Mein Goethe -  Jens Korbus

Mein Goethe (eBook)

Das Gesicht hinter dem Spiegel

(Autor)

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2018 | 4. Auflage
396 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7528-3740-7 (ISBN)
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Als Jens Korbus im September 1988 erster Preisträger beim Fachinger Kulturpreis wurde, hatte er von seinen achtzehn Büchern noch keines geschrieben. Aber er beeindruckte Professor Herbert Heckmann, den damaligen Präsidenten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und die vier anderen Jurymitglieder so, dass er den 1. Preis erhielt. Es folgten ein Cagliostro-Roman und siebzehn weitere Erzählungen und Novellen, sechs davon über Goethe. Jens Korbus stellt sich mit seinen sechs hier versammelten Büchern als ausgewiesener Goethe-Kenner dar. Er ist studierter Germanist und Philosoph. Goethes Schöne Mailänderin Goethes Schöne Mailänderin aus der Italienischen Reise, neu und genau erzählt. Ob´s Unrecht ist, was ich empfinde Die Geschichte der Charlotte von Stein, aufgeschrieben von einem Mönch aus Maria Laach. Leben in Weimar Goethe unter das Mikroskop gelegt von zwei Abgesandten seines Verlegers Cotta. Goethes Krafft Goethe, einmal aus der Perspektive eines von ihm Abhängigen gesehen. Charlotte Goethe spricht zu Eckermann rückhaltlos offen über seine Beziehung zu Charlotte von Stein. Dein Herz hält alles aus Die Wahlverwandtschaften, frei in die Moderne übertragen.

Jens Korbus, 1943 in Ostpreußen geboren, studierte in Bonn und Düsseldorf Germanistik und Philosophie und schrieb seine zwei Staatsarbeiten über Heinrich Heine und Max Frisch. Er war eine Zeitlang Assistent am Germanistischen Institut der Universität Düsseldorf und unterrichtete Deutsch und Philosophie an einem Koblenzer Gymnasium. 1988 war er 1. Preisträger bei dem Fachinger Kulturpreis für seinen Brief an Goethe.

Goethes schöne Mailänderin

Er war jetzt ein Jahr in Italien. Nach der Schiffsreise nach Sizilien, ein zweites Mal in Rom. In dieser Stadt, die ihn zu sich selbst und zu seinem Künstlertum zurückgebracht hatte. Reiffenstein, der Kunstfreund und Archäologe, Freund Winckelmanns, Hackerts und Angelica Kauffmanns, hatte ihn in seine Sommerresidenz in Frascati, nicht weit von Rom, eingeladen. Er hatte dort gezeichnet und kartiert, getuscht und Farbe aufgetragen und Carl Philipp Moritz sein Pflanzensystem erklärt. Das hatte ihn bewogen, das System auch für sich selbst aufzuschreiben. Er hatte viel gearbeitet, und dann war er von Frascati für einen Tag nach Albano gegangen und war von dem englischen Kunsthändler und Bankier Thomas Jenkins in dessen Sommerresidenz nach Castel Gandolfo eingeladen worden, in die Villa Torlonia, ein weitläufiges Prachtgebäude, das einmal einem Jesuitengeneral gehört hatte. Hier hatte er herrliche Sommertage verlebt, Castel Gandolfo lag dreißig Meilen südöstlich von Rom. Die Fahrt über die Via Appia war eine Kleinigkeit gewesen. Der Albaner See lag gleich nebenan. In dieser kleinen Stadt, die zur italienischen Region Latium gehörte, lag auch die Sommerresidenz der Päpste. Genau das Richtige für ihn! In Frascati hatte es ihm nicht so gut gefallen wie hier. Aber der großzügige Park rund um die Villen des römischen Adels war schön. Man konnte sich gut darin ergehen. Die Frauenfiguren aus Ton, die es dort zu kaufen gab, hatten drei Brüste, zwei für die Milch und eine für den Wein. Auch der Glockenturm San Rocco aus dem Jahre 1305 in der Altstadt hatte ihn fasziniert. – Die Villa Torlonia mit dem vorgebauten, großen Wasserbecken zum Kühlen. Aber es war ja Herbst. Dahinter die romanischen Bögen der Villa.

Die Stadt war schon bei den Römern ein Treffpunkt reicher Familien gewesen. Auf dem Markt lagen dicke Schinken in der Auslage, an den Decken hingen in langen Reihen Salsiccia, geräucherte Würstchen. Die Buden hatten dort Spanferkelscheiben auf Holzofenbrot angeboten. Essen war doch, neben der Sinnlichkeit, der Sinn des Lebens. Er hatte sich in Castel Gandolfo gleich mit Jenkins angefreundet, der sein Büro genau gegenüber seiner römischen Wohnung auf dem Corso hatte. Auch seinen redlichen Commis Carlo Ambrogio Riggi mochte er. Der hatte, aus Mailand stammend und in Rom ansässig, seine schöne junge Schwester Maddalena in die erlesene Gesellschaft eingeführt. Ange lica Kauffmann, die begabteste Malerin Deutschlands hatte sie im Jahr 1795, also acht Jahre nach der Begegnung mit Goethe, gemalt. Das Bild zeigte sie in ihrer Üppigkeit noch schöner. – Der volle Busen halb entblößt, ein Ärmel ihres Kleides war linker Hand halb heruntergerutscht. Schöne, ziselierte Armringe um die beiden Handgelenke. Das volle, hellbraune Haar mittellang, keine Ohrringe. Den Kopf zur Seite geneigt, nicht den Betrachter anblickend. Das volle Gesicht in stolzer Selbstgefälligkeit nach innen. Ein kleiner Fettansatz unter dem Kinn. Augen und der üppige Mund im stolzen Wechselspiel. Sie war jetzt dreißig und schon sieben Jahre mit Volpato verheiratet. 1803 würde sie, nach Volpatos Tod, Francesco Fiaucci heiraten. Von der jugendlichen Ausstrahlung mit zweiundzwanzig gibt es kein Bild. Aber das „Anfragende“ ihres Wesens sieht man auf dem Bild von 1795 noch immer. Sie hatte braune Augen, wie Goethe selbst.

Man lebte gegen Ende des 18. Jahrhunderts, und die aufgeklärte Oberschicht, zu der Goethe auch gehörte, besonders aber der Adel, hatten ein ganz anderes Verhältnis zur Frau als das 19. Jahrhundert oder wir heute. Begabte Frauen, wie Angelica Kauffmann, waren vollkommen gleichberechtigt und suchten sich auch ihre Partner selbst aus. Im Adel war es üblich, dass nach der Zwangsehe und den Kindern Liebhaber genommen wurden. Von beiden Seiten. Maddalena Riggi kam aus der unteren Mittelschicht und war von Mailand nach Rom gegangen, weil sie durch ihren Bruder Carlo und dessen Arbeitgeber Thomas Jenkins leichter Verbindungen zur Oberschicht anknüpfen konnte, um „nach oben“ zu heiraten. Über ihren „Bräutigam“, der sich nach zwei Monaten zurückzog, ist nichts bekannt. Aber Goethe wäre eine willkommene Partie gewesen. Und Goethe hätte sie, die seinen Belehrungen so zugänglich wurde, bestimmt nach Deutschland mitgenommen. Er war ja mit Christiane Vulpius noch weiter unter seinem Stand geblieben. Aber Christianes Familie hatte mehr Gelehrte hervorgebracht als die ganze Familie Goethe.

Dieser Fremde, mit dem markanten Gesicht, zog sie an. Natürliche Haarfarbe, dunkelbraun wie ihre. Braune Augen und ein feingebildetes Ohr. Deshalb konnte er so gut zuhören. Über der Stirn wurden die Haare allerdings schon etwas licht. Das kam schon bei jungen Männern vor. Der Blick geradeaus, halb nach oben gerichtet. Zu den Göttern. Die Augenbrauen gerade. Die Nase fast markant, mit einem winzigen Höcker. Kleine rote Äderchen auf der Nase und den Wangen vom Wein. Das Kinn mit einem Grübchen in der Mitte. Die Lippen, kein bisschen sinnlich. So einer würde nicht nur an ihrem Körper Gefallen finden, sondern auch an ihrer bildungshungrigen Seele. Das war ein Mensch, der zu befehlen gewohnt war, der sich aber trotzdem einordnen konnte. Angelica Kauffmann hatte ihn auch gemalt. Er sah, so sagte er selbst, sich darauf kein bisschen ähnlich. Es ist immer ein hübscher Bursche, aber keine Spur von mir! Sein Gesicht hatte auf diesem Bild etwas Zurückgenommenes, Spitzmäusiges. So schüchtern, wie er auf dem Bild blickt, kann er im Leben gar nicht gewesen sein. Eher wirkt er dort wie ein Bübchen. Aber ein widerspenstiges! Angelica Kauffmann mochte Maddalena, und diese hatte auch einen Zugang zu der Frau gefunden, die so in sich selbst ruhte. Angelica war hier zum Mittelpunkt der italienischen und deutschen Kultur geworden. Alle wollten von ihr porträtiert werden. Und tatsächlich sahen alle Leute, die Angelica gemalt hatte, ihr selbst irgendwie ähnlich.

In Maddalena tat sich eine ungeheure Möglichkeit auf, aus dem Kreis um ihren Bruder, dem Commis, heraus zu gelangen, und sich an diesem Fremden, eigentlich gar nicht so fremden Deutschen anzuschließen und Angelica Kauffmann ebenbürtig zu werden. Der Deutsche, der die fremde Sprache, ihre Sprache, so prächtig parlierte, würde sie aus dem Bildungssumpf herausholen. Sie würde schreiben lernen und bald englisch sprechen und verstehen. Sie würde in den Gazetten lesen können, was die Politik war und wohin sie sich bewegte. Auch wohin die Schiffe segelten, die im Hafen von Ostia anlegten. Was sollte da der sogenannte „Bräutigam“, der zudem weit weg war und ihre Versorgungsehe mit ihm. Sie war immerhin schon zweiundzwanzig, und bald wäre sie für eine Vermählung zu alt. Sie würde aber vor ihrem Gspusi die Neigung zu diesem gebildeten deutschen Künstler nicht geheim halten können, das wusste sie. Er würde es ihr beim ersten Zusammentreffen anmerken. Wahrscheinlich geisterte er noch in Rom herum. Ihr Bruder hatte ihr mit dem Kreis um Jenkins den besseren Teil geboten. In Mailand hätte sie vielleicht auch nur einen Analpha beten bekommen. Obwohl sie wusste, dass diese Heirat notwendig war. Aber da war ja noch der junge Volpato, der Sohn des berühmten Kupferstechers. Wenn Goethe und ihr Bräutigam nicht hielten, was sie zu versprechen schienen, wäre der auch noch etwas für ihre Zukunft. Diese Zukunft war aber auch vorauszusehen. Frauen erzog man, wenn sie nicht adlig waren, nur zu einer Art von zahmen Haustieren. So wollte sie nicht werden. Sie hatte ja bei dem Fremden angefragt, ob sie eine Chance bekäme. Sie war jetzt genau sechs Tage in Castel Gandolfo. Ihre Freundin hatte sie mitgenommen und hier eingeführt. Diese einzigartige Möglichkeit wollte sie sich nicht entgehen lassen. – Der Fremde war doch kein Hochstapler? Angelica war ja auch einmal auf einen hereingefallen. Sie hatte ein besseres Auge. Dieser Fremde hatte etwas übrig für sie. Das hatte sie gleich beim ersten Blick gespürt. Und ihren Hunger nach Sprachen, Wissen und

Erkenntnis würde er auch stillen. – Er war kein Verführer, das wusste sie. Sie würde es, mit seiner Hilfe, noch weiter bringen. Sie hatte erhört, dass er Minister in irgendeinem Zwergstaat in Deutschland war. Ministerfrau, das war auch etwas. Sie hatte sich keinen Augenblick besonnen, sich beim anschließenden Essen neben ihn zu setzen. Es würde Gerede geben, das wusste sie. Aber dieser fremde Deutsche war nicht nur gutaussehend, er hatte auch ihren Bildungshunger befriedigt. Oder war es Aufstiegshunger? Ihre Mutter würde von der Aussteuer reden und dem Fremden zu verstehen geben, dass sie vergeben sei. Es war Vabanque, und sie beschloss, alles oder nichts zu setzen. Sie hatte ja Pharo oft genug gespielt.

Goethe sah sofort, dass er eine junge, schöne Frau ohne Bildung vor sich hatte, so wie er sie mochte. Vielleicht gerademal zwanzig Jahre alt. Hellbraune Haare, klare, zarte Haut, braune Augen. Von einem offenen sowohl ansprechenden als auch anfragenden Wesen. Was fragte sie an?

Der fremde Tedesco gefiel Maddalena. Das ließ sie Goethe merken, und er hatte...

Erscheint lt. Verlag 8.5.2018
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
ISBN-10 3-7528-3740-3 / 3752837403
ISBN-13 978-3-7528-3740-7 / 9783752837407
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