Brad Cliffords Theorie scheint auf den ersten Blick nur auf dem Papier tauglich: er will einen Weg finden, die Schwerkraft zu kontrollieren. Als das Militär auf seine Forschungen aufmerksam wird, macht es Cliffords Ergebnisse zum Staatsgeheimnis, denn eine Maschine zur Kontrolle der Gravitation birgt ungeahntes militärisches Potenzial. Clifford selbst wird zügig entlassen, er ist den Kommandeuren nicht politisch verlässlich genug. Doch der Wissenschaftler gibt nicht auf: zusammen mit einem Freund arbeitet er weiter an seiner Theorie, denn ihm geht es nicht darum, eine Waffe zu bauen. Er will der Menschheit ein sehr viel größeres Geschenk machen: er will ihr den Weg zu den Sternen eröffnen ...
James P. Hogan (1941-2010) wuchs im Londoner Westen auf. Sein erster Roman Das Erbe der Sterne erschien 1977. Sein wissenschaftlich-technisch orientierter Schreibstil fand großen Anklang, sodass Hogan mehrere Nachfolgeromane schrieb. Er wurde oft mit seinem Landsmann Arthur C. Clarke verglichen. Bis zu seinem Tod lebte er mit seiner Frau Jackie, mit der er in dritter Ehe verheiratet war, in Florida und Irland.
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An der Abzweigung vom Albuquerque-Highway, ungefähr dreißig Meilen südlich von Albuquerque, stand ein vertrautes Schild. Es trug folgende Aufschrift:
FORSCHUNGSZENTRUM FÜR ERWEITERTE
KOMMUNIKATION
REGIERUNGSEIGENTUM
ZUTRITT FÜR UNBEFUGTE
STRENG VERBOTEN
PASSKONTROLLE
1½ MEILEN
Ein kaum hörbarer Piep-Ton leitete das sanfte Bremsmanöver des Ford Cougar ein. Der Wagen wechselte auf die rechte Spur und bog dann in die Ausfahrt ein. Dr. Clifford hatte das elektronische Warngeräusch vom Armaturenbrett nicht bewusst wahrgenommen, doch jetzt spürte er, wie das Fahrzeug auf seine Lenkbewegung reagierte, nachdem es von Computer- auf Handsteuerung umgeschaltet hatte. Die Fahrbahn wich in einem weiten Bogen einer flachen, sandigen Erhebung aus, deren spärlicher Bewuchs aus ein paar vertrockneten Büschen und staubigem Wüstendorn bestand. Die Motorhaube des Cougar glitt gemächlich über das Asphaltband. Die Straße schmiegte sich an den Hang eines kahlen, felsübersäten Hügels – wie eine Eidechse, die in der Sonne badet. Voraus und rechts des Hügels ragten dunstverhangen rotbraune, zerklüftete Felsbastionen auf; Reihe um Reihe flankierten sie in altersloser, unveränderlicher Formation das Tal des Rio Grande. Bis zum fernen Horizont erstreckte sich diese Landschaft, wo in diesigem Blaugrau Felstürme und Himmel miteinander verschmolzen.
Ungefähr auf der Mitte des Hanges erreichte die Straße ihren höchsten Punkt; dort begann eine lange, flache Gefällstrecke. Sie endete an der Mündung eines dürren Tales, an dessen anderem Ende sich der Gebäudekomplex des Forschungsinstitutes für Erweiterte Kommunikation befand. In dieser frühen Morgenstunde stand die Sonne jenseits des Institutes und verwandelte das Gewirr von Gebäuden, Antennentürmen und Parabolspiegeln in starre Silhouetten, die bedrohlich am Boden kauerten. Dahinter ragte schwarz die Felswand auf, die das Tal nach Osten abschloss. Aus der Ferne erinnerte der Anblick Clifford immer an eine unheilvolle Versammlung von gigantischen Insektenmutanten, die einen dunklen Höhleneingang bewachten. Die Formen erschienen ihm als Symbol für den Höchststand einer deformierten Wissenschaft: einer ungeheuren Anhäufung von Wissen, das nur den Zweck hatte, fortwährend machtvollere Zerstörungskräfte zu ersinnen, um eine gequälte Welt in Schrecken zu versetzen.
Nach etwa einer Meile stieß die Straße in der Mitte des Talbodens auf die äußere Umzäunung des FEK-Komplexes. Dort befand sich ein Kontrollposten. Clifford brachte den Wagen bei einer niedrigen Säule zum Stehen, und ein schwarzer Army-Feldwebel trat an den Schlagbaum. Er trug ein kurzärmeliges Hemd, doch er war bewaffnet und hatte einen Stahlhelm auf dem Kopf. Clifford erwiderte das routinemäßige »Morgen« des Wachsoldaten mit einem Kopfnicken, entnahm seiner Brieftasche die magnetisierte Personalkarte und schob sie in einen Schlitz in dem Kasten, der oben an der Säule angebracht war; die Brieftasche gab er der Wache. Dann drückte er seine Daumenspitze gegen eine kleine Glasplatte neben dem Schlitz. Tief im Innern des Verwaltungsgebäudes von FEK nahm ein Computer die Daten auf und verglich sie mit den Angaben in seinen Speichern. Das Ergebnis wurde einem zweiten Wachsoldaten übermittelt, der vor einem Schirm in der Wachkabine saß. Der Feldwebel legte die Brieftasche in Cliffords ausgestreckte Hand zurück, warf einen flüchtigen Blick ins Innere des Fahrzeugs, trat beiseite und hob den Arm. Der Cougar rollte vorwärts, hinter ihm fiel der Schlagbaum auf seine Halterung zurück.
Fünfzehn Minuten später hatte Clifford sein Büro erreicht. Es lag im dritten Stock des Gebäudes, das die Abteilung für Angewandte Mathematik und den Computerservice beherbergte. Für gewöhnlich verbrachte er nur zwei Tage in der Woche im FEK. Er zog es vor, zu Hause zu arbeiten, wo er den Infonetz-Terminal benutzen konnte, durch den er direkten Zugang zur Datenbank und zu den Computern des Institutes hatte. Diesmal war er seit acht Tagen nicht mehr im Büro gewesen, aber als er die Liste der Mitteilungen auf seinem Schreibtisch-Terminal durchging, stellte er fest, dass nichts ungewöhnlich Dringliches dabei war. Alle wichtigen Anrufe waren auf seinen Heim-Terminal durchgestellt worden, und er hatte sie dort bearbeitet.
Das Elfuhr-Treffen würde also keine unerwarteten, bösen Überraschungen bringen.
Er hatte den Gedanken kaum beendet, als ein Summer ertönte, der einen Anruf ankündigte. Er seufzte und drückte die Annahmetaste.
»Clifford!«
Auf dem Bildschirm erschien ein Farbflimmern, das jedoch sofort feste Konturen annahm. Es zeigte sich das bleiche Gesicht eines dünnen Mannes mit schütterem Haar und einer Sichelnase. Ein böses Gesicht. Clifford stöhnte innerlich, als er in den Gesichtszügen den Ausdruck äußerster, aufrechter Empörung las. Der Mann war Wilbur Thompson, der Stellvertreter des Vizedirektors der Finanzkontrolle der Mathe-Komp-Abteilung. Außerdem war er der selbsternannte Hüter des Protokolls und des Bürobedarfs.
»Sie hätten es mir mitteilen müssen!« Die keifende Zornesstimme schrillte in Cliffords Ohren wie eine Kettensäge auf Granit. »Sie hatten überhaupt keinen Grund, damit hinter dem Berg zu halten. Bei der Verantwortung, die ich trage, hätte ich doch etwas mehr Bereitschaft zur Zusammenarbeit von Leuten wie Ihnen erwartet. Ihr Benehmen nützt niemandem etwas.«
»Was hätte ich Ihnen mitteilen müssen?«
»Sie wissen genau, was ich meine. Sie haben eine ganze Latte Klasse-B-Ausrüstung angefordert, obwohl Ihre Abteilung den Etat für dieses Quartal bereits weit überzogen hat und obwohl Sie keine SP6-Freigabe hatten. Natürlich konnte ich nicht zustimmen, und Sie haben es zugelassen, dass ich die Bestellung storniere, ohne mir zu sagen, dass Sie eine Sondergenehmigung von Edwards hatten. Jetzt ist die ganze Angelegenheit total verfahren, und ich kriege Druck von allen Seiten.«
»Was heißt hier nicht zugestimmt?« Cliffords Stimme klang sehr gelassen. »Sie haben mir gesagt, es wäre unmöglich.«
»Sie haben zugelassen, dass ich es storniere.«
»Sie sagten, Sie hätten keine andere Möglichkeit. Ich habe Ihnen geglaubt.«
»Sie wussten verdammt gut, dass eine Sondererlaubnis bereits vorlag.« Thompsons Stirnadern waren dick geschwollen, er drohte vollends hysterisch zu werden. »Warum haben Sie es mir nicht gesagt oder Einblick gewährt? Wie kann ich denn wissen, dass der Projektleiter persönlich Dringlichkeitsstufe 1 angeordnet hat? Was für ein Spiel spielen Sie eigentlich? Wollen Sie mich zum Narren machen?«
»Das schaffen Sie gut ohne meine Hilfe.«
»Jetzt hören Sie mir einmal genau zu, Sie schlitzohriger Hundesohn! Glauben Sie denn, mein Job wäre nicht so schon schwer genug, auch ohne dass Sie sich dumm stellen? Es gab überhaupt keinen Grund, warum ich mit einer Sondergenehmigung rechnen konnte. Jetzt kriege ich einen Anschiss nach dem anderen, weil sich das ganze Projekt festgefahren hat. Sagen Sie selbst, warum hätte ich mit einer Sondergenehmigung rechnen sollen?«
»Weil das Ihr Job ist«, sagte Clifford knapp und schaltete den Schirm aus.
Er hatte gerade genug Zeit, um ein paar Ordner vom Tisch aufzunehmen und sich der Tür zuzuwenden, da erklang wieder das Rufzeichen. Er fluchte laut, ging zum Terminal zurück und drückte die Suchertaste. So erhielt er ein Bild des Anrufers, bevor sich der Schaltkreis schloss und die Verbindung hergestellt war. Wie er vermutet hatte, war es wieder Thompson. Er war einer Herzattacke nahe. Clifford ließ die Suchertaste los und schlenderte hinaus auf den Korridor. Aus der Automatenecke holte er sich einen Kaffee, dann ging er in einen der Grafik-Projektionsräume, den er sich für die nächsten zwei Stunden hatte reservieren lassen. Da er wegen des Treffens an diesem Tag ohnehin zum FEK musste, hatte er sich vorgenommen, seinen Aufenthalt so gut wie möglich zu nutzen.
Eine Stunde später saß Clifford noch immer am Schaltpult in dem abgedunkelten Raum. Seine Miene verriet äußerste Konzentration, während er das Arrangement der Tensorgleichungen studierte, das ihm von der gegenüberliegenden Wand entgegenleuchtete. Mehrere Räume waren eigens dafür eingerichtet worden, die Handhabung und optische Umsetzung der grafischen Daten des FEK-Computerkomplexes zu erleichtern. Die Wand, die Clifford betrachtete, bestand ganz aus einem riesigen Computer-Bildschirm. Tief unter dem Gebäude waren die Maschinen damit beschäftigt, tausenderlei andere Aufgaben zu lösen, während Clifford über die Folgerungen nachdachte, die sich aus den Zeichenmustern ableiten ließen. Schließlich neigte er leicht den Kopf, um einige Worte in das Mikrofongitter zu sprechen, das in die Schaltkonsole eingesetzt war. Seine Augen blieben auf den Bildschirm gerichtet; er sprach langsam und deutlich:
»Gegenwärtiges Bild speichern; Register Delta zwei. Schirm Module eins, zwei und drei stehen lassen, alle anderen entfernen. Symmetrieeinheit phi-null-sieben rotieren lassen. Differential-Koeffizient I-Vektor bilden, unter Verwendung der Isospin-Matrix-Funktion. I-Koeffizient von Schaltbrett zwei übernehmen. Darstellung auf dem Schirm im gewöhnlichen Rechteck-Format.«
Er sah zu, wie die Maschine seine Befehle in Zeichen umsetzte, die auf einem der kleinen Hilfsschirme im Schaltpult erschienen. Zustimmend nickend wandte er sich der Tastatur zu und tippte eine lange Zahlenfolge ein.
»Fortfahren.«
Der untere Teil des Schirms erlosch, Sekunden...
Erscheint lt. Verlag | 26.2.2018 |
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Übersetzer | Ulrich Kiesow |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Genesis Machine |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Schlagworte | Aufbruch ins All • diezukunft.de • eBooks • Hard SF • Near future • Raumfahrt • seiun award • Superwaffe • Überlichtgeschwindigkeit |
ISBN-10 | 3-641-23131-0 / 3641231310 |
ISBN-13 | 978-3-641-23131-6 / 9783641231316 |
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