Touristin aus Leidenschaft -  Beatrice Sonntag

Touristin aus Leidenschaft (eBook)

Noch mehr Geschichten aus aller Welt
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
228 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7460-0415-0 (ISBN)
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Es ist mal wieder soweit. Ich habe erneut sechs Geschichten zusammengetragen, die ich nun mit Euch teilen möchte. Es geht dieses Mal nach Kolumbien, wo ich im tiefen Dschungel meinem inneren Schweinehund begegnet bin. Es geht nach Tansania, das mich mit seiner faszinierenden Tierwelt den Zauber von Afrika erleben ließ. Es geht in den Norden von Indien, wo ich inmitten von Millionen von Menschen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Hindus, Buddhisten und Sikh hautnah und in voller Lautstärke erleben durfte. Es geht nach Südkorea, wo ich über die Höflichkeit der Menschen staunen konnte und mir eine einmalige Mischung aus uralter Kultur und Hochmoderne ansehen durfte. Es geht außerdem nach Ecuador zum Mittelpunkt der Erde und schmackhaften Meerschweinchen. Und es geht nach Weißrussland, das wohl sauberste Land in Europa und die letzte Diktatur des Kontinents. Außerdem erfahrt Ihr nebenbei, warum ich es nicht nach Ghana geschafft habe und was mich in den USA begeistert und erschreckt hat. Insgesamt geht es mal wieder darum, Euch mit meinem Fernweh anzustecken. Ihr wisst ja: Nach der Reise ist vor der Reise!

Beatrice Sonntag ist eine begeisterte Weltreisende und Buchautorin, die mittlerweile 112 Länder besucht hat und online sowie in Buchform über ihre Erlebnisse schreibt. Die Ingenieurin wurde 1979 geboren und nutzt jede freie Minute, um die kleinen und großen Abenteuer dieser Welt zu erkunden.

Memphis – Elvis lebt und der Ku Klux Klan leider auch


Im Sommer 2017 war ich für zwei Wochen in den Südstaaten der USA unterwegs. Auf dieser Tour entstand keine meiner Reisegeschichten, weil die USA im Vergleich zu Ländern wie Indien, Ecuador und Tansania einfach zu normal und zivilisiert sind. Da gibt es weder Kühe, die auf dem Dach von Minibussen transportiert werden, noch Märkte, auf denen gehäutete Frösche oder gebratene Seidenraupen die Auslagen bilden. Trotzdem sind die USA für die eine oder andere wundersame Story gut. Erst im letzten Buch habe ich von den interessanten Glaubensvorstellungen der Mormonen in Salt Lake City und von den Ufo-Fans in Roswell erzählt.

Diesmal stand also Memphis, Tennessee, auf dem Programm. Ich hatte Eintrittskarten für Graceland, den ehemaligen Wohnsitz von Elvis Presley, online gebucht. 38 Dollar kostete das günstigste Ticket für eine zweistündige Führung durch das Wohnhaus des King of Rock und in den Meditationsgarten, wo Elvis, seine Eltern und seine Oma begraben liegen. Sie hatten einige Jahre nach Elvis‘ Tod eine Sondergenehmigung für die Umsiedlung der Gräber auf das Privatgrundstück erhalten, nachdem es mehrere Versuche gegeben hatte, Elvis‘ Leichnam zu stehlen. Für die wirklichen Fans gab es auch Tickets für 68 Dollar mit Besichtigung der goldenen Schallplatten und des königlichen Fuhrparks sowie Tickets für die Extra VIP Tour für 159 Dollar. Aber ich bin ja im Grunde überhaupt kein Elvisfan. Ich wollte mir das ganze Treiben nur mal anschauen.

Pünktlich um neun Uhr stehe ich also in einer Halle von der Größe eines Busbahnhofs einer Großstadt und werde von den freundlichen Angestellten in eine Art Kinosaal geleitet, wo ich mir zunächst eine Videodokumentation über Elvis und sein Leben anschauen darf. Der Film zeigt ein paar der Glanzszenen aus Elvis Karriere, einige der schlechtesten Kinoschlägereien in der Geschichte des Films und endet in einer Art Heiligsprechung des größten Rockstars, den die Welt bisher gesehen hatte. Elvis war wohl der erste Musiker, der es schaffte, dass junge Damen reihenweise in Ohnmacht fielen, sobald sie ihn auch nur aus der Ferne erblickten. Das war eine Weltneuheit – das muss man ihm einfach lassen.

Anschließend werde ich mit zahllosen älteren Damen und einigen Herren, von denen die Hälfte so aussieht, als sei sie auf ein Vorstellungsgespräch in einer Heiratskapelle in Las Vegas vorbereitet, in einen kleinen Bus geschoben, der uns zum Herrenhaus bringt. Die Tour durch das Gebäude, das Elvis im Alter von 22 Jahren hier hat erbauen lassen, erfolgt über hochmoderne Tablets mit Videofeatures und Audioguide. Das Gedränge ist groß, weil jeder einen Blick in das Wohnzimmer, das Badezimmer mit der offenbar weltberühmten Pudeltapete, das Schlafzimmer und das Dschungelzimmer werfen will. Im Keller staune ich über ein in gelb-schwarz gehaltenes Fernsehzimmer und einen Billardraum, bevor ich dann in das Museum geleitet werde, in dem zahllose Familienfotos von allen möglichen Verwandten Elvis Presleys hängen. Das Museum erwähnt mit keinem Wort die Scheidung von Elvis und Priscilla, die neue Verlobte, die er hatte, als er starb, oder die Tatsache, dass es wilde Spekulationen und endlose Untersuchungen zu seiner Todesursache gab. Man verschweigt die interessanten Fakten zu Gunsten einer heilen Welt.

Im Meditationsgarten befinde ich mich schließlich in einer langen Schlange aus Elvisfans, die sich ganz langsam in Richtung des Grabes bewegen. Es ist richtig viel los. Überall stehen Blumenkränze, liegen Briefe, Teddybären und Schärpen. Ich sehe zunächst die Grabplatten von Elvis‘ Eltern. In dem Moment bricht die Frau neben mir in Tränen aus. Sie schluchzt laut und muss von ihrem Begleiter getröstet werden. Etwas verunsichert schaue ich mich um und versuche, nicht aufzufallen. Als ich dann schließlich vor der Grabplatte stehe, unter der Elvis begraben liegt, fällt mir auf, dass da steht, der King sei am 16. August 1977 gestorben. Ich muss kurz überlegen, aber dann wird mir klar, dass das auf den Tag genau vor 40 Jahren war. Ich muss fast lachen, als mir klar wird, dass ich es tatsächlich geschafft habe, durch puren Zufall genau den 40. Todestag für meinen Besuch in Graceland auszuwählen. Das erklärt zwar nicht, warum die Dame hemmungslos weint, aber es erklärt zumindest, warum hier absolut die Hölle los ist und tausende von Menschen sich gerade heute hier drängen. Wahrscheinlich herrscht an anderen Tagen etwas weniger Trubel und sicher ist der Grabschmuck normalerweise etwas dezenter.

In Memphis gibt es außer Graceland auch noch die Beale Street im Stadtzentrum. Diese Fußgängerzone erwacht am Abend zum Leben. Leuchtreklamen tauchen sie in buntes Licht; Blues, Rock und Jazz dringen aus den Bars und Parks auf die Straße; es riecht überall nach Barbecue; die Atmosphäre ist einfach magisch – entspannt und aufregend zugleich. Auf dem Bürgersteig sind goldene Notenzeichen eingelassen, auf denen die Namen berühmter Musiker stehen.

Weil mich nicht nur vergötterte Musiker und Barbecue interessieren, besuche ich am nächsten Tag das Slave Haven Underground Railroad Museum in Memphis. In dem ehemaligen Farmhaus eines gewissen Herrn Burkle ist heute ein Museum untergebracht, das die Geschichte der Sklaven in den Südstaaten der USA erzählt. Sie kamen auf Schiffe, unter unmenschlichen Umständen aus Afrika bis nach Amerika. Fast die Hälfte starb bereits auf der Überfahrt an Krankheiten oder Unterernährung. Das war den Händlern aber gleichgültig, denn sie waren gut versichert und bekamen ihr Geld unabhängig davon, ob die „Ladung“ noch am Leben war oder nicht. Die Dame im Museum erzählt, dass die Haie im Atlantik noch immer aus Gewohnheit den Routen der Sklavenschiffe folgen, weil diese damals eine sichere Futterquelle waren. Diejenigen, die den Transport überlebten, wurden wie Vieh verkauft (die Kleinkinder gab es im Dutzend billiger), von ihren Familien getrennt und mussten auf den Plantagen arbeiten.

Das Farmhaus der Familie Burkle war etwas Besonderes, weil Herr Burkle Teil der Untergrundbewegung war, die es den Sklaven ermöglichte, nach Norden zu flüchten, wo die Sklaverei bereits abgeschafft war. In seinem Keller versteckte er jahrelang Menschen und brachte sie dann im Schutz der Dunkelheit zur nächsten Station der sogenannten Underground Railroad, dem geheimen Geflecht von Anlaufstationen auf dem Weg in die Freiheit.

Mit der Museumsführerin gerate ich ins Gespräch und erfahre so, dass in der Innenstadt von Memphis tatsächlich eine Statue steht, die den ersten Hexenmeister des Ku Klux Klans zeigt. Ich falle aus allen Wolken und frage mich, wer diesen Mann, der einen Verein mitgegründet hat, der zu Gewalt und Hass aufruft und das Leben zahlloser Menschen auf dem Gewissen hat, ein Denkmal setzen würde. Herr Forrest hat wohl nicht nur den Ku Kux Klan angeführt, sondern auch in der Konföderiertenarmee als General gekämpft, was offenbar Grund genug ist, dass manche Menschen ihn verehren. Meine erste Frage lautet: „Wird diese Statue nicht wöchentlich demoliert oder zumindest mit Graffiti besprüht?“ Daraufhin muss ich erfahren, dass die Statue auch noch rund um die Uhr Polizeischutz genießt. Das will ich natürlich mit eigenen Augen sehen. Also fahre ich in die Innenstadt zum Health and Science Park, wo tatsächlich die Statue von Herrn Forrest auf einem Pferd, ein Mast mit einer Überwachungskamera und ein Polizeiauto mit einem uniformierten Polizisten darin stehen.

Fassungslos und sprachlos stehe ich vor der Statue und frage mich, wie die Menschen es zulassen können, dass der Vorsitzende des Ku Klux Klans ein Denkmal erhält, das ihn als Kriegshelden darstellt. Warum gibt es kein Denkmal für die Opfer des Ku Klux Klans? Was ist hier schief gelaufen? In der folgenden Nacht kann ich kaum schlafen, weil mein Gehirn nicht in der Lage ist, das Gesehene bei Seite zu schieben. Erst als ich einen Brief an den Bürgermeister von Memphis verfasst habe, finde ich etwas Nachtruhe. Man hat mir bisher auf meinen Brief nicht geantwortet.

Patriotismus ist ein Konzept, das sich mir einfach nicht erschließen will. Wieso sollte ich stolz darauf sein, dass ich das Glück hatte, irgendwo geboren zu werden? Ich habe ja nicht das Geringste dafür getan. Stolz bin ich allenfalls auf mein Diplom oder vielleicht auch darauf, die Wanderung im kolumbianischen Dschungel durchgehalten zu haben. Auf jeden Fall kann ich es nicht verstehen, dass jemand auf seine Nationalität stolz ist. Ich bin lediglich unheimlich glücklich darüber, in einem vereinten Europa leben zu dürfen, wo Grenzen nur noch in Form von Verkehrsschildern vorhanden sind und wo die Mehrheit der Menschen bereit ist, Flüchtlinge aufzunehmen, die nicht so viel Glück haben wie wir. Als ich vor dieser Statue in Memphis stand, spürte ich jedoch einen kleinen Funken Stolz auf unser deutsches Volk, denn in Sachen Vergangenheitsaufarbeitung haben die Deutschen einiges richtig gemacht. Nur weil irgendwann mal jemand, der zufällig in derselben Gegend gewohnt hat, etwas Tolles oder etwas Grausames getan hat, muss man sich weder dafür loben noch sich dafür...

Erscheint lt. Verlag 11.12.2017
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
ISBN-10 3-7460-0415-2 / 3746004152
ISBN-13 978-3-7460-0415-0 / 9783746004150
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