Die schwarze Dame (eBook)
384 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-22666-4 (ISBN)
In den dunklen Gassen Prags fordert ein skrupelloser Killer seine Gegner zu einem teuflischen Spiel heraus ...
Andreas Gruber, 1968 in Wien geboren, lebt als freier Autor mit seiner Familie in Grillenberg in Niederösterreich. Mit seinen bereits mehrfach preisgekrönten und teilweise verfilmten Romanen steht er regelmäßig auf der Bestsellerliste.
KAPITEL 1
Die Moldau schlängelte sich wie ein silbergraues Band durch Prag und bildete mal hier, mal dort Inseln und Landzungen. Der Fluss teilte die alte Hauptstadt Böhmens in zwei Hälften, die durch mächtige jahrhundertealte Brücken miteinander verbunden waren. Langsam zerrissen die Nebelbänke über dem Fluss, während die Goldene Stadt aus ihrem Schlaf erwachte. Die Dächer funkelten in der Morgensonne. In den Straßen wurden die ersten Rollläden der Geschäfte hochgekurbelt, Baldachine ausgeklappt und Rattanstühle vor die Kaffeehäuser gestellt, während über der Stadt eine Maschine der Austrian Airlines in den Sinkflug ging.
Der Tag begann ausgezeichnet. Peter Hogart landete mit vierzig Minuten Verspätung in Prag, da wegen des dichten Verkehrs Dutzende Maschinen in einer Warteschleife über dem Flughafen kreisten. Noch bevor er den Autoschlüssel und die Papiere des für ihn reservierten Mietwagens beim Sixt-Stand abholte, zeigte er Alexandra Schellings Foto bei der Gepäckabholung, den Check-in-Schaltern, im Flughafenrestaurant sowie am Taxistand vor dem Terminal herum, aber niemand konnte sich an die Österreicherin mit dem roten Trolley erinnern. Die Fragerei brachte nichts, außer dass er sich wieder an die Fremdsprache gewöhnte und seinen verschütteten Wortschatz auffrischte.
Eine Stunde später saß er einen halben Kilometer entfernt in einer Tiefgarage hinter dem Lenkrad eines Audis. Verblüfft starrte er auf den CD-Player in der Mittelkonsole, dabei hatte er ausdrücklich einen Wagen mit Kassettendeck verlangt. Er warf seine Schachtel mit den Bändern von Duke Ellington und Muddy Waters auf den Rücksitz, die er umsonst im Handgepäck mitgeschleppt hatte. Zudem war der Audi nur zur Hälfte aufgetankt, und der Fahrersitz ließ sich nicht verstellen. Irgendein Idiot hatte den Riegel abgebrochen.
Nach einem kurzen Stopp an der Flughafen-Tankstelle schaltete er einen tschechischen Radiosender ein und faltete seine Straßenkarte auf dem Beifahrersitz auseinander, um den raschesten Weg aus dem Labyrinth des Geländes zu finden. Erst als er sich auf der Schnellstraße in das vierzehn Kilometer entfernte Stadtzentrum befand, besserte sich seine Laune. Das Wetter in Prag war eine Spur freundlicher als in Wien, windstill und spätsommerlich warm. Trotzdem waren nur wenige Menschen in der Prager Altstadt unterwegs, einige davon Touristen, bepackt mit Stadtplänen und Fotoapparaten. Der Anblick erinnerte ihn an die Zeit, als er selbst durch Prag getrampt war. Damals hatte er sich nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Stadt bewegt, was auch jetzt klüger gewesen wäre. Nach mehreren Runden fand er einen Parkplatz zwischen der Karlsbrücke und dem Wenzelsplatz, gut zehn Gehminuten von seinem Hotel entfernt. Zwar war Prag keine gänzlich unbekannte Stadt für ihn, dennoch lag sein jüngster Besuch ziemlich lange zurück. Vieles hatte sich in den letzten zwanzig Jahren verändert. Nur ein paar Straßennamen klangen vertraut, der Rest wirkte genauso fremd wie das nur teilweise verständliche Gerede der Menschen.
An Hogarts Unterkunft hatte sein Auftraggeber nicht gespart. Das gelbe vierstöckige Jugendstilgebäude des Hotel Ventana lag in der Celetna, unmittelbar vor dem Altstädter Ring, dem Platz mit den meisten Sehenswürdigkeiten. Im obersten Stock, direkt unter dem Dach, bezog er eine Suite mit Balkon und Ausblick auf die Fußgängerzone. Es war dasselbe Zimmer, in dem bereits vier Wochen zuvor Alexandra Schelling untergebracht worden war. Von Tereza, der Dame am Empfang mit der niedlichen Pagenfrisur, die einwandfreies Deutsch sprach, erfuhr er, dass das Zimmer seit Schellings Abreise fünfmal vermietet gewesen war. Demnach hatte das Personal die Räume entsprechend oft gereinigt – und bestimmt alle interessanten Spuren beseitigt. Trotzdem durchsuchte er das Bad, den Wohnraum und die Schränke des Schlafzimmers nach Hinweisen – ergebnislos. Weder im Safe noch unter dem Fernsehgerät, in der Minibar oder der Klimaanlage hatte Schelling eine Nachricht hinterlassen – und erst recht nicht im Toilettenspülkasten oder im Batteriefach der TV-Fernbedienung, wo er in einer brenzligen Situation selbst eine Botschaft versteckt hätte. Anscheinend hatte Rasts Nichte nicht geahnt, dass sie möglicherweise beobachtet worden war oder auf der Abschussliste jener Versicherungsbetrüger stand, mit denen sie sich angelegt hatte.
Nachdem Hogart seinen Koffer ausgepackt hatte, ging er auf den Balkon, um eine Zigarette zu rauchen, wie immer, wenn er nachdenken wollte. Ferner Autolärm drang zwischen den Häusern heran. Während er überlegte, wo er mit der Suche beginnen sollte, füllte sich die Fußgängerzone mit Menschen. Der Altstädter Ring war ein gigantischer Platz, gesäumt von Gebäuden aller Epochen. Der Ausblick auf die Spitzgiebel, Uhrtürme und Erker erinnerte ihn an die Aussicht von der Prager Burg. Das letzte Mal war er mit Turnschuhen und Rucksack hier gewesen, ein Interrail-Ticket in der Hand und nichts weiter als fünfhundert Kronen in der Tasche. Drei Monate lang hatte er an den Wochenenden in verschiedenen Restaurants die Küche geschrubbt, Bierkisten geschleppt und Toiletten gesäubert, um das Geld für die Jugendherberge zu verdienen. Wahrscheinlich gab es die meisten Lokale nicht mehr, in denen er früher gearbeitet und literweise schwarzen Kaffee getrunken hatte. Am Ende seines Tramperurlaubs war sein Visum längst abgelaufen gewesen, und die österreichische Botschaft musste seine Ausreise mit dem Zug organisieren. Wie hatte sein Vater damals getobt und ihn einen leichtsinnigen Bengel genannt! Aber diese Erlebnisse konnte ihm keiner nehmen, und er war sogar ein wenig stolz darauf. Zum Glück war er heute, als Mann am Beginn einer Midlife-Crisis, nicht ganz so verbohrt und konservativ wie sein Vater damals. In ihm loderte immer noch diese Abenteuerlust, wenn es darum ging, ein Rätsel zu lösen oder Verbrecher zur Strecke zu bringen.
Das Läuten des Handys riss ihn aus den Gedanken. Auf dem Display erschien die Nummer seines Bruders. Kurt, knapp drei Jahre jünger als er, führte eine Praxis als Chiropraktiker in der Wiener Innenstadt und hatte alles, was Hogart nicht besaß: ein Haus, eine Familie und ein regelmäßiges Einkommen. Aber Kurt hatte auch Probleme, um die ihn Hogart nicht beneidete – vor allem mit dem Finanzamt und mit seiner Frau.
»Hallo, Kurt.«
»Hallo, mein Großer!« Kurts Stimme klang entspannt, und in diesem Fall konnte man darauf wetten, dass er gut gelaunt war. »Besuchst du uns heute zum Abendessen?«
»Ich bin eben erst in Prag angekommen.«
»Was machst du in Prag? Nach Schellacks und einer signierten Kafka-Biografie stöbern? Hast du doch schon alles!«
»Ein Auftrag.« Mehr wollte Hogart nicht verraten. »Wie geht es deiner Frau?«
»Du kannst einem die Stimmung vermiesen! Keine Ahnung.«
»Und Tatjana?«
»Wie soll es der Göre schon gehen? Sie ist drauf und dran, sich ein Nabelpiercing stechen zu lassen … sieht bestimmt hässlich aus, auf ihrem fetten Bauch … Aua! Sie steht neben mir, schönen Gruß!«
»Danke.« Hogart musste grinsen. Tatjana, Kurts siebzehnjährige Tochter, war alles andere als fett. Sie fuhr eine blitzblaue aufgemotzte Aprilia, trainierte zweimal in der Woche in einer Boxhalle und spielte Bass in einer Punkband, die Johnny Depp hieß. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie und ihre Bandkolleginnen sich neben dem Gothic-Tattoo auch ein Piercing stechen ließen. Doch trotz ihres wilden Aussehens war sie blitzgescheit und seit der ersten Klasse Vorzugsschülerin. Sonst hätte ihr Kurt die Eskapaden nie durchgehen lassen.
»Tatjana und ich hatten eigentlich geplant, uns einen Familienabend mit dir zu gönnen. Es gibt Lasagne, und außerdem hat sie bei einem Bandwettbewerb eine Espressomaschine gewonnen, die macht sogar Cappuccino mit Vanillegeschmack.«
»Scheußlich!«
»Obendrein läuft heute Der dritte Mann im Fernsehen. He, mein Großer, Der dritte Mann!«
Er überragte Kurt nicht nur um eine halbe Kopflänge, sein Bruder nannte ihn auch deshalb Großer, weil er der Ältere war. Hogart hatte es zwar nie zu einer Familie und einem Haus gebracht, trotzdem war er in Kurts Augen immer noch der erwachsenere von beiden, und daran würde sich wohl nie etwas ändern. »Verlockend, aber es geht nicht. Ich komme erst in vier Tagen zurück.«
»Vier Tage? Das heißt, du bist morgen nicht auf dem Flohmarkt?«
»Das heißt es!«
»Übernimmt Conrad deinen Stand?«
»Hab vergessen, ihn anzurufen!«
»Hast du meine Edgar-Wallace-Filme schon verkauft?«
»Wie denn, wenn ich in Prag bin?«
»Schon klar, klingt nach Arbeit … Tatjana möchte wissen, worum es bei deinem Fall geht. Oder kannst du etwa im Moment nicht reden?« Kurt begann zu flüstern. »Hält dir jemand eine Knarre an die Schläfe?«
»Es geht um Ölgemälde.«
»Du und Gemälde? Konnten die für den Job keinen anderen finden?«
Hogart hörte, wie sie im Hintergrund kicherten.
»Leute, ich muss Schluss machen, ich rufe an, wenn ich wieder zurück bin.« Er trennte die Verbindung.
Der letzte gemeinsame Abend mit seinem Bruder lag bereits Monate zurück. Dieses Treffen mit Kurt und Tatjana hätte ihn möglicherweise für ein paar Stunden aus seinem Arbeitstrott gerissen und vor allem Eva vergessen lassen, die ihm nach wie vor ständig durch den Kopf spukte. Immer waren es Frauen, deretwegen man sich das Hirn zermarterte. Mittlerweile ging es seinem Bruder nicht anders. Kurt verstand sich mit seiner Tochter großartig, doch mit seiner...
Erscheint lt. Verlag | 18.12.2017 |
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Reihe/Serie | Peter Hogart ermittelt | Peter Hogart ermittelt |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Angebot • eBooks • Golem • günstig • Heimatkrimi • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Kunstraub • Neuheit • Österreich • Peter Hogart • Prag • Privatdetektiv • Schach • Schachthriller • Thriller • Todesfrist • Todesmal • Versicherungsbetrug • Wien |
ISBN-10 | 3-641-22666-X / 364122666X |
ISBN-13 | 978-3-641-22666-4 / 9783641226664 |
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