Die Revolution der Ameisen (eBook)

Roman

(Autor)

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2018
Heyne Verlag
978-3-641-24130-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Revolution der Ameisen - Bernard Werber
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Revolution von unten
Unterhalb von Paris lebt eine gigantische Kolonie Roter Waldameisen, deren kollektive Intelligenz von Edmondo Wells, einem genialen Wissenschaftler, so gesteigert wurde, dass sie derjenigen der Menschen gleichkommt. Als Edmondo stirbt und sein Haus inklusive der Kolonie seinem Neffen Jonathan vermacht, löst dieser nichts ahnend einen Krieg aus: Er vernichtet eines der Ameisennester im Keller. Die Insekten schlagen zurück und nehmen Jonathan und einige Mitglieder seiner Familie gefangen, um mehr über ihre Feinde zu erfahren. Die Königin plant einen Rache- und Vernichtungsfeldzug gegen die allein durch ihre Größe schier übermächtigen Menschen. Doch der Kontakt zwischen Ameisen und Menschen fördert mehr als nur Hass zwischen den Spezies: Ein Teil der Kolonie beginnt, die Menschen als Götter zu verehren. Eine davon ist Ameise 103 683. Als sie auf die Studentin und Musikerin Julie Pinson trifft und deren Musik hört, verändert sich nicht nur die Sicht dieser einen Ameise auf die Welt, sondern sie löst eine wahre Revolution aus - der sich die Königin mit aller Macht entgegenstellt.

Bernard Werber, geboren 1962 in Toulouse, begann bereits im Alter von 14 Jahren, Geschichten für Fanmagazine zu schreiben. Er studierte Kriminologie und Journalismus und arbeitete danach zehn Jahre lang als Wissenschaftsjournalist für den Nouvel Observateur. Mit seinem Debütroman 'Die Ameisen' gelang ihm auf Anhieb ein weltweiter Erfolg: das Buch wurde von Publikum und Presse gleichermaßen gefeiert, verkaufte sich über zwei Millionen Mal und wurde mit dem Prix des lecteurs de Science et Avenir ausgezeichnet. Die beiden Fortsetzungen, 'Der Tag der Ameisen' und 'Die Revolution der Ameisen', waren nicht minder erfolgreich. Bernard Werber lebt und arbeitet in Paris.

8. Kurz vor dem Platzen

 

Daumen und Zeigefinger ihrer rechten Hand berührten die Ecke der Seite, hoben sie an und wollten umblättern, als aus der Küche die Stimme ihrer Mutter ertönte: »Das Essen ist fertig!«

Zum Lesen blieb keine Zeit mehr.

Mit ihren neunzehn Jahren war Julie sehr zierlich. Ihre glänzend schwarze Mähne fiel glatt und seidig wie ein Vorhang bis auf ihre Hüften herab. Die blasse, fast durchsichtige Haut ließ manchmal die bläulichen Adern an Händen und Schläfen durchscheinen. Die hellen, mandelförmigen Augen waren lebhaft und warm, ständig in Bewegung, so dass sie wie ein unruhiges kleines Tier wirkte. Mitunter brach jedoch ein jäher Blitzstrahl aus ihnen hervor, als ob dieser alles vernichten wollte, was ihr missfiel.

Julie hielt ihr Äußeres für unscheinbar. Darum betrachtete sie sich nie im Spiegel, benutzte nie Parfum oder Make-up, auch keinen Nagellack. Wozu auch – ihre Nägel waren sowieso immer abgekaut.

Auf Kleidung legte sie ebenfalls keinen Wert. Sie versteckte ihren Körper unter weiten, dunklen Gewändern.

Ihre Schullaufbahn war ungleichmäßig verlaufen. Bis zur letzten Klasse war sie ihren Mitschülern um ein Jahr voraus gewesen, und alle Lehrer hatten ihr intellektuelles Niveau und ihre geistige Reife gerühmt. Aber seit drei Jahren ging gar nichts mehr. Mit siebzehn war sie durchs Abitur gefallen. Mit achtzehn wieder. Jetzt, mit neunzehn, wollte sie es zum dritten Mal versuchen, obwohl ihre Noten mittelmäßiger denn je waren.

Ihr schulisches Versagen hatte mit einem bestimmten Ereignis begonnen: dem Tod ihres Gesangslehrers, eines alten, schwerhörigen Tyrannen, der mit originellen Methoden unterrichtete. Er hieß Jankelewitsch und war überzeugt, dass Julie Talent hatte und daran arbeiten sollte.

Er hatte ihr die Zwerchfell- und die Lungenatmung ebenso beigebracht wie die richtige Hals- und Schulterhaltung. All das wirkte sich nämlich auf die Qualität des Gesangs aus.

Sie hatte bei ihm bisweilen das Gefühl, ein Dudelsack zu sein, den ein Instrumentenbauer mit aller Gewalt vervollkommnen wollte. Von ihm lernte sie, wie man die Herzschläge mit der Atmung in Einklang brachte, aber er vernachlässigte auch die Arbeit am Mienenspiel nicht und lehrte sie, wie man Gesichtszüge und Mundstellung verändern musste, um eine maximale Wirkung zu erzielen.

Schülerin und Lehrer hatten sich wunderbar ergänzt. Obwohl der ergraute Lehrer fast taub war, konnte er allein durch die Beobachtung ihrer Mundbewegungen und dadurch, dass er ihr seine Hand auf den Bauch legte, die Qualität der Töne erkennen, die sie hervorbrachte. Die Schwingungen ihrer Stimme vibrierten in seinen Knochen.

»Ich bin taub? Na und! Beethoven war es auch und hat trotzdem ganz gute Arbeit geleistet«, knurrte er oft.

Er hatte Julie erklärt, dass der Gesang eine Macht besäße, die weit über Klangschönheit hinausginge. Er lehrte sie, ihre Gefühle zu modulieren, um Stress zu überwinden und allein durch ihre Stimme Ängste zu vergessen, und er lehrte sie auch, dem Gesang der Vögel zu lauschen, die einen wesentlichen Beitrag zu ihrer Ausbildung leisten könnten.

Wenn Julie sang, wuchs aus ihrem Innern ein Energiestrahl wie ein Baum empor, und ihr Empfinden dabei kam der Ekstase nahe.

Der Lehrer wollte sich nicht mit seiner Taubheit abfinden und hielt sich deshalb über neue Heilverfahren auf dem Laufenden. Eines Tages gelang es einem besonders fähigen jungen Chirurgen, ihm eine elektronische Prothese in den Schädel zu implantieren, die seine Behinderung vollständig behob.

Von da an nahm der alte Gesangslehrer den Lärm der Welt wahr, die wirklichen Töne, die wirkliche Musik. Er hörte die Stimmen der Leute und die Hitparade im Radio. Er hörte Autohupen und Hundegebell, das Prasseln des Regens und das Rauschen der Bäche, das Klappern von Schritten und das Quietschen von Türen. Er hörte Niesen und Lachen, Seufzen und Schluchzen. Und überall in der Stadt hörte er ununterbrochen dröhnende Fernsehgeräte.

Der Tag seiner Heilung, der eigentlich ein Glückstag hätte sein müssen, wurde zu einem Tag der Verzweiflung. Jankelewitsch stellte fest, dass die realen Töne keineswegs dem ähnelten, was er sich vorgestellt hatte. Alles war nur Krach und Missklang, alles war schrill, plärrend, unerträglich. Die Welt war nicht voller Musik, sondern voller Lärm. Eine so große Enttäuschung konnte der alte Mann nicht verkraften. Er dachte sich einen Selbstmord aus, der seinen Idealen entsprach, stieg auf den Glockenturm der Kathedrale Notre-Dame und legte seinen Kopf unter den Klöppel. Punkt zwölf starb er, hinweggefegt von der Wucht der gewaltigen und musikalisch vollkommenen Glockenschläge.

Julie hatte durch seinen Tod nicht nur einen Freund verloren, sondern auch den Mentor, der ihr geholfen hatte, ihre größte Begabung zu entwickeln.

Gewiss, sie hatte einen anderen Gesangslehrer gefunden, einen von denen, die sich damit begnügten, ihre Schüler Tonleitern üben zu lassen. Er zwang Julie, ihre Stimme auf Register auszudehnen, die ihren Kehlkopf überforderten. Das war sehr schmerzhaft, und kurz darauf diagnostizierte ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt Knötchen an ihren Stimmbändern. Der Gesangsunterricht musste sofort abgebrochen werden, sie wurde operiert und war, während ihre Stimmbänder vernarbten, mehrere Wochen lang völlig stumm. Und danach war es ihr schwergefallen, ihre Stimme auch nur zum Sprechen zu gebrauchen.

Seither suchte sie nach einem echten Gesangslehrer, der sie anleiten könnte, so wie Jankelewitsch es getan hatte. Weil sie keinen fand, kapselte sie sich immer mehr von der Umwelt ab.

Jankelewitsch hatte immer behauptet, wenn man eine Begabung besitze und sie nicht nutze, gleiche man jenen Kaninchen, die nichts Hartes kauten: Nach und nach verlängerten sich deren Schneidezähne, würden krumm, wüchsen ohne Ende, bohrten sich durch den Gaumen und schließlich von unten nach oben ins Gehirn. Um diese Gefahr zu veranschaulichen, hatte der Lehrer bei sich zu Hause einen Kaninchenschädel stehen, bei dem die Schneidezähne oben wie zwei Hörner herausragten. Dieses makabre Ding zeigte er gern schlechten Schülern, um sie zum Arbeiten anzuhalten. Er hatte sogar mit roter Tinte auf den Schädel geschrieben:

Seine natürliche Begabung nicht zu pflegen ist die größte aller Sünden.

Da Julie ihre Begabung nun nicht mehr pflegen konnte, wurde sie zunächst sehr aggressiv und litt danach eine Zeit lang an Magersucht, gefolgt von Bulimie, wobei sie kiloweise Gebäck verschlang, mit leerem Blick, Abführ- oder Brechmittel immer griffbereit.

Sie machte keine Hausaufgaben mehr, schlief während des Unterrichts ein, hatte Probleme mit der Atmung und litt bald auch an Asthmaanfällen. Alles, was ihr das Singen Gutes gebracht hatte, wendete sich nun zum Schlechten.

 

Julies Mutter setzte sich als Erste an den Esstisch.

»Wo wart ihr heute?«, fragte sie.

»Wir sind im Wald spazierengegangen«, antwortete der Vater.

»Hat Julie sich dort so aufgeschürft?«

»Sie ist in eine Schlucht gefallen«, erklärte Gaston. »Zum Glück ist nicht allzu viel passiert, aber sie hat sich an der Ferse verletzt. Außerdem hat sie dort unten ein seltsames Buch gefunden …«

Die Mutter interessierte sich aber nur noch für die dampfenden Speisen auf ihrem Teller. »Das könnt ihr mir später erzählen. Essen wir schnell! Gebratene Wachteln darf man nicht warten lassen. Sie müssen heiß sein, damit sie schmecken.«

Ein gezielter Gabelstoß ließ aus der Wachtel Dampf aufsteigen, so als würde Luft aus einem Fußball entweichen. Sie packte den Vogel, saugte ihn durch die Schnabelöffnung aus, brach mit den Fingern die Flügel ab, schob sie sich zwischen die Lippen und knackte schließlich mit den Zähnen die kleinen, widerspenstigen Knochen.

»Isst du nichts? Schmeckt es dir nicht?«, fragte sie Julie.

Das Mädchen starrte den gebratenen Vogel an, der mit einem dünnen Faden zusammengebunden war und schnurgerade auf ihrem Teller lag. Sein Kopf war mit einer Rosine geschmückt, die wie ein Zylinder wirkte. Die leeren Augenhöhlen und der halb geöffnete Schnabel erweckten den Eindruck, als wäre der Vogel plötzlich durch ein schreckliches Ereignis mitten aus seinen Beschäftigungen gerissen worden, durch ein Ereignis, vergleichbar dem Vesuvausbruch, der Pompeji unter sich begraben hatte.

»Ich mag kein Fleisch«, murmelte Julie.

»Das ist kein Fleisch, sondern Geflügel«, korrigierte die Mutter, fuhr dann aber in versöhnlichem Ton fort: »Du willst doch nicht wieder magersüchtig werden. Du musst bei Kräften bleiben, damit du dein Abitur schaffst und Jura studieren kannst. Nur weil dein Vater sein Examen in Jura gemacht hat, leitet er jetzt die Rechtsabteilung des Forstamtes, und nur weil er diese Position innehat, haben es dir seine entsprechenden Beziehungen ermöglicht, die Abiturklasse noch einmal wiederholen zu dürfen. Jetzt bist du an der Reihe, Jura zu studieren.«

»Ich pfeif auf Jura!«, verkündete Julie.

»Du musst dein Studium schaffen, um ein vollwertiger Teil der Gesellschaft zu werden.«

»Ich pfeif auf die Gesellschaft!«

»Was interessiert dich denn dann?«

»Gar nichts.«

»Womit verbringst du deine Zeit? Hast du eine große Liebe?«

»Ich pfeif auf die Liebe.«

»Ich pfeif auf … ich pfeif auf … Etwas anderes bekommt man von dir nicht mehr zu hören. Irgendwas oder irgendwer muss dich doch interessieren«, beharrte die Mutter. »So hübsch, wie du bist, müssen die Jungen sich doch um dich reißen.«

Julie schnitt eine Grimasse. Ihre hellgrauen Augen funkelten. »Ich habe keinen Freund, und ich weise dich darauf hin, dass ich...

Erscheint lt. Verlag 15.10.2018
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel La revolution des fourmis
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Die Ameisen-Trilogie • diezukunft.de • eBooks • Evolution • Frankreich • Hard-SF • mad scientist • science thriller
ISBN-10 3-641-24130-8 / 3641241308
ISBN-13 978-3-641-24130-8 / 9783641241308
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