Roter Mond (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2019
624 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-24127-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Roter Mond - Kim Stanley Robinson
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Wir schreiben das Jahr 2048. Die Menschheit hat den Mond kolonisiert. Vor allem China hat sich große Pfründe gesichert. Für drei Menschen wird der Erdtrabant zum Schicksalsort: Fred Fredericks soll dort für die chinesische Science Foundation ein Kommunikationssystem installieren und wird Zeuge eines Mordes. Der chinesische Starreporter Ta Shu soll die Schönen und Reichen auf dem Mond interviewen und gerät in eine tödliche Intrige. Und Chan Qi, die Tochter des chinesischen Finanzministers, hat ihre ganz eigene Agenda. Als sie heimlich zur Erde zurückkehren will, setzt sie damit eine Kette von Ereignissen in Gang, die nicht nur Freds, Shus und ihr eigenes Leben bedrohen, sondern das Schicksal der gesamten Menschheit ...

Kim Stanley Robinson wurde 1952 in Illinois geboren, studierte Literatur an der University of California in San Diego und promovierte über die Romane von Philip K. Dick. Mitte der Siebzigerjahre veröffentlichte er seine ersten Science-Fiction-Kurzgeschichten, 1984 seinen ersten Roman. 1992 erschien mit Roter Mars der Auftakt der Mars-Trilogie, die ihn weltberühmt machte und für die er mit dem Hugo, dem Nebula und dem Locus Award ausgezeichnet wurde. In seinem Roman 2312 erkundet er die verschiedenen Gesellschaftsformen, die die Menschheit nach ihrem Aufbruch ins Sonnensystem erschafft. Zuletzt sind bei Heyne seine Romane New York 2140, der in einem vom Klimawandel gezeichneten New York der nahen Zukunft spielt, und sein Bestseller Das Ministerium für die Zukunft erschienen. Kim Stanley Robinson lebt mit seiner Familie in Davis, Kalifornien.

KAPITEL ZWEI


bo hanshu tansuo

Kollaps der Wellenfunktion

Fred folgte seinen beiden Aufpassern in einen schlauchförmigen Raum, der an eine U-Bahn-Station erinnerte und größtenteils von einer wartenden Bahn eingenommen wurde. Sie betraten ein Abteil, und kurz darauf verließ die Bahn den Raumhafen. Als sie fünfzehn Minuten später mit einem Zischen zum Stehen kam, stiegen sie auf Zehenspitzen aus und kamen in einen Saal mit einer langen Fensterfront, durch die das gleißende Sonnenlicht horizontal hereinfiel und lange schwarze Schatten erzeugte. Draußen ließen sich die niedrigen Gebäude, von denen die Gipfel des Ewigen Lichts übersät waren, im grellen Schein nur schwer ausmachen. Was Fred von der Umgebung sah, war eine raue Mischung schwarzer und weißer Flecken, ein Chiaroscuro; er hatte bereits begriffen, dass dies auf dem Mond Normalität war. Der Horizont war sehr unregelmäßig und seltsam nah – wie nah, ließ sich angesichts des hellen Lichts und der absolut klaren Sicht nur schwer abschätzen, aber anscheinend war er nur ein paar Kilometer entfernt. Bevor Fred den Anblick auf sich wirken lassen konnte, wurde er um eine Ecke und durch einen Flur geführt, bis sie eine Reihe Fenster erreichten, von denen aus man das Innere des Kraters sehen konnte.

Dieser Gipfel des Ewigen Lichts erhob sich über einem dazugehörigen Abgrund der ewigen Dunkelheit: Es handelte sich um den berühmten Shackleton-Krater. Die Sonnenstrahlen erreichten nie den Grund dieses Kraters, und auch nicht seine Innenwände. Als seine Augen sich angepasst hatten, konnte Fred im dunkelgrauen Zwielicht die steile, gekrümmte Innenwand des Kraters erkennen. Weiter unten gab es mehrere horizontale Fensterreihen in der Felswand. Es sah aus, als hätte man ein überlanges Kreuzfahrtschiff krumm gebogen und in die Kraterwand eingelassen. Im Licht der Fenster glitzerte der von Wassereisstaub bedeckte Grund des Kraters leicht. Der Krater war so groß, dass man seine gegenüberliegende Wand nicht sehen konnte; die Kraterwand, die unter ihm einen weiten Bogen beschrieb, erstreckte sich bis jenseits des Horizonts. Es war eine düstere, grauschwarze Welt.

Einer von Freds Führern erklärte, dass das Hotel Star sich hinter einer der Fensterreihen dort unten befand, direkt neben dem amerikanischen Konsulat. »Na dann mal los, ich folge Ihnen«, sagte er wagemutig und taumelte hinter den beiden sich anmutig bewegenden Chinesen her zu einer Rolltreppe, wo er sich zum Glück einfach am Geländer festklammern konnte und trotzdem vorankam. Rolltreppen waren eine tolle Sache. Die hier erinnerte ihn an die Londoner U-Bahn, sie ging einfach immer weiter abwärts. Als sie schließlich bei etwas angekommen waren, das Ebene 6 hieß, fiel er mit seinem ersten Schritt hin. Er rappelte sich auf und folgte seinen Aufpassern achtsam durch einen breiten, gekrümmten Korridor, der zu den Glastüren des Hotels führte. Er war seekrank, hatte leichte Kopfschmerzen, und ihm war schwindelig. Die Schwerkraft des Mondes fühlte sich nicht besser an als die Schwerelosigkeit im All. Genau genommen empfand er sie als sehr viel unangenehmer.

Der Eingang zum Hotel Star befand sich in der Innenkurve eines gekrümmten Korridors. Sein Zimmer erwies sich als nur wenig größer als sein Bett. Seine Fremdenführer ließen ihn allein und versprachen ihm, dass er zum Frühstück einen Weckanruf erhalten würde.

Er setzte sich aufs Bett; es kam ihm vor wie ein Trampolin. Wenn er wollte, hätte er bis zur Decke springen können. Dann, nachdem dreimal hintereinander eine Glocke ertönt war, spürte er, dass alles langsam schwerer wurde. Das war tatsächlich der Fall: Sein Schlafzimmer befand sich auf einer Ebene des Hotels, die zu einem Zentrifugenring gehörte. Nach ein bis zwei Minuten, in denen das Zimmer den Eindruck erweckte zu kippen, spürte er, wie er von einem sehr vertrauten, anheimelnden Druck aufs Bett gepresst wurde: 1 g. Man hatte ihm gesagt, dass es am besten war, so oft wie möglich in irdischer Schwerkraft zu schlafen, um die Zeit zu minimieren, die man bei Mondschwerkraft verbrachte. Für eine Reise, die so kurz war wie die von Fred, musste man sich daran nicht unbedingt halten, aber empfohlen wurde es trotzdem, und als man ihm die entsprechende Option auseinandergesetzt hatte, hatte er sich dafür entschieden. Jetzt kuschelte er sich dankbar in seine Matratze, und sein Schwindelgefühl legte sich. Alles kam ihm nun richtig vor; als wäre er zu Hause. Das war eine solche Erleichterung, dass er schnell einschlief.

Als er erwachte, wusste er nicht, wo er war, doch als er hochschreckte und dabei vom Bett flog, fiel es ihm wieder ein: Auf dem Mond! Offensichtlich hatte man die Zentrifuge abgeschaltet, was wahrscheinlich der Grund für sein Erwachen war. Er trieb noch immer über dem Bett, während ihm all das klar wurde; dann drehte er sich herum und landete auf dem Gesicht. Mit wackeligen Beinen richtete er sich auf und stellte fest, dass er noch eine Stunde Zeit bis zu seinem Frühstück mit Ta Shu hatte. Alles war in Ordnung.

Während er im Bad seine Morgentoilette verrichtete, informierte er sich online über Ta Shu. Hier musste er nicht auf die Daten-Cloud der Erde zugreifen, sondern auf eine Art lokales Internet. Was er fand, war trotzdem mehr als genug, um ihm einen Eindruck von dem älteren chinesischen Herrn zu verschaffen.

Ta Shu: Dichter, Geomant, Feng-Shui-Experte sowie Produzent und Moderator einer beliebten Cloud-Reiseshow. Von frühester Kindheit an hatte er bereits Gedichte geschrieben und veröffentlicht, zunächst große, kalligrafische Poster-Gedichte mit Zeichnungen alter Machart, aber aus dem Blickwinkel eines Kindes. Anscheinend hatte er über eine weite Lebensspanne eine Flut von Gedichten verfasst; eine Flut, die jedoch mit einer Reise in die Antarktis plötzlich verebbt war. Es gab verschiedene Berichte über das, was ihm dort widerfahren war. Seither war er Ex-Dichter und machte stattdessen Reisesendungen. Glaubte man den Gerüchten, dann schrieb er noch so viele Gedichte wie zuvor, die jedoch nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren. Während der Jahrzehnte, in der er seine Reisesendung produziert hatte, hatte er 230 verschiedene Länder besucht, alle sieben Weltmeere, den Nord- und den Südpol und die Spitze des Mount Everest. An einem praktisch windstillen Tag hatte er sich von einem Ballon zum Gipfel des Berges tragen lassen und war oben aus der Gondel gestiegen. Und nun war er auf dem Mond.

Schwankend stieg Fred die breite Treppe in den Speisesaal des Hotels hinab. Ta Shu saß am Tisch und las etwas auf dem darin eingelassenen Bildschirm, während er abwesend von einem Teller aß, auf dem etwas für Fred Unidentifizierbares lag. Ta Shu blickte auf. »Guten Morgen.« Einmal mehr fiel Fred auf, wie außergewöhnlich selig und freundlich sein Lächeln war.

»Danke«, sagte Fred und ließ sich dabei schon recht gekonnt auf seinem Stuhl nieder. »Wie haben Sie geschlafen?«

Ta Shu wedelte mit der Hand. »Ich schlafe nicht viel. Ich habe geträumt, dass ich auf einem See dahintreibe. Als ich aufgewacht bin, habe ich mich gefragt, wie es sich anfühlen würde, hier zu schwimmen. Ich frage mich, ob es hier Schwimmbäder gibt. Darüber muss ich mich informieren. Und Sie?«

»Ich habe gut geschlafen«, sagte Fred. Er betrachtete das Buffet, das auf einer kurzen Theke angerichtet war. »Mein Zimmer hat sich auf 1 g gedreht, aber als die Zentrifuge abgeschaltet wurde, bin ich aufgestanden. Mir war ein bisschen seltsam zumute.«

»Vielleicht hilft ja ein kleines Frühstück.«

Fred war einerseits hungrig, verspürte aber andererseits einen Widerwillen dagegen, etwas zu essen. Er erhob sich ruckartig, wankte zum Buffet und hielt sich daran fest. Gott sei Dank gab es ganz normales Essen, aber auch zahlreiche Schüsseln mit nicht zu identifizierenden Früchten und Breien. Fred hatte sehr klare Essensvorlieben. Er füllte sich Joghurt in eine kleine Schale – er hoffte, dass es Joghurt war –, verteilte ein paar Körner und Rosinen darüber und überlegte dabei, ob man das Essen wohl auf dem Mond angebaut oder von der Erde eingeflogen hatte. Der Großteil war wohl importiert. Beinahe überforderte es ihn, gleichzeitig die Schale im Gleichgewicht zu halten und zu Ta Shu zurückzukehren, aber er schaffte es halb schwebend auf seinen Stuhl, ohne etwas zu verschütten.

»Sind Sie hier, um ein bisschen Feng Shui zu betreiben?«, fragte er Ta Shu, bevor er zu essen anfing. Offenbar war er nun doch hungrig.

»Ja. Und um ein paar Folgen für meine Reisesendung aufzunehmen. Eine Reise zum Mond! Kaum zu glauben, dass wir hier sind.«

»Stimmt. Andererseits fühlt sich hier alles so seltsam an, und man begreift rasch, dass man wirklich hier ist.«

Erneut lächelte er sein wunderschönes Lächeln. »Ja, wir sind ganz gewiss hier. Das kann mein Feng Shui bestätigen.«

»Feng Shui auf dem Mond also?«

»Ja. Feng Shui bedeutet ›Wind und Wasser‹, es dürfte also interessant werden!«

Früher einmal war Fred zu dem Schluss gekommen, es handle sich bei Feng-Shui-Praktiken um etwas so Uraltes und Geheimnisumwittertes, dass sie einfach nicht zu verstehen waren. Aber seine Arbeit hatte ihm nur zu deutlich gemacht, dass es tatsächlich geheimnisvolle Kräfte gab, die alles beeinflussten, weshalb ihm die Vorstellung, dass es sich bei Feng Shui um ein...

Erscheint lt. Verlag 12.8.2019
Übersetzer Jakob Schmidt
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Red Moon
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte China • eBooks • Mond • Mondstation • New York 2140 • New-York-Times-Bestsellerautor • politische Intrige • USA • Weltraumforschung • Zukunftsroman
ISBN-10 3-641-24127-8 / 3641241278
ISBN-13 978-3-641-24127-8 / 9783641241278
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