Der Privatsekretär (eBook)

Thriller
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
320 Seiten
Unionsverlag
978-3-293-31014-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Privatsekretär -  Claudia Piñeiro
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Román Sabaté wundert sich über seinen rasanten Aufstieg in der aufstrebenden neuen Partei Pragma. Als persönlicher Assistent des charismatischen Parteichefs steht er im Zentrum der ausgeklügelten Kampagne, die unter Einsatz von Desinformation, Halbwahrheit und manipulierten Emotionen versucht, ihren Chef an die Macht zu bringen. Als er erkennt, welches Spiel mit ihm und dem Land getrieben wird, versucht er, sich und die junge Journalistin Valentina Sureda aus dem Netz der Lügen zu befreien - und löst damit ein politisches Erdbeben aus.

Claudia Piñeiro (*1960 in Buenos Aires) ist eine der erfolgreichsten Autorinnen Argentiniens. Nach dem Wirtschaftsstudium wandte sie sich dem Schreiben zu, arbeitete als Journalistin, schrieb Theaterstücke, Kinder- und Jugendbücher und führte Regie fürs Fernsehen. Für Die Donnerstagswitwen erhielt sie 2005 den Premio Clarín, 2010 wurde sie mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet. Für Kathedralen erhielt sie 2021 den Premio Hammett, mit Elena weiß Bescheid stand sie 2022 auf der Shortlist des International Booker Prize.

Claudia Piñeiro (*1960 in Buenos Aires) ist eine der erfolgreichsten Autorinnen Argentiniens. Nach dem Wirtschaftsstudium wandte sie sich dem Schreiben zu, arbeitete als Journalistin, schrieb Theaterstücke, Kinder- und Jugendbücher und führte Regie fürs Fernsehen. Für Die Donnerstagswitwen erhielt sie 2005 den Premio Clarín, 2010 wurde sie mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet. Für Kathedralen erhielt sie 2021 den Premio Hammett, mit Elena weiß Bescheid stand sie 2022 auf der Shortlist des International Booker Prize.

1


Jeder Mensch schleppt einen Fluch mit sich herum. Manche bemühen sich ihr Leben lang, diesen Fluch abzuschütteln. Im Glauben, sie seien stark genug, um ihn auszutricksen, führen sie bis zum bitteren Ende einen unsinnigen, aussichtslosen Kampf. Andere versuchen es gar nicht erst und fügen sich in ihr Schicksal. Hin und wieder werfen sie einen Blick über die Schulter, um zu überprüfen, dass die Last auf ihrem Rücken nicht verrutscht ist, davon abgesehen, schenken sie ihr so gut wie keine Aufmerksamkeit. Und dann gibt es noch die Glückspilze, die nichts von dem Fluch merken, der auf ihnen liegt. Leute wie Román Sabaté. Er ist ahnungslos und somit gleichsam unberührbar.

Trotzdem ist Román heute schwindlig, und er hat starke Magenschmerzen. Auf die Idee, dass die Schmerzen etwas mit einem Fluch zu tun haben könnten, kommt er aber nicht. Für ihn ist der Ort, an dem er sich befindet, schuld daran. Er sieht sich um, schnüffelt. Nein, an der Müdigkeit und Anspannung kann es nicht liegen, ebenso wenig an seiner Schuld. Und auch nicht an seiner Angst. Die Bar des Retiro-Bahnhofs, wo er auf den Bus wartet, ist ein grauenhafter Ort. Ein passenderer Ausdruck fällt ihm nicht ein. Dafür weiß er jedoch genau, wer ständig alles »grauenhaft« findet. Oder zumindest fand. Warum muss ihm dieses Wort ausgerechnet jetzt einfallen? Er sagt und sagte doch sonst nie »grauenhaft«, trotzdem drängt sich ihm der Ausdruck in diesem Moment geradezu auf: »Grauenhaft.« Das grelle Neonlicht reizt seine übermüdeten Augen. Dann die über den grauen Boden verteilten wackligen Rohrstühle, deren verdreckte Schaumstofffüllung durch die Risse in dem roten Kunstleder quillt. Und schließlich diese Mischung aus Essensgerüchen und den Ausdünstungen eines scharfen Putzmittels aus der Toilette, kaum auszuhalten. In der Ecke ist knapp unter der Decke ein – im Gegensatz zum restlichen Mobiliar – hochmoderner Fernsehapparat angebracht. Gerade laufen die Nachrichten, der Ton ist allerdings ausgestellt. Wahrscheinlich haben die Betreiber der Bar ihn zur letzten Fußballweltmeisterschaft angeschafft, sagt sich Román. Wo er selbst damals die meisten Spiele sah, weiß er noch genau, auf einem riesigen 60-Zoll-LED-High-Definition-Bildschirm, fast wie im Kino, umgeben von einer Unmenge Sushi – was ihm aber noch nie geschmeckt hat – und dem gesamten Team. »Team«, auch so ein Wort, das er am liebsten nie mehr verwenden würde.

Er nimmt die Flasche und gießt in beide Gläser Sodalimonade. Früher war er öfter in solchen Bars, an solchen Bahnhöfen, aber das ist lange her. Er ist noch jung, nicht mal dreißig, fünf oder sechs Jahre sind für ihn deshalb viel. Plötzlich wird ihm klar, wie lange er schon bloß noch mit dem Flugzeug oder – falls die Strecke kurz war oder es keinen passenden Flug gab – mit dem Auto gereist ist, beziehungsweise mit dem Schiff, wenn er wieder einmal nach Montevideo oder Colonia musste, um Geld auf gewisse Konten einzuzahlen oder abzuheben. Manchmal war er sogar im Hubschrauber unterwegs. Aber im Bus nie, nie wieder. Das heißt, doch, damals in Cariló, aber auch daran möchte er jetzt nicht denken. Außerdem war das so nicht geplant gewesen – er war mit dem Auto hingefahren und hatte eigentlich auch mit dem Auto zurückfahren sollen. Aber früher, da waren solche Bars an solchen Orten die Regel. Etwa wenn er mit seinen Freunden verreiste, als er zum ersten Mal nach Buenos Aires fuhr, und ebenso, als er noch regelmäßig seine Eltern in Santa Fe besuchte. Oder als er einmal überstürzt nach Mendoza aufbrach, auf der Suche nach Carolina, seiner damaligen Freundin, von der er immer noch ab und zu träumt – dann sieht er sie mit einem riesigen Neun-Monate-Bauch vor sich. Er war also schon oft an solchen Orten, jedoch nie mit einem todmüden dreijährigen Kind. Einem Kind, das den kleinen Arm auf die Tischplatte aus Kunststoff gelegt hat und den Kopf darauf und so vor sich hindämmert. Einem Kind, das sich bereitwillig in alles fügt und für nichts von alldem verantwortlich ist.

Ob es richtig war, nicht einmal China zu sagen, wohin er unterwegs ist und aus welchem Grund? Seit er in dieser Bar sitzt, fragt er sich das immer wieder. Vielleicht sollte er es ihr doch sagen. Zeit genug wäre noch. Er braucht sie. Er holt sein Mobiltelefon hervor, sucht ihren Namen auf der Kontaktliste, betrachtet ihr Foto, zögert. Nach einer Weile sagt er sich, dass es unvernünftig, ja, der reine Wahnsinn wäre, sie jetzt anzurufen, sosehr es ihn auch dazu drängt. Gleich darauf entnimmt er seinem Telefon Chip und Akku. Ob das reicht, weiß er nicht, aber so hat man es ihm damals beigebracht – so könne man seiner Spur nicht folgen, hieß es. Das war eine der Verhaltensvorschriften. Bis jetzt hat er sie noch nie anwenden müssen, aber nachdem sie ihm das extra für solche Fälle erklärt haben, wird es wohl funktionieren.

Der Kellner kommt mit der Rechnung. Román kann sich nicht daran erinnern, darum gebeten zu haben, doch der Kellner hält sie ihm hin, bis er irgendwann den Arm senkt, den Zettel unter die halb leere Limonadeflasche schiebt und mit Blick auf den Fernseher sagt: »Die lügen doch alle, einer wie der andere.«

Román schaut auf – wie erwartet ist in Großaufnahme Fernando Roviras Gesicht zu sehen. Das konnte gar nicht anders sein. Nicht weil Rovira der einzige Lügner ist oder niemand diese Bezeichnung so verdient wie er. Rovira nutzt vielmehr in der letzten Zeit jede Gelegenheit, um in den Nachrichten zu erscheinen, auch außerhalb der Hauptsendezeit. Außerdem verkörpert Fernando Rovira gewissermaßen Románs Schicksal. Auch ohne Ton weiß Román genau, was Rovira in diesem Augenblick sagt, dafür braucht er nicht einmal den Lauftext am unteren Bildrand zu verfolgen: »Rovira bekräftigt, dass die Teilung der Provinz Buenos Aires noch vor den nächsten Wahlen durchgeführt werden soll.« Román kann an Roviras Verhalten gleich mehrere Dinge ablesen. Erstens: Inzwischen scheint es Wichtigeres zu geben als die Aufklärung des Mordes an Roviras Frau Lucrecia Bonara – bis vor wenigen Monaten kam Rovira jedes Mal sofort darauf zu sprechen, wenn man ihm ein Mikrofon vor den Mund hielt. Zweitens: Das Einzige, was Rovira jetzt wirklich am Herzen liegt, ist die Teilung der Provinz und der Gouverneursposten in der von ihm bevorzugten Hälfte. Drittens, und das ist für Román das Wichtigste: Offensichtlich weiß Rovira weder, dass Román sich von ihm abgesetzt hat, noch, wie er das getan hat. Das Interview nähert sich seinem Ende, und Román Sabaté fragt sich, ob wenigstens der Journalist sich zu einem früheren Zeitpunkt nach dem Mord erkundigt hat, dem Stand der Ermittlungen und ob es mittlerweile irgendwelche brauchbaren Hypothesen oder ernst zu nehmenden Tatverdächtigen gibt. Oder ist dieser Mord auch für die Medien nach einem Jahr kein Thema mehr, dem man mehrere Minuten Sendezeit zugesteht, weil sich längst andere Dinge in den Vordergrund gedrängt haben? Die Teilung der Provinz Buenos Aires, zum Beispiel.

Der Kellner sagt noch einmal: »Das sind doch lauter Lügner, einer wie der andere.«

Und als wollte er seine Behauptung untermauern, zieht er die Fernbedienung aus der Tasche, hält sie in Richtung Fernsehapparat und stellt den Ton laut. Das Interview ist ans Ende gelangt, Rovira verabschiedet sich mit den Worten: »Unser Ziel heißt nicht: die Provinz Buenos Aires nachhaltig machen. Wir wollen zwei nachhaltige Provinzen und keinen unregierbaren Moloch. Vielen Dank.«

»Schwätzer …«, sagt der Kellner.

»Papa?« Joaquín, der mit dem Rücken zum Bildschirm am Tisch sitzt, hebt den Kopf und sieht Román verwirrt an. Offensichtlich ist er noch nicht ganz wach.

»›Nachhaltig‹, was soll denn das für ein Scheiß sein, he?«, sagt der Kellner.

»Wüsste ich auch gern …« Román legt das Geld auf den Tisch und steht auf. »Komm«, sagt er zu Joaquín, »gleich fährt unser Bus.«

Statt vom Stuhl zu klettern, streckt der Kleine die Arme aus, damit Román ihn hochhebt. Román setzt zuerst den Rucksack auf. Er hat nur wenig Kleidung eingepackt, dazu ein paar Bücher, den Umschlag mit dem Foto und einen Stapel Papiere – beim Aufbrechen wollte er sie schon vernichten, zuletzt hat er sie für alle Fälle aber doch mitgenommen. So ist die Ladung ziemlich schwer. Außerdem pikst ihn der Ladekran eines Lastwagens in den Rücken – das einzige Spielzeug von Joaquín, das sie dabeihaben. Das Auto ist aus Holz, vor einiger Zeit haben sie es gemeinsam zusammengebastelt und angemalt. Als Román zu Joaquín sagte, er könne nur eine Sache auf ihren »kleinen Ausflug« mitnehmen, hat dieser zu Románs Freude auf den Laster gedeutet. Erst als Román das Gefühl hat, dass das Gewicht gleichmäßig zu beiden Seiten seiner Wirbelsäule verteilt ist, lächelt er Joaquín an, der immer noch mit ausgebreiteten Armen wartet, hebt ihn vom Stuhl und sagt: »Los gehts, mein Augenstern!«

Sie verlassen die Bar. Die grauenhafte Bar. Hinter ihnen erscheint wieder Fernando Rovira auf dem Bildschirm. Ohne sich darum zu kümmern, geht Román mit Joaquín im Arm zu dem Fahrsteig, den man ihm am Kartenschalter genannt hat. Joaquín wird wahrscheinlich schon wieder schlafen, wenn sie dort ankommen. Román stellt sich in der nur von den Scheinwerfern der einfahrenden Busse erhellten Dunkelheit ans Ende der kurzen Warteschlange, die Tickets und ihre Ausweise in der Jeanstasche. Er fragt sich plötzlich, ob er wohl beim Einstieg in den Fernbus einen Nachweis vorlegen muss, der ihn berechtigt, mit diesem Kleinkind in seinem Arm auf...

Erscheint lt. Verlag 16.7.2018
Übersetzer Peter Kultzen
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Argentinien • Kriminalroman • Politiker • Spannung
ISBN-10 3-293-31014-1 / 3293310141
ISBN-13 978-3-293-31014-8 / 9783293310148
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