Nicht zur Veröffentlichung bestimmt -  Elisabeth Borchers

Nicht zur Veröffentlichung bestimmt (eBook)

Ein Fragment
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
176 Seiten
Weissbooks Verlagsgesellschaft
978-3-86337-097-8 (ISBN)
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'Wenn das gelingt, was mir Arnold empfohlen hat, müsste der Titel lauten: Nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Nach nahezu 40 Jahren ein rücksichtsloser Blick auf Verlag, Autoren, Bücher, Manuskripte...' So beginnt ein Manuskript, das Elisabeth Borchers, die große Lyrikerin und legendäre Lektorin ('Das literarische Gewissen des Suhrkamp Verlags', pflegte Siegfried Unseld über sie zu sagen), hinterlassen hat. Zwischen 1999 und 2005 hat sie an einem autobiographischen Text gearbeitet, den sie nicht beenden konnte. Auch wenn sie Arnold Stadlers Anregung zunächst folgt und von ihren Begegnungen mit Dichtern wie Bohumil Hrabal, Uwe Johnson, Martin Walser oder Jurek Becker erzählt (und sich dabeinicht vor kräftigen Aussagen und harten Urteilen scheut), nehmen ihre Aufzeichnungen bald eine überraschende Wendung. Mehr und mehr gleitet sie ins eigene Ich, das Ich einer Frau, die sich im hohen Alter noch einmal der Wucht und der quälenden Macht einer großen Liebe aussetzt. Wie sie, eine grande dame par excellence, dieses Lieben erfährt, ist der Kristallisationspunkt dieses Fragment gebliebenen Manuskripts - und ein ergreifendes Dokument.

Elisabeth Borchers, geboren am 27. Februar 1926 in Homburg, verstarb 2013 in Frankfurt am Main. Von 1945 bis 1954 arbeitete sie als Dolmetscherin bei der französischen Besatzungsmacht, von 1960 bis 1998 als Lektorin in den Verlagen Luchterhand und Suhrkamp. Sie schrieb Gedichte, verfasste zahlreiche Kinderbücher und war als Herausgeberin und Übersetzerin, vor allem aus dem Französischen, tätig. Für ihr lyrisches Werk wurde sie u.a. mit dem Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg und mit dem Roswitha-Preis der Stadt Gandersheim ausgezeichnet. Ihre bekanntesten Werke sind: Wer lebt, Von der Grammatik des heutigen Tages sowie Eine Geschichte auf Erden.

Es ist schön im Wasser, wenn ein Gewitter vorüber rollt, ohne Blitz, wenn die beiden Sturmleuchten auf- und abblinken. Diese Lichter gehören zum Thunersee, ohne diese Leuchten werden die Ferien nicht hell. Was rede ich für einen Unsinn, es geht schließlich um anderes, ganz anderes.

Das Zimmer links neben mir steht leer, für dich reserviert. Wenn nun aber niemand da ist und die Sturmlichter fangen an, auf- und abzublinken und du hast niemanden, dem du das sagen kannst, sieh doch, die Sturmlichter fangen an auf- und abzublinken – was machst du dann? Ich weiß es nicht. (Nach dem Essen: die Sturmlichter sind immer noch da). Und wir haben telefoniert, du hast angerufen, wir haben uns verabredet für morgen um 10 Uhr. Und heute abend seid ihr bei Rolando. Und morgen geht es Richtung Rast. Und dann und dann und so weiter. Vor dem Gewitter war es wunderbar warm, seidenweich war die Luft, nun ist die Kühle wieder hereingebrochen. Manuela bringt mir ein Kännchen kochendes Wasser für den Schlaftee. Wem nur sage ich, daß ich schlafen möchte. Ich weiß es nicht. Die Abendsonne ist wieder aus Gold, sie spiegelt sich in meinem Spiegel neben der Maschine. Und gestern nacht der Mond so rund, wie mit dem Zirkel geschlagen und Sterne gab’s dazu und – wie schon gesagt – Zahnschmerzen.

Mittwoch, 28. Juli: Du wolltest zurückrufen und nun ist immerzu besetzt. Es muß doch ein Mittel geben, diese Anrufer abzuschütteln. Ich fürchte, du hast den Hörer neben den Apparat gelegt. Ich möchte jetzt den Pilgerweg gehen, wie lange, glaubst du, soll ich noch warten?

Heute, Donnerstag, 30. Juli: Telefongespräch, du im Wagen nach Überlingen, der nun weltbekannten Stadt. Vor allem möchte ich nach Schwackenreute, nach Kreenheinstetten95 vielleicht auch. Ich fürchte um den morgigen Tag. Wenn du die Post aus Frankfurt abwarten mußt, wirst du auch reagieren müssen, und wenn du reagierst, werden die Stunden vergehen, nicht nur in Rast, auch in Merligen, also auf der ganzen Welt. Und dann warnst du mich altklug, den Tag nicht gering zu schätzen. Wenn das so weiter geht, muß ich feststellen, daß dir Büchner nicht bekommt.

Diese Seite war schon einmal vorhanden, sie hatte angefangen mit einem Datum (30. Juli). Dann folgte: ach, neinneinneinnein. Und jetzt ist die Seite unauffindbar.

Heute, Samstag, 7. August: Frau Hopf96 wirkt noch in der Küche, das angekündigte Gewitter bereitet sich langatmig vor. Beschwichtigend bewegt sich die Kastanie.

Heute morgen hat D. angerufen, die Besprechung in der FAZ hat ihn verleitet, ich habe die Zeitung heraufgeholt, gelesen, angerufen, nun, wir haben es mit einer ›kritischen Betrachtung‹ zu tun, was den ersten Teil betrifft, das aber stimmt nicht, auch der erste Teil ist durchsetzt mit jenen sehnsuchtsvollen Helden, die die Titanen der Schüchternheit ausmachen. Derart abwiegen kann man es nicht. Und unerlaubt D.s Reaktion, kein Buch mehr schreiben zu wollen, auch wenn nichts verständlicher ist als diese Drohung, die aber kurz und klein gemacht wird. Ich habe eben den Hubert Spiegel noch einmal gelesen und auch den Schluß des Buches und habe deine Nummer angerufen, um dir zu versichern, daß es keinen Grund gibt. Auch wenn Spiegel sich ermuntert fühlt, über die Schüchternheit zu philosophieren, wiewohl ihm das gar nicht zusteht. Zwei wundergroße Sätze strafen ihn lügen: Gleich hinter dem Kreenheinstetter Wäldchen staunten wir über die Größe der Welt. Und: Diese Weite schüchterte uns ein, daher sangen wir uns Mut zu.

21 Uhr. Nachdem Frau Hopf fort war, habe ich mich hingelegt, nach dem Dokumentarfilm über Stummelaffen habe ich den abendlichen Weg kreuz und quer durchs Karree gemacht. Ich denke, du hast meinen Anruf nicht mehr wahrgenommen und jetzt ist Zürich an der Reihe. Ich denke auch, ich bin nicht die einzige, die dich beruhigt hat. Ich habe auch gedacht, ich sollte dir den Satz auf Seite 235 zitieren: Ich habe immer wieder versucht, mit ihr über alles zu reden, über sie und mich, von ihr und mir. Wie es ihm damals ging, so ergeht es mir heute. Bist du nie auf den Gedanken gekommen?

Am Dienstagabend war ich wieder hier zu Hause. Am Mittag etliche Stunden im Verlag. Unter anderem Burgels Frage, ob ich das Neueste gehört hätte? Volhard habe eine neue Frau, Petra Roth, ich winkte ab. Gisela Stockburger meinte abends: zu vermuten sei, daß man sich gern mit einer Oberbürgermeisterin schmückt. Eine gute Erklärung. Ich habe auch versucht, im Verlag die Korrespondenz mit Handke nachzuschlagen, mit Eich und Celan. Da war aber nichts mehr. Es könnte schließlich sein, daß es um Spurentilgung geht. Während unseres Besuchs in Trarego97, während eines lebhaften Gesprächs am Abend, als ich einmal mehr begriff, warum sich Unseld nicht definitiv um D. bemüht hat98, erklärte mir Karin99 – und ich nehme an, daß es keine Erfindung, sondern nichts als die Wahrheit ist – Unseld lasse den Verlag eher zugrunde gehen, als von mir eine Empfehlung anzunehmen, ich müßte 25 sein, doch nicht so. Ich halte diese Einstellung für glaubwürdig, lassen wir es gut sein.

Was bitte war in den Tagen nach: Mittwoch, Donnerstag, Freitag. Wie kann ich’s wissen, war ich dabei? Der Verlag spendiert mir eine neue Schreibmaschine, auf der schreibe ich hier. Sie ist ungelenk, verglichen mit meiner Olivetti, aber immerhin ein Geschenk. Ich habe versucht, zum Thema Verfolgung und Exil einen Text zu schreiben.

Habe eben eine der Fortsetzungen aus »Mein Leben« von MRR gelesen, die Erinnerungen an Kästner. Ich habe ihn auch kennengelernt. Er gehörte zu jenen Autoren, die ich an die Ulmer Volkshochschule, dieses damals neue prominente Bildungsunternehmen, einladen durfte. Wir saßen in einem Lokal, Inge Aicher-Scholl, er und ich. Ein Buch hatte ich nicht, das er mir hätte signieren können. Gern hätte ich zwei Bücher gekauft, um sie für Ralf und Uwe signieren zu lassen. Das Geld war allzu knapp. Ich riß zwei leere Seiten aus dem Taschennotizbuch und schob sie ihm hin. Er signierte und schob sie zurück. Freundlich, sehr freundlich, dieses aufgedunsene Gesicht, mit den vor lauter Gedunsenheit klein gewordenen Augen. Mehr weiß ich nicht mehr. Marcels Erzählweise ist unbeholfen, unliterarisch, unelegant, ich kenne ihn auch anders. Merkwürdig.

Am vergangenen Dienstag hat mich D. in Konstanz zum Zug gebracht. Ich mag die IR-Züge nicht, in Erinnerung an eine trostlose, schmerzvolle Fahrt von Freiburg nach Frankfurt. Dieses Mal hatte ich mit dem Umbruchlesen von »Ich war einmal«100 zu tun, vier Stunden, von Konstanz bis Heidelberg. Im Gang hing ein Plakat: »Wer das Alte ganz wegwirft, wird das Neue nicht lange behalten.« Die Eisenbahnwerbeleitung (oder ähnlich). Man stelle sich vor, halb weggeworfen soll unsereins weiterexistieren.

Habe ich gesagt, daß heute Sonntag ist, die Regennacht hat Kühle gebracht. Wo bist du?

Folgendes noch: Neben der Besprechung zu deinem Buch die Besprechung des neuen Romans von Norbert Gstrein: »Die englischen Jahre«. Da steht etwas Halsbrecherisches: Seine Figuren lassen einen auf seltsame Weise kalt. Sogar Jakob aus der Erzählung »Einer« konnte einen nur interessieren, aber nicht bewegen. Wie ganz anders geht es da doch in deinen Büchern zu, ein Hauch von dir und schon steckt man in der Person, mit Haut und Haar. Fast neidvoll hattest du mich auf die Behauptung hingewiesen, dieser Roman zähle zu den interessantesten Büchern der deutschsprachigen Literatur der letzten Jahre – und ohne gelesen zu haben sagte ich dir, was kümmern mich interessante Bücher. Ich möchte bewegt werden, möchte, daß mir das Herz bricht oder geheilt wird. Und wenn ich schon lese: ein Jude aus Österreich – aber nein, nein, was weiß denn Gstrein von Krieg und Gefangenschaft? Das jüdische Thema aber ist so geläufig, daß sich wohl der ganze Aufwand lohnt.

Dienstag, 10. August, 10.30 Uhr: Sonne fällt schräg durch gräuliche Wolken. Christie hat zu bis zum 16. Es ist also lang, bis das Bild zurückkommt. Der Versuch, es zu sehen, scheitert jedes Mal an seinem Nichtvorhandensein.

Nach anderthalb Jahren mit Janisch telefoniert. Die Buchempfehlung »Feuerland« wurde gesendet, Honorar bleibt aus, nicht inbegriffen. Dafür wurde das Buch lebhaft zur Kenntnis genommen. Dr. Potthoff ist bis Montag in Urlaub, sie sollen mir On Kawara zurückgeben.

Gestern war Stefan Bott drei Stunden da. Das Gespräch, eine Fortsetzung der Gespräche, die er mit Claus geführt hat, zu erörternde Probleme, Schwierigkeiten mit Frau, Beruf, den Eltern. Das Bild von einem Jungen, 43 Jahre. Der Mensch wird nicht nur älter, er bleibt auch länger jung. Claus’ Hinterlassenschaft. Echter als On Kawara. Ich habe die Zeitung geholt, die Post dazu, immer auf der Lauer einer grundlegenden Überraschung. Sie bleibt aus. Was mache ich mit dem Heimatbeweis, folge ich Sibylla101 durch die Streichung der Einleitung oder nicht?...

Erscheint lt. Verlag 19.2.2018
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
ISBN-10 3-86337-097-X / 386337097X
ISBN-13 978-3-86337-097-8 / 9783863370978
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