Das Schlampenbuch (eBook)

(Autor)

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2017 | 1. Auflage
142 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-688-10787-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Schlampenbuch -  Milena Moser
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Sie zahlen es niederträchtigen Liebhabern und verlogenen Showmastern heim; sie treiben in Boutiquen, Fitness-Studios und Straßenbahnen finstere Dinge, die einer properen Dame nicht im Traum einfielen (- oder nur im Traum?); sie spielen gnadenlos mit Messer, Schere, Gift: Wenn Pippi Langstrumpf und die Rote Zora je erwachsen geworden wären, müßten ihre Leben denen von Milena Mosers Schlampen verflucht ähnlich sein.

Milena Moser wurde 1963 in Zürich geboren. Sie absolvierte eine Buchhändlerlehre und schrieb für Schweizer Rundfunkanstalten. 1990 erschienen ihre Kurzgeschichten «Gebrochene Herzen oder Mein erster bis elfter Mord». Ein Jahr später schrieb sie ihren ersten Roman, «Die Putzfraueninsel», der sich schnell zum Bestseller entwickelte und dessen Kino-Verfilmung preisgekrönt wurde. Es folgten weitere erfolgreiche Romane. Nachdem Milena Moser acht Jahre in San Francisco gewohnt hat, lebt sie nun mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern wieder in der Schweiz.

Milena Moser wurde 1963 in Zürich geboren. Sie absolvierte eine Buchhändlerlehre und schrieb für Schweizer Rundfunkanstalten. 1990 erschienen ihre Kurzgeschichten «Gebrochene Herzen oder Mein erster bis elfter Mord». Ein Jahr später schrieb sie ihren ersten Roman, «Die Putzfraueninsel», der sich schnell zum Bestseller entwickelte und dessen Kino-Verfilmung preisgekrönt wurde. Es folgten weitere erfolgreiche Romane. Nachdem Milena Moser acht Jahre in San Francisco gewohnt hat, lebt sie nun mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern wieder in der Schweiz.

Der Haarschnitt


Sie saß bei Edith in der Küche, ein dünnes Handtuch um die Schultern gelegt, ihr Haar klebte naß im Nacken. Edith zog langsam mit dem Kamm Strähne für Strähne hoch und schnitt ein Stück ab.

Nicht zuviel, bitte, mahnte Greta.

Edith nickte konzentriert. Eigentlich war sie die Hausmeisterin, aber sie kümmerte sich auch um persönliche Dinge, wie die Beantwortung amtlicher Briefe, Beratung in Kleiderfragen vor wichtigen Verabredungen oder eben einen neuen Haarschnitt. Greta mußte am nächsten Tag wegen einer Stelle vorsprechen. Sie war etwas nervös, denn die letzten neun Male war sie abgelehnt worden. Sie war seit einem halben Jahr arbeitslos, und die Frau auf dem Amt behandelte sie, als mache sie es mit Absicht. Jedesmal, wenn es bei einem Vorstellungsgespräch nicht geklappt hatte, wollte sie am nächsten Morgen ganz genau wissen, was Greta gesagt habe, wie sie ausgesehen, was sie angehabt und wie sie auf die einzelnen Fragen reagiert habe. Sie ließ sich sogar vormachen, in welcher Haltung sie dagesessen hatte, Beine gekreuzt oder sittsam nebeneinander, verkehrt war es ohnehin. Sie hatte so eine Art, die Augenbrauen hochzuziehen, als wollte sie sagen, es sei einfach ganz und gar hoffnungslos. Jedenfalls wollte Greta morgen ordentlich aussehen, und einen richtigen Haarschnitt konnte sie sich im Moment nicht leisten. Sie hätte sich gern von Edith beraten lassen. Sie waren beinahe befreundet, soweit es der Altersunterschied von vierzig Jahren zuließ. Doch an diesem Abend war Edith ungewöhnlich still und angespannt.

Gerade zog sie mit dem Kamm eine neue Strähne hoch, als es an der Tür klingelte. Sie hielt in der Bewegung inne, legte den Kopf schräg und lauschte. Es war schon nach dem Abendessen, gegen neun, halb zehn. Etwas spät für Besuch. Zögernd schnitt sie in die Haarsträhne, ließ die Schere dann sinken.

Geh nur, sagte Greta, bevor du mir ein Ohr abschneidest.

Das hätte ein Scherz sein sollen. Doch Edith war zu gespannt, um zu lachen. Sie steckte die Strähne auf Gretas Kopf fest, die Haarnadel piekste in ihre Kopfhaut. Sie ging und öffnete die Tür. Leo! rief Edith.

Wie du siehst, antwortete eine rauhe, etwas schleppende Stimme. Greta verrenkte sich den Hals, konnte aber nichts sehen.

Leo! wiederholte Edith fassungslos, ja, haben sie dich …

Dann hörte sie einen Augenblick lang nichts mehr und dann Ediths Stimme, unmerklich verändert: Nicht jetzt!

Sie zog die Augenbrauen hoch. Edith, die unscheinbare ältliche Edith hatte also einen Liebhaber. Mit einer einnehmenden Stimme und einem romantisch, beinahe gefährlich klingenden Namen. Leo.

Als Edith zurückkam, schimmerten ihre Wangen rosig, und ihr Blick wich dem Gretas aus. Mechanisch löste sie die Haarklemmen.

Au! schrie Greta aus reinem Trotz.

Oh, entschuldige, habe ich dir weh getan?

Ja, allerdings!

Verwirrt fuhr Edith fort, Strähne für Strähne abzuschneiden, ohne überhaupt darauf zu achten, daß sie auch nur einigermaßen gleich lang wurden. Greta bemerkte es nicht. Sie verhakte ihre Finger ineinander und zog daran, bis die Gelenke knackten. Warum bin ich so allein, dachte sie, warum klingelt nie ein Leo an meiner Tür, oder überhaupt jemand?

Hör auf damit, sagte Edith, das kann ich nicht mitanhören. Greta entflocht ihre Finger.

Ist er das? fragte sie scheinbar gleichgültig.

Wer?

Na, der Sträfling, von dem du mir erzählt hast.

Sie sagte es absichtlich so brutal wie möglich.

Edith zuckte zusammen und blickte reflexartig auf ihre Schlafzimmertür. Schscht, mahnte sie freundlich, ja, das ist er. Er ist heute entlassen worden …

Greta nickte. Ihr Mund verzog sich unwillig. Ich wußte gar nicht, daß ihr so gut miteinander steht?

Edith errötete zart.

Ich eigentlich auch nicht, wisperte sie, aber in all den Monaten, in denen wir uns Briefe schreiben, sind wir uns natürlich schon ein wenig nähergekommen.

Ach! Na gut, ich kann auch später wiederkommen, wenn du Besuch hast, sagte Greta mit einem bitteren Unterton, den sie selber hören konnte. Aber nein, wir sind ja gleich fertig, und wenn du den Fön mit nach oben nimmst …

Das tat sie immer, seit ihr Edith einmal die Kopfhaut versengt hatte. Trotzdem fühlte sie sich an diesem Abend abgeschoben.

Sie biß die Zähne zusammen und nickte heftig mit dem Kopf. Das hätte sie nicht tun sollen. Edith schrie leise auf, ließ die Schere fallen und preßte den Daumen an die Lippen. Etwas Blut tropfte über ihr Kinn.

Die Tür sprang auf.

Liebling, ist etwas passiert?

Mit drei Sätzen war er bei ihr, Leo der Besucher. Er hatte in der kurzen Zeit bereits sein Hemd ausgezogen und stand in grauer Hose und Strümpfen vor ihnen. Er war jünger als Edith, viel jünger, groß und seltsam anziehend, mit seinem unrasierten Gesicht, dem schmutzigen, strähnigen Haar und den gelben Augen. Ein strenger Geruch ging von ihm aus, vor allem, wenn er sich bewegte.

Er nahm Ediths Hand. Edith errötete.

Nein, nein, es ist nichts.

Er untersuchte ihren Daumen, küßte ihn und leckte die Blutstropfen ab. Dazu sah er ihr tief in die Augen. Sie sah aus, als würde sie jeden Moment in Ohnmacht fallen. Greta stand auf. Sie hatte die Szene schon im Fernsehen gesehen.

Oh, entschuldige, rief Edith, das ist Leo, ein alter Bekannter von mir, Greta, meine Nachbarin.

Sie nickten sich zu, abwägend, mißtrauisch. Ein Moment verging in der Stille. Plötzlich veränderte sich seine Haltung. Er trat einen Schritt auf Greta zu, griff in ihre nassen Haare und rief: Um Himmels willen, was ist denn mit Ihnen passiert!

Warum?

Unsicher betastete sie ihren Kopf, dabei berührte ihre Hand die seine. Sie zog sie sofort zurück.

Da fehlt ja eine ganze Strähne. So geht das nicht, so können Sie nicht unter die Leute. Setzen Sie sich.

Sie gehorchte, während Edith an den Herd zurückwich. Schweigend beobachtete sie die beiden. Ab und zu steckte sie ihren Daumen in den Mund.

Leo begann, Gretas Haar neu zu schneiden. Er tat es mit leichter Hand, gekonnt. Leise rieselten seine Worte über ihren Nacken. Sie schloß die Augen. Als er fertig war, hatte sie kurze Haare. Sie betrachtete sich im Spiegel. Sie sah wieder genauso aus wie an ihrem letzten Schultag. Jung. Zuversichtlich. Ihr Blick begegnete seinem. Ihre Augen brannten große Löcher in den Spiegel. Sie drehte sich um. Er stand ganz dicht vor ihr.

Gut, sagte sie schroff. Was schulde ich Ihnen?

Edith schien wieder zu erwachen.

Aber Greta! Du weißt doch, daß du mir nichts schuldest!

Sie lächelte etwas gezwungen.

Also dann, vielen Dank.

Sie streckte eine Hand aus. Leo nahm sie, drückte sie, preßte sie zusammen. Sie konnte sich nicht rühren.

Edith ging zum Küchenschrank, nahm den Fön heraus und trat entschlossen zwischen sie.

Hier.

Sie schlug den Fön leicht vor Gretas Brust. Diese wich einen Schritt zurück, ließ Leos Hand los und nahm den Fön an sich.

Greta fönt ihre Haare immer oben, erklärte Edith ihrem Freund. Freundlich nickend, aber nicht mehr fähig, einen einzigen Ton zu sagen, verließ Greta die Wohnung.

Edith schloß mit spürbarer Erleichterung die Tür hinter ihr.

Greta setzte sich vor den Fernseher und trank heiße Milch mit Whisky. Sie versuchte, an nichts zu denken, vor allem nicht an das Vorstellungsgespräch am nächsten Morgen. Als sie gerade den Sender wechseln wollte, hörte sie ein langgezogenes Heulen. Wie von einer Katze. Sie drehte den Ton lauter.

Als das Programm längst beendet war, saß sie immer noch da und starrte auf die flimmernden Punkte.

Sie bekam die Stelle und einen Vorschuß. Sie kaufte eine Flasche Champagner, einen Strauß gelber Rosen und eine Schachtel Konfekt. Sie machte große Schritte und schwang die beiden Einkaufstüten im Takt. Als sie ihr Spiegelbild in einer Schaufensterscheibe sah, hätte sie sich beinahe nicht erkannt. Es mußte an den kurzen Haaren liegen.

An der Straßenecke unten vor dem Haus lag der Sperrmüll bereit. Automatisch bückte sie sich nach einem beinahe neu aussehenden Dampfkochtopf, als ihr plötzlich klar wurde, daß sie das nicht mehr nötig hatte. In drei Wochen würde ihr erstes Gehalt überwiesen. Sie konnte sich einen neuen Dampfkochtopf kaufen, wenn sie einen brauchte. Sie stand vor den Abfallbergen und ließ ihre Pakete baumeln. Sie gehörte also wieder zu dieser Welt. Doch wen interessierte das? Sie ging eine Treppe hoch und klingelte bei Edith.

Niemand antwortete.

Sie klingelte noch einmal.

Es war beinahe Mittag. Edith mußte wach sein, Besuch hin oder her.

Endlich öffnete sie.

Ihr Morgenrock war zerrissen, ihr linkes Auge geschwollen, ihre Lippe geplatzt. Aber das war noch nicht das Schlimmste. Ihr Blick war völlig leer. Greta griff nach ihrer Schulter, ihre Hand krallte sich in den Frotteestoff. Sie schob sie in ihre Wohnung und schloß die Tür hinter ihnen.

Edith! Was ist passiert!

Edith schien durch sie hindurchzusehen, dann ging ein kleiner Ruck durch ihren Körper.

Oh, Greta, wie nett.

Ja.

Fassungslos stellte sie ihre Geschenke auf den Tisch.

Champagner! Heißt das, du hast die Stelle bekommen?

Edith war genauso wie immer, freundlich und ein bißchen schüchtern. Sie setzten sich an den Küchentisch. Greta mühte sich mit dem Champagnerkorken ab.

Dein Freund schläft noch? fragte sie scheinbar gleichgültig.

Oh ja, er schläft noch. Willst du ihn sehen?

Ihn sehen? Wie meinst du das?

Ja, komm mit! Komm ruhig!

Edith nahm sie an der Hand und führte sie ins Schlafzimmer, wo der schöne Leo auf dem Bett lag, nackt, auf dem Rücken ausgestreckt, die Augen zur Decke gedreht. Die Haarschneideschere...

Erscheint lt. Verlag 15.12.2017
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Frauen • Humor • lustige Geschichten
ISBN-10 3-688-10787-X / 368810787X
ISBN-13 978-3-688-10787-2 / 9783688107872
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