Andy Weir war bereits im Alter von fünfzehn Jahren als Programmierer und später als Softwareentwickler für diverse Computerfirmen tätig, bevor er mit seinem Roman Der Marsianer einen internationalen Megabestseller landete. Seither widmet er sich ganz dem Schreiben und beschäftigt sich in seiner Freizeit mit Physik, Mechanik und der Geschichte der bemannten Raumfahrt - Themen, die sich auch immer wieder in seinen Romanen finden. Sein Debüt Der Marsianer wurde von Starregisseur Ridley Scott brillant verfilmt.
2
Armstrong ist beschissen. Es ist eine Schande, dass ein so erbärmlicher Teil der Stadt nach einem so tollen Typ benannt wurde.
Das Knirschen und Dröhnen der Maschinen drang durch die Wände der alten Korridore, durch die ich Trigger bugsierte. Obwohl die schweren Produktionsanlagen fünfzehn Stockwerke entfernt standen, leiteten die Wände den Lärm weiter. An der Lebenserhaltung bremste ich ab und parkte direkt vor der schweren Tür.
Die Lebenserhaltung war einer der wenigen Orte in der Stadt, wo es echte Sicherheitsmaßnahmen gab. Man wollte eben vermeiden, dass dort einfach jeder hineinspazierte. Um hineinzukommen, musste man das Gizmo über die Sensorfläche ziehen, aber ich stand natürlich nicht auf der Mitarbeiterliste. Deshalb musste ich draußen warten.
Der Lieferauftrag bezog sich auf ein Paket von rund hundert Kilogramm Gewicht. Das war kein Problem für mich. Ich kann doppelt so viel heben, ohne dass mir der Schweiß ausbricht. Das können nicht viele Mädchen auf der Erde von sich behaupten. Sie müssen natürlich auch die sechsfache Schwerkraft überwinden, aber das ist ihr Problem.
Abgesehen von der Masse verrieten mir die Auftragsdaten nicht viel. Keinerlei Informationen über den Inhalt oder das Ziel. Das würde mir der Kunde selbst mitteilen.
Die Lebenserhaltung von Artemis ist einzigartig in der Geschichte der Raumfahrt. Dort wird nicht etwa Kohlendioxid in Sauerstoff zurückverwandelt. Natürlich haben sie die nötige Ausrüstung, um so etwas zu tun, und genug Batterien, um es im Notfall monatelang durchzuhalten, aber sie bekommen einen viel billigeren und nahezu unbegrenzten Sauerstoffvorrat aus einer ganz anderen Quelle: von der Aluminiumhütte.
Im Schmelzofen von Sanchez Aluminium außerhalb der Stadt entsteht während der Erzverarbeitung auch Sauerstoff. Darum geht es in einer Erzhütte im Grunde: Man entfernt den Sauerstoff, um das reine Metall zu bekommen. Die meisten Menschen wissen es nicht, aber auf dem Mond gibt es eine geradezu lächerlich große Menge an Sauerstoff. Man braucht nur teuflisch viel Energie, um an ihn heranzukommen. Sanchez wirft als Abfallprodukt so viel Sauerstoff ab, dass sie nicht nur nebenbei Raketentreibstoff herstellen, sondern auch die Stadt mit Atemluft versorgen können und immer noch eine Menge Überschuss einfach ablassen müssen.
Also haben wir tatsächlich mehr Sauerstoff, als wir benötigen. Die Lebenserhaltung steuert den Zufluss und sorgt dafür, dass der Zustrom aus der Sanchez-Pipeline ungefährlich ist. Aus der verbrauchten Luft wird das CO2 herausgefiltert, und sie regeln die Temperatur, den Druck und alle anderen Sachen, die dazugehören. Das CO2 verkaufen sie an die Gunkfarmen, wo sie die Algen züchten, die wir essen. Es geht doch immer um die Wirtschaftlichkeit, nicht wahr?
»Hallo, Bashara«, hörte ich hinter mir eine vertraute Stimme.
Mist.
Ich setzte mein allerfalschestes Lächeln auf und drehte mich um. »Rudy! Man hat mir nicht gesagt, dass du den Auftrag erteilt hast. Hätte ich das gewusst, dann wäre ich nicht gekommen.«
Na gut, ich will nicht lügen. Rudy DuBois ist ein echt gut aussehender Mann. Zwei Meter groß und blond wie Hitlers feuchter Traum. Vor zehn Jahren hatte er bei der Royal Canadian Mounted Police aufgehört und war der Sicherheitschef von Artemis geworden, aber er trug die Uniform immer noch jeden Tag. Und sie stand ihm gut. Wirklich gut. Ich mochte den Mann nicht, aber … Sie wissen schon … wenn ich es tun könnte, und es hätte keine Konsequenzen …
Jedenfalls verkörperte er das, was in der Stadt als Gesetz galt. Klar, jede Gesellschaft braucht Gesetze und Ordnungshüter. Aber Rudy gab sich dabei besonders dienstbeflissen.
»Keine Sorge.« Er zückte sein Gizmo. »Ich habe nicht genug Beweise, um dich der Schmuggelei zu überführen. Noch nicht.«
»Schmuggel? Ich? Du meine Güte, Mr. Rechtschaffenheit, du hast aber komische Ideen.«
Was für eine Nervensäge. Er hatte mich seit einem Vorfall im Visier, der sich ereignet hatte, als ich siebzehn war. Glücklicherweise konnte er die Missetäter nicht einfach abschieben lassen. So etwas konnte nur die Administratorin von Artemis anordnen, und sie tat es nicht, solange Rudy nicht etwas wirklich Überzeugendes vorbrachte. Also gab es doch noch so etwas wie eine Kontrolle der Macht. Auch wenn sie nicht immer wirkungsvoll war.
Ich sah mich um. »Wo ist denn das Paket?«
Er strich mit dem Gizmo über das Lesegerät, und die feuerfeste Tür ging auf. Rudys Gizmo war wie ein Zauberstab, damit konnte man in Artemis buchstäblich jede Tür öffnen. »Komm mit.«
Wir betraten die Lebenserhaltung. Einige Techniker bedienten verschiedene Apparate, während die Ingenieure die großen Statusanzeigen an einer Wand beobachteten.
Mit Ausnahme von mir und Rudy befanden sich ausschließlich Vietnamesen im Raum. So sieht es eben in Artemis aus. Ein paar Leute, die einander kennen, wandern aus, gründen eine Firma und stellen ihre Freunde ein. Natürlich heuern sie vor allem die Leute an, die sie kennen. So läuft das schon seit einer Ewigkeit.
Die Arbeiter beachteten uns nicht, als wir uns zwischen den Maschinen und einem Gewirr aus Hochdruckleitungen durchschlängelten. Mr. Đoàn saß auf seinem Platz mitten vor den Wandbildschirmen. Er suchte Rudys Blick und nickte langsam.
Rudy blieb hinter einem Mann stehen, der einen Lufttank säuberte, und tippte ihm auf die Schulter. »Pham Binh?«
Binh drehte sich um und grunzte. Das wettergegerbte Gesicht zeigte eine fest eingebrannte finstere Miene.
»Mr. Binh, Ihre Frau Tâm war heute Morgen bei Doc Roussel.«
»Ja«, erwiderte Binh. »Sie ist immer so ungeschickt.«
Rudy drehte sein Gizmo herum. Der Bildschirm zeigte eine Frau mit Prellungen im Gesicht. »Die Ärztin sagt, Ihre Frau hätte ein blaues Auge, einen Bluterguss auf der Wange, zwei geprellte Rippen und eine Gehirnerschütterung.«
»Ja, sie ist immer so ungeschickt.«
Rudy gab mir das Gizmo und versetzte Binh einen Faustschlag mitten ins Gesicht.
Während meiner jugendlichen Gangsterlaufbahn hatte ich mehrere Zusammenstöße mit Rudy. Er war ein echt kräftiger Bursche. Mich hat er nie geschlagen oder so, aber einmal hielt er mich mit einer Hand fest, während er mit der anderen etwas ins Gizmo tippte. Ich bemühte mich wirklich sehr, ihm zu entkommen, aber sein Griff war fest wie ein Schraubstock. Manchmal muss ich nachts daran denken.
Binh sank zu Boden. Er versuchte, sich mit Händen und Knien hochzudrücken, schaffte es aber nicht. Wenn man in der Mondschwerkraft nicht mehr auf die Beine kommt, ist man wirklich ziemlich erledigt.
Rudy kniete nieder und zog Binhs Kopf an den Haaren hoch. »Mal sehen … ja, die Wange schwillt schön an. Jetzt zu dem blauen Auge …« Er drosch dem fast ohnmächtigen Mann die Faust auf das Auge und ließ den Kopf los.
Binh zog sich zusammen und stöhnte. »Aufhören …«
Rudy richtete sich auf und nahm mir sein Gizmo wieder ab. Er hielt es schräg, damit wir es beide sehen konnten. »Dann wären da noch zwei geprellte Rippen, oder? Die vierte und die fünfte auf der linken Seite.«
»So sieht es aus«, stimmte ich zu.
Er versetzte dem liegenden Mann einen Tritt in die Seite. Binh wollte schreien, bekam aber keine Luft mehr.
»Ich nehme zu seinen Gunsten an, dass einer der Schläge gegen den Kopf eine Gehirnerschütterung nach sich zieht«, überlegte Rudy. »Ich will es ja nicht übertreiben.«
Die anderen Techniker hatten die Arbeit unterbrochen und sahen zu. Einige lächelten. Đoàn saß weiter an seinem Platz und deutete fast unmerklich sein Einverständnis an.
»Es läuft jetzt folgendermaßen, Binh«, erklärte Rudy. »Was immer ihr passiert, das passiert ab sofort auch Ihnen. Ist das klar?«
Binh lag keuchend am Boden.
»Ist das klar?«, fragte Rudy etwas lauter.
Binh nickte eifrig.
»Gut.« Rudy lächelte. Dann wandte er sich an mich. »Da ist deine Lieferung, Jazz. Schätzungsweise einhundert Kilogramm, abzuliefern bei Doc Roussel. Stell es dem Sicherheitsdienst in Rechnung.«
»Alles klar«, sagte ich.
So funktioniert hier die Justiz. Es gibt keine Gefängnisse oder Geldstrafen. Wer ein schweres Verbrechen begeht, wird auf die Erde verbannt. Für alles andere ist Rudy zuständig.
Nach dieser speziellen Lieferung erledigte ich ein paar alltäglichere Transporte und Zustellungen. Meist ging es vom Hafen zu Privatadressen. Außerdem gelang es mir, einen Auftrag für einen Haufen Kisten von einer Wohneinheit zurück zum Hafen zu ergattern. Ich half den Leuten gern beim Umzug, normalerweise gaben sie anständige Trinkgelder. Dieser Umzug war allerdings eher bescheiden – ein junges Paar, das auf die Erde zurückkehren wollte.
Die Frau war schwanger. In der Mondschwerkraft kann man kein Kind austragen – das führt zu Geburtsfehlern. Und man kann hier auch kein...
Erscheint lt. Verlag | 5.3.2018 |
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Übersetzer | Jürgen Langowski |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Artemis |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Schlagworte | Der Marsianer • eBooks • Mond • Mondstadt • Nasa • Neil Armstrong • New-York-Times-Bestsellerautor • Science-Fiction-Abenteuer • SPIEGEL-Bestsellerautor • Weltraum • Wissenschaft |
ISBN-10 | 3-641-22439-X / 364122439X |
ISBN-13 | 978-3-641-22439-4 / 9783641224394 |
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