Der Kinder Sünde, der Väter Fluch -  Paul Heyse

Der Kinder Sünde, der Väter Fluch (eBook)

Novelle

(Autor)

Jürgen Schulze (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2024 | 2. Auflage
148 Seiten
Null Papier Verlag
978-3-96281-128-0 (ISBN)
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Neue Deutsche Rechtschreibung Paul Johann Ludwig von Heyse (15.03.1830-02.04.1914) war ein deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Neben vielen Gedichten schuf er rund 180 Novellen, acht Romane und 68 Dramen. Heyse ist bekannt für die 'Breite seiner Produktion'. Der einflussreiche Münchner 'Dichterfürst' unterhielt zahlreiche - nicht nur literarische - Freundschaften und war auch als Gastgeber über die Grenzen seiner Münchner Heimat hinaus berühmt. 1890 glaubte Theodor Fontane, dass Heyse seiner Ära den Namen 'geben würde und ein Heysesches Zeitalter' dem Goethes folgen würde. Als erster deutscher Belletristikautor erhielt Heyse 1910 den Nobelpreis für Literatur. Null Papier Verlag

Paul Heyse (1830-1914) ist ein Mitglied der Riege deutscher Literaturnobelpreisträger. Er bekam den Preis 1910 als erster deutscher Dichter überhaupt verliehen - Mommsen (1902) war Historiker. Theodor Fontane glaubte 1890, dass Heyse seiner Epoche »den Namen geben« und ein »Heysesches Zeitalter« dem Goetheschen folgen werde. Heyse war Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Er pflegte zahlreiche Freundschaften und war auch als Gastgeber berühmt. Viele seiner Novellen siedelte Heyse in seiner Wahlheimat Italien an.

Paul Heyse (1830-1914) ist ein Mitglied der Riege deutscher Literaturnobelpreisträger. Er bekam den Preis 1910 als erster deutscher Dichter überhaupt verliehen – Mommsen (1902) war Historiker. Theodor Fontane glaubte 1890, dass Heyse seiner Epoche »den Namen geben« und ein »Heysesches Zeitalter« dem Goetheschen folgen werde. Heyse war Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Er pflegte zahlreiche Freundschaften und war auch als Gastgeber berühmt. Viele seiner Novellen siedelte Heyse in seiner Wahlheimat Italien an.

Der Kinder Sünde, der Väter Fluch

Der Kinder Sünde, der Väter Fluch


Vom I­fin­ger, der in grau­er Vor­zeit mit ei­nem ge­wal­ti­gen Erd­sturz die alte Ma­ja ver­schüt­tet und den Ab­hang ge­grün­det hat, auf dem jetzt die Häu­ser und Wein­gär­ten von O­ber­mais ste­hen, geht eine tie­fe Schlucht öst­lich von Meran in das Etsch­tal hin­ab. Der Wild­bach, der sie durch­strömt, ist den größ­ten Teil des Jah­res hin­durch eine küm­mer­li­ches Was­ser, das im Hoch­som­mer zwi­schen Ge­stein und gel­bem Sand vollends ver­siegt, so­dass sein tie­fes Bett so ge­fahr­los zu be­tre­ten ist, wie dro­ben die hoch­ge­schwun­ge­nen höl­zer­nen Brücken. Wenn im Früh­ling der Schnee jäh­lings ins Tau­en kommt, füllt sich auch die Rin­ne der Naif mit ei­nem trü­ben Schwall, in dem kei­ne Fi­sche at­men mö­gen. Wei­ter ins Jahr hin­ein aber, bei star­kem Un­ge­wit­ter, Ha­gel­schlag und Or­kan, scheint sich alle Wut der Ele­men­te in die­ser ein­sa­men Schlucht zu sam­meln. Dann lö­sen sich die zä­hen Erb­mas­sen, mit de­nen das Gra­nit­ge­rip­pe des Ifin­ger um­klei­det ist, in einen dun­kel­brau­nen Schlamm, den die Quel­le der Naif mit Un­ge­stüm fort­wälzt; große Fels­blö­cke, Bäu­me und Ra­sen­stücke fol­gen dem Sturz, mit im­mer wach­sen­dem Ge­tö­se stürmt der Höl­len­brei aus der Enge ins be­wohn­te Tal hin­aus, und über eine Stun­de weit hört man den don­nern­den Fall und spürt das Be­ben der Erde. Wenn es Nachts ge­schieht, wa­chen die Bau­ern weit und breit da­von auf und hor­chen ängst­lich hin­aus. Die Naif kommt! sa­gen sie und be­ten. Die aber zu­nächst woh­nen las­sen es nicht beim Be­ten be­wen­den, stür­zen aus den Bet­ten ins Freie, trei­ben das Vieh aus den Stäl­len und la­den ihre wert­volls­te Habe auf Wa­gen, lan­ge be­vor die zähe Mas­se zum Rand der Ufer hin­auf­ge­schwol­len ist. Denn so­bald nur ein grö­ße­rer Fel­sen oder ein aus­ge­ris­se­ner Baum sich in den Weg schiebt, so staut der Schlamm und wächst als­bald zu ei­nem Ber­ge in die Höhe, hin­ter dem dann die nach­stür­zen­den Mas­sen links und rechts über­flie­ßen und Wein­pflan­zun­gen, Obst­hal­den, Häu­ser und Ge­höf­te un­wi­der­steh­lich ver­wüs­ten.

Von sol­chen Schre­cken muss­te dem ein­sa­men Man­ne, der am schöns­ten Ju­ni­mor­gen die Schlucht hin­un­ter­wan­der­te, et­was zu Ohren ge­kom­men sein. We­nigs­tens war auf sei­nem fins­te­ren al­ten Ge­sicht von dem Frie­den, der ihn um­gab, so we­nig zu ent­de­cken, als ma­che er sich, wäh­rend er in dem halb aus­ge­trock­ne­ten Bett von Stein zu Stein klet­ter­te, je­den Au­gen­blick auf einen tücki­schen Über­fall der Ele­men­te ge­fasst. Auch die Nach­ti­gal­len, die er tiefer in der Schlucht vor Ta­ge­s­an­bruch so süß hat­te schla­gen hö­ren, schie­nen sein In­ne­res nicht be­sänf­tigt zu ha­ben. Er war ganz in gro­be graue Lein­wand ge­klei­det; das tief ge­furch­te Ge­sicht, von weißem, kurz ge­scho­re­nem Haar und Bart um­starrt, be­schat­te­te ein al­ter Stroh­hut, eine klei­ne gel­be Le­der­ta­sche hat­te er um­ge­hängt, in die er dann und wann ein Mi­ne­ral oder eine Ver­stei­ne­rung steck­te, wie sie von der Naif zahl­reich zu Tage ge­spült wer­den. So heiß die Son­ne her­ab­schi­en, war ihm doch kei­ne Er­mü­dung an­zu­mer­ken. Er ging mit ei­nem stra­cken mi­li­tä­ri­schen An­stand, nur den Kopf auf die Brust ge­senkt, und stütz­te sich kaum auf den Ham­mer­stock, mit dem er hie und da an die Fel­sen schlug. Et­was Ver­stei­ner­tes, Ver­wit­ter­tes hat­ten sei­ne Züge; der Blick der ver­bli­che­nen grau­en Au­gen glänz­te wun­der­lich, gleich dem Erz, das man im Ge­stein ver­sprengt fin­det. Nir­gends stand er, um zu ru­hen, oder sich an der stil­len Schön­heit des Tals, dem pracht­vol­len Wuchs der ed­len Kas­ta­ni­en und Nuss­bäu­me zu er­freu­en, oder den Hir­ten­bu­ben nach­zu­se­hen, die ihre Zie­gen und Scha­fe zwi­schen dem üp­pi­gen Gras und Far­ren­kraut die Ab­hän­ge hin­auf wei­den lie­ßen.

Als er jetzt her­austrat, wo sich die Schlucht öff­net und man von der ho­hen Brücke über die Wip­fel fort nach Meran hin­un­ter sieht, schi­en er un­schlüs­sig, wel­chen Weg er ein­schla­gen sol­le. Da sah er zur Lin­ken, wo eine Al­lee von Maul­beer­bäu­men zu al­ter­tüm­li­chen Zin­nen­mau­ern und dem of­fe­nen Hof­tor ei­nes der vie­len Her­ren­sch­lös­ser führt, die über die­se Ab­hän­ge ver­streut sind, einen klei­nen ele­gant ge­klei­de­ten jun­gen Mann ge­ra­de­wegs sich ihm nä­hern, und un­will­kür­lich mach­te er Rechtsum und schritt, als habe er we­der Zeit noch Lust, den Kom­men­den zu er­war­ten, die ge­pflas­ter­te Stra­ße hin­un­ter, un­mu­tig zwi­schen den Zäh­nen mur­rend. Als er den An­dern hin­ter sich ru­fen hör­te, bog er ei­lig in einen Sei­ten­weg, durch den die Bau­ern eine Quel­le zur Wie­sen­wäs­se­rung ge­lei­tet hat­ten. Hier wird er mich wohl in Ruhe las­sen, brumm­te er, in­dem er mit den schwe­ren Na­gel­schu­hen mit­ten durch das hel­le Was­ser schritt. Aber er täusch­te sich. – Sie lau­fen vor mir da­von, aber es hilft Ih­nen nichts, Herr Oberst, rief der Klei­ne ihm nach. Ich ken­ne Sie ja schon und neh­me Ih­nen nichts übel. Dies­mal müs­sen Sie mich hö­ren, denn Ei­nen Men­schen muss ich ha­ben, ge­gen den ich mich aus­spre­chen kann, und soll­te ich ihm bis in die Etsch nach­lau­fen. Wis­sen Sie, von wem ich kom­me? Nun, das kön­nen Sie sich al­len­falls den­ken, da Sie mich aus dem Schloss­hof tre­ten sa­hen. Aber dass ich die­se Schwel­le zum letz­ten Mal be­schrit­ten habe, das wis­sen Sie noch nicht, und wes­halb ich mir das zu­ge­schwo­ren habe, muss ich Ih­nen jetzt sa­gen, oder ich er­sti­cke dar­an.

Es schi­en al­ler­dings Ge­fahr im Ver­zu­ge zu sein. Das run­de men­schen­freund­li­che Ge­sicht des klei­nen Herrn war über und über rot und zit­ter­te in al­len Fi­bern; er lüf­te­te den schwar­zen Hut und trock­ne­te mit ei­nem fei­nen wei­ßen Ba­tist­tuch die Stirn, ein­mal über das an­de­re seuf­zend, wäh­rend er mit den rund­li­chen, wohl­ge­pfleg­ten Händ­chen Hut und Tuch vor Auf­re­gung kaum zu hal­ten wuss­te. Da­bei merk­te er es gar nicht, dass er mit­ten im Was­ser stand, bis ihm der An­de­re – der ihn wohl um zwei Köp­fe über­rag­te – mit ei­nem kur­z­en rau­en Ton sag­te: Sie wer­den sich den Schnup­fen ho­len, Herr Graf. Auf Tanz­stie­fel sind die­se Bau­ern­we­ge nicht ein­ge­rich­tet.

Sie ha­ben Recht, Ver­ehr­tes­ter. Ge­hen wir eine Stre­cke wei­ter, bis es noch ein­sa­mer wird, dass ich Ih­nen un­ge­stört er­zäh­len kann.

Bin gar nicht be­gie­rig, gab der Alte zur Ant­wort. Die Un­ga­rin wird Ih­nen einen Korb ge­ge­ben ha­ben. Nun gut, so wis­sen Sie, wor­an Sie sind; sie hat­ten es schon längst wis­sen kön­nen. Dan­ken Sie Ihrem Schick­sal, dass Sie die Hexe los ge­wor­den sind, eh es zu spät war.

Lie­ber Freund, er­wi­der­te der Klei­ne in ei­nem stil­len, weh­mü­ti­gen Ton, Sie sind ein Men­schen­ken­ner, Sie ha­ben die ge­fähr­li­che Frau nur ein­mal und nur von Fer­ne ge­se­hen und sie gleich durch­schaut. Aber Sie soll­ten mit den Schwä­chen der Men­schen Nach­sicht ha­ben, je mehr Sie sie er­ken­nen. Die­ses Weib, das Ih­nen im­mer an­ti­pa­thisch war, hat­te eine Macht über mich –

Ich bit­te Sie, un­ter­brach ihn der Alte, ver­scho­nen Sie mich mit Ihren Ge­füh­len, von de­nen Sie mich schon mehr als hin­rei­chend...

Erscheint lt. Verlag 12.12.2024
Reihe/Serie 99 Welt-Klassiker
99 Welt-Klassiker
Verlagsort Neuss
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Adel • Adolf Friedrich von Schack • Betrug • Doge • Dogen • Emanuel Geibel • Felix Dahn • Franz von Kobell • Friedrich Bodenstedt • Gondel • Hermann Lingg • Italien • Kaiser • König • Robert von Hornstein • Tyrannei • Untergang • Verrat • Wilhelm Heinrich Riehl • Wilhelm Hertz
ISBN-10 3-96281-128-1 / 3962811281
ISBN-13 978-3-96281-128-0 / 9783962811280
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