Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker (eBook)

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2017 | 1. Auflage
394 Seiten
e-artnow (Verlag)
978-80-273-0110-2 (ISBN)

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Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker -  Friedrich Nicolai
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Dieses eBook: 'Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: 'So vollkommen das Glück dieser Familie war, so drohete es doch ein kleiner Vorfall zu unterbrechen. Es erschien in den letzten Jahren des vergangenen Krieges eine Schrift: Vom Tode für das Vaterland, betittelt. Diese kleine Schrift würde in das ruhige Fürstenthum, so leicht nicht eingedrungen seyn, welches von neuen Schriften, sonderlich von solchen, die sich mit dem Tande der weltlichen Weisheit, und mit dem Spielwerke der schönen Wissenschaften beschäftigten, gar nicht beunruhigt wurde.' Friedrich Nicolai (1733-1811) war ein deutscher Schriftsteller, Verlagsbuchhändler, Kritiker, Verfasser satirischer Romane und Reisebeschreibungen, Regionalhistoriker, Hauptvertreter der Berliner Aufklärung, Freund Lessings, Zelters und Mendelssohns, Gegner Kants und Fichtes.

Erster Abschnitt.


Der Pastor Sebaldus und die schöne Wilhelmine, brachten die ersten Monate nach ihrer Verheirathung, welche sonst andern neuverehlichten Paaren die Zeit einer girrenden Zärtlichkeit zu seyn pflegen, vielmehr in einer Art von Kälte und Verlegenheit zu. Sebaldus bemerkte einen Abstand zwischen seiner landmännischen Treuherzigkeit, und den feinen Hofmanieren seiner vornehmen jungen Frau. Er konnte sich noch nicht recht darum schicken, mit ihr als mit seines gleichen umzugehen. Wilhelmine, auf ihrer Seite, konnte den wohlgeputzten Hof, den sie verlassen hatte, nicht so geschwind vergessen. Das Andenken der Pracht der von der Fürstinn abgelegten Kleider, in der sie sich oft der gaffenden Menge der Zofen und Kammerdiener gezeigt hatte, verleidete ihr ihren ländlichen aber neugemachten Anzug. Es war ihr sogar verdrüßlich, daß sie ferner nicht Aufwartung machen, und sich vor höheren Personen tief verneigen sollte. Das Glück unabhängig zu seyn, schien ihr Erniedrigung. Die ungekünstelte Schönheit der Natur, die sie auf dem Lande vor sich hatte, konnte sie noch nicht wegen des Flitterstaats der Kunst, den sie nun nicht mehr erblickte, schadlos halten. Sie erinnerte sich mit Sehnsucht der glänzenden Scenen von Bällen, Concerten und Schlittenfahrten, die sie oft – angesehen hatte, noch mehr des gnädigen Kopfneigens der Fürstinn, durch das sie zuweilen unter der Menge gaffenden Hofgesindes war hervorgezogen worden. Sie that bey jeder Gelegenheit kleine Reisen in die Stadt, und unterließ nicht, ihre Aufwartung bey Hofe zu machen. Sie merkte aber gar bald, daß man sich am Hofe um die nicht bekümmert, die man nicht braucht, und daß ihre Stelle von andern eingenommen war. Dies kostete ihr zwar manche Thräne, war aber doch die erste Ursach, daß ihr ihr itziger Zustand erträglicher vorkam, und daß sie anfieng, die guten Gesinnungen ihres Sebaldus anzusehen, welche zu bemerken, sie bisher durch sein unmodisches Kleid und durch seine ungepuderte Peruke war verhindert worden. Sie erwiederte seine Liebkosungen mit freundlichen Blicken, er kam ihr mit Freundschaftsbezeugungen zuvor. Aus diesem Wechsel von Gefälligkeiten, entstanden bey beiden Empfindungen einer Glückseligkeit, die sie vorher noch gar nicht gefühlt hatten.

Von dieser Zeit an, vergaß die schöne Wilhelmine völlig den Hof, und ward ganz eine Landwirthin. Vorher hatte sie nur zu gehorchen gewust, nun begann sie zu regieren. Es kostete ihr einige kleine Liebkosungen, so fieng Sebaldus, der bisher als ein halber Wilder gelebt hatte, an, sich fleissiger den Bart zu putzen, und nicht so viel Federn auf seinem schwarzen Rocke zu leiden. Durch gleiche Freundlichkeit, erstreckte sie bald ihre Herrschaft auf ihre Nachbarinnen, die sie bisher durch ein gnädiges Hoflächeln weggescheuchet hatte. Nun erwarb sie bald derselben Vertraulichkeit, ertheilte den Wohlhabenden guten Rath, den Armen Allmosen, und ward in kurzer Zeit im Kirchspiele eben so beliebt, als ihr Mann schon vorher gewesen war.

Diese Liebe hatte sich Sebaldus durch die Sorgfalt, die er für seine Gemeine trug, erworben. Er war in den Häusern seiner Bauern als ein Vater und als ein Rathgeber willkommen. Nie ließ er es dem Bekümmerten an Trost, nie dem Hungrigen an Labsal fehlen. Er war von allen häuslichen Vorfällen unterrichtet, nicht, weil er in das Hausregiment der Layen einen Einfluß zu haben suchte, sondern weil er von ihnen bey allen ihren Verlegenheiten um Rath, bey allen ihren Zwistigkeiten um Vermittelung ersucht ward. Er war gewohnt, in seinen Predigten nicht auf die Laster zu schelten, aber wenn ein Laster in der Gemeine verübt wurde, pflegte er, ohne desselben zu gedenken, die entgegengesetzte Tugend einzuschärfen. Daher richtete er seine Predigten auch mehr nach den Bedürfnissen seiner Gemeinde als nach der Folge der Evangelien ein. Er hat wohl eher über das Evangelium vom Zinsgroschen: von den Vortheilen eines mässigen und nüchternen Lebens gepredigt, bloß weil sich kurz vorher ein paar Bauren in der Schenke betrunken hatten. Als er einst vergeblich versucht hatte, zween Bauern, die in offenbarer Feindseligkeit lebten, zu vergleichen, und von dem einen hart mit Worten war angelassen worden, predigte er am Tage St. Stephani des Märtyrers: von der ersten Pflicht wahrer Christen, ihren Nächsten zu lieben, und gedachte der empfangenen Scheltworte nicht, ob ihm gleich die Worte des Evangelium: Jerusalem, die du tödtest die Propheten und steinigest, die zu dir gesandt sind, die schönste Gelegenheit dazu gegeben hätten.

Zu beklagen war es freilich, daß dieser sonst gutherzige Mann, und der beym Antritte seines Amtes auf die symbolischen Bücher geschworen hatte, in seinem Herzen nichts weniger als orthodox war. Ueber das athanasische Glaubensbekenntniß hat er zwar sich niemals erklärt, nur weil er anstatt des Liedes: Wir gläuben all an einen Gott etc. welches sonst alle Sonntage in seiner Kirche war gesungen worden, oft ein geistliches Lied von Gellerten singen ließ, war er bey einigen vielleicht allzubrünstigorthodoxen Landpredigern in der Nähe, nicht in allzugutem Geruche. Ueber die Lehre von der Genugthuung aber äußerte er bey Gelegenheit viele Zweifel. Er verschwendete (ohne Exegese, von der er wenig hielt) viel philosophische Spitzfündigkeit, um dieser Lehre eine bessere Form zu geben; denn er war ein eifriger Anhänger der Crusiusschen Philosophie, welche unter allen andern Philosophien am geschicktesten scheinet, die Theologie philosophischer, und die Philosophie theologischer zu machen. Am meisten aber ging er in der Lehre vom tausendjährigen Reiche und von der Ewigkeit der Höllenstrafen von der Dogmatik ab. Er glaubte das erstere steif und fest, und von der letztern hatte er sich nie überzeugen können. Er glaubte, daß in dem himmlischen Jerusalem alle Gottlosen fromm werden würden. Diese tröstliche Hofnung hatte er aus einem fleissigen Studium der prophetischen Bücher der Schrift, besonders der Apocalypse geschöpft, welches Studium er schon seit langen Jahren mit unablässigem Eifer getrieben hatte. Er war auf eine sehr sonderbare Weise darauf gekommen, diese Bücher vorzüglich zu studieren. Er hatte sich schon in seinen jüngern Jahren, durch sorgfältiges Nachdenken überzeugt, daß der Willen Gottes, der unsre itzige und zukünftige Glückseligkeit bestimmt, wenn auch Gott für gut befunden habe ihn besonders zu offenbaren, dennoch auch nothwendig durch Vernunft müsse eingesehen werden können, und mit der Vernunft übereinstimmen müsse. Die einzige Offenbarung, die uns etwas ganz unbekanntes entdecken könnte, worauf die blosse Vernunft nie gefallen seyn würde, glaubte er, sey die prophetische Offenbarung von zukünftigen Dingen. Nachdem er also bey sich über den Werth aller dogmatischen und moralischen Wahrheiten einig war, indem er keine dogmatische Wahrheiten für nöthig und nützlich hielt, als die auf das Verhalten der Menschen einen Einfluß haben, und sich mehr angelegen seyn ließ, alle moralische Gesetze Gottes auszuüben, als sie zu zergliedern oder zu umschreiben; so hatte er sich ganz dem Studium der prophetischen Schriften gewidmet. Jeder Mensch hat sein Steckenpferd, und Sebaldus hatte die Apocalypse dazu erwählet, welches er auch, seine ganze Lebenszeit durch, vom Montage bis zum Freytage fleißig ritt. Nur der Sonnabend, wenn er sich zu seiner Predigt vorbereitete, und der Sonntag, wenn er sie hielt, war moralischen Betrachtungen gewidmet. Denn so sehr er auch die Prophezeyungen der Untersuchung eines scharfsinnigen Kopfes würdig hielt, so wenig glaubte er, würden seine Bauern davon verstehen oder nützen können, und es war sein unwiderruflicher Willen, seinen Bauern nichts zu predigen, als was ihnen sowohl verständlich, als nützlich wäre.

Er hatte mit vielen seiner wohlehrwürdigen Amtsbrüder, denen er sonst in so vielen Stücken unähnlich war, dennoch eine besondere Aehnlichkeit. Man solte kaum glauben, daß viele Landprediger, die den Sontag mit lauter Stimme das Gesetz predigen, und die Ungläubigen und Ketzer, mit starken Ausrufungen und Citationen aus dem Grundtexte, so fein zusammenzutreiben wissen, eben die Männer wären, die man die ganze Woche über, als dickstämmige Pächter, wilde Pferdebändiger, drolligte Trinkgesellschafter, und vorsichtige Wucherer gesehen hat. Eben also, wenn man, des Sontags den einfältigen, allen Bauern verständlichen Vortrag des Pastor Sebaldus hörte, so hätte man sich kaum vorstellen sollen, daß dis der grundgelehrte Mann sey, der alle Commentarien über die prophetischen Bücher durchstudirt hatte, der alle alte und neue Prophezeyungen nebst ihren Erfüllungen und Nichterfüllungen auf ein Haar wuste, der Vorbilder und Gegenbilder, wie Schachtel und Deckel zusammenpassen konnte, dem keine Meinung der Mystiker und Gnostiker entgangen war, der Buchstabenziffern und Jahrwochen, prophetische Zeitzirkel und abgekürzte Abendmorgen, bildliche Geschichte und weissagende Träume, nebst der ganzen Kabbala und dem Buche Raja Mehemna gänzlich inne hatte, und aus diesem reichen Stoffe mit Hülfe der Crusiusschen Philosophie, die feiner als die feinste Nadel zugespitzt, die einfachsten Begriffe zertheilen, und sogar die beiden Seiten einer Monade von einander spalten kan, eines der scharfsinnigsten Gewebe von Prophezeyungen aus der Apokalypse gezogen hatte, dem, Crusius unumstößliche Hypomnemata der prophetischen Theologie, Bengels unwidersprechliche Auflösung der apocalyptischen Weissagungen, Don Isaak Abarbanels Majeneh Jeschuah und Michaelis unwiderlegliche Erklärung der siebenzig Wochen, zwar vielleicht an Richtigkeit und Wahrheit, aber gewiß nicht an Neuheit, Scharfsinn und sinnreicher Aufklärung der dunkelsten Bilder zu vergleichen sind.

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Erscheint lt. Verlag 14.12.2017
Verlagsort Prague
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Comic / Humor / Manga Humor / Satire
Schlagworte Alles ist besser als noch ein Tag mit dir • Am Arsch vorbei geht auch ein Weg • Der Totengräbersohn • Die Känguru-Offenbarung • Er ist wieder da • herman hesse • Muskelkater sucht Miezekatze • Sie haben ihr Ziel erreicht • Stefan Zweig • Thomas Mann
ISBN-10 80-273-0110-6 / 8027301106
ISBN-13 978-80-273-0110-2 / 9788027301102
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