Der Kinder Sünde, der Väter Fluch (eBook)
148 Seiten
Null Papier Verlag
978-3-96281-128-0 (ISBN)
Paul Heyse (1830-1914) ist ein Mitglied der Riege deutscher Literaturnobelpreisträger. Er bekam den Preis 1910 als erster deutscher Dichter überhaupt verliehen - Mommsen (1902) war Historiker. Theodor Fontane glaubte 1890, dass Heyse seiner Epoche »den Namen geben« und ein »Heysesches Zeitalter« dem Goetheschen folgen werde. Heyse war Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Er pflegte zahlreiche Freundschaften und war auch als Gastgeber berühmt. Viele seiner Novellen siedelte Heyse in seiner Wahlheimat Italien an.
Paul Heyse (1830-1914) ist ein Mitglied der Riege deutscher Literaturnobelpreisträger. Er bekam den Preis 1910 als erster deutscher Dichter überhaupt verliehen – Mommsen (1902) war Historiker. Theodor Fontane glaubte 1890, dass Heyse seiner Epoche »den Namen geben« und ein »Heysesches Zeitalter« dem Goetheschen folgen werde. Heyse war Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Er pflegte zahlreiche Freundschaften und war auch als Gastgeber berühmt. Viele seiner Novellen siedelte Heyse in seiner Wahlheimat Italien an.
Der Kinder Sünde, der Väter Fluch
Der Kinder Sünde, der Väter Fluch
Vom Ifinger, der in grauer Vorzeit mit einem gewaltigen Erdsturz die alte Maja verschüttet und den Abhang gegründet hat, auf dem jetzt die Häuser und Weingärten von Obermais stehen, geht eine tiefe Schlucht östlich von Meran in das Etschtal hinab. Der Wildbach, der sie durchströmt, ist den größten Teil des Jahres hindurch eine kümmerliches Wasser, das im Hochsommer zwischen Gestein und gelbem Sand vollends versiegt, sodass sein tiefes Bett so gefahrlos zu betreten ist, wie droben die hochgeschwungenen hölzernen Brücken. Wenn im Frühling der Schnee jählings ins Tauen kommt, füllt sich auch die Rinne der Naif mit einem trüben Schwall, in dem keine Fische atmen mögen. Weiter ins Jahr hinein aber, bei starkem Ungewitter, Hagelschlag und Orkan, scheint sich alle Wut der Elemente in dieser einsamen Schlucht zu sammeln. Dann lösen sich die zähen Erbmassen, mit denen das Granitgerippe des Ifinger umkleidet ist, in einen dunkelbraunen Schlamm, den die Quelle der Naif mit Ungestüm fortwälzt; große Felsblöcke, Bäume und Rasenstücke folgen dem Sturz, mit immer wachsendem Getöse stürmt der Höllenbrei aus der Enge ins bewohnte Tal hinaus, und über eine Stunde weit hört man den donnernden Fall und spürt das Beben der Erde. Wenn es Nachts geschieht, wachen die Bauern weit und breit davon auf und horchen ängstlich hinaus. Die Naif kommt! sagen sie und beten. Die aber zunächst wohnen lassen es nicht beim Beten bewenden, stürzen aus den Betten ins Freie, treiben das Vieh aus den Ställen und laden ihre wertvollste Habe auf Wagen, lange bevor die zähe Masse zum Rand der Ufer hinaufgeschwollen ist. Denn sobald nur ein größerer Felsen oder ein ausgerissener Baum sich in den Weg schiebt, so staut der Schlamm und wächst alsbald zu einem Berge in die Höhe, hinter dem dann die nachstürzenden Massen links und rechts überfließen und Weinpflanzungen, Obsthalden, Häuser und Gehöfte unwiderstehlich verwüsten.
Von solchen Schrecken musste dem einsamen Manne, der am schönsten Junimorgen die Schlucht hinunterwanderte, etwas zu Ohren gekommen sein. Wenigstens war auf seinem finsteren alten Gesicht von dem Frieden, der ihn umgab, so wenig zu entdecken, als mache er sich, während er in dem halb ausgetrockneten Bett von Stein zu Stein kletterte, jeden Augenblick auf einen tückischen Überfall der Elemente gefasst. Auch die Nachtigallen, die er tiefer in der Schlucht vor Tagesanbruch so süß hatte schlagen hören, schienen sein Inneres nicht besänftigt zu haben. Er war ganz in grobe graue Leinwand gekleidet; das tief gefurchte Gesicht, von weißem, kurz geschorenem Haar und Bart umstarrt, beschattete ein alter Strohhut, eine kleine gelbe Ledertasche hatte er umgehängt, in die er dann und wann ein Mineral oder eine Versteinerung steckte, wie sie von der Naif zahlreich zu Tage gespült werden. So heiß die Sonne herabschien, war ihm doch keine Ermüdung anzumerken. Er ging mit einem stracken militärischen Anstand, nur den Kopf auf die Brust gesenkt, und stützte sich kaum auf den Hammerstock, mit dem er hie und da an die Felsen schlug. Etwas Versteinertes, Verwittertes hatten seine Züge; der Blick der verblichenen grauen Augen glänzte wunderlich, gleich dem Erz, das man im Gestein versprengt findet. Nirgends stand er, um zu ruhen, oder sich an der stillen Schönheit des Tals, dem prachtvollen Wuchs der edlen Kastanien und Nussbäume zu erfreuen, oder den Hirtenbuben nachzusehen, die ihre Ziegen und Schafe zwischen dem üppigen Gras und Farrenkraut die Abhänge hinauf weiden ließen.
Als er jetzt heraustrat, wo sich die Schlucht öffnet und man von der hohen Brücke über die Wipfel fort nach Meran hinunter sieht, schien er unschlüssig, welchen Weg er einschlagen solle. Da sah er zur Linken, wo eine Allee von Maulbeerbäumen zu altertümlichen Zinnenmauern und dem offenen Hoftor eines der vielen Herrenschlösser führt, die über diese Abhänge verstreut sind, einen kleinen elegant gekleideten jungen Mann geradewegs sich ihm nähern, und unwillkürlich machte er Rechtsum und schritt, als habe er weder Zeit noch Lust, den Kommenden zu erwarten, die gepflasterte Straße hinunter, unmutig zwischen den Zähnen murrend. Als er den Andern hinter sich rufen hörte, bog er eilig in einen Seitenweg, durch den die Bauern eine Quelle zur Wiesenwässerung geleitet hatten. Hier wird er mich wohl in Ruhe lassen, brummte er, indem er mit den schweren Nagelschuhen mitten durch das helle Wasser schritt. Aber er täuschte sich. – Sie laufen vor mir davon, aber es hilft Ihnen nichts, Herr Oberst, rief der Kleine ihm nach. Ich kenne Sie ja schon und nehme Ihnen nichts übel. Diesmal müssen Sie mich hören, denn Einen Menschen muss ich haben, gegen den ich mich aussprechen kann, und sollte ich ihm bis in die Etsch nachlaufen. Wissen Sie, von wem ich komme? Nun, das können Sie sich allenfalls denken, da Sie mich aus dem Schlosshof treten sahen. Aber dass ich diese Schwelle zum letzten Mal beschritten habe, das wissen Sie noch nicht, und weshalb ich mir das zugeschworen habe, muss ich Ihnen jetzt sagen, oder ich ersticke daran.
Es schien allerdings Gefahr im Verzuge zu sein. Das runde menschenfreundliche Gesicht des kleinen Herrn war über und über rot und zitterte in allen Fibern; er lüftete den schwarzen Hut und trocknete mit einem feinen weißen Batisttuch die Stirn, einmal über das andere seufzend, während er mit den rundlichen, wohlgepflegten Händchen Hut und Tuch vor Aufregung kaum zu halten wusste. Dabei merkte er es gar nicht, dass er mitten im Wasser stand, bis ihm der Andere – der ihn wohl um zwei Köpfe überragte – mit einem kurzen rauen Ton sagte: Sie werden sich den Schnupfen holen, Herr Graf. Auf Tanzstiefel sind diese Bauernwege nicht eingerichtet.
Sie haben Recht, Verehrtester. Gehen wir eine Strecke weiter, bis es noch einsamer wird, dass ich Ihnen ungestört erzählen kann.
Bin gar nicht begierig, gab der Alte zur Antwort. Die Ungarin wird Ihnen einen Korb gegeben haben. Nun gut, so wissen Sie, woran Sie sind; sie hatten es schon längst wissen können. Danken Sie Ihrem Schicksal, dass Sie die Hexe los geworden sind, eh es zu spät war.
Lieber Freund, erwiderte der Kleine in einem stillen, wehmütigen Ton, Sie sind ein Menschenkenner, Sie haben die gefährliche Frau nur einmal und nur von Ferne gesehen und sie gleich durchschaut. Aber Sie sollten mit den Schwächen der Menschen Nachsicht haben, je mehr Sie sie erkennen. Dieses Weib, das Ihnen immer antipathisch war, hatte eine Macht über mich –
Ich bitte Sie, unterbrach ihn der Alte, verschonen Sie mich mit Ihren Gefühlen, von denen Sie mich schon mehr als hinreichend...
Erscheint lt. Verlag | 12.12.2024 |
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Reihe/Serie | 99 Welt-Klassiker | 99 Welt-Klassiker |
Verlagsort | Neuss |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Schlagworte | Adel • Adolf Friedrich von Schack • Betrug • Doge • Dogen • Emanuel Geibel • Felix Dahn • Franz von Kobell • Friedrich Bodenstedt • Gondel • Hermann Lingg • Italien • Kaiser • König • Robert von Hornstein • Tyrannei • Untergang • Verrat • Wilhelm Heinrich Riehl • Wilhelm Hertz |
ISBN-10 | 3-96281-128-1 / 3962811281 |
ISBN-13 | 978-3-96281-128-0 / 9783962811280 |
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