Frau Regel Amrain und ihr Jüngster -  Gottfried Keller

Frau Regel Amrain und ihr Jüngster (eBook)

Novelle

(Autor)

Jürgen Schulze (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2024 | 2. Auflage
80 Seiten
Null Papier Verlag
978-3-96281-275-1 (ISBN)
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Neue Deutsche Rechtschreibung Gottfried Keller (19.07.1819-15.07.1890) war ein Schweizer Dichter und Staatsbeamter. Man kann ohne Zweifel sagen, dass Gottfried Keller der wichtigste Autor der Schweiz im 19. Jahrhundert war. Wegen eines Dummejungenstreiches von einer höheren Schulbindung oder gar einem Studium ausgeschlossen, fand der Halbwaise über den Umweg der Lehre zum Landschaftsmaler doch noch zur Literatur. Er hinterlässt ein großes Werk an Gedichten, Dramen, Novellen und Romanen. Null Papier Verlag

Gottfried Keller (19.07.1819-15.07.1890) war ein Schweizer Dichter und Staatsbeamter. Man kann ohne Zweifel sagen, dass Gottfried Keller der wichtigste Autor der Schweiz im 19. Jahrhundert war. Wegen eines Dummejungenstreiches von einer höheren Schulbindung oder gar einem Studium ausgeschlossen, fand der Halbwaise über den Umweg der Lehre zum Landschaftsmaler doch noch zur Literatur. Er hinterlässt ein großes Werk an Gedichten, Dramen, Novellen und Romanen.

Gottfried Keller (19.07.1819–15.07.1890) war ein Schweizer Dichter und Staatsbeamter. Man kann ohne Zweifel sagen, dass Gottfried Keller der wichtigste Autor der Schweiz im 19. Jahrhundert war. Wegen eines Dummejungenstreiches von einer höheren Schulbindung oder gar einem Studium ausgeschlossen, fand der Halbwaise über den Umweg der Lehre zum Landschaftsmaler doch noch zur Literatur. Er hinterlässt ein großes Werk an Gedichten, Dramen, Novellen und Romanen.

Frau Regel Amrain und ihr Jüngster

Frau Regel Amrain und ihr Jüngster


Re­gu­la Am­rain war die Frau ei­nes ab­we­sen­den Seld­wy­lers; die­ser hat­te einen großen Stein­bruch hin­ter dem Städt­chen be­ses­sen und sei­ne Zeit lang aus­ge­beu­tet, und zwar auf Seld­wy­ler Art. Das gan­ze Nest war bei­na­he aus dem gu­ten Sand­stein ge­baut, aus wel­chem der Berg be­stand; aber das Schul­den­we­sen, das auf den Häu­sern ruh­te, hat­te von je­her recht ei­gent­lich schon mit den Stei­nen be­gon­nen, aus de­nen sie ge­baut wa­ren; denn nichts schi­en den Seld­wy­lern so wohl ge­eig­net als Stoff und Ge­gen­stand ei­nes mun­tern Ver­kehrs als ein sol­cher Stein­bruch, und der­sel­be glich ei­ner in Fel­sen ge­haue­nen rö­mi­schen Schau­büh­ne, über wel­che die Be­sit­zer em­sig hin­weg­lie­fen, ei­ner den an­dern ja­gend.

Herr Am­rain, ein an­sehn­li­cher Mann, der eine an­sehn­li­che Men­ge Fleisch, Fi­sche und Wein ver­zeh­ren muss­te und mäch­ti­ge Stücke Sei­den­zeug zu sei­nen brei­ten schö­nen Wes­ten brauch­te, him­melblaue, kirsch­ro­te und groß­ar­tig ge­wür­fel­te, war ur­sprüng­lich ein Knopf­ma­cher ge­we­sen und hat­te auch die eine und an­de­re Stun­de des Ta­ges Knöp­fe be­spon­nen. Als er aber mit den Jah­ren gar so fest und breit wur­de, sag­te ihm die sit­zen­de Le­bens­art nicht mehr zu, und als er über­haupt den rech­ten Phä­aken­auf­schwung ge­nom­men: die rote Sam­met­wes­te, die gol­de­ne Uhr­ket­te und den Sie­gel­ring, li­qui­dier­te er die Knopf­ma­che­rei und über­nahm in ei­ner wich­ti­gen Haupt­sit­zung der Seld­wy­ler Spe­ku­lan­ten je­nen Stein­bruch. Nun hat­te er die an­ge­mes­se­ne be­weg­li­che Le­bens­wei­se ge­fun­den, in­dem er mit ei­ner ro­ten Brief­ta­sche voll Pa­pie­re und ei­nem ele­gan­ten Spa­zier­stock, auf wel­chem mit sil­ber­nen Stif­ten ein Zoll­maß an­ge­bracht war, etwa in den Stein­bruch hin­aus lust­wan­del­te, wenn das Wet­ter lieb­lich war, und dort mit dem be­sag­ten Sto­cke an den ver­pfän­de­ten Stein­la­gern her­um­sto­cher­te, den Schweiß von der Stirn wisch­te, in die schö­ne Ge­gend hin­aus­schau­te und dann schleu­nigst in die Stadt zu­rück­kehr­te, um den ei­gent­li­chen Ge­schäf­ten nach­zu­ge­hen, dem Um­satz der ver­schie­de­nen Pa­pie­re in der Brief­ta­sche, was in den küh­len Gast­stu­ben auf das bes­te vor sich ging. Kurz, er war ein voll­kom­me­ner Seld­wy­ler bis auf die po­li­ti­sche Verän­der­lich­keit, wel­che aber die Ur­sa­che sei­nes zu frü­hen Fal­les wur­de. Denn ein kon­ser­va­ti­ver Ka­pi­ta­list aus ei­ner Finanz­stadt, wel­cher kei­nen Spaß ver­stand, hat­te auf den Stein­bruch ei­ni­ges Geld her­ge­ge­ben und da­mit ge­glaubt, ei­nem wa­ckern Par­t­ei­ge­nos­sen un­ter die Arme zu grei­fen. Als da­her Herr Am­rain in ei­nem An­fall gänz­li­cher Ge­dan­ken­lo­sig­keit ei­nes Ta­ges höchst ver­fäng­li­che li­be­ra­le Re­dens­ar­ten ver­neh­men ließ, wel­che ruch­bar wur­den, er­zürn­te sich je­ner Herr mit Recht; denn nir­gends ist po­li­ti­sche Ge­sin­nungs­lo­sig­keit wi­der­wär­ti­ger als an ei­nem großen di­cken Man­ne, der eine bun­te Sam­met­wes­te trägt! Der er­bos­te Gön­ner zog da­her jäh­lings sein Geld zu­rück, als kein Mensch dar­an dach­te, und trieb da­durch vor der Zeit den be­stürz­ten Am­rain vom Stein­bruch und in die Welt hin­aus.

Man wird sel­ten se­hen, dass es großen schwe­ren Män­nern schlecht er­geht, weil sie eine durch­grei­fen­de und über­zeu­gen­de Gabe be­sit­zen, für ih­ren an­spruchs­vol­len Kör­per­bau zu sor­gen, und die Nah­rungs­mit­tel kön­nen sich dem­sel­ben nicht lan­ge ent­zie­hen, son­dern wer­den von dem Ma­gnet­ge­bir­ge des Bau­ches mäch­tig an­ge­zo­gen. So fraß sich der land­flüch­ti­ge Am­rain auch glück­lich durch die Fer­nen; und ob­gleich er nichts Gro­ßes mehr wur­de, aß und trank er doch ir­gend­wo in der Frem­de so weid­lich wie zu Hau­se.

Doch den Seld­wy­lern, wel­che jetzt rat­schlag­ten, wel­cher von ih­nen nun am taug­lichs­ten wäre, eine Zeit lang die Hon­neurs am Stein­bruch zu ma­chen, wur­de aber­mals ein Strich durch die Rech­nung ge­zo­gen, als die zu­rück­ge­blie­be­ne Ehe­frau des Herrn Am­rain un­er­war­tet ih­ren Fuß auf den Sand­stein setz­te und kraft ih­res her­zu­ge­brach­ten Wei­ber­gu­tes den Stein­bruch an sich zog und er­klär­te, das Ge­schäft fort­set­zen und mög­li­cher­wei­se die Gläu­bi­ger ih­res Man­nes be­frie­di­gen zu wol­len. Sie tat dies erst, als der­sel­be schon jen­seits des At­lan­ti­schen Welt­meers war und nicht mehr zu­rück­kom­men konn­te. Man such­te sie auf jede Wei­se von die­sem Vor­ha­ben ab­zu­brin­gen und zu hin­dern; al­lein sie zeig­te eine sol­che Ent­schlos­sen­heit, Rüh­rig­keit und Be­son­nen­heit, dass nichts ge­gen sie aus­zu­rich­ten war und sie wirk­lich die Be­sit­ze­rin des Stein­bru­ches wur­de. Sie ließ flei­ßig und or­dent­lich dar­in ar­bei­ten un­ter der Lei­tung ei­nes gu­ten frem­den Werk­füh­rers und grün­de­te zum ers­ten Mal die Un­ter­neh­mung, statt auf den Schein­ver­kehr, auf wirk­li­che Pro­duk­ti­on. Hieran woll­te man sie nun erst recht be­hin­dern; al­lein es war nicht ge­gen sie auf­zu­kom­men, da sie als Frau und spar­sa­me Mut­ter kei­ne Aus­ga­ben hat­te, im Ver­gleich zu den Her­ren von Seld­wy­la, und da­her auf die ein­fachs­te Wei­se im­stan­de war, alle Stür­me ab­zu­schla­gen und alle be­grün­de­ten For­de­run­gen zu be­zah­len. Aber den­noch hielt es schwer, und sie muss­te Tag und Nacht mit Mut, List und Kraft bei der Hand sein, sin­nen und sor­gen, um sich zu be­haup­ten.

Frau Re­gel hat­te von aus­wärts in das Städt­chen ge­hei­ra­tet und war eine sehr fri­sche, große und hand­fes­te Dame mit kräf­ti­gen schwar­zen Haar­flech­ten und ei­nem fes­ten dunklen Blick. Von ih­rem Man­ne hat­te sie drei Bu­ben von un­ge­fähr zehn, acht und fünf Jah­ren, wel­che sie oft­mals auf­merk­sam und ernst­haft be­trach­te­te, dar­über sin­nend, ob die­sel­ben auch wert sei­en, dass sie das Haus für sie auf­recht­hal­te, da sie ja doch Seld­wy­ler wä­ren und blei­ben wür­den. Doch weil die Bur­schen ein­mal ihre Kin­der wa­ren, so ließ die Ei­gen­lie­be und die Mut­ter­lie­be sie im­mer wie­der einen gu­ten Mut fas­sen, und sie trau­te sich zu, auch in die­ser Sa­che das Steu­er am Ende an­ders zu len­ken, als es zu Seld­wyl Mode war.

In sol­che Ge­dan­ken ver­sun­ken, saß sie einst nach dem Nachtes­sen am Ti­sche und hat­te das Ge­schäfts­buch und eine Men­ge Rech­nun­gen vor sich lie­gen. Die Bu­ben la­gen im Bet­te und schlie­fen in der Kam­mer, de­ren Türe of­fen­stand, und sie hat­te eben die drei schla­fen­den klei­nen Ge­sel­len mit der Lam­pe in der Hand be­trach­tet und be­son­ders den kleins­ten Kerl ins Auge ge­fasst, der ihr am we­nigs­ten glich. Er war blond, hat­te ein keckes Stumpf­näs­chen, wäh­rend sie eine ernst­haf­te gra­de lan­ge Nase be­saß, und statt ih­res streng ge­schnit­te­nen Mun­des zeig­te der klei­ne Fritz trot­zig auf­ge­wor­fe­ne Lip­pen, selbst wenn er schlief. Dies hat­te er al­les vom Va­ter, und es war das ge­we­sen, was ihr eben so wohl ge­fal­len hat­te, als sie ihn...

Erscheint lt. Verlag 12.12.2024
Reihe/Serie Klassiker bei Null Papier
Klassiker bei Null Papier
Verlagsort Neuss
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Freischärler • Kanton • Lyrik • Malerei • Schweiz • Stadtschreiber • Vormärz • Zürich
ISBN-10 3-96281-275-X / 396281275X
ISBN-13 978-3-96281-275-1 / 9783962812751
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