Raven - Blutauge (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
480 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-22335-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Raven - Blutauge -  Giles Kristian
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Der junge Osric, genannt Blutauge, lebt ein ruhiges Leben in seinem Dorf - bis seine Gemeinschaft eines Tages von Plünderen niedergemetzelt wird. Osric gerät in die schonungslose Welt der Nordmänner, in der er ums Überleben kämpfen muss. Doch der Hunger nach Abenteuer macht einen Krieger aus ihm. In Blut und Schweiß schmiedet er eine tiefe Freundschaft zu Sigurd, mit dessen Mannen er sich auf den Pfad von Krieg und Eroberung begibt ...

Seine norwegische Herkunft und die Werke von Bernard Cornwell inspirierten Giles Kristian dazu, historische Romane zu schreiben. Um seine ersten Bücher finanzieren zu können, arbeitete er unter anderem als Werbetexter, Sänger und Schauspieler. Doch Kristians Herz schlägt für die Welt der Wikinger, die er in Götter der Rache zum Leben erweckt. Mittlerweile ist Giles Kristian Bestseller-Autor und kann sich ganz dem Schreiben widmen.

1

Es war April. Die mageren Tage des Fastens und der Winterkälte waren vergessen nach dem Osterfest, an dem die Menschen sich die Bäuche wieder gefüllt hatten. Die meisten hatten alle Hände voll mit Arbeiten zu tun, von denen der eisige Wind sie so lange abgehalten hatte: lockeres Reet richten, verrottete Zaunpfähle ersetzen, Holzvorräte auffüllen und neues Leben in die fruchtbare Erde der gepflügten Felder streuen. Wilder Knoblauch überzog in den dunklen Wäldern die Erde wie mit einem weißen Pelz. Sein Duft wurde vom Wind aufgewirbelt. Wie Bodennebel überzog Blaustern die grasigen Hänge und die Landzunge, während die salzige Seeluft über ihn hinwegstrich.

Für gewöhnlich weckte mich Ealhstans Gemurmel, während er mir einen seiner knorrigen Finger in die Rippen bohrte. An diesem Tag jedoch erwachte ich vor dem alten Mann. Ich wollte rasch einen Fisch zum Frühstück fangen. Ich stellte mir vor, dass der Alte vielleicht erfreut über mich wäre, weil ich losgezogen war, bevor die Sonne den östlichen Horizont rötete. Mit der Fischrute in der Hand und in meinen fadenscheinigen Mantel gehüllt trat ich ins Freie. Ich fröstelte und gähnte so heftig, dass mir Tränen in die Augen traten.

»Jetzt zwingt dich der alte Bock wohl sogar, im Licht der Sterne zu arbeiten, oder wie?« Ich drehte mich beim Klang der tiefen Stimme herum. Es war Griffin der Krieger, der seinen großen grauen Jagdhund an einem Seil führte. »Ruhig, Bursche!«, fuhr Griffin ihn an und riss heftig an dem Seil. Der große Hund keuchte heftig. Ich erwartete fast, Griffin würde ihm das Genick brechen, wenn der Hund nicht aufhörte, an dem Seil zu zerren.

»Du kennst ja Ealhstan.« Ich hielt mit beiden Händen mein Haar zurück und beugte mich über das Regenfass. »Er kann nicht pissen, bevor er gefrühstückt hat.« Ich steckte mein Gesicht in das dunkle, kalte Wasser und verharrte einen Moment in dieser Haltung. Dann hob ich den Kopf und schüttelte ihn, während ich mir die Augen mit dem Ärmel wischte.

Griffin warf einen Blick auf den Hund, der sich endlich fügte und seinen Herrn unterwürfig ansah. »Ich habe den elenden Köter gerade bei Siwards Hütte entdeckt. Gestern ist er weggelaufen, und erst jetzt habe ich ihn wiedergefunden.«

»Siward hat eine läufige Hündin«, sagte ich und band mein Haar im Nacken zusammen.

»Hat mir seine Frau auch erzählt«, sagte Griffin und lächelte. »Wahrscheinlich kann ich es dem Burschen nicht übel nehmen, was, Junge?« Er fuhr dem Hund rau über den Kopf. Ich mochte Griffin. Er war ein harter Mann, aber es steckte kein Hass in ihm wie bei den anderen. Vielleicht lag es auch nur daran, dass er keine Furcht zu kennen schien.

»Einige Dinge im Leben ändern sich nie, Griffin.« Ich erwiderte sein Lächeln. »Rüden laufen Hündinnen hinterher, und Ealhstan wird jeden Morgen Makrele essen, bis ihm die braunen Zähne ausfallen.«

»Nun, dann solltest du die Schnur auswerfen, Junge«, warnte er mich und nickte nach Süden, zum Meer. »Selbst Arschbeißer hat keinen so kräftigen Biss wie der alte Ealhstan. Ich würde nicht den Unwillen dieses zungenlosen Mistkerls erregen.«

Ich sah zum Haus zurück. »Ich habe noch nie erlebt, dass jemand das Wohlwollen von Ealhstan erregt hätte«, sagte ich leise. Griffin grinste, bückte sich und rieb Arschbeißers Schnauze. »Ich bringe dir dieser Tage einen Dorsch vorbei, Griffin. So lang wie dein Arm.« Ich fröstelte wieder, und dann gingen wir unserer Wege, er zu seinem Haus und ich in Richtung des leise rauschenden Meeres.

Ein rosafarbener Streifen lag über dem östlichen Horizont. Aber die Sonne war noch nicht zu sehen, und es war dunkel, als ich auf den Hügel stieg, der Abbotsend vor den schlimmsten Stürmen schützte, die vom grauen Meer aufs Land wehten. Ich war diesen Pfad schon häufig gegangen und brauchte keine Fackel. Außerdem stand der alte verfallene Wachturm deutlich sichtbar auf dem Hügelkamm. Er hob sich wie ein schwarzer Schatten vor dem dunkelvioletten Himmel ab. Angeblich hatten die Römer ihn gebaut, jenes vor langer Zeit untergegangene Volk. Ich wusste nicht, ob das stimmte, aber trotzdem war ich ihnen dankbar. Denn da der Turm deutlich zu sehen war, konnte ich mich nicht verlaufen.

Meine Gedanken jedoch schweiften ab, als ich mir vorstellte, am nächsten Morgen mit einem Skiff über die vom Meer umtosten Felsen hinauszurudern, um etwas anderes als Makrelen zu fangen. Man konnte große Dorsche fangen, wenn es einem gelang, den Haken bis auf den Meeresgrund hinunterzulassen.

Ich war ganz in Gedanken versunken, als ich plötzlich einen metallisches Laut hörte. Ich blieb wie angewurzelt stehen. Im selben Moment schlug etwas gegen meine Augen. Ich sank auf ein Knie und meine Nackenhaare stellten sich auf. Ein gutturales Krächzen brach die Stille, und ich sah, wie etwas Schwarzes aufflatterte. Dann sank es wieder herab und landete auf der verfallenen Turmspitze. Wieder krächzte es, und selbst in dem schwachen Licht des Morgengrauens glänzten seine Schwingen bläulich, als das Tier mit einem kräftigen Schnabel durch seine Federn fuhr. Ich hatte schon häufig ähnliche Vögel gesehen, Schwärme von Krähen, die auf den Feldern landeten, um nach Samen oder Würmern zu suchen. Aber das hier war ein riesiger Rabe, und bei seinem Anblick gefror mir das Blut in den Adern.

»Verschwinde, Vogel!«, sagte ich. Ich hob einen Ziegelbrocken auf und warf ihn nach ihm. Ich verfehlte ihn, aber dennoch flatterte der Rabe geräuschvoll in den Himmel empor, ein schwarzer Fleck vor dem allmählich aufhellenden Grau. »Hast du jetzt schon Angst vor Vögeln, Osric?«, murmelte ich und schüttelte den Kopf, während ich die Hügelkuppe überquerte und durch die rosa Grasnelken und das Leimkraut zum Strand hinabschritt. Feuchter Nebel überzog die Dünen und den Kies am Strand, und über mir kreischte ein Schwarm Möwen. Sie verschwanden im Dunst und ließen nur ihr Geschrei zurück. Ich sprang über drei Steinbecken, in denen grüne Algen schwammen. Kleine Blasen trieben an der Oberfläche. Dann erreichte ich meinen bevorzugten Felsen. Mit dem Griff meiner Angelrute beförderte ich eine Napfschnecke ins Wasser, bevor ich die Schnur auswickelte.

Ich saß so lange da, wie es dauert, ein Messer zu schärfen, aber kein Fisch wollte meinen Haken schlucken. Ich überlegte, ob ich die Stelle ausprobieren sollte, wo ich einmal einen Fisch mit einer rauen Haut an Land gezogen hatte. Er war so lang wie mein Bein gewesen und hatte scharfe Zähne. In dem Moment hörte ich ein sonderbares Geräusch im rhythmischen Atmen der Brandung. Ich klemmte die Angelrute in einen Spalt, ließ die Schnur im Wasser und kletterte auf einen Felsen, der sich über den Kiesstrand erhob. Aber ich sah nur den Seenebel, der sich wie eine sonderbare Bestie vor mir wand. Gelegentlich gab er den Blick auf das Meer frei. Die einzigen anderen Geräusche waren die Schreie der weißen Möwen und das Brechen der Wogen. Gerade, als ich wieder hinunterspringen wollte, hörte ich den merkwürdigen Laut erneut.

Ich erstarrte zu einem Eiszapfen. Mir stockte der Atem und kalte Angst kroch mir über den Rücken. Da war es wieder: ein dünnes Hornsignal, gefolgt vom rhythmischen Klatschen von Riemen. Wie aus der Welt der Geister beschworen tauchte plötzlich ein Drache auf, ein hölzernes Tier mit einem Bauch von überlappenden Planken, die bis zu seinem schlanken Hals hinaufführten. Im Kopf des Monsters leuchteten blassrote Augen, und ich wäre am liebsten weggelaufen. Aber ich klebte auf dem Felsen wie die Napfschnecken, gebannt von dem starren Blick eines großen bärtigen Kriegers, der im Bug stand und einen Arm um den Hals des Monsters geschlungen hatte. Sein Bart klaffte auseinander, als er bösartig lächelte. Im nächsten Moment schabte der Kiel des Bootes über die Kiesel, ein prasselndes Geräusch wie ein Sturzregen, und Männer sprangen aus dem Schiff. Sie glitten auf den nassen Felsen aus und fielen in die Brandung. Kehlige Stimmen erklangen jetzt auch von den Felsen hinter mir. Ein anderes Drachenschiff musste hinter dem Einsiedlerfelsen auf dem Strand gelandet sein. Männer mit Schwertern und Streitäxten sowie runden bemalten Schilden traten aus dem Nebel. Ihre Waffen klirrten laut. Sie scharten sich wie Wölfe um mich, deuteten nach Osten und Westen, und ihre harten Stimmen entlockten den Möwen über uns ein lautes Kreischen. Ich murmelte hastig ein Gebet zu Christus und allen Heiligen und bat um einen schnellen Tod. In diesem Moment trat der Krieger vom Bug des Schiffes zu mir und packte mich an der Kehle. Er stieß mich zu einem anderen Barbaren, der seine kräftige Hand auf meine Schulter legte. Er trug einen grünen Umhang, der von einer silbernen Fibel in Form eines Wolfskopfes zusammengehalten wurde. Unter dem Umhang sah ich die eisernen Ringe eines Kettenhemdes, eines Brynja.

Jetzt, nach all den Jahren, könnte ich natürlich einige Unwahrheiten niederschreiben. Ich bezweifle, dass noch irgendjemand am Leben ist, der mich einer Lüge bezichtigen könnte. Ich könnte behaupten, dass ich mich in die Brust geworfen und meine Furcht überwunden hätte, statt mir in die Hose zu pissen. Aber wer würde mir glauben? Diese Fremdlinge, die von ihren Drachen heruntergesprungen waren, waren wild und bewaffnet. Es waren Krieger, kampferprobte Männer. Ich war nur ein Junge. Doch trotz aller Furcht geschah etwas Seltsames mit mir, es war wie Magie. Die harte, scharfe Sprache dieser Fremdlinge begann sich in meinen Ohren zu verändern, schien zu schmelzen, die trommelnden, abgehackten Laute wurden ein Strom aus Klang, der mir irgendwie bekannt vorkam. Meine Zunge begann unwillkürlich, die Laute nachzuahmen, und ich hörte, wie ich sie wiederholte, bis es nicht...

Erscheint lt. Verlag 10.4.2018
Reihe/Serie Raven-Serie
Übersetzer Wolfgang Thon
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Raven: Blood Eye
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Abenteuerroman • Bernard Cornwell • eBooks • GEO Epoche • Historische Romane • Vikings • Wikinger
ISBN-10 3-641-22335-0 / 3641223350
ISBN-13 978-3-641-22335-9 / 9783641223359
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