Die Fahrten Binjamins des Dritten -  Mendele Moicher Sforim

Die Fahrten Binjamins des Dritten (eBook)

Ein Schelmenroman
eBook Download: EPUB
2024 | 2. Auflage
107 Seiten
Null Papier Verlag
978-3-96281-050-4 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
0,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Binjamin ist ein jüdischer Don Quijote (so auch der Untertitel der polnischen Übersetzung), der mit seinem Sancho Pansa Senderl auf abenteuerliche Fahrten geht - wenn auch, ganz in der Tradition des spanischen Junkers, alles meist in seinem Kopf stattfindet. Die Figuren der Geschichten stammen oftmals aus alten jüdischen Legenden und Volkserzählungen. Null Papier Verlag

Mendele Moicher Sforim (1835-1917) war ein vor allem jiddischer, aber auch hebräischer Schriftsteller. Er gilt als 'Großvater' der neujiddischen Literatur und hat ihr mit seinen Texten Geltung verschafft. Nach dem Tod seines Vaters verließ der 13-jährige Mendele sein Geburtshaus und studierte an verschiedenen Talmud-Universitäten in Litauen. Auf seinen Reisen durch die Ukraine nahm er zahlreiche Eindrücke aus dem jüdischen Leben auf, die sich später in seinen Werken widerspiegeln.

Mendele Moicher Sforim (1835–1917) war ein vor allem jiddischer, aber auch hebräischer Schriftsteller. Er gilt als "Großvater" der neujiddischen Literatur und hat ihr mit seinen Texten Geltung verschafft. Nach dem Tod seines Vaters verließ der 13-jährige Mendele sein Geburtshaus und studierte an verschiedenen Talmud-Universitäten in Litauen. Auf seinen Reisen durch die Ukraine nahm er zahlreiche Eindrücke aus dem jüdischen Leben auf, die sich später in seinen Werken widerspiegeln.

Wer Binjamin ist, woher er stammt und wie ihn die Reiselust überkommen hat
Wie Binjamin ein »Opfer« und Selde eine »ewig Verlassene« wird
Binjamin tut sich mit Senderl, genannt das »Weib«, zusammen
Binjamin und Senderl verlassen Tunejadowka
Was unseren Helden bei ihrem ersten Schritt in die Welt widerfährt
Unsere Helden geraten nach Teterewka, wo Binjamin eine Ohrfeige einsteckt
Binjamin bewirkt eine Umwälzung in der Politik
Das Verdienst der Väter erweist sich an unseren Helden
Hurra, Rote Juden!
Wunder über Wunder auf der Pjatignilowka
Unsere Wanderer werden ins Bad geleitet
Ende gut, alles gut

Wer Binjamin ist, woher er stammt und wie ihn die Reiselust überkommen hat


Alle mei­ne Tage – so er­zählt uns Bin­ja­min der Drit­te sel­ber –, näm­lich bis zu mei­ner großen Rei­se, habe ich in Tu­ne­ja­dow­ka ver­bracht. Dort bin ich ge­bo­ren, dort bin ich er­zo­gen wor­den und dort habe ich mein from­mes Weib, die Frau Sel­de, sie soll le­ben, ge­hei­ra­tet. Das Städt­chen Tu­ne­ja­dow­ka ist ein ver­lo­re­nes Nest, ab­seits von der Post­stra­ße und von der Welt der­ma­ßen ab­ge­schnit­ten, dass, wenn es sich ein­mal er­eig­net und ei­ner kommt dort­hin an­ge­reist, sich Tü­ren und Fens­ter öff­nen, um den An­kömm­ling zu be­stau­nen. Die Nach­barn be­fra­gen ein­an­der dann, zum Fens­ter hin­aus­ge­beugt: Ha, wer mag das wohl sein? Wo­her ist der so plötz­lich aus hei­ler Haut hier auf­ge­taucht? Was mag so ei­ner hier su­chen? Steckt nicht ir­gend­ei­ne Ab­sicht da­hin­ter? Es kann doch nicht sein, dass man ein­fach sich auf­macht und hier­her reist! Si­cher­lich ist et­was da­bei, das er­grün­det wer­den muss. Je­der will da­bei sei­ne Weis­heit, sei­ne Welt­läu­fig­keit er­wei­sen, un­zäh­li­ge aus der Tie­fe des Ge­müts ge­schöpf­te Ver­mu­tun­gen las­sen sich ver­neh­men; alte Leu­te er­zäh­len Ge­schich­ten und Fa­beln von Rei­sen­den, die in dem und dem Jahr an­ge­kom­men wa­ren, Witz­bol­de ma­chen dar­über nicht eben an­stän­di­ge Spä­ße, die Män­ner strei­cheln ihre Bär­te und lä­cheln dazu, die al­ten Wei­ber wei­sen sie schein­bar zu­recht, in­dem sie sie an­schrei­en und zu­gleich la­chen, jun­ge Frau­en ent­sen­den einen schalk­haf­ten Blick aus ge­senk­ten Au­gen, hal­ten die Hand vor den Mund und er­sti­cken fast vor ver­stoh­le­nem La­chen. Das Ge­spräch über die­se An­ge­le­gen­heit rollt von Haus zu Haus, wie ein Schnee­ball, der im Wäl­zen im­mer grö­ßer und grö­ßer wird, bis er ins Bet­haus beim Ofen an­langt, an den Ort, wo alle Un­ter­hal­tun­gen über alle Din­ge schließ­lich lan­den, so­wohl über Fa­mi­li­en­ge­heim­nis­se als auch über Po­li­tik, Stam­bul be­tref­fend, den Tür­ken und den Ös­ter­rei­cher; so­wohl über Geld­ge­schäf­te, zum Bei­spiel über Roth­schilds Ver­mö­gen im Ver­gleich mit dem der großen Guts­be­sit­zer und an­de­rer Ma­gna­ten, als auch Gerüch­te über Ver­fol­gun­gen, etwa über die sa­gen­haf­ten »Ro­ten Ju­den« und der­glei­chen. Das al­les wird der Rei­he nach von ei­nem be­son­dern Ko­mi­tee ehr­wür­di­ger, ernst­haf­ter Män­ner durch­ge­nom­men, die den gan­zen Tag bis spät in die Nacht sich dort auf­hal­ten, die Weib und Kin­der dar­über preis­ge­ben und mit al­len die­sen Ge­schäf­ten sich treu­lich be­fas­sen, der Sa­che ganz um ih­rer selbst wil­len hin­ge­ge­ben, ohne für ihre Mühe und Pla­ge auch nur einen zer­bro­che­nen Hel­ler zu emp­fan­gen. Von die­sem Ko­mi­tee ge­lan­gen die An­ge­le­gen­hei­ten oft ins Dampf­bad und auf die obers­te Bank und wer­den dort in ei­nem Ple­num städ­ti­scher Haus­vä­ter end­gül­tig ent­schie­den; da­mit ist al­les fest­ge­legt und be­sie­gelt, so dass hin­ter­her alle Kö­ni­ge des Mor­gen- und des Abend­lan­des sich auf den Kopf stel­len könn­ten, sie wür­den nichts mehr da­ge­gen aus­rich­ten. Der Tür­ke ist mehr als ein­mal schon in ei­nem sol­chen Ple­num auf der obers­ten Bank fast ins Un­glück ge­stürzt wor­den, und wer weiß, was aus ihm ge­wor­den wäre, wenn nicht ei­ni­ge auf­rech­te Haus­vä­ter ihm zu Hil­fe ge­eilt wä­ren. Auch Roth­schild, der Ärms­te, hat dort ein­mal fast zehn bis fünf­zehn Mil­lio­nen ver­lo­ren, da­für hat ihm ei­ni­ge Wo­chen dar­auf Gott ge­hol­fen: man war da oben in bes­ter Stim­mung, die Bir­ken­be­sen wur­den ge­schwun­gen und un­ter ih­rem wohl­tä­ti­gen Ein­fluss ge­währ­te man Roth­schild einen Pro­fit von un­ge­fähr hun­dert­fünf­zig Mil­lio­nen Ru­bel.

Die Be­woh­ner von Tu­ne­ja­dow­ka sind zwar fast alle, nicht euch ge­sagt, große Ha­be­nicht­se und arme Schlu­cker, aber man muss ge­ste­hen, dass sie lus­ti­ge Ha­be­nicht­se, fröh­li­che Bett­ler sind, von be­geis­ter­tem Gott­ver­trau­en er­füllt. Frag­te man einen Be­woh­ner von Tu­ne­ja­dow­ka etwa, von wel­chem Ein­kom­men und wie er sich er­nährt, so wür­de er zu­erst ver­wirrt da­ste­hen und kei­ne Ant­wort dar­auf wis­sen. Bald aber wird er zu sich kom­men und in al­ler Un­schuld er­wi­dern: »Ich, so arm ich auch lebe, ich, ach es gibt einen Gott, sag ich Euch, der sei­ne Ge­schöp­fe nicht ver­lässt, er schickt ei­nem zu und wird ge­wiss auch wei­ter zu­schi­cken, sag ich Euch!« – »Den­noch, was treibt Ihr? Habt Ihr ein Hand­werk oder sonst einen Be­ruf?« – »Ge­lobt sei Gott, ich hab, Er sei ge­prie­sen, so wie Ihr mich da seht, eine Gabe von Sei­nem lie­ben Na­men, ein köst­li­ches In­stru­ment, eine Sing­stim­me und bete an den ho­hen Fei­er­ta­gen ›Mus­saf‹ in der Um­ge­bung. Ich bin auch ein Be­schnei­der und ein Maz­zot-Räd­ler, wie es kaum noch einen gibt. Manch­mal brin­ge ich auch eine Hei­ratspar­tie zu­stan­de. So wie Ihr mich da seht, habe ich einen an­ge­stamm­ten Sitz in der Schul, au­ßer­dem un­ter­hal­te ich, un­ter uns, einen klei­nen Aus­schank, der et­was ab­wirft. Ich be­sit­ze eine Zie­ge – möge sie der böse Blick ver­scho­nen –, die reich­lich Milch gibt, und nicht weit von hier wohnt mir ein rei­cher Ver­wand­ter, der in schlim­men Zei­ten sich auch et­was mel­ken lässt. Jetzt, ab­ge­se­hen von al­le­dem, sage ich Euch, ist ja Gott ein Va­ter und sei­ne Kin­der Is­rael sind barm­her­zi­ge Kin­der von Barm­her­zi­gen. Ihr seht ja – man darf sich nicht ver­sün­di­gen.«

Man muss den Be­woh­nern von Tu­ne­ja­dow­ka auch das Lob zu­bil­li­gen, dass sie mit dem, was Gott gibt, zu­frie­den sind und, was Klei­dung und Nah­rung an­langt, nicht sehr an­spruchs­voll sind. Ist die Sab­bat-Ka­po­te zer­schlitzt, zer­ris­sen, am Rand mit Kot be­spritzt und auch sonst nicht sehr sau­ber, so hat das nichts auf sich; ist sie ja doch aus At­las und glänzt. Sieht stel­len­wei­se, wie durch ein Sieb, die nack­te Haut hin­durch – wer regt sich dar­über auf, wer sieht hin? Wie ist es denn zum Bei­spiel mit der Fer­se? Ist das schlim­mer als eine nack­te Fer­se, ist die Fer­se nicht Leib? Ein Stück Brot mit Kar­tof­fel­sup­pe, wenn es das nur gibt, ist ein sehr gu­tes Mit­ta­ges­sen, und wie erst eine Sem­mel und ein Stück Sup­pen­fleisch! Am Frei­tag, wer es nur hat, ist das ja ge­ra­de­zu ein kö­nig­li­ches Es­sen, et­was Bes­se­res gibt es über­haupt nicht auf der Welt, soll­te man mei­nen. Er­zähl­te man ih­nen von an­de­ren Ge­rich­ten als Fisch­sup­pe, Ge­bra­te­nem und Zu­ge­mü­se aus gel­ben Rü­ben oder Pas­tina­ke, wür­de es ih­nen so selt­sam und merk­wür­dig vor­kom­men, dass sie sich dar­über lus­tig mach­ten und in lau­tes La­chen aus­brä­chen, wie über et­was Ver­rück­tes, Sinn­lo­ses, das man ih­nen da auf­bin­den wol­le, ge­nau so als woll­te man ei­nem weis­ma­chen, er sei schwan­ger oder eine Kuh sei übers Dach ge­flo­gen und hät­te ein Ei ge­legt. Ein Stück Jo­han­nis­brot am fünf­zehn­ten Sch’wat ist eine herz­er­qui­cken­de Frucht, blickt man dar­auf, so er­in­nert man sich an das Hei­li­ge Land, man starrt dar­auf, und der Brust ent­ringt sich ein Seuf­zer: »Ach lieb­her­zi­ger Va­ter, führ uns auf­recht, ja, wahr­haft sieg­reich in un­ser Land, wo die...

Erscheint lt. Verlag 12.12.2024
Reihe/Serie Klassiker bei Null Papier
Klassiker bei Null Papier
Übersetzer Efraim Frisch
Verlagsort Neuss
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Don Quijote • Hebräisch • Jude • Judentum • Jüdisch • Schelmenroman
ISBN-10 3-96281-050-1 / 3962810501
ISBN-13 978-3-96281-050-4 / 9783962810504
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Ohne DRM)
Größe: 1,8 MB

Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopier­schutz. Eine Weiter­gabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persön­lichen Nutzung erwerben.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Die Geschichte eines Weltzentrums der Medizin von 1710 bis zur …

von Gerhard Jaeckel; Günter Grau

eBook Download (2021)
Lehmanns (Verlag)
14,99