Drachenschuld (eBook)

Die Berührung des Horizontes

(Autor)

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2018 | 2. Auflage
360 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7528-8250-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Drachenschuld -  Paula Roose
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Am Rande des Finsterwaldes ist das einstige Dorf Mühlenau zu einer blühenden Stadt herangewachsen. Doch im Drachenberg befindet sich noch immer Tumaros Schatz. Ein leises Beben öffnet einen Eingang zur Höhle. Prompt wird der Schatz von der Fabrikantentochter Ira entdeckt. Sie erhofft sich von dem Fund eine Tür in die Freiheit. Mit eigenem Vermögen könnte sie dem Diktat ihrer wohlhabenden Mutter entkommen. Aber unter Gold und Juwelen liegen gefährliche Artefakte verborgen. Schnell gerät sie in einen Bann, giert nach immer mehr Gold und ist zu jedem Opfer bereit - bis sie selbst zum Opfer wird. Woher kommt Hilfe, wenn man keine Freunde hat? Und was, wenn man durch seine Taten eine ganze Stadt in Gefahr bringt? Ira gibt alles, um ihre Schuld zu begleichen. Doch sie kann Tote nicht zum Leben erwecken.

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Dämmerung

Leises Klopfen an der Zimmertür riss Ira aus ihrem Tränenfluss.

»Liebes, darf ich reinkommen?«

Sie drückte ihr Gesicht in das Kissen. Nein, bitte nicht. Nicht jetzt. Aber sie sehnte sich nach Birtas großer, weicher Brust. So schwieg sie, bis die Klinke sich senkte und Birtas rundliches Gesicht sich durch den Türspalt schob.

Mitfühlend schaute die Haushälterin auf Iras Tränen und schloss die Tür. Es ertönte ein seufzendes Geräusch, als sie sich auf das Himmelbett setzte, wobei man nicht genau sagen konnte, ob der Seufzer von Birta kam oder vom Bett.

Ira griff hastig nach einem Taschentuch, trocknete sich das Gesicht und ließ sich von Birta in die Arme ziehen.

»Lucilla hat mir von eurem … Gespräch erzählt.«

Sie spürte den Impuls, sich zu versteifen und aufzurichten, doch im Augenblick tat die Nähe zu gut, als dass sie sich daraus lösen wollte. »Ich bin Firmeneigentum, das zum besten Preis verschachert werden soll.«

»Nicht doch! Du bist und bleibst unbezahlbar.« Birta strich ihr eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht.

Sie schnäuzte ins Taschentuch, nahm ein zweites und tupfte sich den erneuten Tränenstrom von den Wangen. »Ist es wahr? Hat Timo um meine Hand gebeten?«

»Jawohl, das hat er.«

»Aber wann?«

»Gestern Abend.«

»Warum weiß ich davon nichts?«

»Ich wollte es dir doch sagen. Wenn das mit der dummen Hand nicht passiert wäre.«

»Ach, Birta.« Ira barg den Kopf an Birtas Schulter. Sie war das Kissen, das sie auffing, wenn Lucilla sie in den Abgrund gestoßen hatte.

»Du bekommst einen guten Mann. Ich wünsche dir alles Glück dieser Welt.«

»Ich hatte befürchtet, er würde gar nicht mehr fragen.«

Birta lachte. »Ach, woher denn. Er ist verrückt nach dir!«

Sie erhob sich und ging zum Fenster, ließ den Blick in die Ferne schweifen, ohne etwas Bestimmtes zu suchen. »Was hätte mein Vater dazu gesagt?«

»Elias? Er hätte Timo noch vor dem ersten Kuss nach seinen Absichten gefragt. Und wehe, die wären nicht ehrenhaft gewesen! Er hätte Drachenfutter aus ihm gemacht.«

Sie musste lachen und wandte sich wieder um. »Ihr lasst mich heute Abend wirklich mit Timo allein?«

»Na und ob! Deine Mutter hat endlich eingesehen, dass Anstandsdamen nicht mehr in unsere Zeit passen. Dabei haben sie und Elias …«

»Birta …« Sie setzte sich wieder aufs Bett. »Wir sind schon manchmal allein … im Wald und bei Timo … und wir küssen uns auch … aber … wir haben noch nie … ich meine so …«

Birta drückte ihre Hand. »Dann wird es wohl Zeit.«

»Aber …?«

»Kein aber! Liebes, ihr seid jung. Klar behauptet Lucilla, ein anständiges Mädchen tut so etwas nicht. Aber lass dir gesagt sein: Anständig Verliebte tun so etwas.«

Sie rang mit sich, doch dann platzte es aus ihr heraus. »Und wenn er mich gar nicht heiratet? Womöglich bekomme ich ein Kind von ihm?«

»Aber doch nicht Timo!«

Wieder traten ihr Tränen in die Augen. »Ich wurde schon einmal verlassen.«

»Ich weiß, Liebes, ich weiß. Manchmal lässt das Leben uns keine Wahl.«

Sie konnte sich nicht erinnern, überhaupt jemals eine Wahl gehabt zu haben. Nicht einmal ihre Schneiderlehre, so sehr sie das Handwerk auch liebte, hatte sie selbst gewählt. »Bin ich schwierig?«

Über Birtas Gesicht huschte ein Schatten. Sie beeilte sich zu lächeln, aber Ira hatte es gesehen.

»Nein, bist du nicht … Aber dein Leben war schwierig. Bis jetzt. Und du bist etwas Besonderes.« Birta versuchte, sie wieder an ihre Brust ziehen.

Einen Moment herrschte Schweigen. Ira erhob sich und ging zum Spiegel. »Ich muss gut aussehen …«

»Du siehst gut aus.«

»Am besten nehme ich ein Bad … Lässt du mir Wasser ein? Ach, du kannst ja nicht …«

»Immer langsam. Bis heute Abend ist noch Zeit. Ich werde euch etwas Schönes kochen. Was meinst du?«

»Aber du bist doch außer Haus?«

»Erst heute Abend.«

»Und deine Hand?«

»Das wird schon gehen.«

Ira schaute zum kleinen, runden Tisch in der Zimmerecke.

Birta verstand ihren Blick. »Natürlich werdet ihr hier oben essen. Hoffentlich vergisst Lucilla nicht, dass sie es erlaubt hat.«

»Danke.«

»Holst du mir etwas vom Markt? Ich schreib dir einen Zettel.«

»Aber … du bist die Haushälterin.«

Birta lachte und wuschelte ihr durchs Haar. »Ich kann doch nichts tragen mit der Hand.« Ohne ihre Antwort abzuwarten, wandte Birta sich ab und verschwand mit den gleichen knarzenden Schritten, mit denen sie gekommen war.

Ira ließ sich in ihre Kissen fallen. Sie fühlten sich wunderbar weich an, wie Wolken, auf denen sie über ihre Sehnsucht hinwegschweben konnte. Das morgendliche Gewitter jedenfalls schien vertrieben zu sein. »Timo«, flüsterte sie in die Stille des Raumes hinein. Und heute war die Stille ihr Freund, der sie den Zauber dieses Momentes genießen ließ.

Endlich!

Durch das Fenster in Iras Zimmer sah der Drachenberg wie ein Gemälde aus, das von den golddurchwirkten Samtvorhängen gerahmt war. Von ihrem Sofa aus konnte Ira es betrachten, doch die modernen Korbmöbel aus der Familienwerkstatt stritten gegen diesen Hauch von Ewigkeit. Das war der Grund, weshalb sie lieber Eichenmöbel gehabt hätte. Doch wenn sie vor dem Kamin saß und mit ihrem Herzen den wärmenden Geschichten lauschte, die das prasselnde Feuer zu erzählen wusste, dann tröstete das ein wenig darüber hinweg. Obwohl es gleichzeitig die Sehnsucht mehrte. Wie gerne wäre sie dabei gewesen, als es in diesem Haus noch glückliches Leben gegeben hatte.

Ira setzte sich an die Frisierkommode. Sie bestand aus etlichen kleinen Schubladen, allesamt gefüllt mit kostbaren Cremes, Bürsten, Kämmen, Haarschmuck und Lippenstiften. Doch nur die unterste Schublade pflegte sie zu benutzen. Sie enthielt eine Eschenholzbürste mit Wildschweinborsten – ein Geschenk ihres Vaters. »Wer so drachenfeuerrotes Haar hat, der braucht eine besondere Bürste, damit es für immer so schön bleibt«, hatte er lachend gesagt. Es war eine der wenigen Erinnerungen, die sie an ihn hatte. Sie strich sich mit der Bürste über die Haare, träumte sich in diesen Moment zurück, und es war, als wäre alles, was danach kam, nicht geschehen.

Aber es war geschehen, es hatte ihn gegeben, diesen Tag, als die Männer in die Villa kamen und sagten, ihr Vater werde niemals wiederkommen. Was bedeutete »nie wieder« für ein fünfjähriges Mädchen? Sie hatte auf ihn gewartet.

Lucilla bekämpfte den Schmerz auf ihre Weise, stürzte sich in Arbeit und überließ die Tochter sich selbst. Ira wäre im Warten ertrunken, hätte es nicht Birta gegeben, die mit der Villa verwurzelt und schon den Großeltern zu Diensten gewesen war. In ihren Armen wurde sie in den Schlaf gewiegt, bekam Geschichten vorgelesen, und mit ihr konnte sie über ihren Vater sprechen. Birta hatte ihr auch die Grafitzeichnung auf dem Nachtschrank geschenkt, die Elias vor dem Drachenberg zeigte. Der Schmerz wurde nicht kleiner, nur Ira wurde größer. Als sie den Kinderschuhen entwachsen war, beschloss sie, den Reichtum ihrer Mutter zu genießen – eine Entschädigung für die Einsamkeit und fehlende Freundinnen, weil alle nur ihr Geld wollten, obwohl ihr eigentlich nichts gehörte.

Sie warf einen Blick auf ihr Spiegelbild und beschloss, sich die Haare zu einem seitlichen Zopf zu flechten. Ein Hütchen mit Schleier rundete das Bild ab. Das rote Kleid war ihr eigener Entwurf, schlicht und elegant geschnitten mit leicht ausgestelltem Rock. Zufrieden betrachtete sie ihre saphirblauen Augen. Die Tränenspuren waren verschwunden. Wenn sie auf den Markt von Mühlbachstadt ging, wollte sie sich keine Blöße geben. Die Menschen hofierten sie, weil sie die Erbin der Möbelfabrik und des Modeateliers war. Aber sie wusste, dass unter der Schleimschicht anbiedernder Freundlichkeit die Abscheu derer schlummerte, die sich nicht aussuchen konnten, wen sie mochten und wen nicht.

Der Marktplatz bildete das Zentrum von Mühlbachstadt. Eine Glocke stand als Mahnmal in seiner Mitte. Der Sage nach wurde sie geläutet, wenn ein Drache angriff. Um sie herum wuchsen dickstämmige, schattenspendende Linden – ein begehrter Platz, um Neuigkeiten zu erfahren oder um Gesellschaft zu finden.

Menschenschlangen drängten sich vor den Auslagen der Marktstände und Händler priesen lauthals ihre Waren an. Iras Einkaufskorb füllte sich rasch, denn in jeder Schlange ließ man sie mit einem aufgesetzt freundlichen Nicken vor. Hin und wieder fiel eine...

Erscheint lt. Verlag 8.5.2018
Reihe/Serie Drachentau-Saga
Drachentau-Saga
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte Drachen • Einsamkeit • Liebe • Schuld • Vergebung
ISBN-10 3-7528-8250-6 / 3752882506
ISBN-13 978-3-7528-8250-6 / 9783752882506
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