Christopher Ruocchio konnte lesen, bevor er zu sprechen begann. Als er feststellte, dass er kein Astronaut werden würde, beschloss er, Romanautor zu werden, und begann zu schreiben. Er ist Absolvent der North Carolina State University und arbeitet als Assistant Editor bei Baen Books. Mit »Das Imperium der Stille« veröffentlichte er seinen ersten Roman. Christopher Ruocchio lebt in Raleigh, North Carolina.
1
HADRIAN
Licht.
Das Licht der gemordeten Sonne verbrennt mich noch immer. Ich sehe es durch die Augenlider, wie es an jenem blutigen Tag hell lodernd aus der Geschichte herausbrannte und unbeschreibliche Feuer erahnen ließ. Es wirkte wie etwas Heiliges, als sei es das Licht aus Gottes eigenem Himmel, das die Welt verschlang und dabei Milliarden Leben mit sich riss. Dieses Licht trage ich immer in mir, eingebrannt in die Winkel meines Bewusstseins. Ich will mich für das, was ich tat, weder entschuldigen noch herausreden oder es gar leugnen. Ich weiß, was ich bin.
Die Scholastiker würden vielleicht ganz am Anfang beginnen, bei unseren entfernten Vorfahren, die sich in ihren wackligen Raumschiffen von der Alten Erde aus auf den Weg machten und in mehreren großen Peregrinationen zu neuen, lebenden Welten aufbrachen. Aber nein. Das würde mehr Bände füllen und mehr Tinte kosten, als meine großzügigen Gastgeber mir überlassen haben, und davon abgesehen hätte selbst ich, der mehr Zeit hat als jeder andere, dazu nicht genügend Jahre.
Sollte ich dann also eine Chronik des Kriegs verfassen? Damit beginnen, wie die außerirdischen Cielcin aus den Weiten der Galaxie über uns herfielen, mit Raumschiffen wie Schlössern aus Eis? Die Geschichten dieser Schlachten und die Zahl der Toten sind anderswo zu finden und zu lesen. Reine Statistik. Doch selbst wenn man sie im Kontext betrachtet, lässt sich nicht wirklich vergegenwärtigen, was dieser Krieg gekostet hat. Wie viele Städte dem Erdboden gleichgemacht und wie viele Planeten verbrannt wurden. Wie viele Milliarden unseres Volks aus ihren Welten herausgerissen wurden, um diesen Bleichling-Ungeheuern als Nahrung und Sklaven zu dienen. Familien so alt wie Imperien vergingen in Licht und Feuer. Zahllose Geschichten dieser Art gäbe es, doch so viele es auch sein mögen, auch sie sind nicht genug. Das Imperium hat seine offizielle Version der Ereignisse, und sie endet mit meiner Hinrichtung, wenn Hadrian Marlowe vor den Augen der ganzen Welt am Galgen baumeln wird.
Ich zweifle nicht, dass dieser dicke Band in dem Archiv, in dem ich ihn zurückgelassen habe, lediglich Staub ansetzen wird, eines von Milliarden Manuskripten auf Colchis. Vergessen. Vielleicht ist es auch gut so. Die Welten haben genug von Tyrannen, Mördern und der Vernichtung ganzer Völker gehört.
Aber ihr werdet weiterlesen, denn die Vorstellung, in die Gedanken eines solchen Monsters einzutauchen, wie es aus meinem Bild erschaffen wurde, ist viel zu verlockend. Ihr werdet nicht zulassen, dass man mich vergisst, denn ihr wollt wissen, wie es war, an Bord dieses unmöglichen Schiffs zu stehen und einem Stern das Herz herauszureißen. Ihr wollt wissen, wie sich die Hitze zweier brennender Zivilisationen anfühlt, und ihr wollt dem Drachen begegnen, dem Teufel, der den Namen trägt, den mir mein Vater gab.
Also wollen wir uns nicht mit der Geschichte aufhalten, und auch nicht mit der Politik und dem Stechschritt der Imperien. Vergesst die Anfänge der Menschheit im Feuer und der Asche der Alten Erde und ignoriert die Cielcin, die sich aus Kälte und Dunkelheit erhoben. All das wurde anderswo in allen Sprachen der Menschheit und ihrer Untertanen festgehalten. Begeben wir uns an den einzigen Anfang, der wahrlich mir gehört: an den Anfang meines Lebens. Geboren als der älteste Sohn und Erbe von Alistair Marlowe, Archon der Meidua-Präfektur, Schlächter von Linon und Herr von Devil’s Rest.
Wahrlich kein Ort für ein Kind, jener Palast aus dunklem Stein, doch eben nun einmal das Heim, in dem ich aufwuchs, umringt von den Logotheten und bewaffneten Peltasten, die im Dienst meines Vaters standen. Aber mein Vater wollte niemals ein Kind. Er wollte einen Erben, jemanden, der den Anspruch auf seinen Teil des Imperiums verteidigen und sein Werk in seinem Sinne fortführen würde. Er wollte keinen Menschen, sondern den Fortbestand unserer Familie. Er taufte mich auf den uralten Namen Hadrian, dem weiter keine Bedeutung innewohnte außer der Erinnerung an jene Männer, die ihn vor mir getragen hatten. Der Name eines Kaisers, ideal für Menschen, die regieren und denen man folgt.
Namen bergen eine gewisse Gefahr. Sie prägen uns von Beginn an, zum Guten oder zum Schlechten, führen uns in eine bestimmte Richtung oder fordern unseren Widerspruchsgeist heraus. Ich hatte ein langes Leben, länger als die genetischen Optimierungsmaßnahmen der Fürstenhäuser es gewähren können, und ich hatte viele Namen. Während des Kriegs war ich Hadrian der Halbsterbliche und Hadrian Ohnetod. Nach dem Krieg war ich der Sonnenfresser. Die armen Menschen von Borosevo kannten mich als einen Myrmidon namens Had. Für die Jaddi war ich Al Neroblis. Für die Cielcin Oimn Belu und Schlimmeres. Ich bin vieles gewesen: Soldat und Diener, Hauptmann und Gefangener, Zauberer und Gelehrter, auch einmal kaum mehr als ein Sklave.
Aber bevor ich all das wurde, war ich zunächst einmal ein Sohn.
Meine Mutter kam zu meiner Geburt zu spät, aber dann sahen meine Eltern beide von einer Plattform über dem Geburtssaal zu, wie man mich aus dem Aufzuchtbottich dekantierte. Es heißt, ich hätte geschrien, als mich die Scholastiker auf die Welt holten, und dass ich von Anfang an schon alle Zähne besaß. Doch so werden alle Menschen von Stand geboren: Ohne die Mutter körperlich zu belasten und sorgsam überwacht von den kritischen Augen des Imperialen Hochkollegs, das dafür Sorge trägt, dass sich unsere genetischen Abweichungen nicht in Defekte verwandeln und unser Blut nicht verunreinigt wird. Davon abgesehen hätte die althergebrachte Art der Schwangerschaft es erfordert, dass meine Eltern das Bett miteinander teilten, wozu keiner von beiden bereit gewesen wäre. Wie die meisten Aristos hatten auch meine Eltern aus politischem Kalkül geheiratet.
Meine Mutter zog, wie ich später erfuhr, die Gesellschaft von Frauen der Nähe meines Vaters vor und verbrachte nur wenig Zeit auf dem Familiensitz; sie war ausschließlich bei gesellschaftlichen Anlässen an der Seite meines Vaters zu sehen. Er hingegen stellte seine Arbeit über alles. Lord Alistair Marlowe war kein Mensch, der sich seinen Lastern hingegeben hätte. Das fing schon damit an, dass er keine Laster hatte. Er war besessen von seinem Amt und vom guten Namen unseres Hauses.
Als ich geboren wurde, wütete der Kreuzzug schon dreihundert Jahre, seit der ersten Schlacht mit den Cielcin bei Cressgard, aber das alles war weit weg: Der Krieg tobte etwa zwanzigtausend Lichtjahre durch Imperium und Raum entfernt, dort, wo sich der Schleier zum Norma-Spiralarm hin öffnete. Zwar gab sich mein Vater alle Mühe, mir den Ernst der Lage zu vermitteln, aber zu Hause war das Leben ruhig, wenn man einmal davon absah, dass alle zehn Jahre unter dem einfachen Volk wieder neue Truppen für die Imperialen Legionen ausgehoben wurden. Selbst mit den schnellsten Schiffen waren wir Jahrzehnte von den Schauplätzen des Kriegs entfernt, und trotz der Tatsache, dass die Cielcin für unsere Art die größte Bedrohung darstellten, die es seit dem Ende der Alten Erde gegeben hatte, war die Lage gar nicht einmal so übel.
Wie man in einem Elternhaus wie dem meinen erwarten konnte, wurde ich fast sofort nach der Geburt den Bediensteten meines Vaters übergeben. Zweifelsohne war Vater keine Stunde nach meiner Geburt wieder zu seiner Arbeit zurückgekehrt, in der festen Überzeugung, schon mehr als genug Zeit mit einer so störenden Ablenkung wie einem Kind verschwendet zu haben. Meine Mutter hingegen kehrte in das Haus ihrer Mutter zurück, zu ihren Geschwistern und Geliebten – sie hielt sich, wie ich schon erwähnte, von den düsteren Geschäften meiner Familie fern.
Dabei ging es um Uran. Auf den Besitzungen meines Vaters befanden sich einige der reichsten Abbaugebiete im Sektor, und unsere Familie kontrollierte die Förderung schon seit Generationen. Das Geld, das meinem Vater durch die Geschäfte mit dem Wong-Hopper-Konsortium und der Freihandelsunion zufloss, hatte ihn zum reichsten Mann von ganz Delos gemacht; er war sogar wohlhabender als die Vizekönigin, meine Großmutter.
Ich war vier, als Crispin zur Welt kam, und mein kleiner Bruder erwies sich von Anfang an schon allein deswegen als perfekter Erbe, weil er meinem Vater, wenn auch sonst niemandem, in jeder Hinsicht gehorchte. Mit zwei Jahren war er schon fast so groß wie ich mit sechs, und mit fünf überragte er mich um einen Kopf – ein Größenunterschied, den ich nie wieder aufholte.
Man ließ mir die Erziehung angedeihen, wie sie wohl dem Sohn des Archons einer Präfektur zukam. Der Kastellan meines Vaters, Sir Felix Martyn, brachte mir den Kampf mit Schwert, Schildgurt und Handfeuerwaffen bei, zeigte mir, wie man eine Lanze abfeuert, und stählte meinen Körper gegen jegliche Trägheit. Von Helene, der Haushofmeisterin der Burg, lernte ich Haltung und Benehmen: wie man sich elegant verbeugt, anderen die Hand gibt und sie formvollendet anspricht. Man brachte mir bei, wie man tanzt, ein Pferd reitet, eine Jolle segelt und eine Raumfähre fliegt. Von Abiatha, dem alten Kantor, der den Glockenturm und den Altar der Kantorei pflegte, lernte ich nicht nur Gebete, sondern auch Skeptizismus, und ich erfuhr, dass auch Priester zweifeln. Von seinen Vorgesetzten, den Prioren der Heiligen Terranen Kantorei, lernte ich solche Gedanken zu verbergen; sie waren schließlich Ketzerei. Und natürlich war da noch meine Mutter, die mir Geschichten erzählte – die Legenden von Simeon dem Roten, Cid Arthur und...
Erscheint lt. Verlag | 8.10.2018 |
---|---|
Reihe/Serie | Imperium-Reihe | Imperium-Reihe |
Übersetzer | Kirsten Borchardt |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Empire of Silence - Sun Eater |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Schlagworte | buch weihnachten • eBooks • Empire of Silence • Ferne Zukunft • Future History • Galaktische Imperien • Hadrian Marlowe • Science-fiction • Space Opera • Sun Eater Saga |
ISBN-10 | 3-641-20346-5 / 3641203465 |
ISBN-13 | 978-3-641-20346-7 / 9783641203467 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 2,3 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich