Erkenne dich selbst (eBook)
95 Seiten
Null Papier Verlag
978-3-96281-158-7 (ISBN)
Paul Heyse (1830-1914) ist ein Mitglied der Riege deutscher Literaturnobelpreisträger. Er bekam den Preis 1910 als erster deutscher Dichter überhaupt verliehen - Mommsen (1902) war Historiker. Theodor Fontane glaubte 1890, dass Heyse seiner Epoche »den Namen geben« und ein »Heysesches Zeitalter« dem Goetheschen folgen werde. Heyse war Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Er pflegte zahlreiche Freundschaften und war auch als Gastgeber berühmt. Viele seiner Novellen siedelte Heyse in seiner Wahlheimat Italien an.
Paul Heyse (1830-1914) ist ein Mitglied der Riege deutscher Literaturnobelpreisträger. Er bekam den Preis 1910 als erster deutscher Dichter überhaupt verliehen – Mommsen (1902) war Historiker. Theodor Fontane glaubte 1890, dass Heyse seiner Epoche »den Namen geben« und ein »Heysesches Zeitalter« dem Goetheschen folgen werde. Heyse war Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Er pflegte zahlreiche Freundschaften und war auch als Gastgeber berühmt. Viele seiner Novellen siedelte Heyse in seiner Wahlheimat Italien an.
Erkenne dich selbst
Erkenne dich selbst
Seit einer Woche war ich in Florenz und befand mich dort von Herzen wohl. Denn die Stadt vereinigt farbiges nationales Leben in aller schönen Ungebundenheit des Südens mit einem hinlänglichen Maß jener modernen Bildung und geistigen Regsamkeit, ohne die dem Nordländer sein Dasein selbst in der lachendsten Szenerie, unter den liebenswürdigsten Naturmenschen auf die Länge wie ein Traum vorkommt. Auch die toskanische Reinlichkeit erquickt hier ein wohlerzogenes deutsches Gemüt nach so manchen römischen und neapolitanischen Drangsalen, ohne dass es doch an malerischen Lumpen und antiker Halbnacktheit gänzlich mangelte, zumal in der gesegneten Jahresmitte, wo ein Platen-fester Reisender weiß, dass man in Florenz »zur Kohle verglühn« kann, wenn man die landübliche Unbefangenheit sich nicht zu Nutze macht.
Dass ich in all diese Vorzüge des Florentiner Lebens sogleich eingeweiht werden sollte, dafür hatte mein Schutzgeist mit besonderem Wohlwollen gesorgt. Er führte mich bei meiner ersten Umschau nach einer Privatwohnung in ein sauberes, kühles Haus, dessen zweiter Stock von einer würdigen Witwe einzeln vermietet wurde. Die Magd wies mich in ein Hinterzimmer, aus dem mir ein rauhaariger kleiner Hund mit gesittetem, halblautem Bellen entgegenlief. Die Signora Eugenia selbst lag auf dem Sofa, in einer jedem kühleren Lufthauch, der sich durch die Jalousien stehlen wollte, äußert zugänglichen Haustracht. Selbst für einen Kenner des neapolitanischen Sommerkostüms war es verzeihlich, wenn er Abstand nahm, einzutreten, so sehr war diese bei den ersten Anfängen stehen geblieben und wesentlicher Ergänzung bedürftig. Die Dame indes schien nichts zu vermissen. Sie nahm ruhig eine Nadel, steckte das saubere Hemd über der Brust zusammen, zog die Füße in den weißen Strümpfen bescheiden und anmutig unter den Rock und bat mich mit freundlicher Handbewegung, den dadurch freigewordenen Sofaplatz einzunehmen, während sie selbst wie ein Murmeltier zusammengerollt in ihrer Ecke liegen blieb.
Ein gut Teil meiner Blödigkeit wich, als ich in dem Helldunkel des kühlen Gemachs mich von den gesetzten Jahren der Inhaberin überzeugte. Auf der wunderlich verschwommenen Figur saß ein starker Kopf, an das berühmte Birnenhaupt erinnernd, auf dem die französische Krone nicht haften wollte. Keine Art von Haube verunzierte den stattlichen Contour, und ein paar schwarze Locken hingen lose zu beiden Seiten auf die Schultern herab. Es hatte gar nichts Komisches, wenn sie bei jedem Schütteln des Hauptes, ohne welches die Signora kein Nein zu sagen vermochte, langsam hin und her pendelten. Auch die kleinen schwarzen Augen, die männliche Nase und der breite Mund – schätzbare Requisite eines Buffonengesichts – waren eines sehr majestätischen Ausdrucks fähig, besonders der Magd gegenüber, die, eine starkgliedrige Person, nicht viel besser als eine Leibeigene von ihrer Herrin gehalten wurde und vor einem ungnädigen Blicke derselben zitternd zusammenzuschrumpfen schien.
Die Signora hatte ein Buch weggelegt, als ich eintrat; ich konnte in dem grünen Jalousiendämmer nur sehen, dass es Verse waren. Eine kleine Ausgabe des Alfieri lag auf dem Tisch neben ihr, darüber und darunter ein bunter Haufe Journale und Zeitungen. Auch im Übrigen war in dem Zimmer von weiblichem Apparat wenig zu erblicken, nicht einmal ein Spiegel an der Wand; wogegen die Lage nach dem Hofe, die Stille und Kühle zur Meditation sehr einluden.
Ich fragte, ob noch ein ähnliches Zimmer frei stehe, worauf sie ruhig das Haupt schüttelte und mich im besten Toskanisch, fließend, aber nicht überflüssig, nach den Himmelsgegenden über die Vorzüge dieses einzigen Gemachs aufklärte. Doch stehe auf den übrigen Zimmern nur die Morgensonne, über Tag seien sie bis auf die Unruhe der Straße nicht minder behaglich als dieses. Sie werden begreifen, fuhr die Signora fort, ich gehe nie aus, außer ins Theater. Mein Zimmer ist mein Florenz; so muss ich es mir schon nach meinen Bedürfnissen aussuchen.
Die Magd wurde dann gerufen und geheißen, mich zu den leeren Zimmern zu führen. Sie selbst blieb bis auf eine entlassende Handbewegung unerschütterlich liegen. Ich bin noch nicht angezogen, Sie müssen verzeihen, sagte sie. Ich verbeugte mich und ging, die Magd pantoffelte voran; ein Gang durch den Korridor, den fünf oder sechs Türen vorbei, die alle offen standen, zeigte mir, dass ich noch die Wahl völlig frei hatte, und so wählte ich das mittelste Zimmer, wo mich ein kleiner runder Marmortisch mit vergoldetem Fuß aus der Ferne anlachte. Bei näherer Untersuchung teilte das Sofa dahinter freilich den Ruhm des Wagens, der mich von Siena hergebracht hatte: beide waren, wie sich der Vetturin schmunzelnd auszudrücken pflegte, »hart, aber reinlich«. Ich kehrte es seufzend um und sagte: Reinlich, aber – hart! Zum Glück ließ sich dem Bett dasselbe nachsagen, und das weiße, dicht schließende Netz gegen die Zanzaren, jene nächtlichen, geflügelten Blutsauger, beruhigte mich vollends darüber, dass ich eine Gelehrte zur Wirtin hatte.
Denn das war sie, wie mir die Magd, sobald wir allein waren, fast mit gefalteten Händen vertraute. »Alle Professoren in Florenz kennen und besuchen sie, und wenn ich über die Straße gehe, Signor, rufen sie mich an: Was macht Eure Herrin, Stella? oder: Grüßt die Signora Eugenia! dass ich ganz rot werde von der Ehre, eine dumme Person, wie ich bin. Ich bin auch eine Witwe, und mein seliger Mann, der ein Koch war, hat mir noch auf dem Sterbebette gesagt, der Kutscher seines Herrn Grafen, der Luigi habe ein Auge auf mich, ich solle mein Glück nicht von mir stoßen. Aber nein, Herr, ich halte was auf die Ehre, und wenn auch Manche sich nichts Besseres wünschen kann, als ihren Mann auf dem hohen Bock zu sehen, mit den Sammethosen und veilchenblauer Livree, – ich hatte schon als Jungfer bei der Signora gedient, und es ist besser, dacht’ ich, du gehst wieder zu ihr, die so viel Genie hat, und bleibst da bis an dein seliges Ende, wenn sie dich behalten will, eine dumme Person, wie du bist, als du lässest dich von dem Tölpel, dem Kutscher, schlagen, der nicht einmal Heu und Hafer zusammenrechnen kann. O Signor, wenn ich von nebenan höre, wie sie lauter so Sachen reden, die ich nicht kapiere, werde ich so stolz und zufrieden, wie ich nicht sein könnte, wenn mich auch der Kutscher des Großherzogs geheiratet hätte!«
So brauchte ich denn, wie ich nach...
Erscheint lt. Verlag | 12.12.2024 |
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Reihe/Serie | 99 Welt-Klassiker | 99 Welt-Klassiker |
Verlagsort | Neuss |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Schlagworte | Adel • Adolf Friedrich von Schack • Betrug • Doge • Dogen • Emanuel Geibel • Felix Dahn • Franz von Kobell • Friedrich Bodenstedt • Gondel • Hermann Lingg • Italien • Kaiser • König • Robert von Hornstein • Tyrannei • Untergang • Verrat • Wilhelm Heinrich Riehl • Wilhelm Hertz |
ISBN-10 | 3-96281-158-3 / 3962811583 |
ISBN-13 | 978-3-96281-158-7 / 9783962811587 |
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