Der Reformator und Aufklärer Martin Opitz (1597–1639) (eBook)

Ein Humanist im Zeitalter der Krisis

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018
867 Seiten
De Gruyter (Verlag)
978-3-11-055018-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Reformator und Aufklärer Martin Opitz (1597–1639) - Klaus Garber
Systemvoraussetzungen
79,95 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Hundert Jahre nach der Reformation ging ein zündendes Manifest für eine neue Literatur in deutscher Sprache gemäß den Standards der europäischen Renaissance hinaus in die Welt. Es war das Jahr, da die 'Fruchtbringende Gesellschaft' als namhafteste kulturpolitische Vereinigung auf deutschem Boden noch vor der 'Académie Française' gegründet wurde. Das Jahr 1617 ist ein Schlüsseldatum der deutschen Literatur- und Kulturgeschichte. Martin Opitz lieferte ihm die Stichworte. Zwischen Conrad Celtis und Johann Christoph Gottsched nimmt er die entscheidende Mittelstellung ein. Als 'Vater der deutschen Dichtung' ist er in die Literaturgeschichte eingegangen, aber er war mehr als das. An der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert erlebte er mit seinen wachen späthumanistischen Weggefährten in Europa den Zusammenbruch der 'una societas christiana' und die Wehen der neuen Zeit. Als unermüdlicher Streiter für religiöse Toleranz, für patriotische Versöhnung über die Konfessionsgrenzen hinweg und für eine den Nachbarländern ebenbürtige deutsche Sprache und Poesie wirkte er an vorderster Stelle mit an dem Brückenschlag vom Humanismus zur Aufklärung, wie er um 1600 allenthalben erfolgte. Klaus Garber entfaltet in zwanzig Kapiteln ein neues und unverändert aktuelles Bild des großen Autors.



Klaus Garber, Universität Osnabrück.

Klaus Garber, Universität Osnabrück.

„Garbers umfang- und beispielreiche Studie führt uns somit von Opitz' Breslauer und Liegnitzer Mäzenen (Dohna, Herzog Georg Rudolf) über kurpfälzische Sekretäre und Räte (die Humanisten Zincgref, Lingelsheim), den Pariser Kreis um Hugo Grotius und die Brüder Dupuy bis zu den polnischen Großen. Sie stellt uns Opitz von Boberfeld eindrucksvoll als Exempel eines späthumanistischen, alteuropäischen Dichter-Politikers vor Augen, wie sie auch unter den Genannten und häufig in der Fruchtbringenden Gesellschaft anzutreffen waren."Klaus Conermann in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 3 "Während für die Forschungsliteratur keine Bibliographie zusammengestellt wurde (man findet vieles in die Fußnoten eingearbeitet und einige bevorzugte Titel in einer kurzen Auswahl am Ende), widmet Garber den ausführlichen Anhang der bio-bibliographischen und lexikalischen Quellenkunde sowie weitgehend vergessenen alteren Literaturstudien, und sein spezielles Interesse gilt auch hier wie schon in fruheren Publikationen den Beständen der großen Bibliotheken vor allem im osteuropäischen Kulturraum (794 ff.). Überhaupt gehört dieses im besten Sinne konservatorische Interesse zu den Grundzügen dieses wertvollen Bandes."Herbert Jaumann in: Germanistik 59/3-4 (2019), 798-799

Vorwort


Der Dichter Martin Opitz ist im kulturellen Gedächtnis der Deutschen nicht präsent. Publikumsverlage winken ab, wenn man ihnen eine Biographie des ›Vaters der deutschen Dichtung‹ anzudienen sucht. Dieser Autor bürgt nicht für einen hinreichenden Verkauf – auch dann nicht, wenn seine Aktualität dargetan werden kann. Dieses Schicksal teilt er mit so gut wie allen seinen Zeit- und Standesgenossen. Die deutsche Literatur des ›langen 17. Jahrhunderts‹ zwischen 1560/70 und 1730/40 ist – von Ausnahmen abgesehen – der Erinnerung entschwunden. Und wenn Fachleute bestätigen, daß eine lesenswerte Dichtung in Deutschland überhaupt erst mit Lessing beginne, dann ist ein ohnehin allfälliger Sachverhalt auch von vermeintlich kompetenter Seite sanktioniert.

Ein Verfasser, der gerne über die verschiedenen Medien ein breiteres Publikum erreicht, operiert also mit einem umfänglichen Buch über einen sog. ›Barockdichter‹ in der Hand auf verlorenem Posten. Durch Wort und Tat möchte er zeigen, daß es sich immer noch lohnt, zu einem Autor wie Opitz oder einem seiner Weggefährten zu greifen. Und das im Blick auf eine jede und einen jeden, die sich die Freude am Lesen bewahrt haben. Wird er sie noch erreichen? Er wird sein Bestes geben, gewiß. Das aber heißt, er wird in erster Linie zu den Texten zu geleiten suchen. Sie bergen den Schatz, den zu heben vornehmste Pflicht der zu diesem Geschäft bestellten Sachwalter bleibt.

Diese Texte aber sind ferngerückt. Und sie sind imprägniert von einer inzwischen mehr als zweitausend Jahre währenden Schreibpraxis. Sie gehören einer alteuropäischen Formkultur und Geistigkeit an, von der sie in einer jeden Zeile zehren. Nichts ist in verwandter Art und Weise nicht schon vor ihrem Erscheinen gesagt worden. Alles aber gehört in gleichem Maße dem jeweils zur Feder greifenden Autor. Diese Texte zeichnet ausnahmslos eine Melange aus, wie es sie in dieser Intensität nur in der vormodernen literarischen Praxis gegeben hat. Vom Hellenismus bis in die letzten Ausläufer des Spätbarocks spannt sich der Bogen. In einem jeden gelungenen Text ist ein Nachklang zu vernehmen. Ihn gilt es herauszuhören und zugleich den neuen Ton zu gewahren, der einem jeden substantiellen Text eignet.

Das ist ein schwieriges und zugleich ein herrliches Geschäft. Schwierig ist es, weil es ausgebreitete Kenntnisse der europäischen Tradition voraussetzt; herrlich aber, weil der Entdeckungen in den je einzelnen Texten des zur Rede stehenden Autors kein Ende ist. Ein Entdecker ist auf Mitteilung aus. Er möchte Hörer und Leser Anteil nehmen lassen an dem, was er erkundet hat. Und mehr als das: Er möchte Wege des angemessenen Lesens weisen. Das Lesen alteuropäischer Texte bis an die Schwelle der Empfindsamkeit ist eine Kunst eigener Art. Sie will nicht nur gelernt, sondern zugleich zur Diskussion gestellt und sodann weitergegeben sein. Ein jedes Buch zu einem der Autoren Alteuropas ist zugleich eines in der Schule des Lesens. Das begründet die Schwierigkeit wie den Reiz.

Dieser Kunst eignen viele Facetten. Eine Rangordnung besteht nicht. Einmal tritt dieser Aspekt in den Vordergrund, ein andermal jener. Die unscheinbarste Beobachtung vermag nicht minder aufschlußreich zu sein als die große Bogenführung. Es zählt allein die textaufschließende Kraft. Sie birgt eben jene Impulse, denen zukunftsfähiges und also stets auch gegenwärtiges Potential eignet. Die Auslegung eines Textes ist eine durch und durch von der Geschichte gesteuerte. Zu einem jeden geschichtlich bedeutsamen Augenblick geben sich neue Aspekte zu erkennen. Die Auslegungsgeschichte selbst bleibt ein Konstituens der Auslegung. Die lebendigsten Auslegungen sind jene, in denen ein Funke über die Zeiten hinwegspringt ...

Dieses Buch ist in maßgeblichen Teilen zu einem philologisch wie geschichtlich gleich prägnanten Zeitpunkt geschrieben worden. Was die Philologica betrifft, so ist ihm gleich ein dreifacher günstiger Umstand zugute gekommen. Erstmals liegen alle lateinischen Texte Opitzens in einer zweisprachigen, mit reichen Kommentaren versehenen Ausgabe vor. Nämliches gilt für die Briefe von und an Opitz sowie die sie begleitenden Zeugnisse zu Leben und Werk. Und schließlich war die kritische Gesamtausgabe der Opitzschen Texte schon zu Beginn der neunziger Jahre so weit gediehen, daß genügend Zeit verblieb, das noch Ausstehende aus dem letzten Jahrzehnt seines Lebens auf anderen Wegen zu beschaffen. Wohl ausgestattet also ging der Betrachter ans Werk.

Sein Ziel aber war ein besonderes. Keineswegs sollte eine Biographie klassischen Musters unter Einbezug aller maßgeblichen Daten und Texte erstellt werden. Es ging um Erarbeitung markanter Stationen, geknüpft an die Präsenz einzelner markanter Titel. Damit gelangte ein doppeltes Erkenntnisinteresse zur Geltung. Räume wollten umrissen sein, in denen Opitz weilte und die seinem Werk zugute kamen, und zugleich sollten diejenigen Personen in ihnen hervortreten, denen er maßgebliche Impulse verdankte. Alle großen Literaturwissenschaftler waren immer auch Raumkundler. Diese Wissenschaft in Ehren zu halten und an ihrer Weiterentwicklung zu arbeiten, ist ein Gebot der Standesehre.

Raumkunde aber ist in kunstwissenschaftlichen Arbeiten jedweder Provenienz kein Selbstzweck. Räume und in ihnen agierende Personen prägen die Physiognomie von Werken. In ihnen kursieren Diskurse, prägen sich Lebensformen aus, sind Traditionen gegenwärtig, die einen Autor, der mit ihnen in Kontakt gerät, zu allemal stimulierenden Begegnungen geleitet, welche in den Texten ihren Niederschlag finden. Sie begründen jenen geschichtlichen Gehalt, um deren Erschließung es allemal zu tun ist. Soll dies aber gelingen, so muß Mut zur Profilierung klar umrissener Untersuchungseinheiten obwalten. Alles zu wollen, um Vollständigkeit bemüht zu sein, ist einem jeden auf Exemplarität bedachten Verfahren nicht bekömmlich.

Keineswegs alle Opitzschen Texte kommen im folgenden zur Sprache. Wenigstens einer aber soll sich mit jeder neu erreichten Station im Leben verbinden, und diesem soll sodann besondere Aufmerksamkeit gelten. Aufmerksamkeit aber heißt im Sinne des Gesagten, daß seine Bausteine, aus denen er gefügt ist, bekannt sein müssen, und daß zugleich seine innovativen Züge zur Darstellung gelangen. Und eben in dieser letzteren Hinsicht kommt notgedrungen, aber keinesfalls befremdlich, jene Gegenwart zu ihrem Recht, welche Wahrnehmung und Auslegung allemal steuert.

Auf eine denkwürdige Weise war Opitz wie ein jeder seiner späthumanistischen Standesgenossen um 1600 mit konfessionellen Fundamentalismen konfrontiert, die auf andere Weise auch in der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit ihr blutiges Haupt wieder erhoben haben. Opitz und seine Freunde haben Antworten in dieser Situation einer tiefen Krise gefunden, denen ein bewußtseinsförderndes, weil aufgeklärtes Moment eigen ist. Es weist voraus auf die Zeit der Aufklärung, in der alle bis heute gültigen Antworten auf die verhängnisvollen religiösen Verwerfungen formuliert wurden. Die Humanisten und insbesondere diejenigen in der Spätphase um 1600 haben maßgeblichen Anteil an der Herauskristallisierung dieser Botschaft.

Opitzens Stimme in diesem respekterheischenden Chor verlauten zu lassen, ist ein Beweggrund des vorliegenden Buches. Sein Titel verweist auf ein doppeltes Anliegen. Opitz hat an vorderster Stelle – jedoch keineswegs alleine – eine Reform der deutschen Dichtung auf den Fundamenten der Antike und der europäischen Renaissance eingeleitet. Das hat ihm den Titel eines ›Vaters der deutschen Dichtung‹ eingetragen. Daß er diesen nur mit halbem Recht trägt, wird dieses Buch zeigen. Seine immense Leistung wird dadurch nicht geschmälert. Der Begriff des Reformators jedoch ist in der Regel theologischen Belangen vorbehalten. Die damit gegebene Oszillation der Nomenklatur ist eine dem Vorhaben des Buches durchaus entgegenkommende.

Denn Opitz hat eben auch lebhaft an den religiösen und konfessionellen Problemen seiner Zeit Anteil genommen. Und hier hat er sich gleichfalls als ein Neuerer erwiesen, dem es gegeben war, Wege aus der Krise zu weisen, die ihm den – zugegebenermaßen ungewöhnlichen – Titel eines Aufklärers verleihen. Auch ein Opitz gehört hinein in den gewaltigen Transformationsprozeß, den die überkommenen Wissenskulturen und religiösen Anschauungsformen um 1600 erfahren. Auf vielfach unterirdischen Wegen gelangen Gedanken zur Artikulation, die vorausweisen auf das Zeitalter der Aufklärung. Genau dieser Zeit eignet eben deshalb ein Erbe, dessen Aneignung auch das folgende Buch gewidmet sein möchte.

Seine Anfänge reichen zurück in die sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. In ihnen galt es, unter den Augen Richard Alewyns eine Dissertation zur Naturerfahrung in der Schäfer- und Landlebendichtung des 17. Jahrhunderts abzufassen, die ohne die angemessene Präsenz Opitzens nicht zu schreiben gewesen wäre. Gleich in den siebziger Jahren, als es um die Vorbereitung eines Werkes zur europäischen Arkadien-Utopie ging, wurde der Einsatz im 17. Jahrhundert wie selbstverständlich mit Opitz genommen. Seiner Person und seinem Werk aber war mehr zugedacht als die einschlägigen Texte zur Schäfer- und Landlebendichtung des Zeitraums zu stellen. An ihnen sollten...

Erscheint lt. Verlag 24.9.2018
Verlagsort Berlin/Boston
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Literaturwissenschaft
Schlagworte Barockdichtung • Baroque poetry • Schlesische Dichterschule • Silesian school of poetry
ISBN-10 3-11-055018-0 / 3110550180
ISBN-13 978-3-11-055018-4 / 9783110550184
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,8 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich