Weiße Fracht (eBook)
400 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31951-4 (ISBN)
Gil Ribeiro, geboren 1965 in Hamburg, landete 1988 während einer Interrail-Reise quer durch Europa nur dank eines glücklichen Zufalls an der Algarve und verliebte sich umgehend in die Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Portugiesen. Seitdem zieht es ihn immer wieder in das kleine Städtchen Fuseta an der Ost-Algarve, wo ihm die Idee zu »Lost in Fuseta« kam. In seinem deutschen Leben ist Gil Ribeiro alias Holger Karsten Schmidt seit vielen Jahren einer der erfolgreichsten Drehbuchautoren Deutschlands. Holger Karsten Schmidt lebt und arbeitet bei Stuttgart.
Gil Ribeiro, geboren 1965 in Hamburg, landete 1988 während einer Interrail-Reise quer durch Europa nur dank eines glücklichen Zufalls an der Algarve und verliebte sich umgehend in die Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Portugiesen. Seitdem zieht es ihn immer wieder in das kleine Städtchen Fuseta an der Ost-Algarve, wo ihm die Idee zu »Lost in Fuseta« kam. In seinem deutschen Leben ist Gil Ribeiro alias Holger Karsten Schmidt seit vielen Jahren einer der erfolgreichsten Drehbuchautoren Deutschlands. Holger Karsten Schmidt lebt und arbeitet bei Stuttgart.
2.
»Luís?«
»Sim?«
»Kannst du reden?«
»Leise«, hörte sie die gepresste Stimme.
Graciana Rosado lief aus dem kleinen Haus am Ende der Sackgasse, das sie zusammen mit ihrer Schwester Soraia bewohnte.
»Wo bist du?«
»Rua Ponte Grande.«
Als schwarze Gestalt mit wehendem Schlips jagte Leander Lost auf seiner gelben Scrambler über den Feldweg, eine weithin sichtbare Staubfahne hinter sich aufwirbelnd, bis er die Nationalstraße125 erreichte und scharf nach links abbog. Mit Vollgas schoss er an den Autos vor ihm vorbei.
»Sub-Inspektor Leander Lost«, meldete er sich vorschriftsmäßig über sein Helmmikrofon, um keine Verwirrung im Funkverkehr zu stiften. »Welche Hausnummer?«
Zeitgleich schwang Graciana sich hinter das Lenkrad. Zum Glück hatte auch Carlos Esteves während der Wochenendbereitschaft den Funk abgehört. Er rannte auf Gracianas Volvo zu. Gerade riss er die Dienstwaffe aus dem Hosenbund und entsicherte sie, während Graciana das Blaulicht unter dem Sitz hervorzog und aufs Autodach pflanzte.
Carlos hatte die Tür noch nicht geschlossen, da trat Graciana das Gas voll durch. Der schwarze schwedische Kombi war ein T5. Ein Turbo und ein Letzter seiner Klasse, denn dieses Modell wurde nicht mehr produziert. 260 PS ließen den Dienstwagen davonjagen.
»Ich … ich weiß nicht«, hörten sie Dias, »es ist … es liegt nach der Escola Secundaria links. Wenn man von der N125 kommt. Sonst rechts. Das Haus von dem Carpinteiro.«
Haargenau jene Sekundarschule, die wegen der Ferien geschlossen war und deren Temposchwellen am Zebrastreifen Lost mit knapp hundert Sachen überquerte, sodass ein paar bolzende Kinder Zeugen eines imposanten 6-Meter-Sprunges mit flatternder Krawatte wurden.
»Bist du unter Beschuss?«, fragte Graciana, während sie die langgezogene Kurve der Rua Ponte Grande in einem Tempo nahm, das sie zwang, das ausbrechende Heck abzufangen.
»Im Moment nicht.«
»Bist du verletzt?«, fragte Carlos, dem bei offenem Fenster das lockige Haar umhergewirbelt wurde.
»Nein … ich bin in Deckung.«
»Forder trotzdem eine Ambulanz an«, wies Graciana Carlos an, während sie weit vor sich die unverwechselbare schwarze Gestalt auf dem gelben Motorrad heranpreschen sah.
Leander Lost erreichte das Haus knapp vor dem Volvo. Es stand weit entfernt von anderen Bauten mutterseelenallein auf einer weiten Wiese, deren Gras in Kniehöhe verdorrt war. Hier und da blickte dessen ungeachtet die Blüte einer Blume hervor.
Er konnte Luís sehen, der sich hinter der Gartenmauer verschanzt hatte, die Pistole in der Hand, auf dem Rücken seiner Uniform das Kürzel GNR: Guarda Nacional Republicana. Die Polizeieinheiten der GNR wurden hauptsächlich in ländlichen Gebieten eingesetzt und waren für alles zuständig, was der Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit diente. Im Alltag ging es meist um kleinere Delikte: Verkehrsunfälle, Diebstähle, Ruhestörung und dergleichen.
Leander hatte den Helm abgestreift und suchte hinter einem Baum an der Ecke des Grundstücks Schutz, keine drei Meter von Luís entfernt. Das Gebäude war eingeschossig, vorne braun gekachelt, an den Seiten weiß verputzt. Eine Fernsehantenne erhob sich von der Dachterrasse und streckte ihre metallischen Fühler in alle Richtungen nach Frequenzen aus. Die vorderen Rollläden waren heruntergezogen. Ob sie jemand von drinnen beobachtete, war also nicht auszumachen.
Beginnend mit dem Baum, an dem Leander stand, hatte der Besitzer den Zaun, der die Grundstücksgrenze an der Seite markierte, von innen mit schwarzer Plastikplane abgehängt, um sich etwas Privatsphäre zu verschaffen. Dahinter stand ein alter, ausgeschlachteter VW-Käfer, dem Wind und Wetter sichtlich zugesetzt hatten. In dem großen Garten wuchsen in unregelmäßigen Abständen Orangenbäume. Und dazwischen ein System aus Wäschestangen und -leinen, das sich offenbar fast über das gesamte Grundstück erstreckte.
Lost genügte ein Blick, um sich Anzahl der Bäume, der Wäschestangen und ihre Positionen einzuprägen. Er war von Geburt an Eidetiker, ein Mensch mit einem fotografischen Gedächtnis. Das Vergessen hatte ihn vergessen.
Da hörte er Laufschritte hinter sich und blickte über die Schulter. Graciana Rosado und Carlos Esteves waren eingetroffen und gingen auch hinter der Mauer und dem Zaun in Deckung. Carlos trug Shorts und Sandalen, außerdem ein helles Hemd, aufgeknöpft bis zum Solar Plexus. Graciana wandte sich an Luís Dias: »Was ist passiert?«, fragte sie mit gedämpfter Stimme.
»Da ist einer eingestiegen.«
»In das Haus?«
Luís nickte.
»Und der war alleine?«
»Ich hab nur einen gesehen. Aber vielleicht sind es ja mehr.«
Carlos seufzte: »Ist der bewaffnet?«
»Möglicherweise.«
»Was soll das heißen, Luís?«
»Dass ich es nicht genau gesehen habe.«
Graciana warf Carlos einen kurzen Blick zu, in dem er las, was er selbst empfand – Luís Dias hatte etwas viel Wind um die Sache gemacht.
»Weißt du, was der Code 249 bedeutet?«
»Ja. Ich bin schon viel länger im Dienst als du, ich weiß sehr genau, was der Code 249 bedeutet, sonst hätte ich den wohl kaum abgesetzt«, ereiferte Luís sich. Er wurde gerne laut, wenn er merkte, dass er sich im Unrecht befand: »Unfassbar, was man sich bieten lassen muss.«
»Hast du den Carpinteiro gesehen?«
»Unfassbar«, brummte Dias.
»Ob du den Carpinteiro gesehen hast, Luís.«
Gracianas Miene war angespannt. Der Schreiner, der Carpinteiro, war ein deutscher Aussteiger, den es bereits in jungen Jahren Ende der Achtziger hierher verschlagen hatte und der hier sesshaft geworden war. Er hatte eine Schreinerlehre im Gepäck gehabt, mit seinen Kenntnissen war er bis heute ein gefragter Mann in Fuseta und Umgebung. Und wenn er nicht arbeiten wollte, was immer häufiger vorkam, schnorrte er sich durch oder führte Touristen herum und ließ sich von ihnen zum Essen einladen.
»Nein«, sagte Luís schließlich, »habe ich nicht.«
Graciana wusste genug. Wenn sich der Carpinteiro zu Hause befand, war er möglicherweise in Gefahr. Sie deutete mit zusammengelegten Zeige- und Mittelfinger den Zaun entlang nach hinten. Dabei sah sie Carlos Esteves in die Augen, der lediglich ein Nicken andeutete.
Die beiden waren praktisch Tür an Tür in Fuseta aufgewachsen, hatten beide bei der GNR angeheuert, die Ausbildung dort aber abgebrochen und stattdessen von vorne bei der Kripo in Faro begonnen. Und auch wenn Graciana inzwischen offiziell Carlos’ Vorgesetzte war, arbeiteten sie beide auf Augenhöhe. Nicht, weil er das eingefordert hätte, sondern weil es nie anders gewesen war.
Jedenfalls verstanden sie sich nahezu blind.
Daher brauchte es kein weiteres Wort und Carlos machte sich geduckt auf den Weg. Zügig, aber nicht im Laufschritt. Überhaupt bewegte er sich nie schneller als nötig. Ein großer kräftiger Kerl, der bei nahezu jeder Gelegenheit etwas zu sich nahm, was sich auf magische Art nicht auf sein Gewicht auszuwirken schien.
»Senhor Lost, ich gehe zum Eingang«, sagte sie mit gedämpfter Stimme. »Sie folgen dem Zaun und betreten das Grundstück, sobald man Sie aus den Frontfenstern nicht mehr sehen kann.«
Da an der rechten Seite des Hauses eine Garage angrenzte, war es dem Einbrecher unmöglich, Leander Lost von drinnen zu sehen, sobald er diesen Punkt hinter sich gelassen hatte.
»Ich soll mich im toten Winkel nähern und Ihnen Feuerschutz geben.«
Keiner spazierte so sicher durch Kausalketten wie Lost.
»Genau.«
Sie erhob sich in ihrer Jeans und der beigen Bluse, die Augen konzentriert auf die Vorderfront des Hauses gerichtet. Dann setzte Graciana die Hand auf die Gartenmauer und schwang sich darüber.
»Und ich?«, hörte sie Luís hinter sich.
»Du bleibst in Deckung als unsere Reserve.«
Luís Dias würde dieses Jahr in Rente gehen. Nach sage und schreibe 51704 heimlichen Solitärspielen während der Dienstzeit, in der er ansonsten bedeutsam und mit gewichtiger Miene Straßen auf und ab schritt und bei Parksündern für eine kleine Gefälligkeit beide Augen zudrückte. In keinen Dienstschichten ereigneten sich so wenige Gesetzesübertretungen wie in denen von Luís. Denn für jede Übertretung war ein Bericht fällig. So verwunderte es kaum, dass er nach bald 45 Dienstjahren, in denen er eine manuelle Triumph Adler, dann eine elektrische Schreibmaschine, gefolgt von einer mit einem Kugelkopf bis hin zum ersten Computer erlebt hatte, immer noch mit seinen beiden Zeigefingern tippte.
Wenn er in Rente ging, würde man die Planstelle nicht neu besetzen, denn Luís Dias hatte eindrücklich bewiesen, dass man sie auf der GNR-Station in Moncarapacho, das nur wenige Kilometer nördlich von Fuseta im Landesinneren lag, überhaupt nicht benötigte.
Trotzdem empfand Graciana Rosado Mitgefühl für ihn und wollte ihm nicht den Eindruck vermitteln, er sei unnütz.
Sie ging direkt auf die Haustür zu. Die Dienstwaffe hatte sie in ihrem Hosenbund am Rücken verstaut,...
Erscheint lt. Verlag | 7.3.2019 |
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Reihe/Serie | Leander Lost ermittelt |
Leander Lost ermittelt | Leander Lost ermittelt |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 3. Fall • Algarve • Algarve-Krimi • Algarve-Roman • Asperger • Atlantik • Atlantikküste • Buch für den Strand • Carolina Conrad • Cozy Crime • Die Toten von Marnow • Drogenhandel • Fuzeta • Kokain • Kommissar aus Hamburg • Krimi-Bestseller • Krimi mit Humor • Kriminalkommisar Lost • Kriminalroman • Krimi Neuerscheinung 2020 Taschenbuch • Krimireihe • Krimis für den Urlaub • Krimi Strand • Leander Lost • Leander Lost 3 • Leander Lost Band 3 • Leander Lost dritter Fall • Leander Lost ermittelt • Leander Lost Reihe • Leander Lost Reihenfolge • Lissabon • Lost in Fuseta • Luis Sellano • männlicher Ermittler • Portugal • Portugalkrimi • Portugal Krimi • portugiesischer Krimi • Regionalkrimi • Schwarzer August • Sommerurlaub • spiegel bestseller • Spur der Schatten • Strandurlaub • Urlaub • Urlaubskrimi • Urlaubslektüre |
ISBN-10 | 3-462-31951-5 / 3462319515 |
ISBN-13 | 978-3-462-31951-4 / 9783462319514 |
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