Im Süden Frankreichs sterben mehrere Männer - angeblich sind sie dem Biss der Einsiedlerspinne zum Opfer gefallen. Allerdings reicht das Gift einer einzigen Spinne nicht aus, um einen Menschen zu töten. Adamsberg und sein Team von der Brigade Criminelle des 13. Pariser Arrondissements ermitteln. Seine Nachforschungen führen den eigenwilligen Kommissar zu einem Waisenhaus bei Nîmes und zu einer Gruppe von Jungen, die dort in den 1940er-Jahren lebte. Und plötzlich erscheinen die Todesfälle, die bislang nicht als Morde betrachtet wurden, in einem anderen Licht ...
»Fred Vargas' Krimis sind etwas Besonderes - eigenwillig, mit geradezu genialem Plot und viel französischem Esprit!« Bestsellerautorin Sophie Bonnet
»Lässig, klug, anarchisch und manchmal ziemlich abgedreht - die Krimis von Fred Vargas sind sehr französisch und zum Niederknien gut.« Bestsellerautor Cay Rademacher
»Fred Vargas erschafft nicht nur Figuren, sondern echte Charaktere. Sie kennt die Abgründe, die Sehnsüchte und die Geheimnisse der Menschen - und Commissaire Adamsberg ist für mich einer der spannendsten Ermittler in der zeitgenössischen Literatur.« Bestsellerautor Alexander Oetker
Wenn Ihnen die Krimis um Kommissar Adamsberg gefallen, lesen Sie auch die Evangelisten-Reihe unserer internationalen Bestseller-Autorin Fred Vargas!
Fred Vargas, geboren 1957, ist ausgebildete Archäologin und hat Geschichte studiert. Sie ist heute die bedeutendste französische Kriminalautorin mit internationalem Renommee. 2004 erhielt sie für »Fliehe weit und schnell« den Deutschen Krimipreis, 2012 den Europäischen Krimipreis für ihr Gesamtwerk und 2016 den Deutschen Krimipreis in der Kategorie International für »Das barmherzige Fallbeil«.
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Maître Carvin war ein kaltblütiger Mensch, weder ungeduldig noch cholerisch, und als Lamarre und Kernorkian zu ihm in die Kanzlei kamen und ihn mitten in der Arbeit unterbrachen, um ihn in die Brigade mitzunehmen, bat er sie, fünf Minuten zu warten, damit er eine Seite beenden konnte, dann folgte er ihnen widerstandslos.
»Worum geht es diesmal?«, fragte er.
»Der Kommissar«, begann Kernokian zu erklären.
»Oh, der! Er ist also zurück? Ich habe so einiges über ihn gehört.«
»Er will Sie sehen, Sie und Nassim Bouzid.«
»Vollkommen normal. Ich bin bereit, ihm Rede und Antwort zu stehen.«
»Ich glaube gar nicht mal, dass er mit Ihnen reden will, er will im Auto mit Ihnen eine Runde fahren.«
»Was schon nicht mehr ganz so normal ist. Aber ich nehme an, er weiß, was er tut.«
Adamsberg hatte in seinem Büro zu Mittag gegessen und dabei noch einmal den Bericht gelesen, den er auf dem Flughafen von Reykjavík erhalten hatte. Er las wie üblich im Stehen, in dem kleinen Raum auf und ab gehend. Der Kommissar arbeitete selten im Sitzen, wenn es sich denn vermeiden ließ. Und während er las, wobei er jedes Wort leise vor sich hin murmelte – was seine Zeit brauchte –, konnte er nicht verhindern, dass Voisenets kleine Spinne ihm durchs Gemüt lief, immer von links nach rechts. Sie lief sehr bedächtig, wie um nicht bemerkt zu werden, um nicht zu stören. Aber stören tat sie bereits, seit Adamsberg wusste, dass sie durch Froissys Talent nun auch in seinem eigenen Rechner wohnte. Er legte den Bericht auf den Tisch und schaltete den Bildschirm ein. Lieber gleich wissen, was es mit dieser Spinne auf sich hatte, dann sollte sie sich aus dem Staub machen. Lieber gleich wissen, was Voisenet mit diesem Tierchen im Sinn hatte, selbst heute Morgen noch, als er doch voll auf die bevorstehende Versammlung hätte konzentriert sein müssen wie auch auf das Problem mit seiner vor sich hin gammelnden Muräne. Warum also hatte er dennoch ein weiteres Foto der Einsiedlerspinne aufgerufen?
Immer noch im Stehen öffnete er die Datei, die Froissy ihm auf seinen Rechner überspielt hatte, und sah sich die Vorgeschichte an: Schon seit achtzehn Tagen beobachtete der Lieutenant seine Spinne. Heute Morgen hatte er die wichtigsten Lokalzeitungen des Departements Languedoc-Roussillon durchgesehen und erneut verschiedene Diskussionsforen zum Thema überflogen. In denen wurde ziemlich erbittert über die zurückgezogen lebende Spinne debattiert. Da trafen die Ängstlichen, die angeblichen Kenner, die Pragmatiker, die Umweltschützer, die Panikmacher aufeinander. Voisenet hatte sogar noch Nachrichten aus dem vergangenen Sommer hochgeladen, wo in derselben Region sechs nicht tödliche Bisse von Einsiedlerspinnen Panik gesät hatten bis hinauf in einige überregionale Wochenzeitungen. Und das alles, weil ein von irgendwoher aufgetauchtes Gerücht seinen üblen Atem verbreitete: War die Braune Einsiedlerspinne aus Amerika in Frankreich angekommen? Die nämlich galt als gefährlich. Wo hielt sie sich auf, und wie zahlreich war sie? Es gab ein maßloses Geschrei, bis eine seriöse Forscherin auf den Plan trat und dem Ganzen ein Ende setzte: Nein, die amerikanische Spinne hatte sich in Frankreich nicht blicken lassen. Eine ihrer Verwandten hingegen hatte hier schon immer gelebt, im Südosten des Landes, und sie war nicht giftig. Zumal sie, von Natur aus ängstlich und nicht aggressiv, zurückgezogen in ihrem Loch lebte und das Risiko, mit einem menschlichen Wesen zusammenzutreffen, daher eher selten war. Um die aber handelte es sich, um keine andere, Loxosceles rufescens – den Namen konnte Adamsberg nicht mal murmelnd aussprechen.
Bis im Frühjahr besagte kleine Spinne zwei alte Männer biss. Aber diesmal starben die Gebissenen daran. Diesmal also hatte die Einsiedlerin sehr wohl getötet. Die Tode, so meinten einige, seien allein dem hohen Alter der Opfer geschuldet. Darüber war eine Polemik entbrannt, die schon wieder über hundert Seiten füllte, nach allem, was Adamsberg in der Eile feststellen konnte. Er warf einen Blick auf die Uhr des PC. 13.53 Uhr, Maître Carvin würde gleich in der Brigade sein. Er durchquerte den Büroraum, der trotz der geöffneten Fenster noch immer stank, und nahm sich aus dem Schrank den Schlüssel des einzigen Spitzenklassewagens, den die Brigade besaß. Was mochte Voisenet nur an dieser verdammten Spinne finden? Zwei Männer waren gestorben, gewiss, ihre geschwächte Immunkraft war dem Gift nicht gewachsen gewesen, klar, aber musste der Lieutenant deswegen die Situation seit nunmehr fast drei Wochen Tag für Tag verfolgen? Es sei denn, eines der Opfer war ein ihm nahestehender Mensch, ein Freund oder Angehöriger. Adamsberg verscheuchte die Einsiedlerin aus seinen Gedanken und beeilte sich, den Anwalt draußen auf dem Bürgersteig abzufangen, bevor seine vergesslichen Beamten ihn in den faulig riechenden Raum führen würden, der das Großraumbüro zurzeit war.
»Sie holen den Galaschlitten für ihn raus, Kommissar?«, warf ihm Retancourt im Vorbeigehen zu. »Sind Sie dem hochmütigen Charme des Herrn Anwalt nun auch schon erlegen?«
Adamsberg neigte den Kopf und sah sie lächelnd an.
»Haben Sie mich schon vergessen, Retancourt? In nur siebzehn Tagen?«
»Nein. Da muss ich wohl was verpasst haben.«
»Ja, Lieutenant. Den Splitt auf dem Weg zurück in die Spielhalle.«
»Den Splitt«, wiederholte sie nachdenklich. »Mehr können Sie mir wohl nicht sagen?«
»Aber sicher. Es gibt keine zwei Löwenzahn auf Erden und auch keine zwei Autofahrer, die sich absolut gleichen, das ist alles.«
»Das ist alles. Und da befürchtete Danglard, Sie hätten sich verändert.«
»Vermutlich ist es schlimmer geworden mit mir, aber kein Grund zur Aufregung. Sagen Sie«, fügte er hinzu und ließ die Autoschlüssel an seinen Fingerspitzen baumeln, »was halten Sie davon, wenn einer seinen zweiten Autoschlüssel verliert? Das ist jetzt eine ernste Frage.«
»Und eine sehr einfache. Ein Zweitschlüssel darf nie verloren gehen, Kommissar.«
»Und wenn er’s ist?«
»Dann sucht man ihn bis zur Erschöpfung. Der zweite Autoschlüssel gehört zu den Dingen, die einen um den Verstand bringen können.«
»Ich habe mein Telefon auf Grímsey verloren.«
»Wie das?«
»In die Exkremente eines Schafs gefallen, das Tier hat es mit einem Huftritt auch noch hineingedrückt.«
»Und Sie haben nicht bis zur Erschöpfung versucht, es herauszuziehen?«
»Unterschätzen Sie nicht den Huftritt eines Schafs, Retancourt. Das Gerät wird dabei wohl kaputtgegangen sein.«
»Und seitdem sind Sie ohne Telefon?«
»Ich habe das vom Kater genommen. Ich meine, das auf dem Fotokopiergerät neben dem Kater liegt. Es hat eine Macke, ich glaube, der Kater hat mal draufgepinkelt. Wahrscheinlich sind meine Telefone alle dazu bestimmt, ein exkrementales Schicksal zu erleiden. Ich bin mir nicht im Klaren, wie ich das verstehen soll.«
»Der Kater hat dem Handy überhaupt nichts getan«, warf Retancourt ein, die das Tier – das alle »die Kugel« nannten – wie ihren Augapfel hütete und verteidigte. »Aber es stimmt, das Telefon schreibt ›a‹, wenn man ein ›c‹ eingibt, und ›o‹ anstelle von ›f‹.«
»Genau. Wenn Sie also mal eine Nachricht wie: ›Iah oahre‹ erhalten, dann wissen Sie, sie kommt von mir.«
»Das vereinfacht die Arbeit. Also kein Grund zur Aufregung.«
»Keiner.«
»Wie geht es denen da auf der Insel?«, fragte sie dann sehr viel leiser. »Gunnlaugur, Rögnvar, Brestir …?«
»Die senden Ihnen viele Grüße. Sie mögen es glauben oder nicht, Rögnvar hat Ihr Porträt in ein Ruderblatt geritzt.«
Adamsberg war glücklich, Retancourt wiederzusehen, doch er hätte es ihr nicht anders als durch Gesten zu sagen verstanden. Mitunter beeindruckte die »vielseitige Göttin«, wie er sie nannte, ein Meter fünfundachtzig groß, hundertzehn Kilo schwer, ausgestattet mit der Energie von zehn Männern, ihn so sehr, dass ihm seine natürliche Ungezwungenheit abhandenkam. Retancourt verfügte über unvergleichliche Körperkräfte und eine nicht kleinzukriegende seelische Widerstandskraft, so dass sie Adamsberg wie einer von jenen Bäumen aus alten Legenden vorkam, auf dessen Äste sich sämtliche Mitarbeiter der Brigade, verloren in einem sturmgepeitschten nächtlichen Wald, flüchten könnten und in vollkommener Sicherheit wären. Eine keltische Eiche. Natürlich konnte sie bei so ungewöhnlichen Eigenschaften nicht gleichzeitig die Inkarnation weiblicher Anmut sein, und Lieutenant Noël konnte es sich nicht verkneifen, ihr das gelegentlich in flegelhafter Weise unter die Nase zu reiben. Dabei hatte Retancourt sogar recht feine Züge in einem allerdings nahezu quadratischen Gesicht.
Er parkte den glänzenden schwarzen Wagen gerade in dem Moment vor der Brigade, als Kernorkian und Lamarre mit Carvin eintrafen, der den Kommissar mit einem Blick musterte. Zerknitterte Hose, abgetragenes schwarzes Leinenjackett, verwaschenes T-Shirt, das einmal blau oder auch grau gewesen sein mochte, all das entsprach nicht der Vorstellung, die Maître Carvin sich vom renommierten Leiter der Brigade criminelle machte. Er gab ihm die Hand.
»Man sagte mir, Herr Kommissar, dass Sie mit mir eine Runde fahren wollen?«
Ohne eine Antwort zu erwarten, ging er auf die Beifahrertür zu.
»Maître«, sagte Adamsberg und reichte ihm den Schlüssel, »ich hätte gern, dass Sie sich ans Steuer setzen.«
»Oh, Sie wollen meine Eignung...
Erscheint lt. Verlag | 29.10.2018 |
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Reihe/Serie | Kommissar Adamsberg ermittelt | Kommissar Adamsberg ermittelt |
Übersetzer | Waltraud Schwarze |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Quand sort la recluse |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
Schlagworte | Adamsberg • "Das barmherzige Fallbeil" • Deutscher Krimipreis • eBooks • Europäischer Krimipreis • Frankreich • Krimi • Krimibestenliste • Kriminalromane • Krimis • Mordserie • Paris • Spiegel-Bestsellerautorin • Spinnengift • Waisenhaus • Weihnachtsgeschenk |
ISBN-10 | 3-641-22313-X / 364122313X |
ISBN-13 | 978-3-641-22313-7 / 9783641223137 |
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