Nachts am Askanischen Platz (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

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2018 | 1. Auflage
336 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43263-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nachts am Askanischen Platz -  Susanne Goga
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Das Cabaret des Bösen Berlin im Januar 1928: Ein Toter wird in einem Schuppen im Hinterhof des Askanischen Gymnasiums gefunden. Direkt daneben befindet sich das Varieté- und Sensationstheater »Das Cabaret des Bösen«, dessen Besitzer seine aus dem Krieg stammenden Gesichtsverletzungen offensiv zur Schau stellt. Vor dem Fund der Leiche wurde eine verstörte junge Russin am Theater gesehen, auf der Suche nach einem gewissen »Fjodor«. Liegt der Schlüssel zu den mysteriösen Vorkommnissen um das Cabaret im Scheunenviertel, wo russische Emigranten in beengten Verhältnissen leben? Einmal mehr lernt Leo Wechsler bei seinen Ermittlungen unbekannte Gesichter seiner Stadt kennen.  

Susanne Goga lebt als Autorin und Übersetzerin in Mönchengladbach. Sie ist Mitglied des deutschen PEN-Zentrums. Außer ihrer Krimireihe um Leo Wechsler hat sie mehrere historische Romane veröffentlicht und wurde mit verschiedenen literarischen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Goldenen HOMER für >Mord in Babelsberg< und dem Silbernen HOMER für >Nachts am Askanischen Platz<.

Susanne Goga lebt als Autorin und Übersetzerin in Mönchengladbach. Sie ist Mitglied des deutschen PEN-Zentrums. Außer ihrer Krimireihe um Leo Wechsler hat sie mehrere historische Romane veröffentlicht und wurde mit verschiedenen literarischen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Goldenen HOMER für ›Mord in Babelsberg‹ und dem Silbernen HOMER für ›Nachts am Askanischen Platz‹.

1


Samstag, 7. Januar 1928

Der Festsaal im Rathaus war mit Blumengestecken geschmückt, und in den Kristallen der gewaltigen Kronleuchter brach sich funkelnd das Licht. Ein Streichorchester spielte etwas von Schubert, das im Stimmengewirr fast unterging. Der Neujahrsempfang der Berliner Polizei war in vollem Gange.

Leo Wechsler zwang sich, den Blick von Clara zu lösen und sich stattdessen Polizeipräsident Karl Zörgiebel zuzuwenden, der mitten im Saal die Gäste empfing.

»Herzlich willkommen, Herr Wechsler.«

»Guten Abend, Herr Präsident. Darf ich vorstellen – meine Frau Clara.«

Zörgiebel deutete eine Verbeugung an. »Es ist mir ein Vergnügen, Frau Wechsler. Ich hoffe, Sie gestatten mir die Bemerkung, dass Ihr Mann beruflich zwar brillieren mag, Sie ihn heute Abend jedoch bei Weitem überstrahlen.«

Leo musste ein Grinsen unterdrücken. Wenn sich der gelernte Küfer und ehemalige Gauleiter der Böttchervereinigung, der es bis zum Berliner Polizeipräsidenten gebracht hatte, zu solch blumigen Bemerkungen verstieg, musste Clara tatsächlich hinreißend aussehen.

Das schilfgrüne Kleid mit der tief angesetzten Taille umfloss ihre Figur wie eine schimmernde Haut, und über den großen Rückenausschnitt spannten sich Silberschnüre, die mit winzigen Muscheln verziert waren. Dagegen wirkte Leos geliehener Frack mehr als unscheinbar.

Sie wechselten einige Belanglosigkeiten mit dem Präsidenten, dann legte Leo den Arm um Clara und steuerte einen Kellner an, der ein Tablett mit Sektgläsern balancierte. Er genoss es, dass er Claras Körper durch das zarte Kleid hindurch spüren konnte.

Ihre roten Haare waren in Wellen gelegt, und sie hatte nur Lippen und Augenbrauen nachgezogen, mehr Schminke brauchte sie nicht. Sie duftete nach dem Parfüm von Guerlain, das Leo ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Sie war einfach vollkommen, dachte er. Auch nach fünf Jahren konnte er manchmal nicht ganz glauben, dass Clara ihn geheiratet hatte.

Sie hatten sich gerade Gläser genommen und miteinander angestoßen, als ein Mann mit Schnurrbart und runder Brille auf sie zutrat.

»Guten Abend, Herr Dr. Weiß«, sagte Leo und deutete eine Verbeugung an. Er schätzte den Vizepolizeipräsidenten ungemein – Dr. Bernhard Weiß war nicht nur fachlich ausgezeichnet, sondern stellte sich immer und überall dem Unrecht in den Weg.

»Meine Frau Clara.«

»Sie sehen ganz bezaubernd aus, Frau Wechsler, wenn Sie mir diese Bemerkung erlauben.«

»Mein Mann spricht mit der allerhöchsten Anerkennung von Ihnen, Herr Dr. Weiß.«

»Sie nehmen die Arbeit mit nach Hause, Herr Wechsler? Meine Frau mag davon nichts hören. Sie schickt mich immer in den Garten, wenn ich damit anfange.«

Leo lächelte. »Ich versuche, Clara nicht allzu sehr zu langweilen, aber es tut gelegentlich gut, sich Luft zu verschaffen.«

Weiß nickte verständnisvoll. »Natürlich. Sie sehen Dinge …« Er zögerte. »Ich weiß, es ist nicht leicht. Gennat hat mir damals von dem Fall in Breslau erzählt. Danach hätte ich wochenlang nicht geschlafen.«

»Es hat ihn hart getroffen, dass man den Kindermörder nicht gefasst hat. Einer der wenigen Fälle, die er nicht aufklären konnte, es treibt ihn noch immer um.«

Weiß hob sein Glas. »Jetzt aber Schluss mit den trüben Gedanken. Selbst Polizisten sollten an diesem Abend ihren Beruf vergessen.« Er nickte freundlich und ging weiter.

Clara schaute ihm nach. »Wie hält er das nur aus? Goebbels’ ständige Attacken im Angriff? Und dass er ihn immer nur Isidor Weiß nennt?«

Leo zuckte mit den Schultern. »Das frage ich mich auch. Dass dieses Schmierblatt überhaupt erscheinen darf, ist eine Farce. Ich leihe es mir manchmal von Joachim, damit ich es nicht auch noch finanziere.« Er hielt inne. »Weißt du noch, der Sommer, in dem Rathenau ermordet wurde? Wir haben es Weiß zu verdanken, dass die Mörder gefasst wurden. Das haben ihm die Rechten bis heute nicht verziehen.«

Clara stieß klirrend mit ihm an. »Er hat recht, lass uns heute mal nicht an die Arbeit denken. Es wäre schade um die Mühe, die Fink sich mit dem Kleid gegeben hat.« Sie wandte ihm den Rücken mit den Muschelschnüren zu und schaute kokett über die Schulter.

»In der Tat ganz bezaubernd, Frau Wechsler.«

»Du siehst auch nicht übel aus. Marie war sehr stolz auf dich.«

Leos Tochter hatte sie in Augenschein genommen, nachdem sie sich für den Abend bereit gemacht hatten.

»Ihr seid aber vornehm«, hatte sie gesagt. »Vati im Frack und Clara als Prinzessin.«

Clara hatte eine Grammofonplatte aufgelegt und Leo zugezwinkert.

»Wie konnte ich das vergessen? Der erste Tanz gehört meiner Tochter. Darf ich bitten?«

Er hatte Marie den schwarz gekleideten Arm hingehalten, worauf sie knickste. Dann hatten sie sich im Walzerschritt durchs Wohnzimmer bewegt, und Clara war leise hinausgegangen. Sie betrachtete Marie und Georg als ihre Kinder, doch es gab Momente, die nur Leo und den beiden gehörten.

Nach dem Bankett wurde getanzt. Als sie eine Pause einlegten, bat Clara Leo, ihr an der Bar ein Glas Saft zu holen. Der Sekt war ihr zu Kopf gestiegen.

»Du kannst mich ruhig allein lassen«, sagte sie lächelnd. »Ich genieße es, mir die Leute anzusehen, und kann mich durchaus eine Weile ohne dich amüsieren. Also los.« Mit einer spielerischen Handbewegung scheuchte sie ihn davon.

Leo wusste, dass sie ihm Gelegenheit geben wollte, mit Bekannten und Kollegen zu sprechen, ohne auf sie Rücksicht zu nehmen. Clara war so ziemlich die selbstständigste Frau, die er kannte.

Er bestellte gerade den Saft und ein Glas Wein für sich, als ihm ein unerwarteter Kommentar ans Ohr drang.

»Wunderbare Nase, ganz klassisch.«

Leo schaute nach rechts und bemerkte einen rundlichen Herrn mit Schnurrbart und Halbglatze, der den Kellner hinter der Theke eingehend musterte.

»Verzeihung?«

»Na, die Nase. Schauen Sie nur. Vollkommen gerader Rücken, kein Höcker. Das ist ein Nasengerüst wie aus dem Lehrbuch.«

Leo sah den Mann belustigt an. »Sie studieren menschliche Nasen?«

Sein Nachbar nickte mit ernster Miene. »Berufskrankheit. Sind Sie Polizist? Reden Sie nicht auch gelegentlich über Einbrüche und Morde?«

»Ja, ich bin Polizist. Soll ich jetzt herausfinden, was Ihr Beruf ist?«

»Ich bitte darum«, sagte der Mann und wandte sich ihm zu, den rechten Arm auf die Theke gestützt.

»Hals-, Nasen- und Ohrenarzt, würde ich sagen. Wobei Sie die Nase eben eher ästhetisch als medizinisch zu betrachten schienen.«

»Sie sind auf der richtigen Spur.«

Die Bedienung stellte Saft und Bier auf die Theke. Leo warf einen Blick zu Clara, die mit einer Dame ins Gespräch gekommen war. Also hob er das Glas und prostete seinem neuen Bekannten zu.

»Dann sollte ich dieser Spur folgen. Nase, Medizin, Ästhetik – natürlich, Sie sind der Nasenjoseph. Verzeihen Sie den Spitznamen. Und vor allem, dass ich Sie nicht sofort erkannt habe.«

Prof. Dr. Jacques Joseph verbeugte sich grinsend. »Nun wüsste ich aber auch gern, mit wem ich das Vergnügen habe.«

»Leo Wechsler, Kriminalpolizei.«

»Ah, Gennats berühmte Truppe.«

»Er ist ein Genie, wir haben ihm viel zu verdanken. Sie operieren aber nicht nur Nasen, Herr Professor, nicht wahr? Ich erinnere mich an Berichte über Kriegsversehrte, denen Sie auf geradezu wunderbare Weise geholfen haben.«

»Lassen Sie mal den Professor weg«, sagte Joseph und bestellte noch ein Glas Wein. »Heutzutage mache ich meist Schönheitsoperationen, aber ich habe manchem Soldaten wieder ein Gesicht gegeben. Nicht unbedingt das alte, dazu waren die Verwüstungen oft zu groß, aber ein Gesicht. Das kann schon helfen.«

Leo erinnerte sich an Fotografien, die er nach dem Krieg gesehen hatte, und begriff, dass Joseph seine Verdienste bewusst herunterspielte.

»Diese Menschen haben Ihnen viel zu verdanken.«

»Auch ich habe dabei gewonnen. Der Krieg hat mich vor Aufgaben gestellt, die mir im zivilen Leben nie begegnet wären.« Er beschrieb eine Geste, die den ganzen Saal umfasste. »Eigentlich bin ich nur meiner Frau zuliebe hier. Solche Festlichkeiten liegen mir nicht, aber Leonore wollte so gerne kommen, weil sie sich spannende Kriminalgeschichten aus erster Hand erhoffte.« Er reckte den Hals. »Wo steckt sie denn? Sie könnten ihr vielleicht den Gefallen tun und einen Ihrer Fälle schildern, damit sie nicht enttäuscht nach Hause geht.«

Leonore Joseph gesellte sich bald zu ihnen, und Leo fasste kurz den Fall der beiden Schwestern Henriette Strauss und Rosa Lehnhardt zusammen, der vor einigen Jahren großes Aufsehen erregt hatte. Mitten in der anschließenden Plauderei warf er einen Blick zu Clara hinüber.

Er stellte hastig sein Glas weg, nahm den Saft und verabschiedete sich eilig vom Ehepaar Joseph.

Clara war blass, sie hatte die Lippen aufeinandergepresst. Leo trat neben sie, reichte ihr das Glas und schaute den Mann im Frack an – maßgeschneidert, nicht aus dem Verleih wie seiner –, der vor ihr stand.

»Guten Abend, Herr von Malchow. Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Drei Jahre?«

»Herr von Malchow hat mein Kleid bewundert«, sagte Clara.

»Ich wusste gar nicht, dass Sie ein Auge für Damenmode haben«, sagte Leo.

»Ihr Fall im letzten Jahr war spektakulär genug, um meinen Blick dafür zu schärfen, Herr Wechsler.«

»Mein Fall?«

Von Malchow legte den Kopf schräg und sah ihn verschwörerisch an. »Sogar ich erkenne...

Erscheint lt. Verlag 9.2.2018
Reihe/Serie Leo Wechsler
Leo Wechsler
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 20er Jahre • 6. Fall • Anne Stern • Berlin • Berlin-Krimi • Berlin Roman • Deutschland • Deutschsprachige Krimis • Dr. Jacques Joseph • Fräulein Gold • Gereon Rath • historischer krimi berlin • Historischer Kriminalroman • Historischer Roman • Historische Spannung • Kriegsverletzung • Krimi • krimi berlin • Kriminalroman • Krimi Neuerscheinungen • Krimis • krimi-serie berlin • Leo Wechsler • Nasen-Joseph • Plastische Chirurgie • Regiokrimi Berlin • russische Einwanderer • Russische Emigranten • Scheunenviertel • Schönheitschirurg • unterhaltsamer Krimi • Volker Kutscher • Weimarer Republik • Zwanziger Jahre
ISBN-10 3-423-43263-2 / 3423432632
ISBN-13 978-3-423-43263-4 / 9783423432634
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