu Mittag aßen. Das Rincón war ein ziemlich heruntergekommener Schuppen, das musste Karl zugeben, aber es gefiel ihm dort.
Ihm war bewusst, dass das Flax and Kale, oberflächlich betrachtet, viel besser zu ihm passte. Wenn er nicht gerade in einer zu engen Uniform steckte, trug Karl am liebsten maßgeschneiderte Leinenanzüge und dazu passende Strohhüte, worüber nicht wenige Menschen sich regelmäßig lustig machten. Doch von seiner Kleidung einmal abgesehen, fühlte er sich wohler, wenn es weniger schick zuging. Aber Marla hatte ihm eine besondere Freude machen wollen, also beschwerte er sich nicht. Schließlich konnte er nicht erwarten, dass seine Kollegen die Widersprüche seiner Persönlichkeit verstanden. Die meiste Zeit verstand er sie ja selbst nicht.
Außer Marla waren die junge Kriminaltechnikerin Luisa Ramirez sowie die Mossos Olivia Nadal, Jorge Moix, Victor Gomez und Samuel Rodriguez mit von der Partie. Der Einzige, der fehlte, war Alex. Er hatte sich den ganzen Vormittag noch nicht blicken lassen, was Karl einigermaßen verdross. Sie sollten ein Team sein, da war es doch nicht zu viel verlangt, bei der Vereidigung des Partners aufzutauchen. Dass er sich tatsächlich bereit erklärt hatte, auf Dauer mit seinem Schwager zusammenzuarbeiten, ließ Karl in manchen Momenten über sich selbst staunen. Nach wie vor fragte er sich, wo er da hineingeraten war. Alba hingegen genoss es, dass ihr Mann und ihr Bruder jetzt besser miteinander auskamen. Früher war es kaum möglich gewesen, die beiden gleichzeitig in einen Raum zu stecken. Heute war Alex regelmäßiger Gast beim gemeinsamen Abendessen, und da Rafa, der Freund ihres Sohnes Oliver, auch noch in der Wohnung unter dem Dach wohnte, wurde es regelmäßig eng am Tisch.
Allein das wunderbare Tumbet, ein mallorquinisches Gemüsegericht, das Karl am Vorabend zubereitet hatte, hätte für Alex Grund genug sein müssen, heute Morgen ausnahmsweise einmal pünktlich aus dem Bett zu kommen.
»Jetzt guck doch nicht so griesgrämig, Karl!«, sagte Marla mit einem leichten Lächeln. Karl hatte sie nicht zum ersten Mal in Verdacht, seine Gedanken lesen zu können. Maria Pilar Sanchez hatte die Angewohnheit, Dinge zu bemerken, die anderen verborgen blieben. Allein dieser Umstand hätte ausgereicht, aus der schönen, dunkelblonden Frau mit den traurigen Augen eine gute Polizistin zu machen, doch das Leben hatte es nicht gut mit ihr gemeint. Seit ihr Bruder wegen Mordes an ihrem Vater auf der Flucht war, blieb Marla die Polizeilaufbahn versperrt, was sie nicht davon abhielt, Karl und Alex mit ihrem messerscharfen Verstand zur Seite zu stehen. Im Augenblick wäre es Karl allerdings lieber gewesen, wenn sie ebendiesen Verstand nicht dazu benutzen würde, seinen Gemütszustand zu analysieren.
»Ich finde nur, Alex könnte langsam mal auftauchen«, grummelte er, und Marlas Lächeln wurde zu einem wissenden Grinsen. Sie griff nach dem Glas Cava, das vor ihr auf dem Tisch stand.
»Sind wir dir etwa nicht gut genug?«, fragte sie neckisch und zog eine ihrer perfekt geschwungenen Augenbrauen in die Höhe.
Karl seufzte. »Doch, natürlich. Ich finde es nur ausgesprochen unhöflich, bei der Vereidigung eines Team- und Familienmitgliedes mit Abwesenheit zu glänzen.«
Aus dem Augenwinkel sah er Nadal ebenfalls grinsen. »Ach, komm schon, Flieger«, stieg Luisa in das Gespräch ein, wobei sie mit voller Absicht Karls ungeliebten Spitznamen benutzte, den sich Alex für ihn ausgedacht hatte. Karl schnaubte, und Luisa gelang es gerade noch, ihr Grinsen hinter dem Cavaglas verschwinden zu lassen.
Marla streckte die Hand aus und tätschelte seinen Arm. »Du kennst ihn doch. Er kommt bestimmt gleich.«
Ja, Karl kannte seinen Schwager allerdings.
»Außerdem geht es heute nicht um Alexander Diaz und seine amourösen Abenteuer«, meldete Nadal sich zu Wort, »sondern um unseren Überflieger Karl Lindberg. Den ersten und letzten Desconegut der ehrenwerten Mossos d’Esquadra!« Sie hob ihr Glas, und alle, die um den runden Tisch saßen, taten es ihr gleich.
Nicht schon wieder, dachte Karl, doch auch er erhob sein Glas. Auch, weil Nadal so ein heiliger Ernst ins Gesicht geschrieben stand, dass er es nicht übers Herz brachte, herumzunörgeln. Er hasste das alles, aber sie taten es für ihn. Und Spanier waren einfach nicht gut darin, eine Gelegenheit zum Feiern auszulassen.
Karl nahm noch einen Schluck und merkte, dass er dringend etwas zu essen brauchte. Der Cava stieg ihm allmählich zu Kopf. Vor der Vereidigung am Morgen hatte er nichts heruntergebracht, und er hatte schon ein paar Gläser...
Erscheint lt. Verlag | 26.2.2019 |
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Reihe/Serie | Ein Fall für Karl Lindberg & Alex Diaz | Ein Fall für Karl Lindberg & Alex Diaz |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Alex Diaz • Barcelona • Catalina Ferrera • Cementiri de montjuïc • Ein Barcelona-Krimi • Ein Fall für Karl Lindberg & Alex Diaz Band 2 • Ermittlerduo • Ermittler-Krimi • Friedhof • Grabsteinmörder • humorvolle Krimis • Iberische Halbinsel • Karl Lindberg • katalanische Polizei • Katalonien • Katalonien-Krimi • Krimi • Krimi Barcelona • Krimi Humor • Krimi humorvoll • Kriminalroman • Kriminalromane Serien • krimi reihen • Krimis mit Humor • Krimi Spanien • Krimis von Frauen • Kulinarischer Krimi • Länderkrimi • Leiche • lustige Krimis • Montjuïc • Mord • Mossos D’Esquadra • periodico • Polizei Krimis/Thriller • Puigdemont • Regiokrimi • Regionalkrimi • Regionalkrimi Geschenk für Krimifans • Sant Jordi • Separatisten • Spanien • Spanien-Krimi • Spanische Delikatessen • spanische Krimis • Spanischer Feuerlauf • Spanischer Totentanz • Spanisches Blutgeld • Unabhängigkeit • Urlaubskrimi • Urlaubslektüre • Urlaubslektüre Krimi • Urlaubsromane • Urne |
ISBN-10 | 3-426-45208-1 / 3426452081 |
ISBN-13 | 978-3-426-45208-0 / 9783426452080 |
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