Wellenbrecher (eBook)
496 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99036-3 (ISBN)
Gisa Pauly hängte nach zwanzig Jahren den Lehrerberuf an den Nagel und veröffentlichte 1994 das Buch »Mir langt's - eine Lehrerin steigt aus«. Seitdem lebt sie als freie Schriftstellerin, Journalistin und Drehbuchautorin in Münster, ihre Ferien verbringt sie am liebsten auf Sylt oder in Italien. Ihre Sylt-Krimis um die resolute Mamma Carlotta erobern jedes Jahr aufs Neue die Bestsellerlisten. Gisa Pauly wurde mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem Satirepreis der Stadt Boppard und der Goldenen Kamera des SWR für das Drehbuch »Déjàvu«. Die Leser der Fernsehzeitschrift rtv wählten sie zur beliebtesten Autorin des Jahres 2018.
Gisa Pauly hängte nach zwanzig Jahren den Lehrerberuf an den Nagel und veröffentlichte 1994 das Buch "Mir langt's – eine Lehrerin steigt aus". Seitdem lebt sie als freie Schriftstellerin, Journalistin und Drehbuchautorin in Münster, ihre Ferien verbringt sie am liebsten auf Sylt oder in Italien. Ihre turbulenten Sylt-Krimis um die temperamentvolle Mamma Carlotta erobern regelmäßig die SPIEGEL-Bestsellerliste, genauso wie ihre erfolgreichen Italien-Romane. Gisa Pauly wurde mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem Satirepreis der Stadt Boppard und der Goldenen Kamera des SWR für das Drehbuch "Déjàvu".
Valerio Fallaci war erstaunt, als die beiden Polizeibeamten in seinem Büro erschienen. Er strich mit beiden Händen die Haare zurück, die er an diesem Morgen gegelt hatte, dabei kam unter seinen Achseln der Duft eines Deos hervor. Erik konnte sich eine gewisse Bewunderung nicht verkneifen, als Fallaci aufstand und seine makellose Hemdenbrust und die knitterfreie dunkle Hose präsentierte. »Sie haben den Fall schon aufgeklärt? Wer hat Olivero umgebracht?«
Erik erklärte umständlich, dass es ein Problem gab. »Es ist nicht mehr sicher, dass der Tote Thies Dageför ist.«
Fallaci sah ihn verblüfft an. »Aber er wurde doch in seiner Wohnung gefunden. In seinem Bett. Das haben Sie mir gesagt!«
Erik wurde nervös. »Jede Leiche muss identifiziert werden. Vorsichtshalber. Normalerweise natürlich von einem Angehörigen. Aber Thies Dageför ...«
»... hat keine Angehörigen auf der Insel.« Valerio Fallaci schien zu begreifen, was von ihm erwartet wurde. Er sah nicht so aus, als gefiele ihm die Aussicht auf einen Besuch in der Pathologie.
»Wären Sie dazu bereit?«, fragte Erik.
Fallaci presste die Lippen aufeinander, dann antwortete er: »Muss ich ja wohl. Oder?«
Auf diese Frage ging Erik vorsichtshalber nicht ein, sondern bedankte sich nur und schlug vor, diese Angelegenheit nicht länger aufzuschieben.
Carolin sah ihren Vater entgeistert an, als er mit dem Hoteldirektor in die Lobby trat, und schien sich zu sorgen, dass Valerio Fallaci von ihm verhaftet worden war.
Aber er selbst war es, der ihr die Sorge nahm. »Bin gleich wieder da!«, rief er dem Rezeptionisten zu. »Der Hauptkommissar braucht meine Hilfe.«
Wenig später stieg er die Treppe zur Pathologie sehr langsam hoch und blieb auf der obersten Stufe stehen, um Luft zu schöpfen. Erik konnte ihn verstehen. Es war nicht angenehm, einem Toten gegenüberzutreten, erst recht nicht einem Mordopfer.
Aber Valerio Fallaci hatte noch eine andere Erklärung. »Ich leide unter Morbus Addison. Nebenniereninsuffizienz. In Stresssituationen muss ich aufpassen. Eine Addisonkrise kann mich umbringen.«
Erik hatte noch nie von dieser Krankheit gehört und machte sich nun Vorwürfe, dass er Valerio Fallaci in die Pathologie gebeten hatte.
Aber Fallaci winkte ab. »Schon gut. Das konnten Sie ja nicht wissen.«
»Wie wird die Krankheit behandelt?«, frage Erik.
»Mit Hydrocortison. Das klappt ganz gut.«
Mehr wollte Valerio Fallaci darüber nicht sagen. Er machte ein paar energische Schritte auf die Tür zu, hinter der ein unbekannter Toter auf ihn wartete.
Dr. Hillmot empfing sie mit der ihm eigenen Freundlichkeit, die nicht erkennen ließ, dass er sich bewusst war, was es für Fallaci bedeutete, hier einen Besuch zu machen. Plaudernd ging er ihnen voran, kümmerte sich nicht darum, dass Fallaci nur zögernd folgte, und öffnete schwungvoll die Klappe des Kühlfachs, in dem der Tote lag. Dass Fallaci blass wurde, bemerkte er nicht. Und dass er den Toten präsentierte wie ein Ladeninhaber einen schwer verkäuflichen Artikel, war ihm natürlich ebenfalls nicht klar.
Erik behielt Valerio Fallaci im Auge, damit er eingreifen konnte, wenn es den Anschein hatte, dass der Hotelier sich zu viel zugemutet hatte. Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand beim Anblick einer Leiche schlappmachte, der sich vorher noch stark gefühlt hatte. Angesichts der Erkrankung, von der er soeben erfahren hatte, musste er besonders auf ihn achten.
Valerio Fallaci trat so dicht heran, wie es nötig war, sorgte aber für den Abstand, der ihn vor dem Schlimmsten bewahrte, den Augäpfeln, die durch die nicht ganz geschlossenen Lider schimmerten, dem rechten herabhängenden Mundwinkel, der dem Gesicht etwas Böses gab, und dem Rest der Lebendigkeit, die auf den Lippen des Toten lauerte. Fallaci richtete sich kerzengerade auf, wohl in dem unbewussten Wunsch, sich dem Toten nicht zu nähern, sondern auf ihn hinabzublicken. Er kniff die Augen zusammen und machte schließlich einen Schritt zurück. »Das ist nicht Olivero.«
»Thies Dageför«, korrigierte Erik.
»Das ist er nicht.«
»Sie sind ganz sicher?«
Valerio Fallaci drehte sich um und verließ den Raum. Erst vor der Tür blieb er stehen, drehte sich aber nicht zu Erik und Sören um, die ihm gefolgt waren. »Natürlich bin ich sicher. Das ist er nicht.«
Schweigend gingen sie die Treppe hinab, Fallaci immer noch voran. Sein Schritt war fest, er ging zügig und zögerte kein einziges Mal. Erst als sie wieder auf der Straße standen, fragte Erik: »Gibt es irgendwas, was uns bei unseren Ermittlungen helfen könnte? Ist Ihnen mal etwas an Ihrem Kellner aufgefallen? Wissen Sie etwas über seinen Umgang?«
»Nein!« Fallacis Blick ging dorthin, wo er sein wollte, zu seinem Auto, das in der Nähe geparkt war.
»Sie haben ihn bereits in der Toskana kennengelernt. Was war er für ein Mensch?«
»Wir haben nie über Privates gesprochen«, antwortete Fallaci. »Nur über Geschäftliches. Er arbeitete auf dem Weingut meines Nachbarn.«
»Das hat mir Ihre Frau schon erzählt.«
»Irgendwann bekam ich mit, dass er von Sylt stammte. Und da es schon länger mein Wunsch war, auf Sylt ein Hotel zu eröffnen, habe ich ihm davon erzählt und ihn um Hilfe gebeten.«
»Wobei sollte er Ihnen helfen?«
»Ich hatte zwei Angebote bekommen. Ein Hotel in List, das einen neuen Besitzer suchte, und dieses Haus in Wenningstedt, das geeignet war, zu einem Hotel umgebaut zu werden. Olivero ... Thies Dageför hat mir zu dem Haus in Wenningstedt geraten, hat mir die Namen von Architekten, Bauunternehmern und anderen Handwerkern genannt. Und dann hat er mir gestanden, dass er Heimweh hatte und sich in der Toskana nicht mehr wohlfühlte.«
Sören mischte sich ein. »Daraufhin haben Sie ihm das Angebot gemacht, in Ihrem Sylter Hotel anzufangen?«
»Ich war froh, einen Einheimischen an meiner Seite zu haben.«
Fallaci machte ein paar Schritte auf sein Auto zu, Erik folgte ihm. »Sie können sich nicht vorstellen, was passiert ist? Hat er nie von einem Streit gesprochen? Von einer alten Rechnung, die noch offensteht? Von jemandem, der ihm böse mitgespielt hat, den er hasste?«
»Nein, nie.«
»Und Sie können sich auch nicht vorstellen, wo Thies Dageför jetzt ist? Wohin könnte er sich abgesetzt haben?«
»Keine Ahnung.«
Erik machte aus seiner Verärgerung keinen Hehl. Und er zeigte Valerio Fallaci deutlich, dass er ihm nicht glaubte. »Bitte überlegen Sie sich diese Aussage noch mal. Jetzt sind Sie verständlicherweise noch betroffen von dem Anblick des Toten. Das war nicht leicht für Sie. Wenn Sie zur Ruhe gekommen sind, fällt Ihnen vielleicht etwas ein, was uns weiterhilft.«
»Schon möglich«, räumte Fallaci ein, aber Erik spürte, dass er nur eine Chance suchte, sich zu entziehen. »Ich melde mich, wenn mir was einfällt.«
Seine Erleichterung, als er sich verabschiedet hatte, schien sehr groß zu sein. Er startete den Wagen mit so viel Gas, dass die Räder durchdrehten.
Annanitas Modestübchen in Wenningstedt führte wunderbare Blusen, aber keine einzige von denen, die Mamma Carlotta sich in den Kopf gesetzt hatte. Sie mochte es der Verkäuferin kaum gestehen, weil sie noch nie einen derart exaltierten Wunsch geäußert hatte. Vorsichtshalber trug sie ihn flüsternd vor, weil er dann etwas weniger unbescheiden daherkam. In einer Frauenzeitschrift hatte sie ein Foto von Königin Silvia gesehen, die eine Bluse trug, deren Kragen vorn zu einer Schleife gebunden wurde. So eine königliche Bluse wollte auch Mamma Carlotta tragen, wenn sie sich mit Alessia traf.
Für die Verkäuferin schien dieser Wunsch keineswegs ausgefallen zu sein. Sie zeigte größtes Verständnis, suchte den ganzen Laden nach einer solchen Bluse ab, fand aber schließlich nur eine in Größe 38 und schlug Mamma Carlotta vor, es bei Hellner in Westerland auf der Friedrichstraße zu versuchen. »Dort habe ich kürzlich Schluppenblusen im Schaufenster gesehen.«
Mamma Carlotta bedankte sich herzlich, nicht nur für den Tipp, sondern auch dafür, dass sie nun wusste, wonach sie verlangen musste: eine Schluppenbluse.
Das Modehaus Hellner kannte sie. Es war monatelang umgebaut worden und glänzte nun mit einer beeindruckenden Fassade und einem Angebot, das sie schon einmal in Augenschein genommen hatte. Wenn sie da an das kleine Konfektionsgeschäft von Signora Delfini dachte, in dem sich die weiblichen Bewohner von Panidomino mit Kittelschürzen, Stützstrümpfen und Miederwaren eindeckten! Signora Delfini würde sich wundern, wenn sie einmal einen Blick ins Modehaus Hellner werfen könnte.
Die Fahrt nach Westerland machte ihr nichts aus. Im Gegenteil, sie liebte den abschüssigen Teil der Westerlandstraße, wenn sie die Häuser von Wenningstedt hinter sich ließ, am Nordwäldchen vorbeiflog, die Nordseeklinik rechts liegen ließ und auf den Norderplatz zurollte. Meist hielt sie sich dann rechts und fuhr über die Steinmannstraße auf die Fußgängerzone von Westerland zu, diesmal aber blieb sie auf der Norderstraße. Am Hotel Stadt Hamburg stieg sie ab und schob ihr Fahrrad bis zur Sparkasse, dem grauen Gebäude mit den vielen roten Elementen. Dort stellte sie ihr Rad ab und ging zu Fuß weiter. Vor den Schaufenstern des Kaufhauses Jensen blieb sie eine Weile stehen und betrachtete die Auslagen, eine Schluppenbluse war jedoch nicht zu sehen. Sie nahm sich dennoch vor, dort danach zu fragen, wenn sie bei Hellner nicht fündig werden sollte. Die anderen...
Erscheint lt. Verlag | 2.5.2018 |
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Reihe/Serie | Mamma Carlotta | Mamma Carlotta |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Dora Heldt • humorvoller Krimi • Klaus-Peter Wolf • Mamma Carlotta • Nordsee-Krimi • Regionalkrimi • Sylt |
ISBN-10 | 3-492-99036-3 / 3492990363 |
ISBN-13 | 978-3-492-99036-3 / 9783492990363 |
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