Bekenntnisse einer Maske (eBook)

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2018 | 1. Auflage
224 Seiten
Kein & Aber (Verlag)
978-3-0369-9393-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Bekenntnisse einer Maske -  Yukio Mishima
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Kochan wächst, abgeschirmt von Jungen seines Alters, im imperialistischen Japan auf. Doch er merkt, dass er nicht das ist, was man von ihm erwartet: Nicht nur ist er körperlich schwächer als andere, er entwickelt auch eine Faszination für Tod, Gewalt, Sex und den männlichen Körper. Unter den strengen Blicken der japanischen Gesellschaft beginnt er, sich eine Maske zu formen, die sein wahres Selbst verbergen soll. Mehr noch: Er will sie sich als neue Identität aufzwingen. Das Mädchen Sonoko und die Heirat mit ihr soll alle, einschließlich ihn selbst, hinters Licht führen. Yukio Mishimas autobiografischer Roman thematisiert offen, was es bedeutet, nicht dazuzugehören und sich Zwängen zu unterwerfen, die einen zerreißen.

YUKIO MISHIMA wurde 1925 in Tokio geboren und war Autor zahlreicher Romane, Dramen, Kurzgeschichten, Essays und Gedichte. Nobelpreisträger Yasunari Kawabata war sein Mentor. Sein Werk überschreitet bis heute inhaltliche und stilistische Grenzen und macht ihn zu einem der wichtigsten japanischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Als politisch umstrittene Persönlichkeit beging Mishima 1970, nach einem gescheiterten Aufruf zur Wiedereinsetzung des japanischen Kaisers, rituellen Selbstmord.

1

Lange Zeit habe ich behauptet, ich könnte mich an meine Geburt erinnern. Bei den Erwachsenen hat das immer für Gelächter gesorgt, doch letztlich glaubten sie, ich würde mich über sie lustig machen. Sie musterten den blassen Knaben, dessen Gesicht so gar nichts Kindliches an sich hatte, mit einem Blick leichten Abscheus. Als ich meine Behauptung einmal vor nicht so vertrauten Besuchern kundtat, unterbrach mich meine Großmutter, die fürchtete, man könnte mich für einen Idioten halten, und schickte mich nach draußen zum Spielen.

Meistens lachten die Erwachsenen und versuchten, mich mit wissenschaftlichen Erklärungen zu widerlegen. Damit auch ein Kind ihren Ausführungen folgen konnte, redeten sie mit theatralischem Eifer auf mich ein: Neugeborene hätten bei ihrer Geburt noch gar nicht die Augen geöffnet, und sollte dies ausnahmsweise doch einmal der Fall sein, gelangten sie mit Sicherheit zu keiner so klaren Anschauung, dass sie sich später daran erinnerten. »Hab ich nicht recht?«, sagten sie und schüttelten mich, zutiefst misstrauisch, wie ich noch immer war, an meinen schmalen Schultern. Sie schienen zu glauben, mir fast auf den Leim gegangen zu sein. Er ist zwar ein Kind, aber wir müssen auf der Hut sein, bestimmt will uns der Junge in eine Falle locken und uns »darüber« ausfragen. Warum fragt er denn nicht in kindlicher Unschuld: »Woher komme ich? Warum wurde ich geboren?« Also schwiegen die Erwachsenen und blickten mich mit einem dünnen Lächeln an, als fühlten sie sich zutiefst verletzt, auch wenn sie nicht wussten, warum.

Doch ihre Sorge war unbegründet. Ich hatte überhaupt nicht vor, etwas »darüber« zu erfahren. Ohnehin wäre ich nie auf die Idee gekommen, sie in eine Falle zu locken, ich hatte viel zu große Angst, sie zu kränken.

Aber all den Erklärungen zum Trotz, und obwohl sie über mich lachten, glaubte ich fest daran, mich an meine Geburt zu erinnern. Wahrscheinlich hatte mir jemand, der dabei gewesen war, davon erzählt, oder ich hatte mir alles ausgedacht. Eines aber, da war ich mir ganz sicher, hatte ich mit eigenen Augen genau gesehen: den Rand der Wanne, in der ich zum ersten Mal gebadet wurde. Es war eine nagelneue Holzwanne gewesen, und aus dem Innern hatte ich einen Lichtstrahl wahrgenommen, der auf ihren Rand fiel. Allein diese eine Stelle war in gleißendes Licht getaucht, sie schien wie aus Gold. Das Wasser schwappte mit seinen kleinen Zungen empor, als wollte es den Lichtfleck lecken, doch es gelang ihm nicht. Unter dem Wannenrand aber, vielleicht weil sich das Licht darin spiegelte oder sogar direkt dort einfiel, leuchtete das Wasser sanft, es sah aus, als würden kleine schimmernde Wellen unablässig mit ihren Köpfen aneinanderstoßen …

Was am stärksten gegen meine Erinnerung sprach, war, dass ich nicht tagsüber zur Welt gekommen bin. Ich wurde abends um neun Uhr geboren. Die Sonne konnte unmöglich geschienen haben. Als sie mich damit neckten, dass es sich wohl um das Licht einer elektrischen Lampe gehandelt haben müsse, verstieg ich mich problemlos in den absurden Gedanken, dass auch bei Nacht nur diese eine Stelle noch von der Sonne beschienen worden sein könnte. Und so hielt sich der im Licht flackernde Wannenrand in meiner Erinnerung als etwas, das ich tatsächlich beim ersten Bad nach meiner Geburt gesehen hatte.

Ich wurde zwei Jahre nach dem großen Erdbeben geboren.

Zehn Jahre zuvor war mein Großvater bei einem Korruptionsskandal in seiner Zeit als Kolonialgouverneur für die Schuld eines Untergebenen eingestanden und von seinem Posten zurückgetreten. (Ich will nichts schönreden, aber ich habe in meinem Leben, das erst halb so lang währt wie das seine, niemanden getroffen, der wie mein Großvater ein solch absolut törichtes Vertrauen in seine Mitmenschen an den Tag legte.) Danach ging es mit unserer Familie schnell bergab, doch alle schienen dabei vollkommen unbekümmert. Gigantische Schulden, Beschlagnahmungen, der Verkauf unseres Anwesens, begleitet von einer krankhaften Eitelkeit, die wie ein dunkler Trieb mit zunehmender Bedrängnis immer größere Ausmaße annahm.

So kam ich in einem alten Mietshaus in einem nicht sonderlich feinen Teil der Stadt zur Welt. Es war ein herrischer Bau von stumpfer Düsternis, verwirrend in der Struktur, oben vom Hang aus sah man zwei Stockwerke, von unten aus betrachtet waren es drei, es gab ein protziges schmiedeeisernes Tor, einen Vorgarten und einen westlich eingerichteten Salon, der fast so groß war wie eine Vorstadtkapelle. Es gab viele dunkle Zimmer und sechs Dienstmädchen. Zusammen mit meinen Großeltern und Eltern lebten zehn Personen in dem Haus, das knarrte wie eine alte Kommode.

Der Grund für unsere Schwierigkeiten lag in der Unternehmungslust meines Großvaters, in der Krankheit meiner Großmutter sowie ihrem Hang zu Verschwendung. Mein Großvater träumte von Gold und Reichtum und ließ sich häufig durch zwielichtige Bekannte zu weiten Reisen überreden. Meine Großmutter, die einer alten Familie entstammte, hasste und verachtete ihn. Sie besaß einen starrsinnigen und zugleich verrückten, poetischen Geist. Eine chronische Hirnneuralgie schädigte ihre Nerven zwar nicht direkt, aber zehrte ständig an ihnen, was ihren Verstand unnötig luzide machte. Wer hätte geahnt, dass ihre bis zum Tod andauernden manischen Schübe ein Andenken an die Laster waren, denen mein Großvater in seinen besten Jahren gefrönt hatte?

In dieses Haus also führte mein Vater seine zarte, hübsche Braut, meine Mutter.

Am Morgen des 14. Januar 1925 setzten bei meiner Mutter die Wehen ein. Abends um neun Uhr brachte sie einen kleinen Jungen zur Welt, der keine fünf Pfund wog.

Am Abend des siebten Tages wurde ich in cremefarbene Seidenwäsche, einen Unterkimono aus Flanell und einen Seidenkimono mit Kasuri-Muster gekleidet, mein Großvater schrieb vor der versammelten Familie meinen Namen auf Reispapier und legte es auf das Opfertischchen in der Tokonoma.

Als kleines Kind hatte ich blonde Haare, die aber so lange mit Olivenöl eingerieben wurden, bis sie sich schließlich dunkel färbten. Ich wohnte mit meinen Eltern im ersten Stock des Hauses. Doch am neunundvierzigsten Tag nach meiner Geburt kam meine Großmutter und riss mich unter dem Vorwand, es sei gefährlich, ein Kleinkind in einem der oberen Stockwerke aufzuziehen, meiner Mutter aus dem Arm. Ich wuchs im Zimmer meiner Großmutter auf, in dem, da es die ganze Zeit über verschlossen blieb, ein erstickender Geruch nach Krankheit und Alter hing. Ich schlief neben ihrem Krankenlager.

Ich war noch kein Jahr alt, als ich von der dritten Treppenstufe fiel und mich an der Stirn verletzte. Meine Großmutter war ins Theater gegangen, und meine Mutter nutzte die Gelegenheit und feierte währenddessen ausgelassen mit den Cousins und Cousinen meines Vaters. Als sie etwas aus dem oberen Stockwerk holen wollte, folgte ich ihr, verfing mich im Saum des Kimonos und stürzte die Treppe hinunter.

Meine Großmutter wurde aus dem Kabuki-Theater gerufen. Sie eilte sofort nach Hause, blieb dort im Eingang stehen, stützte sich auf den Stock in ihrer rechten Hand, starrte meinen Vater an, der ihr entgegengekommen war, und sagte in einem seltsam gefassten Ton, wobei sie jedes Wort einzeln artikulierte: »Ist er schon tot?«

»Nein.«

Mit festem Schritt wie eine Priesterin betrat meine Großmutter das Haus.

Am Neujahrsmorgen vor meinem vierten Geburtstag erbrach ich etwas in der Farbe von rötlichem Kaffee. Der Hausarzt kam und sagte, dass er für nichts garantieren könne. Man spritzte mir so viel Kampfer und Traubenzucker, bis ich aussah wie ein Nadelkissen. Für über zwei Stunden ließ sich mein Puls weder am Handgelenk noch am Oberarm messen. Alle standen um mich herum und betrachteten meinen Leichnam.

Das Totenhemd und mein Lieblingsspielzeug wurden gebracht, die Verwandten kamen. Nach etwa einer Stunde pinkelte ich. Der Bruder meiner Mutter, ein Arzt, sagte: »Er ist gerettet.« Der Urin sei ein Beweis dafür, dass das Herz wieder schlage. Kurze Zeit später pinkelte ich noch einmal. Meine Wangen färbten sich leicht, das Leben kehrte in meinen Körper zurück.

Diese Krankheit – eine Autointoxikation – wurde chronisch. Die Anfälle kamen in monatlichen Abständen, mal waren sie leichter, mal schwerer. Mehrmals war mein Zustand kritisch. Nach und nach entwickelte ich ein Bewusstsein für die Vorboten der Krankheit und wusste, ob sie den Tod bedeuten konnten oder ob dieser noch in weiter Ferne war.

Aus jener Zeit stammen meine ersten wirklichen Erinnerungen, Bilder, die mich in ihrer geheimnisvollen Deutlichkeit immer wieder heimgesucht haben.

Ich weiß nicht, wer mich an der Hand hielt, ob es meine Mutter war oder aber die Krankenschwester, das Dienstmädchen oder meine Tante. Ich weiß auch nicht mehr, in welcher Jahreszeit sich das Ganze abspielte. Die Nachmittagssonne hatte die Häuser am Hang in ein mattes Licht getaucht. An der Hand der Frau, an die ich mich nicht mehr erinnere, lief ich hoch zu unserem Haus. Eine Person kam uns von oben entgegen, woraufhin mich die Frau kräftig zur Seite zog und stehen blieb.

Es besteht kein Zweifel, dass dieses Bild mit jedem Mal, das ich mich daran erinnert habe, stärker und dichter wurde und an Bedeutung gewann. Denn inmitten der verschwommenen Szenerie sticht die Gestalt, die den Hügel herunterkommt, in ihrer übermäßigen Präzision heraus. Das ist nicht verwunderlich, da diese Szene eine meiner ersten Erinnerungen ist, die mich fast mein ganzes Leben lang verfolgt haben.

Es war ein junger Mann. Er trug vorn und hinten einen Jauchekübel, um seine Stirn hatte er ein schmutziges Handtuch gebunden, seine hübschen Wangen waren...

Erscheint lt. Verlag 13.11.2018
Übersetzer Nora Bierich
Sprache deutsch
Original-Titel Kamen no Kokuhaku
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Homosexualität • Japan • Klassiker • lit-ebook • Literatur • Maske • Moderne • Roman • Wiederentdeckung
ISBN-10 3-0369-9393-2 / 3036993932
ISBN-13 978-3-0369-9393-5 / 9783036993935
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